Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema "Weltmeisterschaft", 2006
Predigt zu 2. Korinther 12, 9-10, verfasst von Dagmar Müller
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

wenn Sie im Internet bei der Suchmaschine google den Begriff Erfolg eingeben, werden Sie mit über 59 Millionen Einträgen belohnt. Suchen Sie einen Weg zum Erfolg und geben Sie den innovativen Begriff Coaching ein, dann führen 142 Millionen Einträge in eine Fülle von weltweiten Informationen, Gott sei Dank ist dieser Begriff ein englischer, der selbstverständlich die Suchmöglichkeiten vergrößert. Für den Begriff Scheitern haben wir noch kein englisches, damit globales Äquivalent, was wohl damit zu tun haben muss, dass der Begriff schon auf das erste Hören hin ein eher ein seelisches Missbehagen auslöst. So finden wir dann auch nur, aber immerhin, 7 Millionen Einträge, meist allerdings nur Berichte über das Scheitern von Menschen. Dazu gibt es auch einige Romane zum Thema, deren Protagonisten am Erfolgskonzept unserer Gesellschaft scheitern und zu Donald-Duck-Mutanten werden, zwar Helden auf ihre Weise, jedoch ohne Vorbildcharakter, eher zu belächeln und zu bemitleiden. Ein nachdenkliches Nicken und einen kleinen Seufzer können uns solche Geschichten entlocken.

Aber wir identifizieren uns nicht gerne mit solchen Persönlichkeiten, auch wenn wir die Erfahrung des Scheiterns schon vielfach selbst gemacht haben. Ich kenne keinen Menschen, der ohne Einbrüche, Verluste oder Tiefschläge durch das Leben geht. Und je mehr es braucht an Disziplin, Fleiß, Durchsetzungsvermögen und mentaler Stärke, um auf der Erfolgsseite zu stehen, umso mehr Scheiternde gibt es. Und je mehr Möglichkeiten es gibt, desto mehr Unmöglichkeiten gibt es auch. Der permanenten Zunahme der Anforderungen steht die ständig wachsende Offenbarung der Unzulänglichkeit zur Seite – global und individuell. Genau so schnell nehmen die Hilfsangebote zu, die den Lebenserfolg garantieren wollen, natürlich gegen entsprechendes Honorar.

Der oder die Beste sein zu wollen, erfolgreich und schön, Weltmeister zu werden oder, weniger oberflächlich, das Streben nach Fortschritt, Entwicklung und Anerkennung ist den meisten Menschen mitgegeben. Es hat die unterschiedlichsten Ausprägungen, die einen legen Wert auf Bildung, Titel und Position, die anderen auf Reichtum oder sportlichen Erfolg.

Wir alle sind und bleiben unsere eigenen Bauleute an unseren vielen Türmen zu Babel, mit denen wir uns heute noch, wie auch schon die Bauleute im 1. Buch Mose einen Namen machen wollen. und wir gucken nicht gerne, nur gezwungenermaßen auf die missglückten Bauwerke oder fragwürdigen Baupläne.

Anders Paulus im heutigen Predigttext. er gibt uns eine Lehrstunde in der Kunst des Scheiterns:
„Christus aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deshalb bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage. , denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth, die er selbst gegründet hat, diesen Text, weil auch die Christen in dieser Gemeinde sich hat verführen und blenden lassen von den, von Paulus so genannten, Überaposteln – sie berufen sich auf ihre Herkunft, auf ihre Leistungen im Namen Christi, ihre spirituellen Erfahrungen, ihren Verzicht und ihre persönliche Anteilnahme und ihre viele Arbeit – für die Gemeinde stellt das die Arbeit von Paulus in den Schatten. Sind sie nicht die besseren Missionare und Lehrer? Überzeugend und kraftvoll, engagiert und immer bereit, das Letzte zu geben und von sich selbst abzusehen.

Was ist eigentlich Paulus Problem? Spricht da ein gekränkter Mann, von Platz eins verdrängt durch frische Nachfolger? Solche Leute kann man sich doch in jeder Gemeinde nur wünschen – sie können Vorbilder sein und motivieren.

Ja, es ist sicher eine Kränkung für Paulus. Es mindert seine Anerkennung in der Gemeinde. Ja, es tut weh, andere groß werden zu sehen und verdrängt zu werden, an Bedeutung zu verlieren. Es macht traurig, die eigene Begrenztheit zu erfahren durch Krankheit, mangelnde Begabung oder Alter.

So reagiert auch Paulus erstmal wütend bis sarkastisch und führt an, dass er, gemessen an den Leistungen der Überapostel, nicht weniger, sondern mehr zu bieten hat. Seine Leiden, seine spirituellen Erfahrungen, seine Abenteuer, seine Wundertätigkeit – da kommen sie nicht mit.

Aber darum geht es auch gar nicht – Paulus führt seine missionarischen und christlichen Leistungen zwar auf, aber nicht, um sich als Besten aller Apostel darzustellen.

Hier kommen wir zum Kern der Sache. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, einen christlichen Turm zu Babel zu bauen, es geht nicht darum, wer frömmer, christlicher, gebildeter oder selbstloser ist. Es geht nicht darum, den Weltmeister im offensiven und offensichtlichen Christsein zu küren. Denn so wird wieder der Mensch zum Maßstab, also Erfolg und Anerkennung der Stärken und des Durchsetzungsvermögen. Ein christlicher Turm zu Babel ist nicht besser als ein heidnischer – vielleicht sogar tragischer, denn der heidnische Turm ignoriert die Begrenztheit des menschlichen Lebens, der christliche aber die Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

Das wird deutlich an den Irrlehrern, die die korinthische Gemeinde beeinflussen.

Wer sich, so wie diese Superapostel mehr an Jesu Wunder- und Auferstehungsmacht orientiert, wer aus dem Christsein einen Wettkampf macht um Frömmigkeit und Engagement, der verliert das Kreuz aus dem Blick, den Tod Jesu. und der verliert aus dem Blick, dass an diesem Tod alle gescheitert sind außer Gott selbst. Die Jünger waren nach den Ereignissen in Jerusalem wieder zurückgekehrt in ihren Alltag, nachdem sie sich erstmal versteckt hatten aus Angst davor, mit Jesus in Zusammenhang gebracht zu werden. Für sie waren Jesus, die Botschaft an die sie geglaubt haben und damit sie selbst gescheitert. Zurück blieben Angst und Resignation. Es war kein großes Bauwerk einer neuen Lebensweise entstanden, Jesus hatte ich nicht gegen den Hohen Rat und die römischen Besatzer durchsetzen können. Nicht erfüllte Erwartungen und Träume, verschwendete Kraft.

Doch in diesem Scheitern ist Gott schon tätig. Seine Gnade und Barmherzigkeit erfüllen den Raum und die Zeit – nimmt das Scheitern, gar den Tod und wandelt es in Leben. Wenn nichts mehr geht und keine menschliche Anstrengung etwas ändern kann, dann beginnt die Veränderung durch die Gnade.

„Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.“

Paulus teilt hier den wahren Erfolgs seines Lebens mit: dass er nämlich begriffen hat, dass das Leben, dass „Geschöpf Gottes sein“ sich nur im Loslassen aller menschlicher Stärke erfüllt. In der Schwachheit wird Gott erfahrbar. Wenn Scheitern nicht als undenkbar und als Katastrophe gesehen wird, das das Urteil fällt, dann sind wir erfolgreich.

„Meine Gnade genügt dir! Denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit!“

Damit wir die Barmherzigkeit Gottes erfahren können muss Schluss gemacht werden mit dem kollektiven Größenwahn, der alles als machbar erklärt, der Wachstum und Geld, Gesundheit und Durchsetzungskraft zu Götzen erklärt hat. Damit die Gnade sichtbar wird muss Schluss sein mit den menschenverachtenden Bewertungen von gut und erfolgreich sein gegenüber dem Scheitern und Versagen.

Es bedarf einer neuen Bewertung des Lebens, des Erfolgs und des Scheiterns, dessen, was das Leben zu einem erfüllten Leben macht, gerade, wenn wir Jünger und Jüngerinnen des Gekreuzigten sind, gerade auch in dieser Gemeinschaft. Vielleicht ist es aber am wichtigsten, dass wir selbst aufhören unsere eigenen inneren Richter zu sein, uns selbst zu messen an unserer Leistung und unserem Engagement und anzufangen Raum zu schaffen für das Leben und die Barmherzigkeit Gottes.

Ich möchte zum Abschluss aus einem Buch einer Pfarrerin zitieren, die durch ihre Krankheit aus ihrem tatkräftigen und erfolgreichen Leben geworfen wurde, das Zitat habe ich in dem Buch „Warum gerade ich?“ von Erika Schuchardt in der Vorbereitung zu dieser Predigt gefunden. Sie schreibt:

„Ich glaube fest, dass Gott für jeden ein ganz persönliches Maß gesetzt hat, das erfüllt werden will: ein Maß für den Unbegabten, ein Maß für den Ängstlichen, ein Maß für den Traurigen, ein Maß für den Kranken: Man wird mich fragen, warum ich nichts gemacht habe aus den Umständen, unter denen mein Leben nun einmal verlaufen ist. Man wird mich nicht fragen: Warum bist du so oft traurig gewesen? Sondern: Was hast du gemacht aus deiner Traurigkeit? Hast du mit deiner Traurigkeit ein Gespür dafür bekommen, wie schwierig auch das Leben anderer sein kann, wie niederdrückend, und hat dich das ein wenig geduldiger, ein wenig feinfühliger, ein wenig zurückhaltender in deinem Urteil gemacht? Man wird mich nicht fragen: warum bist du so oft krank gewesen? Sondern: Was hast du aus deiner Krankheit gemacht? Wie hast du den Freiraum genützt, den deine Krankheit dir eingeräumt hat? Du bist nicht zu jeder Zeit verpflichtet gewesen zu arbeiten und für deinen Lebensunterhalt zu sorgen, du hast viel freie Zeit gehabt. Wozu hast du sie verwendet? Zu nutzlosem Gejammer nach dem Muster: Wäre doch! und Könnte nicht-! oder dazu, in aller Bescheidenheit anderen immer wieder mal eine Freude zu machen? Und sei es einfach nur durch die Zeit, die du hattest zum zuhören? Ich möchte es noch einmal wiederholen: Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch zur Vollendung kommen kann!“

Amen

Dagmar Müller
mueller@esg-bonn.de


(zurück zum Seitenanfang)