Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema "Weltmeisterschaft", 2006
Predigt am Pfingstsonntag zum Thema "Team-Geist", 4. Juni 2006
verfasst von Reinhard Schmidt-Rost
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Team-Geist oder: Die EINE-WELT-Meisterschaft -
Texte:
Das Ende der Sintflut (Genesis 8)
Turmbau zu Babel (Genesis 11) und
Pfingsterzählung (Apostelgeschichte 2)

Liebe Gemeinde!

Babylon und Jerusalem – vom Turmbau im Zwei-Strom-Land zum Zion wölbt sich im Gedankenspiel des Geistes der Bogen der Macht – ein stahlhart-steinerner Bogen, der alle Menschen unter die Einheit der Reiche zwingt; und viele Menschen werden sagen: Sie haben doch recht, die Regenten und Herrscher – und die Völker, die sich solche Herrschaftsstrukturen wählen: Das Menschenherz ist unruhig und verzagt, deshalb gilt doch allemal: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, Ordnung muß sein, Herrschaft tut not, auch wenn sie weh tut. Liebe allein lässt nicht leben – und deshalb braucht es die irdische Macht, die eine Ordnung notfalls mit Gewalt durchsetzen kann, die Himmelsmacht, die Liebe, wirkt eben nur unter himmlischen Verhältnissen, und so weit sind wir noch nicht, wenn wir je dahin gelangen … und nicht nur eines Tages nur wieder in den Staub sinken.

Der Regenbogen, Noah kaum verheißen und an den Himmel geheftet, zum ewigen Plädoyer für die Unterschiedenheit und Vielfalt aus der Einheit des einen Wesens, und gegen jede – von Menschen erzwungene – Einheit, wird verdrängt, kaum dass die Bewohner der Arche wieder trockenen Boden unter den Füßen haben, das Bild des Regenbogens verläuft sich und gibt den Blick frei auf den babylonischen Turm. Der Regenbogen, das Zeichen der Vielfalt und Fülle, die nicht auszuhalten war, wird ersetzt durch den markigen Turm und durch das e i n e weiße Licht, im Regenbogen mild und prachtvoll gebrochen zum bunten Band irdischer Vielfalt, der Regenbogen verschwindet doch auch immer wieder in den Wolken zusammengeballter Gewalt oder in der Einheit wirkenden Glut der Sonnenkönige und anderer strahlender Machthaber und Meister über alle Welt; die milde Herrschaft, die die Fülle und Unterschiedenheit aushielte, war und ist immer noch die Ausnahme in den menschlichen Gesellschaften, der seltene Glücksfall, im klassischen Weimar Goethes vielleicht, im beschaulichen, bildungsorientierten Bückeburg und anderen beachtenswerten Provinzen hierzulande und in der weiten Welt, auch in den Universitäten hier und da: Provinzen des Geistes, die sich der Einheit nicht unterwerfen müssen, sondern auf Differenzierung, auf Vielfalt, auf Fülle mindestens angelegt sind.

Aber auch in den Akademien und Universitäten ist das Band der Einheit streng gezogen, mit Exzellenz und Qualität werden Maßstäbe angelegt, die keineswegs allen Fächern in der Fülle der Universitas Literarum leicht und förderlich zu tragen sind. Die Differenzierung schafft eben Differenzen, die selbst hier nicht leicht auszuhalten, geschweige denn zu gestalten sind.

Liebe Gemeinde!

Das sportliche Spiel, das nun nächste Woche beginnt, - wird es eher den Regenbogen friedlicher Völkerverständigung, die Vielfalt der Lebensweisen an der Fülle der Spielkulturen sehen lassen – oder wird das Spektakel dem stahlharten Bogen der Kraft, der Überlegenheit, des Sieges die Ehre geben? Den verbindenden Bogen zwischen den Machtzentren der Welt auf dem – ziemlich einheitlich – grünen Rasen nachbilden?

Wir wissen, dass der Einheitsgedanke in der Geschichte immer stärker war als die Bewunderung für die Vielfalt: Menschen suchen den höchsten Turm, sei es für die Kirche oder für das Rathaus, wir wollen am höchsten hinaus, wir wollen siegen.

Wir wissen, dass dieses Streben nach anschaulicher Einheit stärker ist als der Regenbogen-Gedanke, aber in unseren Herzen sehnen wir uns nach dem bunten Licht des Regenbogens, wir wären gerne eine Gemeinschaft, eine Familie, eine Stadt, ein Volk, ja eine Welt mit vielen individuellen Begabungen, Einheit ist uns darüber nicht so wichtig, - wenn, ja wenn wir unsere Angst vor dem anderen, vor dem Fremden besiegen, - und wir treffen gerne viele Freunde aus aller Welt; wäre es in einer Universitätsstadt anders, sie verdiente diesen Namen nicht. Hier könnte auch der pfingstliche Gedanke an ein ganz anderes Spiel entstehen, an die EINE-WELT-Meisterschaft, in einer Stadt wie Bonn, in der die Entwicklungsdienste des Staates und der Kirchen sich treffen, ja neben- und miteinander arbeiten … und darüber beraten, ob der Begriff ‚Entwicklung’ überhaupt noch der passende sei für eine Arbeit, die das wechselseitige Verständnis der Völker in aller Welt fördern will, und nicht die Abhängigkeit der einen von den anderen weiter zementiert.

Ein solches Spiel, eine solche EINE-WELT-Meisterschaft wäre keine Veranstaltung, bei der es um Ausscheiden und Weiterkommen ginge, sondern um Kennen lernen und Zusammenspiel, um die Schönheit des Spiels und nicht um die knochenharte Praxis des Erfolgs.

Es wäre wie ein Ballspiel, in dem die Regeln allen bekannt und von allen geachtet würden, wo ein Schiedsrichter keine Aufgabe hätte, sondern sich unter die Zuschauer mischen könnte, wo die Kunst der Ballbehandlung den Zuschauern die Begeisterung am Spiel fördern würde mehr als jeder Erfolg der eigenen Mannschaft, vergleichbar vielleicht einem kunstvollen Tanz, bei dem nicht das Ergebnis, sondern die Anmut der Tanzenden die Zuschauer erfreut. - Es soll ja in südlichen Ländern sogar Fußballspiele geben, wo den Zuschauern der ansehnliche, spannende, ja kunstvolle Verlauf eines Spiels wichtiger ist als irgendein Torerfolg, jedenfalls sagte man das noch vor wenigen Jahren.

Liebe Gemeinde,

wenn es mit den Menschen nun aber so ist, dass ihnen Vielfalt und Differenzen Angst machen, dass sie sich nicht frei miteinander verständigen können, sondern immer, wenn das Leben in Bewegung gerät, nach festen Orientierungen suchen, - was bleibt dann anderes übrig als eben diese Orientierung an ehernen Gesetzen und steinernen Tafeln, sind solche Gebote dann nicht schon große Fortschritte gegenüber einer Ordnung, die Macht autokratisch in der Hand eines Gottes oder Herrschers selbstherrlich vereinigt? Gewiß, eine Diktatur ist schlimmer als ein autoritär geführter Rechtsstaat. Aber wir Menschen spüren natürlich in den freien Momenten und in den gelingenden Begegnungen mit Menschen, die wir schätzen, ja lieben, wie schön ein Leben sein könnte, dass auf einem geradezu blinden Verstehen aufbaut, das nicht aus Konkurrenz, Besitzstreben, Neid und Eifersucht besteht und darin auf- und untergeht, ein Leben, das von Liebe in seiner ganzen bunten Fülle erleuchtet würde.

Natür-lich ist das nicht, es ist Kultur, wenn man so anspruchsvoll empfindet und denkt und das Leben gestaltet - und der Fußballsport wendet sich zunächst vor allem an die kreatürlich-natürliche Seite der Menschen. Da geht es zur Sache und nicht selten eben auch kräftig auf die Knochen. Aber dass selbst auf dem grünen Rasen, dem Schauplatz des unerbittlich eingeforderten Erfolgs so etwas möglich ist wie eine Spielkultur, wo sich die Samba-Tänzer letztlich doch der rustikaleren, schlichteren Spielweise überlegen zeigen, wie etwa bei der letzten Fußball-WM im Fernen Osten, das kann wenigstens als ein Zeichen gelten, dass die Vielfalt des Menschseins in der Welt nicht untergehen muß.

Liebe Gemeinde,

Die Vielfalt muß nicht untergehen, sie steht unter dem Schutz des Regenbogens, und damit kann man noch viel entschiedener und über allen Fußball hinaus gehend feststellen: Diese Welt wird nur bestehen, wenn die Menschen lernen, die Unterschiede auszuhalten, wenn sie sich einem Geist anvertrauen, der nicht den Beton für die nächste Befestigung mischt, weder in der Fußball-Verteidigung noch im Verkehr der Menschen untereinander, sondern weiche Lebensformen der Güte und Barmherzigkeit bei den Menschen entdeckt und entwickelt.

Dies war der Auftrag Jesu und dies ist die besonders frohe Botschaft von Pfingsten, dass hier viele Menschen eine Ahnung davon bekamen, dass die Unterschiede zwischen den Menschen, die sonst ängstigen und belasten, nicht mehr belasten müssen. Dass sie jeder in seiner Sprache – also unter Beibehaltung der Unterschiede – doch genau verstanden, worum es Gott ging, als er seinen Sohn als Boten seiner Liebe in die Welt sandte.

Liebe Gemeinde,

um die Unterschiede in der einen Welt auszuhalten, ohne sie einzuebnen, um eine menschenfreundliche Welt daraus zu gestalten, dazu braucht es ein hohes Maß an Vertrauen; denn ohne dies führt die Angst vor dem anderen, vor dem Fremden schnell dazu, dass sich die Menschen gegenseitig auslöschen – und die Boten der Liebe Gottes umzubringen.

Der Geist uneingeschränkten Vertrauens, der Teamgeist Gottes, aber wirkt in der Welt nicht erst seit Pfingsten zum Leben hin, in Völkern und Familien hat er sich immer wieder seinen begrenzten Wirkungskreis gesucht und Lebensmöglichkeiten bewahrt und gewährt, mehr oder weniger kräftig. Durch Jesus Christus und sein Eintreten für die Besonderheit eines jeden Menschen gegen alle Vereinheitlichung in Gesetzen und Geboten aber ist er in der Welt und vor allem für die ganze Welt ein für allemal bekannt geworden, - und dies auf eine so eigenartige Weise, dass wir noch heute von Jesus Christus als Gottes Sohn sprechen und uns die Geschichten erzählen, die er uns erzählt hat, vom Finden der Verlorenen, von den Kindern, denen die Liebe Gottes gilt wie den Erwachsenen, ein ganz und gar nicht gewöhnlicher Gedanke in der Antike.

Seit den Tagen des Jesus von Nazareth ist der Gedanke nicht mehr aus der Welt zu schaffen, dass menschliches Leben in seiner Besonderheit seinen besonderen Wert hat; das heißt leider nicht, dass alle Menschen sich diesem Gedanken frei erschließen könnten … auch heute noch nicht, noch immer sind wir weit davon entfernt, eine christliche Welt zu sein.

Vielleicht lässt sich nur in einem musikalischen Bild aufzeichnen, wie menschliches Leben, das unter den Bedingungen von alten Grenzen und in immer neuen Krisen gelebt werden muss, doch auch vom Regenbogen-Licht der Güte Gottes verändert werden kann und immer wieder verändert wird:

Der Cantus firmus mag das Preislied auf den Sieger bleiben, als Zugeständnis an die Schwäche der Menschen, aber es macht einen Unterschied, ob man darunter und dahinter noch das Lied der Liebe hört, ob die harte Melodie, die Marschmusik der Sieger die Ohren ganz erfüllt und alles beherrscht oder ob dahinter und darunter noch die differenzierenden Melodien und Harmonien eines selbständigen Kontrapunktus der Liebe erklingen dürfen. Die höchste Kunst aber ist die: Wenn Kontrapunkt und Melodie wie gleichberechtigt ineinander sich verschlingen … wenn der Geist der Güte und Barmherzigkeit Gottes die hilflose Gewalt der Selbstverteidigung verändert – und so der Teamgeist der Kinder Gottes das Spiel erst richtig zum Spiel macht, dann steht der Regenbogen der Gnade Gottes auch über dem Himmel unserer Tage.

Darum bitten wir immer neu: Komm Schöpfer, Heiliger Geist! – wohl wissend, wie schwer der Teamgeist Gottes in unserer Welt zur Wirkung kommt, immer wieder schnell verweht und verwischt, fast so schnell wie ein Regenbogen – deshalb lasst uns auch heute wieder darum bitten: Veni creator spiritus. Amen.

Universitätsprediger Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
r.schmidt-rost@ev-theol.uni-bonn.de


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