Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema "Weltmeisterschaft", 2006
Predigt über Psalm 96 am Sonntag Kantate, Schlosskirche Bonn, 14. Mai 2006
verfasst von Martin Honecker
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Sonntage nach Ostern tragen so schöne Namen: Kantate - Singet, "singet dem Herrn ein neues Lied! Singet dem Herrn alle Welt!". Der vergangene Sonntag trug den Namen Jubilate - Jauchzet, jubiliert, "jauchzt Gott, alle Lande!". Der Sonntag Jubilate scheint noch besser zum Thema der Predigt zu passen "weltweiter Jubel." Diese Sonntagsnamen sind Aufforderungen, Imperative, Einladungen. Und einer solchen Aufforderung entspricht man am ehesten, wenn man selbst singt und einstimmt. Was soll man stattdessen viel erklären und interpretieren? Und dennoch ist es auch angebracht, darüber nachzudenken, worüber man jubeln und was man besingen soll. Als Hinführung dazu hören wir den 96. Psalm. Psalmen sollte man nicht Wort für Wort auslegen, sondern im ganzen mitsingen und mitsprechen. Unser Psalm besingt Gott den Schöpfer und Richter aller Welt. Israel soll den "Heiden", und das meint: der ganzen Welt bekunden: "Der Herr ist König. Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt. Er richtet die Völker recht." Wir hören dies im Jahr der Fußballweltmeisterschaft und im Zeitalter der Globalisierung. Nun soll in dieser Predigtreihe nicht die allenthalben diskutierte Globalisierung angesprochen werden, die die Weltkirchenkonferenz in Porto Alegre beschäftigt hat und Ausschüsse der rheinischen Kirche bewegt. Wir wissen ja alle, dass die Wirtschaft weltweit verflochten ist, dass unsere Arbeitplätze in andere Weltteile verlagert werden können. Finanzströme und Welthandel sind global. Die Medien und das Internet schaffen ein globales Dorf, in dem Fernsehen und Internet zeitgleich alles vermitteln können. Wir sind weltweit vernetzt. Gerade ein Ereignis wie die Fußballweltmeisterschaft zeigt dies. Milliarden Zuschauer werden die Spiele im fernsehen verfolgen. Und dieses Großereignis Weltmeisterschaft findet auch noch in Deutschland, hierzulande statt. Viele Erwartungen knüpfen sich an dieses Ereignis: Hoffnungen auf wirtschaftlichen Nutzen, Arbeitsplätze, vielleicht sogar der sehnsüchtig erwartete Aufschwung. Erwartet wird in jedem Fall Begeisterung. Der eine oder andere träumt auch bereits von einer Schlagzeile in der Bild-Zeitung wie im letzten Jahr. Damals hieß es "Wir sind Papst!" und soll es lauten: "wir sind Weltmeister.". Ob eine solche Schlagzeile jedem in Deutschland gut tun würde, das steht auf einem anderen Blatt. Als ich vergangene Woche die Predigt über diesen Psalm mit der Weltmeisterschaft verknüpfte, hat dies bei einigen Hörern Befremden ausgelöst. Nun, heute muss ich wohl nicht begründen, warum ich diese Verbindung herzustellen versuche.

Lassen sie uns probeweise den Jubelruf des Psalmisten "Gott ist König" übersetzen mit "Gott ist Weltmeister". Denn Könige gibt es in Deutschland nicht mehr. König Fußball hingegen lebt und hat zahllose Anhänger. Man kann Fußball, Sport und Religion durchaus miteinander vergleichen. Stellen wir uns einmal den Ursprung unseres Hymnus vor! Eine Menge ist versammelt im Vorhof des Tempels in Jerusalem. Alle singen gemeinsam: "singt dem Herrn und lobet seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil." Den Völkern sollen seine wunder erzählt werden. Es muss schon ein besonderer Tag sein, an dem so ein Loblied gesungen wird. Die Menge wäre wohl sonst nicht im Tempel zusammengeströmt. Vielleicht wird das Neujahrsfest gefeiert. In Kulturen des alten Orients wurde die Thronbesteigung Gottes oder auch die Thronbesteigung eines Gottkönigs gefeiert. Entsprechend begehen die Israeliten die Thronbesteigung ihres Gottes, des Herrn, Jahwes. Seine Macht und Herrlichkeit ist zu preisen. Die anderen Völker werden aufgefordert, die Macht und Ehre des Gottes Israels anzuerkennen, sich ihm zu unterwerfen. Und Israel selbst bekennt: heilig, heilig ist der Herr! Gott ist jetzt unter uns gegenwärtig. Lasst uns anbeten! So war es damals. Der Psalm ist kein Schreibtischtext, sondern in gesungener Hymnus.

Und nun gehen wir einmal ins Fußballstadion. Die Zuschauer strömen dorthin, bei der Weltmeisterschaft, wenn sie überhaupt eine Karte ergattert haben. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an. Die Fans sammeln sich im Fanblock; sie wollen ja ihre Mannschaft anfeuern und unterstützen. Damit man sie erkennt tragen sie Trikots, Schals, Mütze, Fanartikel. Sie bringen sich kollektiv in Stimmung. Dem dienen die Gesänge. Die Gesänge preisen die eigene Mannschaft, sollen sie zu Energieleistungen anspornen, und daneben gibt es Spott- und Hohngesänge auf die gegnerische Mannschaft. Auch Sprechchöre werden laut. Wer unvorbereitet in ein Fußballspiel in einem vollen Stadion Hineingekommener erlebt, der nimmt mit Staunen wahr: Da gibt es eine Liturgie, mit einem Einzug, mit Aufstehen, mit Chören. Nicht nur Gottesdienste, auch Fußballspiele werden zelebriert. Sie haben ihr Ritual. Und nach einem Sieg wird lautstark gefeiert, eine Niederlage wird betrauert, sogar Tränen fließen. Emotionen kochen hoch. Und gelegentlich gerät ein Spiel auch aus den Fugen, Statt frohen Gesängen gibt es Schlägereien; die Polizei muss für Ordnung sorgen, wenn die Masse außer Rand und Band gerät. Die Polizei bereitet sich bekanntlich derzeit entsprechend vor, um Krawallen vorzubeugen. Politiker hatten gar die Idee, die Bundeswehr einzusetzen. Ja, ein wichtiges Fußballspiel ist nicht nur ein enormes Geschäft, sondern auch eine große und ernste Angelegenheit. Die Welt blickt nämlich auf Deutschland, wenn König Fußball regiert. Betrachtet man einmal den Ablauf eines Fußballspieles, dann kann man auf den Gedanken kommen, Fußball sei mehr als ein Spiel, er sei auch Religion. Sozialwissenschaftler haben Fußball durchaus schon als Religion betrachtet. Ein Fußballspiel kann etwas sein, an das Menschen ihr Herz hängen. Von sieg oder Niederlage hängt dann nicht nur Wohl und wehe eines Landes ab, sondern für manche sogar das eigene Seelenheil. Der französische Soziologe Emile Durkheim erklärte die Religion aus ihrem sozialen Charakter. Menschen wird gemeinsam etwas heilig. Diese gemeinsame Anerkennung eines Heiligen schafft Religion. Durkheim berief sich dafür auf primitive Völker und deren Totemkult. Religion entsteht durch gemeinschaftliches Erleben. Der Einzelne verliert sich im Kollektiv in einer kollektiven Ekstase, die Durkheim mit einem nie akzeptierten Fachausdruck bannte. Kollektive Efferveszenz. Massenbegeisterung. So etwas kann beim Neujahrsfest im Tempel eintreten. Nach dieser Theorie verdankt sich Religion einer Massenbegeisterung, einem gemeinsam erlebten Außer sich Geraten. Man geht dann begeistert, erfüllt, erbaut von diesem Erleben nachhause. Die Erklärung ist nicht ohne weiteres zu widerlegen. Es waren ja die Diktatoren des 20. Jahrhunderts- ich nenne Mussolini, Hitler, aber auch Stalin, die Massenveranstaltungen organisiert und inszeniert haben, beispielsweise Reichsparteitage, Maifeiern, Feiern aus Anlass der Oktoberrevolution. Dabei bedienten sie sich des Vorbilds religiöser Feiern. Auch beim Sport gibt es Vergleichbares. Für die Olympiaden wurde die religiöse Verkleidung seit langem gesehen. Aber auch bei einer Fußballweltmeisterschaft ist manche ähnlich. Nun muss ich freilich hinzufügen, dass ich die Herleitung von Religion aus kollektiver Ekstase nicht teile. Die Begegnung mit Gott ist vielmehr meines Erachtens immer Sache von Einzelnen, von Individuen. Der Glaube fängt beim Einzelnen, beim individuellen Subjekt an. Und deshalb ist nach meiner Sicht die Übertragung religiöser Rituale auf säkulare Ereignisse in der Neuzeit Pseudoreligion.

Wir sind also doch nicht aus dem Gottesdienst, aus der Schlosskirche, ins Fußballstadion ausgezogen. Es gibt zwar zweifellos Gemeinsames zwischen einem in Israel im Tempel gefeierten Neujahrsgottesdienst mit seinem weltweiten Jubel und den Fußballspielen bei der Weltmeisterschaft. Denn bei manchem hängen Freude und Leid davon ab, wie so ein Spiel ausgeht. Hoffnungen werden darauf gesetzt, Herzen hängen daran. Und so ist es verständlich, dass immer wieder gemahnt wird: Es ist doch nur ein Spiel, schönste Nebensache der Welt. Sollte es beim Lobpreis unseres Psalmes etwa ähnlich sein? Ist er auch nur ein Spiel? Blicken wir doch jetzt noch einmal den Text an. Der Psalm wertet die Götter der anderen Völker ab: Sie sind nichts, Götzen. Von Teilnehmern am Gottesdienst wird ferner Ehrfurcht und Respekt erwartet, damit auf Gelingen zu hoffen ist. Erfolg wird erbetet. Das ist durchaus vergleichbar mit manchen Sportveranstaltungen.

Ich nehme freilich nichts von der formalen Aufforderung "singet" zurück, wenn ich nun doch auf den Inhalt des Psalmes eingehe, auf das, was besungen werden soll. Besungen wird vom Hymnus die Macht Gottes als Weltschöpfer und Weltrichter. Aus dem Tempelgottesdienst im abgelegenen Bergstädtchen Jerusalem erstreckt sich diese Botschaft auf die ganze Welt, auf den Kosmos. In diesem weltweiten Anspruch ist das Lob Gottes durchaus heute König Fußball vergleichbar. Der Psalm entfaltet das Bekenntnis zur Macht Gottes sodann in drei Strophen: Die erst Strophe ruft Israel und alle Völker auf zum universalen, zum globalen, zum weltweiten Gesang: Erzählet allen Völkern von seine Wundem. Der Her hat den Himmel gemacht. Hoheit und Pracht sind vor ihm (96, Sb, 6a). Gerade im Gottesdienst zeigt sich dies: "Macht und Herrlichkeit in seinem Heiligtum". Begeisterung darf im Gottesdienst also sein. Die zweite Strophe ruft weltweit zur Huldigung auf: "Bringet her dem Herrn Ehre und Macht". Mit Geschenken, Opfergaben soll man zum Gottesdienst in den Vorhöfen des Tempels kommen. "Betet an den Herrn im heiligen Schmuck; es fürchte ihn alle Welt." Erst die dritte und letzte Strophe spricht vom Unterschied zu anderen Heilsversprechen und Religionen (V. 10 - 13). Gerade den Heiden, denen, die Gott nicht kennen und nicht an ihn glauben soll verkündigt werden: "Der Herr ist König. Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wanke. Er richtet die Völker recht." Unbestreitbar können alle Menschen von sich aus staunen über die Wunder der Schöpfung, so wie hier aufgefordert wird: der Himmel soll sich freuen, er darf strahlen, die Erde soll fröhlich sein und das Meer brausen. Gerade jetzt im Frühling, wenn alles grünt und blüht, verstehen wir den Psalmisten gut, wenn er davon singt, dass das Feld fröhlich sein und alle Bäume jauchzen sollen.

Was aber soll Natur und Welt besingen, worüber sollen sie jubeln? Gott kommt die Welt zu richten. "er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit." Gott ist der Weltschöpfer und Weltrichter. Man kann ihn daher auch Weltmeister nennen. Aber, was ist dies für ein Weltmeister. Er ist eben nicht bloß Weltmeister 2006, auf Zeit, nach dem es andere Weltmeister geben wird. Er ist vielmehr der, der da war, der da ist, der da kommt und der da bleibt. Anders gesagt: Gott ist der Ewige. Es geht nicht um ein einmaliges Ereignis, einen einmaligen Sieg und Erfolg, nach dem es wieder normal weitergehen wird. Gott erklingt zwar das Lied im Gottesdienst. Aber damit ist es nicht zu Ende. Es strahlt aus Denn Gott geht mit uns in die nächste Woche und begleitet uns auf allen kommenden Tagen. Daher geht s nicht um einen vorübergehenden Erfolg, und es ist auch nicht als Gegenstück eben um eine durchaus genauso mögliche Enttäuschung und einen wohl unvermeidlichen Katzenjammer. Warum aber ist dies so? Gott richtet den Erdkreis, die ganz Welt mit Gerechtigkeit und leitet die Völker mit seiner Wahrheit. Richten besagt regieren, bestimmen und urteilen.

Damit ist im Globalisierungsprozess eine Orientierungspunkt gegeben: Gerechtigkeit und Wahrheit. Es sind eben Gewinn und Profit nicht der letzte, ausschlaggebende Maßstab, auf den es allein ankommt. Den Menschen gerecht werden und ihr Geschick in aller Wahrhaftigkeit wahrnehmen und um ein menschenwürdiges Leben sich bemühen, das erwartet Gott von uns Menschen. Sein Kriterium ist Gerechtigkeit und Wahrheit, Vertrauen und Treue. Nach diesem Maßstab richtet er die Welt. Es genügt also nicht, dass die Dinge in der Welt schon dann in Ordnung sind, wenn es uns Menschen gefällt. Der Psalmist richtet das Augenmerk hingegen auf das Rechte und Gute. "Recht muss doch Recht bleiben, und ihm werden alle frommen Herzen zufallen."(Ps. 94, V. 15) Die Parole, Hauptsache, man hat Erfolg, wie der Erfolg zustande gekommen ist, interessiert hinterher doch niemand mehr, ist nicht Gottes Wort.

Gott wacht aber nicht nur als Richter über Recht und Güte, über Gerechtigkeit und Wahrheit, sondern er schenkt uns zuerst seine Treue und Wahrheit, sein Vertrauen. Gottes Richten ist ein Segen. Und das ist der eigentliche Grund für Jubel und Lobgesang der Psalmen. Die Psalmen sind zuerst das Gebet- und Liederbuch Israels. Ich habe bislang überhaupt nichts dazu gesagt, wieso wir als Christen überhaupt die Psalmen Israels mitbeten und mit ihnen singen. Die Psalmen sind nämlich Gebete der Juden. Das wollen wir nicht vergessen. Wir beten als Christen die Psalmen im Namen Jesu Christi. Er erlaubt uns, sie mitzusprechen. Denn er bezeugt dem Glaubenden Gottes Vertrauen und Treue. Und dann sehen wir, dass Gott nicht einfach oben in der Pracht des Himmels, sondern eben in seiner Person unten, im Leiden und Elend der Welt ist. Der Weltmeister Gott verbirgt sich unter dem Kreuz. Daher finden sich neben solchen Hymnen, die Hoheit und Pracht des Schöpfers und Weltenherr preisen, auch Klagepsalmen: "Aus der Tiefe rufe ich zu dir. Herr höre meine Stimme." Und ebenso Vertrauenslieder. Lob und Klage, Dank und der Schrei um Hilfe und Erlösung gehören untrennbar zusammen und ergänzen sich. Beides hat sein Recht. Denn Gott, der die Welt richtet, ist nicht der Weltmeister der Erfolgreichen. Der weltweite Jubel des Psalters blendet das Leiden nicht aus. Aber der Jubel darf dennoch je und dann auch laut werden und mit Himmel und Erde Gottes Herrlichkeit rühmen: "Singet dem Herrn und lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil." Dazu ermuntert uns der Sonntag Kantate, das bekennen die Lieder dieses Gottesdienstes.

Amen

Prof. Dr. Martin Honecker
honecker@gmx.de

 


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