Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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3. Sonntag im Advent, 17. Dezember 2006
Predigt zu Jesaja 40, 1-11, verfaßt von Katharina Coblenz-Arfken
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

stellen Sie sich vor: ein Kind rennt den Berg hinab, springt über Steine, stolpert und –
fällt hin. Schlägt sich die Knie auf.
Dabei ist es losgerannt, weil es in der Ferne ein wunderbares Licht gesehen hat.
Da wollte es hin.
Nun liegt das Kind mit aufgeschürften blutigen Knien auf halber Strecke. Es tut weh.
Das Licht ist zwar noch da, aber das Kind sieht es nicht mehr. Es sitzt selbst im tiefen Tal, im Jammertal. Tränen rollen übers Gesicht und trüben den Blick. Es fehlt der Mut, wieder aufzustehen und weiterzugehen, denn über den Schreck und den Schmerz hat es das Licht vergessen, dem es entgegeneilen wollte. Es müht sich jetzt mit sich selbst ab. Wie komme ich bloß wieder hoch? Lohnt es sich weiter zu gehen? Das Kind will zurück. Es traut sich nicht weiter.
Und wie es so völlig verheult da hockt, streicht ihm eine Hand sanft übers Haar. Eine andere Hand hilft ihm auf.
Eine, die auch unterwegs war, hat gemerkt, dass da ein Kind hingefallen ist und weint.
Sie kramt ein großes Taschentuch hervor, trocknet die Tränen und verbindet das aufgeschrammte Knie.
In dem Moment fällt dem Kind das Licht wieder ein, das es gesehen hatte und dessentwegen es losgerannt war. Es erzählt seiner Trösterin davon. Nun wussten beide von dem Lichtglanz und wanderten gemeinsam weiter Hand in Hand dem Licht entgegen.
Soweit die Geschichte.

Und – ist es nicht so, dass wir alle auf je unsere Weise dem Licht entgegenwandern?
Es stillt die Sehnsucht der Menschen seit Urzeiten, dass das Leben ein Ziel hat und in eine große Liebe mündet, wie auch immer wir sie benennen mögen, ja dass diese Liebe uns im Leben trägt und hält.
Nun mag manch einer sagen, das ist ein großes Wort, bei mir kommt das nicht an, ich kann das nicht nachvollziehen. Um mich sehe ich so viel Streit, Eitelkeit, ich habe die Arbeit verloren, ich bin krank geworden, mein Mann hat mich verlassen. Was soll`s?
Ich kenne selbst diese Stimmen, die einem das Leben rauben können. Es sind ja nicht nur Stimmen, es sind die Realitäten, die wir schaffen und die uns schaffen.

In so ein Gewirr von Stimmen, die nicht mehr dem Leben glauben, die nur noch Zerstörung sehen, ist der folgende Text gesprochen. Er ist zweieinhalbtausend Jahre alt.
Der Prophet Jesaja wendet sich an sein Volk, das von zu Hause weg musste und nicht mehr klar kam in der großen anderen Welt:


Jesaja 14, 1-8

Tröstet, tröstet mein Volk,
spricht der, der mit euch sein will.
Redet freundlich mit Jerusalem und predigt ihr,
dass ihre Knechtschaft ein Ende hat und ihre Schuld vergeben ist,
denn sie hat doppelt Strafe empfangen von der Hand Gottes für all ihre Sünden.

Es ruft eine Stimme:
Bereitet einen Weg in der Wüste, dem der mit euch gehen will.
Macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott.
Alle Täler sollen erhöht und alle Berge und Hügel erniedrigt werden.
Was uneben ist, soll gerade und was hüglig ist, soll eben werden.
Denn der Lichtglanz dessen, der mit dir sein will, soll offenbar werden
und alle Menschen werden es sehen.

Es spricht eine Stimme: Sag es weiter!
Und ich sprach: Was soll ich sagen?
Alle Menschen sind wie Gras
Und all ihre Güte gleicht der Blume auf dem Feld.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
denn der Atem dessen, der alles umgibt, bläst darein.
Ja, wie Gras sind die Menschen.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Hören wir den Ruf zum Trösten? Mehr noch, lassen wir uns auffordern zum Trösten?
Oder überlegen wir erst einmal, wer gemeint sein soll, wer denn da trösten soll.

Mir schließt dieses Wort „Tröstet“ die Ohren auf. Gerade jetzt sehne ich mich nach Trost. Wo ich den Partner verloren habe, wo Arbeit nur schwer zu finden ist. Diese Aufforderung zum Trösten geht davon aus, dass das möglich ist, Trost zu finden. Das hebräische Wort „nacham“ birgt in sich noch die Urbedeutung von tief durchatmen, seufzen.
Wo erlaubt ist durchzuatmen, wo alle Seufzer raus können und gehört werden, da kann auch Trost kommen. Hier ist nicht vom billigen Trost die Rede. Hier nimmt einer den anderen ganz ernst, schaut tief in das menschliche Elend und weiß, dass Menschenwege immer wieder sich selbst zerstören und abbrechen können, wenn er sagt: Deine Knechtschaft hat ein Ende und deine Schuld ist vergeben!

Jesaja spricht in Bildern. Er kannte die Wüste. Sie wird zum Sinnbild für unsere sich auftürmenden Berge der Angst und die abgrundtiefen Täler menschlicher Verzweiflung. In ihr befinden sich all die Schutthalden unserer Scheitererlebnisse, durch die kein Weg mehr führt, weil alles beliebig geworden ist.
Wenn das Leben für einen Menschen so wüst aussieht, dass alles verkehrt ist, nichts mehr geht, dann ist wirklich kein Weg zu finden. Dann fängt die mühsame Arbeit an, sich die Berge und Täler genau anzuschauen, um sie Stück für Stück abzutragen, damit ein Weg gebahnt wird, damit der Lebensweg wieder frei wird.
Ich kenne solche Situationen, in denen man keinen Lichtglanz mehr spürt, auch wenn äußerlich noch alles zu funktionieren scheint. Als ich neulich in so einer Verfassung meine Freundin Dora abholen wollte, merkte sie es gleich und holte mich erst einmal herein und sagte dann irgendwann zwischendurch: Eins will ich dir sagen, egal was ist, Gott hat dich lieb, so wie du bist, dessen kannst du gewiss sein, dass er bei dir ist – ich kann es nicht geschickter formulieren.
Damit brach für mich wieder etwas von diesem Lichtglanz durch. Da war die Bahn für Gott wieder frei.
Und die Wüste? Ich sah, dass ich lebendig bin – wie Gras, das die Tiere in der Wüste nährt.
Jesaja erinnert an die Vergänglichkeit – unsere kostbare Zeit, die keiner vermag festzuhalten, die aber in Gott aufgehoben sein kann – weil geliebt.
Könnte es nicht sein, dass wir dann selbst zu Freudenboten werden?
Und vielleicht fallen uns Bilder aus unserer Welt ein, dies weiterzusagen.
Gott kommt uns nicht entgegen, weil wir so perfekt (vergangen)sind, sondern weil er unsere Not kennt und wandeln will in die Fülle zum Leben.

Amen

Liedvorschlag: EG 10, 1-4 Wie soll ich dich empfangen


Dr. Katharina Coblenz-Arfken
Dragonerstr. 17
37154 Northeim – Hohnstedt
Tel.: 0555151107
Arfkencoblenz@aol.com

 


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