Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Predigtreihe zum Vater Unser, Oktober 2006
"Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen" (Matth. 6, 13b), Reinhard Schmidt-Rost
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


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Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Liebe Gemeinde!
Am Schluß wird alles in seine Hand gegeben, das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit.

Die Bitten sind vorgebracht, ausgesprochen, nun mündet das Gebet in einen Lobpreis des Weltherrschers, - bei Matthäus, nicht bei Lukas.

Matthäus lag immer etwas mehr an den Machtverhältnissen und deren Klärung als Lukas, der lieber locker erzählte, man könnte fast sagen: gefällig, publikumswirksam plauderte, und als Jesus seine Jünger beten lehrt, die mächtige Schlussformel weglässt oder noch gar nicht in Betracht gezogen hat.

Aber auch bei Matthäus findet sich diese dreiteilige Formel nicht von Anfang an, sie ist aus alten Gemeindeordnungen aus der Zeit um 100 nach Christus in das Evangelium eingetragen worden, aber doch eben bei Matthäus und nicht bei Lukas.

Diese Schlussformel des Gebets Jesu, wie sie sich in den Gemeinden früh bildete, hat das Bild von Gott geprägt, das Vaterbild Jesu. So, wie wir alle dachten, dass Jesus sich Gott wohl vorgestellt hat, so haben es auch die Konzilsväter im vierten und fünften Jahrhundert in die Bekenntnisse hineingeschrieben: der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erden.

Kein 1000jähriges Reich, keine Herrschaft von Menschen über Menschen, sondern ein unendliches, zeitloses, ewiges Reich. Die Kraft, die Herrschaft, ganz bei Gott, nicht bei menschlichen Herrschern.

Und doch mischen sich überaus menschliche Gedanken in die Vorstellungen über Gottes Herrschaft auch unter Christen: Das Gegenbild zum römischen Weltherrscher ist das für Menschen verständliche, plausible, denn es ist mit dem gleichen Maßstab gemessen: Gottes Allmacht schlägt die römische Weltmacht. Gott ist dem Kaiser überlegen, steht über jedem König, so haben es die Christen fast 2000 Jahre weiter überliefert, von Generation zu Generation. Und die Muslime haben diese Gottesvorstellung wieder und noch einmal zugespitzt, die Trinität auf einen strikten Monotheismus konzentriert, ähnlich wie in Israel, haben die Zuwendung Gottes zu den Menschen in Christus nicht mehr als Gestalt Gottes sehen können; auch das Evangelium ist ihnen nur ein prophetisches Wort an die Welt.

Und haben sie nicht recht? Ruft nicht auch Christus am Kreuz nach diesem allmächtigen Vater: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ – aber auch wieder nur bei Matthäus (und Markus), nicht bei Lukas; bei Lukas spricht Jesus noch mit den Leidensgenossen, keine Auseinandersetzung mit dem Weltherrscher, der seinen Sohn nicht rettet ... und kein „Es ist vollbracht!“.

In dieser entsetzlichen Hilflosigkeit des Sohnes, der seine Jünger gelehrt hat, wie sie mit seinem und aller Menschen Vater reden sollen, in dieser Hilflosigkeit könnte man spüren, wie das Bild vom Vater sich wandelt, dass es nicht mehr der ewige Weltmeister als Gewaltherrscher ist. Vielleicht hat es Jesus von Anfang an gewusst, vielleicht erst am Kreuz geahnt, dass der Gott, zu dem er beten lehrt, ganz anders herrscht, nicht mit Gewalt, sondern mit der Kraft des Mitleidens und des Erbarmens, dass seine Herrschaft ein ewiger Dienst ist ... vielleicht ist in ihm in seinem eigenen Erdenleben erst diese Einsicht gewachsen, dass jede Gewaltherrschaft zerbricht, dass eine ewige Herrschaft nur eine sein kann, die den Menschen zu allen Zeiten und immer wieder zum Leben verhilft.

Liebe Gemeinde,

bedenkt man die Schwierigkeit, sich von dem Gottesbild der Allmacht zu lösen,

- und man muß diese Schwierigkeit auch im aktuellen Streit über die Äußerungen des Papstes in Regensburg (Mitte September 2006) erkennen: Wo zwei aktuelle Weltmächte, der Papst auf der einen Seite und die Weltgemeinschaft der Muslime auf der anderen Seite einen geistigen Kampf um die Weltherrschaft austragen, wessen Religion nun die vernünftigere, weil angeblich gewaltlosere sei, - ob das vernünftig ist, muß man wohl fragen dürfen, auch angesichts der problematischen Geschichte der Christenheit, in der immer wieder Glaubenskrieger mit Gewalt für den Gott der Liebe meinten kämpfen zu müssen, - aber hatte Jesus nicht gerade seinem kampfbereiten Jünger Petrus geboten: Stecke Dein Schwert in die Scheide? Und mahnt nicht ein Jünger der dritten Generation zur Vorsicht: „Das Wort Gottes ist schärfer denn ein zweischneidig Schwert“ (Hebr. 4, 7)?

- Bedenkt man also die Schwierigkeiten, sich vom Gottesbild der Allmacht zu lösen, sich nicht mit Gewalt, mit den zwölf Legionen Engeln für den Vater des Vaterunsers hier auf Erden in die Bresche werfen zu wollen, so muß man staunen, wie viele Menschen in den vergangenen 2000 Jahren sich dennoch von dem Bild eines Gottes haben faszinieren lassen, der seine Allmacht nicht nach menschlicher Weise, also mit Gewalt, ausspielt, sondern die Kraft des Erbarmens in der Schwäche und Schärfe menschlicher Sprache zum Ausdruck bringt. Liebe, die sich selbst bezwingt, Barmherzigkeit, die nach Ausdruck sucht, so haben sich viele Menschen auf den Weg der Nachfolge begeben, um diesem Weltherrscher zu dienen, der sich ihnen als Kind und leidender Mensch gezeigt hat.

Aber die Grundvorstellung der Gewalt ist hinterlistig: Die Liebe selbst ist durchaus eine Kraft, die Ordnungen mit großer Kraft wohl mehr auflöst als durchbricht, aber eben auflöst, dazu erzählen die Evangelien manche anschauliche Geschichte, etwa: Wie sich Jesus mit den Zöllner an einen Tisch setzt oder das Sabbatgebot zugunsten der Menschen auslegt, oder die Steinigung einer Ehebrecherin verhindert.

Und noch tiefgründiger und schwieriger zu fassen ist die Gewalt von Menschen, wenn sie sich in die Werke der Barmherzigkeit kleidet: Es hat sich durch die beeindruckenden Werke der Liebestätigkeit oder Diakonie, die im Geist Christi von Menschen vollbracht worden sind, der Eindruck gebildet, als könnten Menschen der Güte Gottes und seiner Allwirksamkeit nur in Taten angemessen entsprechen. Und bis zur Erschöpfung ihrer Kräfte haben sich Menschen im Namen Christi in die Pflicht nehmen lassen: „Mein Lohn ist, dass ich dienen darf!“ hieß ein Leitspruch der Diakonie im 19. Jahrhundert. Diese Auffassung ist inzwischen scharf kritisiert worden, als lieblos und gewalttätig, aber im Grunde wieder nur mit Argumenten, die der Gegenposition Gewalt antaten: Das Beharren auf dem „sine vi – sed verbo“, „ohne Gewalt – nur durch das Wort“ wurde als zu schwach und wirkungslos kritisiert.

Es ist aber gerade des Geheimnis Christi, den Ausgleich zur Aufgabe zu machen zwischen den Sätzen: „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen!“ (Matth. 26, 52b) und „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“(Matth. 10, 34b).

Man sollte diese beiden Sätze keinesfalls mit dem Hinweis auf unterschiedliche Traditionen auszugleichen versuchen, sondern die Spannung spüren: Wie sehr das Wort von der Gewaltlosigkeit gerade die Gedanken von der Allmacht Gottes seziert, zerschneidet, analysiert, wenn der Gewaltlosigkeit Macht gegeben wird über menschliches Denken, Wollen und Wünschen, - und damit wird natürlich erst recht menschliches Allmachtsdenken kritisiert und zersetzt.

Liebe Gemeinde!

Das Vaterunser, das Gebet für die Jünger Jesu spricht natürlich nicht nur zu Kaisern und Päpsten oder von Präsidenten und Regenten und der Begrenzung ihrer Macht, sondern es will auch unser tägliches Leben regieren, unser ängstliches Herz bestimmen, das Denken und Fühlen eines jeden Menschen, es will ermutigen, der Gewalt in den eigenen Gedanken zu widerstehen.

Das ist alles andere als leicht: Wer würde sich nicht gerade gegen diesen fremden, diesen befremdlichen Einfluss bis ins Private hinein wehren? Muß ich nicht für mein Recht kämpfen? Was wird aus mir, wenn ich meine Position nicht behaupte? Und sei es, dass ich aufkläre, dass es nicht meine Schuld war, dass ich nicht beteiligt war oder gar nicht anders konnte, dass mich die Verhältnisse oder meine berufliche Aufgabe oder andere Menschen oder meine seelische Notlage gezwungen haben, ja, dass ich – besonders zwiespältig – nur aus Mitleid heraus die Macht bei mir versammelt habe, die ich dann entschieden einsetzte?

Es gibt so viele zwiespältige Situationen im Menschenleben, die nach Klärung schreien, aber es ist so oft das eigene Herz, das man nach Recht rufen hört, ob zu recht oder zu unrecht. Aber ob zurecht oder zu unrecht, was wir für uns selbst erstreiten können, muß auf Gewalt bauen und sei es ganz legale Gewalt.

Es gilt immer wieder Luthers Vers: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst Du, wer der ist? Er heißt Jesu Christ. Der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott. Das Feld muß ER behalten.“ (EG 362, 2). Nur Gottes Weltherrschaft bewahrt die Welt, auch die kleine Welt jedes einzelnen von uns vor den schädlichen Folgen der Gewalt, weil sie die Macht des menschlichen Egoismus begrenzt, - dass sie ihn nicht aufheben kann, das hat Jesus von Nazareth mit seinem Leben bezahlt.

Liebe Gemeinde,

ob die christlichen Gemeinden mit diesem Schluss ihres Gebetes zu einem guten Schluss kommen, zu einem friedlichen Ende jeden Tages, und ihres Lebens, - vom Ende der Welt ganz abgesehen? Sicher ist es nicht, denn es ist so schwer, eine ohnmächtige Macht zu ermächtigen! Wer gibt schon gerne sein Gut und Vermögen in die Hände von Kindern, wer würde einem Herrscher unsere Welt überlassen, der sich zum Diener aller macht – und die Allmacht nach menschlicher Vernunft aus den Händen gibt?

Es ist ein scharfer Kontrast zu allen menschlichen Weltmachtsvorstellungen; aber in der globalen Ausbreitung der Weltmächte wird der verderbliche Einfluss menschlicher Herrschaftswünsche und Herrschaftsansprüche nicht milder, sondern noch immer weiter sichtbar.

Es ist eine Formel, die den Menschen vor seinem eigenen Herzen bewahren will, vor der Angst und den Ansprüchen, die sich dort immer wieder zusammenbrauen. Sie fasst die Überzeugung des Glaubens zusammen: Wenn die Weltherrschaft schon entschieden und Gott übertragen ist, wenn sich die Menschen bescheiden, Weltmeisterschaften symbolisch mit Bällen und nicht mit Kanonenkugeln auszutragen, dann könnte Frieden auf Erden werden.

Aber dazu müssen wohl die Engel, die Menge der himmlischen Heerscharen zur Erde alle Jahre wieder hernieder fahren und die Menschen immer wieder beschwören, dass sie die Weltherrschaft in Gottes gütige Hand geben und darin lassen und nach Christi Weise – und nicht mit ihrer begrenzten Vernunft beten: „Denn DEIN ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“

Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
r.schmidt-rost@uni-bonn.de

 

 


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