Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Predigtreihe zum Vater Unser, Oktober 2006
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern
Theologisch-hymnologische Informationen zu Liedern der Predigtreihe
Alexander Völker
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


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... und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern

In Luthers Lied kommt das Wort „Sünde“ nicht vor, wohl aber zeigt All unsre Schuld (6,1) das Ausgeliefertsein an, die Verlorenheit des Menschen an deren Macht. All ist 6,1 wie 6,5 keineswegs ein „Füllwort“! Ohne Frage stehen hier radikale, an die Wurzeln menschlicher Existenz greifende Worte Jesu (wie Mt. 6,14f; 18,8-35) im Hintergrund. Der Strophen-Schluss ist nachweislich von Luther selbst umgearbeitet, indem er, überraschend und neu, das von Gott geschenkte dienen (6,5 ohne speziellen Bezug, darum vielgestaltig realisierbar) zum Sinn gebenden Inhalt christlichen Lebens erhebt.

Zu diesen mehr holzschnittartigen Gebetszeilen könnte O Durchbrecher aller Bande (EG 388), Gottfried Arnolds leidenschaftlicher frühpietistischer Gesang mit seiner Christozentrik gut kontrastieren, wichtige Aspekte der 5. Vaterunserbitte veranschaulichen helfen: Christus wird als Durchbrecher (Micha 2,13; EG 66,2) gefeiert, der unsern Adamssinn richtet (1,5f.), den Menschen aus Selbstverfallenheit (5,1ff.) befreien kann. Vergib unsre Schuld heißt hier: Drum, so wahr du bist gestorben, musst du uns auch machen rein (6,5f.). Die durch Röm. 8,22f. motivierte Erlösung von Natur (4,4) wird einerseits manchen davon abhalten, diese Strophe (oder das Gebetslied überhaupt) singen zu lassen; andererseits erweist die Schluss Strophe (7,1 auf Grund von Joh. 12,32; 7,2 nach Röm. 6,6; Gal. 2,19; 6,14), wie stark die Glaubenssehnsucht nach Freiheit – auch von Schuld – damals und heute sein kann. Zum Singen empfohlen: Strophen 1.5-7.

O Herr, nimm unsre Schuld – zu EG 235 schreibt der Autor: Dieses Lied entstand vor dem Hintergrund eines tiefen Verlangens nach mehr geistlichem Wachstum, verbunden aber mit der Einsicht, dass dies nur innerhalb menschlicher Gemeinschaft möglich ist. Diese verursacht auch unumgänglich auch die Erfahrung von Unvermögen und Versagen, Egoismus und Lieblosigkeit, die als Schuld erfahren werden, blockieren die Offenheit für andere und belasten das Verhältnis zu Gott, der uns doch im Andern begegnen will. So entstand das Lied als Bitte um Befreiung zu einem erfüllteren Leben. - Auf den ersten Blick zögerlich, aber durch und durch aufrichtig geht das Lied die jedem Christen geläufige Spannung zwischen Schuldversagen und Vertrauen an: nimm (1,1;4,1) meint „vergib“ („hebe auf“, „nimm hinweg“); dem trauen , glauben , kennen von Macht, Wort, Gebot Gottes stehen Sorgen (Mt. 6,34) und fürchten der Mittel Strophe gegenüber. Der Liedkontext scheint nahe zu legen, dass die Dinge, die uns binden (4,2) den Glaubenden von Gott wie vom andern (4,4) trennen. Zum Bittgebet-Charakter passt eine ‚instabile’ Melodie, die zuerst die dritte Tonstufe (e’), dann die Quinte (g’) umspielend zur Bitte hin zur Oktave (c’’; 1,3;4,3) gelangt, um sogleich zur Terz (e’) zurückzukehren (Akzent auf durch dích , 4,3), die, parallel zu Z.1, „Singen und Glauben in der Schwebe hält“: Vorsingen und Nachsingen (zunächst unbegleitet) werden allen Beteiligten bei der Aneignung der Liedaussage helfen. Das Lied trägt im Gesangbuch den Vermerk „ö“ – ist also über konfessionelle Grenzen hinweg verbreitet; im röm.-kath. „Gotteslob“ steht es unter Nr.168.

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de

 

 


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