Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Passionszeit 2006
Theologische und kirchenmusikalische Anregungen zu Passionsliedern
Alexander Völker und Thomas Schmidt
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Zum 1. Sonntag der Passionszeit (5. März 2006)

Ein feste Burg EG 362

Ein Gewinn bringendes Experiment, ohne Risiko – es kommt nur auf den Versuch an! Angenommen, drei, vier oder fünf singefreudige Menschen aus der Gemeinde oder Chormitglieder würden im Gottesdienst am 5. März die Originalmelodie dieses Liedes unbegleitet singen, wie sie unser Gesangbuch an erster Stelle bringt, die Gemeinde würde sogar dazu aufstehen und die Strophe (bestenfalls einstimmig orgelbegleitet) auf dieselbe Weise nachsingen, – für einen Augenblick würden alle im Raum die bekannte, rhythmisch egalisierte, aus- und eingefahrene vergröberte Melodie vergessen, die mit ihrem so marschartig stampfenden Bekennermut daherkommt; ein ganz neues Hören auf den hohen, den höchsten Ton dieser Melodie setzte ein („da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind“, Ps 46,5)! Die Frische, Schönheit und der kühne Schwung des Trostlieds von Martin Luther würden auf einmal hörbar; auch wie der altböse Feind von unten her andrängend sich bemerkbar macht, wie ernst er es meint, sich in unserem Leben an die Stelle Gottes setzen zu wollen, wie die Melodie der Zeilen 7 und 8 hin- und herwogend den Kampf spiegelt, der längst entschieden ist: das macht, er ist gericht’. So kann man bereits am ersten Sonntag der Passionszeit mit der Schlusszeile (welche die Z. 2/4 wieder aufnimmt) singen, was das Osterfest mit dem von Gott durch Christus vollbrachten Sieg feiert (1. Kor 15,57): Ein Wörtlein kann ihn fällen (Eine Lutherpredigt zu Joh 18,6 von 1528 deutet das ‚Wörtlein’ auf den Fünf-Buchstaben-Namen J-e-s-u-s).

Das Lied, mutmaßlich in den für Luther schwierigen und notvollen Jahren 1526 bis 1528 (Sterben eines Kindes, lebensbedrohende Krankheiten, Tod einiger Freunde) entstanden, kennt eine kontrastreiche Strophenfolge (1 mit 3: „Mächte und Gewalten“ des Bösen; 2 mit 4: der rechte Mann ..., bei uns wohl auf dem Plan) und bilanziert jeweils durch die (ungereimte) Schlusszeile den Erkenntnisfortschritt (von auf Erd ist nicht seinsgleichen bis das Reich muss uns doch bleiben).

Von der mitreißend frei schwingenden Singweise her könnte sein Kernsatz Er hilft uns frei aus aller Not (Kopfzeile der Melodie!) auch ein Lobpreis des Paulus sein. Bei seinen Mitchristen in Korinth als Apostel Jesu und Diener Gottes alles andere als unumstritten (2. Kor 6,1-10), kennzeichnet er seine Lage dreifach: zunächst mit zehnfacher Leidensplage (von „großer Geduld“ bis „in Fasten“; 4b-5), danach in einer Lebenshaltung, wie sie Gottes Geist schenkt (6-7), am treffendsten letztlich durch die Reihung von Paradoxen („in Ehre und Schande“ bis „als die nichts haben, und doch alles haben“; 8-10). So etwa kann sich die Christusförmigkeit eines Dienstes im Glauben sprachlich ausdrücken, wenn nicht erweisen. Dieselbe „Radikalität“ zeigt das Lied mit der rhetorischen Frage (Str. 2, 5ff.) und seiner kühnen Identifikation von Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott ...

Das Aufgreifen einer (beliebigen) Liedzeile aus Ein feste Burg – nachdem alle so gesungen haben, wie oben vorgeschlagen – führt mitten hinein in den Predigttext und in die Glaubensnot und Glaubenszuversicht unserer Gegenwart.

oder

Ach bleib mit deiner Gnade EG 347

Als „Hauptlied“ für diesen Sonntag und seinen Predigttext kann auch das bekannte Gebetslied des frommen Pastors und Theologieprofessors Josua Stegmann (1588-1632; Stadthagen/Rinteln, 30jähriger Krieg!) gewählt werden. Freilich spiegelt es die Glaubens-Paradoxa von 2. Kor 6,1ff. nicht so präzise wie das Lutherlied; bei seiner Melodie ist auch die allfällige Assoziation der Gemeinde an das Sterbelied Christus, der ist mein Leben (EG 516) mit zu bedenken.

Die Bitte der Emmausjünger bleib ... bei uns (Lk 24,19), mit der leicht wehleidig anmutenden Interjektion Ach eingeleitet, konkretisiert Stegmann in der ersten Strophenzeile durch bestimmte Heilsgüter (Gnade, Wort, Glanz, Segen, Schutz, Treue); eine diesen sechs Bitten zugeordnete Prädikation des Angerufenen (von Herr Jesu Christ bis mein Herr und Gott) folgt; immer bildet das bei uns die Brücke von der ersten zur zweiten Zeile. Der jeweils zweite Strophenteil lässt die Ängste und Befürchtungen der Glaubenden erkennen (ungerade Str.-Zahl: List des bösen Feindes, 1,4: 5,3f.; wir irren, 3,4; böse Welt, 5,4), die mit den erbetenen Wohltaten (gerade Str.-Zahl: Güt und Heil, 2,4; Gnad und alls Vermögen, 4,3f.; Beständigkeit, 6,3) abwechseln. Diese Anordnung zeigt: Einerseits setzt das Gebetslied (hilf uns aus aller Not, 6,4) alle Hoffnung auf Gott und Jesus Christus, andererseits entlässt es die Glaubenden nicht aus ihrer Verantwortlichkeit.

Es sind sehr verschiedene Ausführungswege denkbar: etwa ein einführender Kurzkommentar zum Lied, das dann ‚in einem Zug’ durchgesungen wird; oder die Zuordnung unterschiedlicher Strophen zu Stichworten/Passagen des Predigttextes, illustriert durch einen nichtbiblischen, aktuellen Kurztext je Strophe, o.ä.

-> EG 362 / EG 347

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de


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