Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema "Weltmeisterschaft", 2006
Ostersonntag, 16. April 2006
Predigt zu Offenbarung 1, 18, verfasst von Reinhard Schmidt-Rost

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Tod und Liebe

Christus spricht: Ich war tot und siehe ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Offb. 1, 18
(Wochenspruch für den Ostersonntag)

Liebe Gemeinde,
was haben Sie sich zu Ostern gewünscht?
Ja, ich weiß, einen Wunschzettel gibt es nur an Weihnachten – und für uns Erwachsene auch dann kaum noch, das ist etwas für Kinder.

Aber seit der Wohlstand im Lande herrscht, wird auch an Ostern immer mehr geschenkt, ob erwünscht oder nicht, die Angebote in den Warenhäusern gehen jedenfalls weit über Ostereier hinaus – und im Freien lassen sich ja viele Dinge viel leichter verstecken als nun gerade Eier, zumal aus Schokolade …ein paar Socken oder ein neuer Kochtopf, ein trendiges Oberteil oder ein Spielzeug fürs Kind…

Und so habe ich mir gedacht, ich schreibe mal ein paar Osterwünsche auf, vielleicht fragt mich ja jemand.

Bei diesem Predigttext, dem Wochenspruch für das Osterfest, kann einem schnell manches einfallen, was mit Schlüsseln zusammenhängt und mit Türen.

Ganz unmittelbar nahe liegend ist der Wunsch, dass man sich möglichst nicht selbst ausschließt, nicht die eigene Wohnungstür vor der Nase zuwirft, und der Nachbar ist natürlich auch im Skiurlaub und es bleibt nur der teure-treue Schlüsseldienst.
Schön wäre es auch, wenn ich meinen Schlüsselbund möglichst selten wie eine Stecknadel suchen müsste.
In sportlichen Zeiten könnte man sich auch wünschen, dass die Mannschaft, die man selbst favorisiert, alle Riegel der gegnerischen Abwehr knacken und ein paar schöne Tore erzielen kann.

Aber das sind natürlich alles keine Wünsche, die man auf einen Wunschzettel schreiben kann, denn solche Wünsche erfüllt einem höchstens das neue Jahr selbst und mit Ostern haben sie höchstens zu tun, daß sie Ihnen ein kleines Oster-Lächeln abgewinnen sollen.

Noch weniger gilt das von dem Osterwunsch, der ja den Sinn von Ostern ausmacht – und bei dessen Erwägung uns das Osterlachen schnell im Gesicht gefriert:

Ich wünsche mir, dass der Tod nicht letztlich über die Liebe siegt, weder individuell in einem persönlichen Leben, noch global im Überlebenskampf der Menschheit, der seit jeher und leider immer weiter als Kampf unter Sippen, Stämmen und Völkern geführt wird; ich wünsche mir – wie sicher die meisten Menschen auf der Welt, dass der Stein wirklich weggerollt wird und die Liebe nicht nur aufersteht, sondern auch aus der Grabeshöhle freikommt und wirken kann.
Das wünsche ich mir, dass Christus – um die Bilder der Offenbarung denen des Ostermorgens hinzuzufügen – die Tür aufschließt, um uns freizulassen aus dem Gefängnis von Tod und Hölle;
denn es ist ja nicht so, dass wir draußen wären – und Tod und Hölle drinnen, das wir also ‚fein heraus’ wären … und Christus der Hüter wäre, der Wach- und Schließdienst, der die Schrecken von Tod und Hölle hinter Schloß und Riegel bringt … die Hölle sind auch nicht nur die anderen, wie ein moderner Dichter sagte, die Hölle sind wir …

denn es ist ja nicht so, dass menschlicher Verstand seit Aufklärung und Moderne die Schrecken der Menschheit in einem fernen mythischen Hades tiefgekühlt endgelagert oder in einem Höllenofen mit Fegefeuer weggeschlossen hätte. Die moderne Rationalität hat uns die mythischen Bilder genommen, aber da mit auch die Absorptionsmöglichkeit genommen; der Schrecken ist multipliziert, potenziert, globalisiert – und wir Menschen, zumal wir Wissenschaftler suchen nach Vorstellungen, um die Hölle, die unser Leben bedroht, einzugrenzen mit Begriffen und Verfahren, von Wegschließen redet kaum jemand, alles von wegstecken, und das heißt dann auch von einstecken.

Die Moderne ist darauf gestoßen, dass die Hölle in uns selbst ist, dass unsere Vorfahren sie in Mythen und Märchen nach außen getragen haben, es aber ganz unausweichlich feststeht, dass die Hölle eine bildhafte Vorstellung menschlicher Angst ist… und diese Hölle schlägt sich nieder, schlägt uns nieder mit Angst …
und mit dieser Angst versinken wir entweder in Depression und Apathie oder versenken andere in die Hölle, sei es die Hölle der Gewalt, mit der wir andere zwingen und bezwingen, sei es die Hölle der Isolation, sei es auch die Hölle der Leistungsüberforderung – auch eine Form von Gewalt, natürlich.

Liebe Gemeinde,
Die Erneuerung von Ostern hat nichts mit Politik oder Wissenschaft im Einzelnen zu tun, auch nicht mit neuen Erlebnissen in der Natur auf Osterspaziergängen nach einem harten Winter, Ostererneuerung wäre etwas ganz anderes:
Sie wäre eine vollständige Verwandlung menschlichen Denkens. Denn auf Golgatha unterliegt ein Mensch der Unversöhnlichkeit der Gattung Mensch und ist zum Zeichen dauerhafter Klage gegen diese Unversöhnlichkeit geworden! Und mag man über die historische Tatsächlichkeit oder sagenhafte Wirklichkeit des Geschehens auf Golgatha noch so sehr debattieren: Über die Unversöhnlichkeit der Menschen und die historische Wucht dieses Faktums braucht man kein Wort zu verlieren. Diese Unversöhnlichkeit ist der Grund von Versteinerung des Alten wie von so gewalttätigen wie nutzlosen Revolutionen.

Das Osterfest steht der Tendenz der Menschheit zur Selbstvernichtung durch Unversöhnlichkeit entgegen. Deshalb müssen Menschen ein Interesse haben, dieses Fest zu feiern und zu fragen: Gibt es einen Ausweg aus der tödlichen Unversöhnlichkeit der Menschen? Ist Golgatha der Ausweg?

Christus hat mit dem Opfer seines Lebens die Vorstellung von Versöhnung, von einer immer erneuten Überwindung der Unversöhnlichkeit der Menschen in die Welt gebracht. Sein Tod hat die zerstörerische Kraft der Unversöhnlichkeit ein für allemal bloß gestellt, jenen Hass, mit dem Menschen sich auch ganz privat gegenseitig für tot erklären: „Du bist für mich gestorben!“

Alle Jahre wieder – alle Jahre wieder! – kommt Gott im Gekreuzigten zu den Menschen, spielt der Menschheit – nach wieder einem Jahr voller unschuldiger Opfer – das makaber realistische Passionsspiel vor und bittet darin: Lasst Euch versöhnen miteinander, dass ihr nicht alle miteinander umkommt. Es geht! Glaubt es doch! Versucht es doch! Lasst diesen Gedanken auf euch wirken! Ihr könnt ihn nicht selbst fassen und bewahren; der Gedanke der Versöhnung muss in Euch Raum greifen, Ihr könnt Eure Angst nicht bezwingen, das kann euch nur geschenkt werden, aber Ihr könnt es spüren, wenn die Angst nachlässt.

Ein anderes Verständnis von Karfreitag – der Triumph der ‚Unversöhnlichkeit’ ist immer schon in der Welt, wie es ein Kommentator einer großen deutschen Tageszeitung vor nahezu 25 Jahren für heute und für immer gültig beschrieb:

Die Mächtigen dieser Welt unterhalten uns nun schon seit Jahren mit Bildern des Schreckens. Kein Tag vergeht, ohne dass nicht die Rede ist von Rüsten, Gegenrüsten, von Sprengköpfen, von Raketen, Kampfzonen, Vernichtungskapazitäten, und keine Verhandlung über Abrüstung, selbst kein Vertrag kann verhindern, dass es auf Gebieten, die der Vertrag nicht einbezieht, um so kräftiger weitergeht. Der Himmel selbst, in den wir nach den schönen naiven Träumen von Erlösung seliger aufzufahren hofften als die waffenumstellte Zukunft uns noch verheißt, sieht die Raketen auf sich gerichtet. Und wer von den Mächtigen, die Gott im Munde führen, denkt daran, was Gott über die erdachten und tatsächlichen Vernichtungszüge der Menschen auf der Erde denken mag, wenn er denn, wie wir es seit Jahrtausenden hören, ihr Herr ist?
Es müsste der Zorn in die Menschen fahren ob dieses Zustandes, aber Menschen sind es ja eben, die den Zustand herbeiführen. Wohin man sieht, starrt die Welt
in Waffen, und der eine rechtfertigt sein martialisches Gebaren mit dem des anderen, mit seinem Recht und dem Unrecht des andern. Nicht ohne Grund spricht man vom Teufelskreis; das Wort hält wenigstens etwas von der mythischen Dimension der denkbaren Apokalypse gegenwärtig, wenn der ‚deus absconditus’ denn schon ganz und gar verborgen und stumm ist. – Heute morgen leben noch Menschen, die heute Abend keines natürlichen Todes gestorben, keiner Katastrophe zum Opfer gefallen, sondern in den geplanten Vernichtungskämpfen hingeschlachtet oder gehenkt sein werden; und die Täter werden selbst wieder zu Opfern, und die Opfer schaffen noch durch sich selbst neue Täter. Von Persien bis nach Mittelamerika reichen die Beispiele rund um die Welt.
Die Kreuzigung war nicht ein Ereignis von einem Tag. Der da von seinen Feinden aufs Kreuz gelegt und genagelt, zum Dürsten gebracht und dann noch gestochen wurde, ist doch zum Urbild der Welt geworden, ihrer Feindlichkeit und Verblendung und der Lust an der Vernichtung. Wir hätten, sagen nun die Prediger, auf Ostern, auf die Auferstehung zu warten, das Wunder sei schon im Moment der tiefsten Betrübung unterwegs? Das heraufziehende Ostern ist nur wie ein Atemschöpfen oder ein Augenaufschlag, der Dienstag schon wird die alte Schrecknis wieder zu Gesicht bringen. Wir haben als Kinder gelernt, das Kreuz sei ein Zeichen der Verheißung. Zu viele sind beschäftigt darzutun, das Kreuz sei nichts anderes als das Kreuz: Vernichtungsgebälk. Und so: ein ewiges Zeichen.“


Liebe Gemeinde,
wenn das Neue, das nur in Menschenherzen wachsen kann, nicht derart unvergleichlich anders ist als alle von Menschen erdachten und erdenkbaren Maßstäbe und Maßnahmen zur Bewahrung und zur Erneuerung der Welt oder des Denkens, dann wird auf längere Sicht die Gattung Mensch zu existieren aufhören. Dabei sind nur Menschen, soweit wir das beurteilen können, überhaupt zum Denken solcher radikalen Erneuerung fähig, müssen als einzige Gattung von Lebewesen nicht auf biologische Anpassung warten und hoffen. Sie können sich die rettende Erneuerung immerhin vorstellen; sie aber planend herbeizuführen, dazu scheinen sie (noch) nicht in der Lage zu sein, denn die konstitutionelle Selbstliebe verhindert logisch und psychologisch die radikale Erneuerung, das stabile Vertrauen, das der Versöhnung einen dauerhaften Grund gäbe.

Menschen verharren, wenn sie sich bedroht fühlen, bei der wechselseitigen Verurteilung ‚Du bist für mich gestorben’ mit der tödlichen Konsequenz der Rache, um alle Verunsicherung abzuwehren. Der Glaube aber: „Du – Christus – bist für mich, für uns alle gestorben“ eröffnet Freiräume gegen Rache und Vergeltung als Hüter von Ordnung, wälzt schwere Steine von belasteten Beziehungen.

Die Menschheit hat bei dem Geschehen um Kreuz und Auferstehung Jesu Christi von Anfang an nur hilflos zusehen können, betroffen von der Einsicht in die eigene Unversöhnlichkeit, - viele haben so getan, als ginge sie alles nichts an.
Wer sich aber ermutigen lässt, doch hinzuschauen, der sieht die Bloßstellung der Unversöhnlichkeit durch das Opfer Christi und beginnt, auf das Ende aller Opfer, auf den Sieg der Liebe und des Lebens zu hoffen; diese Hoffnung kann man in Taten umsetzen – und sie an Ostern feiern.

Ein letztes, liebe Gemeinde,
in unserem Leben droht die Liebe nicht nur deshalb zu unterliegen, weil sie zu fein oder zu schwach zu sein scheint, sondern: Die Liebe trägt ihre Gefährdung mit sich, in jedem Menschen … Denn: Die Liebe stört! Ich meine nicht: die Leidenschaft, die stört natürlich immer, sonst hätte sie einen schöneren Namen, als daß sie Leiden schafft, - die Liebe stört die Ordnung!

Die Liebe stört.
- Sie stört die Partner, die sich auf das Gewohnte verlassen und ihr Bild vom geliebten Menschen nicht immer wieder überprüfen wollen,
- Sie stört die Wirtschaft, die zwar durchaus bereit ist zur Großzügigkeit, aber Barmherzigkeit, die liebevolle – irrational wirkende – Durchbrechung der Regeln rationalen Wirtschaftens als Gefährdung des Markt-(systems) erlebt; nicht umsonst war in den europäischen Stadtkulturen der frühen Neuzeit Betteln bei Strafe verboten; die Mildtätigkeit durchbrach die Ordnung der Ansprüche und Bedürfnisse. Die Bettler konnten sogar die Almosengeber anzeigen!
- Und Liebe stört die Gesellschaft, weil sie mehr Vertrauen zwischen Fremden einfordert, als die Gesellschaft gemeinhin garantieren kann.

Und doch, wenn wir sagen sollten, wem wir die Weltmeisterschaft gönnten, es ist klar: Der Sieg der Liebe und des Vertrauens, darauf hoffen wir mehr als auf jeden sportlichen Erfolg irgendeiner Mannschaft – aber dieser Sieg ist kein Sieg wie im Wettkampf, sondern ein Sieg, der auch den Verlierer, den Tod! irgendwie freut, denn ohne Leben, und also auch ohne Liebe hat auch der Tod seinen Sinn verloren. AMEN.


Universitätsprediger Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
r.schmidt-rost@ev-theol.uni-bonn.de


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