Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Passionszeit 2006
Theologische und kirchenmusikalische Anregungen zu Passionsliedern
Alexander Völker und Thomas Schmidt
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Zum Karfreitag (14. April 2006)

Ein Lämmlein geht EG 83

Entschließt man sich, am Karfreitag, einem herausgehobenen Abendmahlstag in den Gemeinden, mit dem Predigttext vom „Mittler des neuen Bundes“ (Hebr 9,15. 26b-28) das große Agnus-Dei-Lied Paul Gerhardts singen zu lassen, wird es nicht nur auf eine sorgfältige Strophen-Auswahl ankommen; mehrere Hauptperspektiven des einst 10, jetzt 7 Strophen umfassenden Lieds sollten dabei realisiert sein. Ihre zeitgemäße Umsetzung kann eine Predigt ungemein bereichern.

Beherrschend spricht das Lied im Präsens, in der Gegenwart, als glaubendes Ich, das das aus Liebe leidende und sterbende Gotteslamm (EG 190,1 ist Str. 1 voll aufgenommen) ins Gedächtnis schließen (5,10) will. Eine weitere Zeitebene wird durch Str. 2 und 3 gegenwärtig: Das „Vor-aller-Zeit“-Gespräch zwischen Vater und Sohn (EG 341,5f. ähnlich), nur mit O Wunderlieb, o Liebesmacht (3,5f.) beantwortbar. Die Strophen 5 und 6 bilden original die Mitte, den Drehpunkt: Von der Gegenliebe und Dankbarkeit des Menschen für Jesu Wohltat handeln sie – Hörenden wie Singenden möglicherweise am ehesten zugänglich.

Dich will ich stets, gleich wie du mich, mit Liebesarmen fassen (4,3f.) spiegelt die traditionelle Passionspredigt der damaligen Zeit mit dem geläufigen Bild der in Liebe ausgebreiteten Arme Jesu am Kreuz – und nimmt schon die liebende Vereinigung dereinst (Zeitebene ‚Zukunft’; Str. 7) vorweg. Str. 5 folgte (noch EKG 62,6) Erweitre dich, mein Herzensschrein; nach Str. 7 hieß es: Was schadet mir des Todes Gifft, Dein Blut, das ist mein Leben. – Vier Strophen der zweiten Liedhälfte (orig. 7-10; EG 6-7) meditieren den Schatz (6,3), das Purpurkleid (7,3), nämlich den „Nutzen“ des Blutes Jesu.

Die wechselvollen Bezeichnungen des so kostbaren Schatzes (Saitenspiel, 6,5; Wasserquell, 6,8; Sprachgesell, 6,9; barocke Vorliebe für Komposita!) sind ja alles andere als „blumige Poesie“; das anspruchsvolle Lied bezieht sie nicht allgemein auf die Passion Jesu (was du mir zugut getan, 5,8), sondern auf das dem Glaubenden im Abendmahl (Blut 7,3; Manna, 6,7) dargereichte Heil. – Die Melodie, im EG-Register unter „An Wasserflüssen Babylon“ zu finden, erinnert daran, dass sie ursprünglich zu Psalm 137 gehörte, also auch ihrerseits auf die „Wendung des Geschicks“ hindeutet, die dem „Mittler des neuen Bundes“ zu danken ist.

Einzelne zu singende Liedstrophen könnten durch ein sinnerschließendes Präfamen eingeleitet werden, das gegebenenfalls auch Verbindung zu Abendmahlsfeier und Predigt aufzeigt (etwa: das doppelte „einmal“ 9,27f. in der absoluten „Einmaligkeit“ des Geschehens auf Golgatha, oder, wiederkehrend, im einmaligen Getauftwerden auf den Namen Jesu, kontrastierend zum wiederholten Feiern des Abendmahls).

oder

Christe, du Schöpfer aller Welt EG 92

Zur Wahl gestellt ist ein ausgesprochenes Loblied (1,4), das der lutherische Liturgiker Theodor Kliefoth aus einem lateinisch-fränkischen Hymnus des 9. Jahrhunderts gewann. Die Merkmale eines solchen recht feierlichen Gebetsgesangs sind rasch aufgezählt: als Erstes eine Gesamtschau der Sendung Jesu, schon ablesbar an der ‚Titulatur’ (Str. 1: Schöpfer, König, auch 6,4, Held); sodann die heilsgeschichtliche Großperspektive (Schöpfer aller Welt, 1,1; gelöst das Band, das Adams Sünde ..., 2,3f.; kamst ins Fleisch, 3,2; der Geist der Kraft, 5,3; um dein Siegerangesicht, 6,1); endlich die trinitarisch konzipierte Strophe am Schluss. Das Bildwort von starker Hand (2,2; 4,1) ist zentral: die Hand, die Schuldverfallenheit (Band, 2,3; Banden, 4,2) zu lösen imstande ist. Der Hymnus liebt es auch, Gegensätze sichtbar zu machen (3,1f., auch 4,1f., 5,1 und doch ...).

Gut denkbar ist es, die Karfreitagsgemeinde nach dem Vorsingen durch einstimmigen Chor an diesen meditativen Hymnus heranzuführen; beim Singen können immer zwei Strophen-Zeilen, die in der Regel eine Sinneinheit ergeben, auf einen Atem genommen werden. Gegenüber dem großen Spektrum des Loblieds wirkt die abschließende Bitte verlass uns nicht (6,4) recht allgemein und blass – ein Ansatzpunkt für die Karfreitagspredigt/die Karfreitagsfürbitten?

-> EG 83 / EG 92

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de


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