Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

Predigtreihe zum Vater Unser, Oktober 2006
"Unser tägliches Brot gib uns heute“, Johannes Neukirch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Zur Übersicht der Reihe
Zu den theologisch-hymnologischen Informationen

Liebe Gemeinde,

„Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne uns und was du uns bescheret hast“. Oder: „Wir danken dir, Herr, denn du bist freundlich und deine Güte währet ewiglich“. Zwei bekannte Tischgebete. Wenn Sie lange keins mehr gesprochen haben, hoffe ich doch wenigstens, dass Sie das mal erlebt haben, wie die Familie um den Tisch sitzt und das Essen mit einem Gebet beginnt und sich danach alle die Hände reichen. Immer blieb bei uns in der Familie eine gewisse Unsicherheit, wer denn nun als erster anfängt zu sprechen. Und wenn man in eine andere Familie kommt, in der vor dem Essen noch gebetet wird, ist das meist ein spannender Moment, wie das abläuft: Betet einer oder alle, gibt man sich die Hände oder nicht, wer sitzt neben einem, wie hält er die Hand....

Vor dem Essen beten und dafür danken, was Jesus uns da beschert hat. Das ist die Antwort darauf, dass wir alles, was wir haben, Gott dem Schöpfer verdanken. Im Vaterunser wird das in der vierten Bitte ausgedrückt: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wir bitten und erwarten, dass er uns gibt, was wir für unser Leben brauchen.

Was man alles unter dem "täglichen Brot" verstehen hat, hat Martin Luther in seinem kleinen Katechismus sehr schön beschrieben: „Alles was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gutes Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ Das Essen allein ist es eben nicht. Wenn das Vaterunser im Gottesdienst gebetet wird, wird an der Stelle "unser tägliches Brot gib uns heute" mit Sicherheit in Gedanken sehr vieles und vielfältiges dazugebetet: Gib mir eine Arbeitsstelle, gib, dass unsere Partnerschaft wieder in Ordnung kommt, gib, dass ich wieder gesund werde und tausendfaches mehr.

Ich finde es sehr interessant, an welcher Stelle diese Bitte für die lebensnotwendigen Dinge innerhalb des Vaterunsers steht: nämlich genau in der Mitte! Das ist ein symbolischer Platz! Denn in den anderen sechs Bitten geht es um ganz anderes, jedenfalls nicht um materielle Dinge: Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Das sind die ersten drei Bitten des Vaterunser, bei denen es vor allem um Gott selbst geht. Und in den letzten drei Bitten geht es darum, was Gott für unser Heil tun kann: Vergib uns unsere Schuld, führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns von dem Bösen, heißt es dort.

Und mitten drin geht es ganz schlicht um das tägliche Brot, um das Essen. Nun gut, es ist ja nicht so, dass in der Bibel nicht auch an’s Essen gedacht würde. Bei der Speisung der fünftausend hat Jesus dafür gesorgt, dass seine Zuhörerinnen und Zuhörer Brot und Fisch hatten und bei einer Hochzeit hat er Wasser in Wein verwandelt. Und das Abendmahl wurde in den frühen Gemeinden, wie heute auch manchmal wieder, als richtiges Abendessen gefeiert.

Einen symbolischer Platz ist dieser Platz in der Mitte, weil uns das sehr deutlich sagt: in der Bibel wird der ganze Mensch angesprochen, mit all seinen Bedürfnissen! Dass wir einen Körper haben, ist für die frohe Botschaft keine Nebensache. Sie spricht uns an, wie wir sind: wir müssen jeden Tag essen, wir haben Bedürfnisse, wir machen uns Sorgen um unser tägliches Brot, um die Arbeitsstelle, um unsere Gesundheit und so weiter.

Es gibt ja gerade in letzter Zeit die Tendenz, die Religion – oder besser gesagt: die Religionen – als eine Art Wellness-Programm aufzufassen. Glaube ein wenig, und es geht dir besser. Für viele ist der Glaube eine geistige Fitness-Übung. Das ist mir zu wenig. Vor allem denke ich, dass so ein Glaube dann, wenn es wirklich mal hart kommt, schnell zusammenbricht. Wenn es mal um die zentralen Fragen geht, um Tod und Leben, dann reicht ein bisschen religiöse Fitness eben einfach nicht aus. Dann brauchen wir den Gott, dessen Sohn gesagt hat: Ich bin das Brot des Lebens!

„Unser tägliches Brot gib uns heute“ – dass wir diese Bitte vor Gott bringen können – nach „dein Wille geschehe“ und vor „vergib uns unsere Schuld“ – das sagt mir: mein ganzes Leben, meine ganze Person, alles was ich bin wird von Gott ernst genommen und soll ihm gehören. Im Neuen Testament sehen wir an den Jüngern immer wieder, was das bedeutet. Dass sie ihm nachgefolgt sind, hatte Folgen für ihr ganzes Leben, nicht nur für die Gesundheit ihrer Seele. Sie haben alles stehen und liegen gelassen und sind mit ihm gegangen. Sie konnten gar nicht mehr anders, als sich voll und ganz allein auf ihn zu verlassen – „unser tägliches Brot gib uns heute“.

In der Mitte des Vaterunser steht also der Mensch, stehen wir, mit allem, was wir für unser Leben brauchen. Wenn wir da allerdings alleine stünden, kämen wir nicht weit. Wenn unser Beten nur den Satz hätte „unser tägliches Brot gib uns heute“, dann bestünde unser Leben und unser Glaube nur darin, diesen Hunger zu stillen. Dass das ein armseliges Leben wäre und dass der Hunger dabei oft noch immer größer wird, das muss ich nicht lange erklären – dafür gibt es genug Beispiele. Vor kurzem gab es eine Sendung im Fernsehen, in der ein Reporter einige Lebensläufe von Menschen verfolgte, die im Lotto einen hohen Betrag gewonnen hatten. Er stellte allen dieselbe Frage: Macht Geld glücklich? Es gab keinen einzigen, der darauf ein klares Ja geantwortet hat.

„Unser täglich Brot“, das was wir wollen, steht zwar in der Mitte des Vaterunser, es ist aber sozusagen eingebettet in den Willen Gottes. Das Vaterunser bewahrt uns davor, nur bei uns selbst und nur auf uns selbst bezogen zu sein. Es befreit uns von unserer Selbstverliebtheit.

Das wird schnell klar, wenn wir auf die ersten drei Bitten schauen: dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe. Da geht es nicht um mich, sondern darum dass Gott die Ehre gegeben werde und sein Reich komme, in dem sein Wille herrscht. Wir sind nicht einfach da und brauchen was. Sondern wir kommen von Gott her, wir leben in dem Glauben, dass mit seinem Sohn Jesus Christus das Reich Gottes begonnen hat. Und vor allem leben wir in dem Glauben, dass Jesus Christus eines Tages das, was mit ihm angefangen hat, zu Ende bringen wird. Dass kein Leid mehr sein wird, dass der Tod überwunden wird. Aus dieser Perspektive werden unsere Bedürfnisse, wird unser tägliches Brot sozusagen in das richtige Licht gerückt!

In dem Reich Gottes, das mit Jesus angefangen hat, müssen wir immer noch essen und trinken – das ist schon richtig. Aber wenn wir auf Jesus schauen, darauf, was er gesagt und getan hat, dann werden wir unser tägliches Brot dankbar als Geschenk des Vaters essen. Und weil wir wollen, dass das Reich Gottes unter uns wächst, werden wir unser Brot mit den anderen Menschen teilen. Denn „dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“.

Auch wenn wir den Willen Gottes tun und unser tägliches Brot teilen wollen, werden wir immer wieder scheitern. Wir werden merken, dass wir das aus eigener Kraft nicht schaffen. Wir sind auf ihn angewiesen: Deshalb werden wir letzten drei Bitten des Vaterunser immer mitbeten: Und vergib uns unsere Schuld, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wenn wir das zusammen mit den anderen Bitten des Vaterunser sagen, dann bitten wir ihn, dass er unser ganzes Leben mit all seinen Bedürfnissen in den Horizont seines Reiches stellt. Wir werden dann immer noch essen und trinken und haben immer noch viele Bedürfnisse. Aber wir nehmen das alles aus seiner Hand, wir vertrauen darauf, dass er uns im vollen Sinne des Wortes satt machen wird und danken ihm aus ganzem Herzen dafür: „Wir danken dir, Herr, denn du bist freundlich und deine Güte währet ewiglich.“ Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
johannes.neukirch@evlka.de


(zurück zum Seitenanfang)