Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

Passionszeit 2006
Theologische und kirchenmusikalische Anregungen zu Passionsliedern
Alexander Völker und Thomas Schmidt
-> zur Übersicht

(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Zum 6. Sonntag der Passionszeit (9. April 2006)

Du großer Schmerzensmann EG 87

Als „Bitte um die Frucht des Leidens Jesu“ (originale Liedüberschrift) besingt das Lied den leidenden Christus mit zahlreichen Übernahmen aus Jes 53,3-7, 1. Petr 1,19. 2,21-24, dazu den Passionsberichten; sie alle sind unschwer aufzufinden. Offensichtlich steht auch O hilf, Christe, Gottes Sohn (EG 77,8) im Hintergrund; die Frage was hast du (sonst) getan? (2/8) geht auf die Karfreitagsimproperien („was habe ich dir getan?“) zurück. In 5,7f. klingt wohl Gal 5,24 an.

Bewusst setzt 1,3 mit Dank an Jesus ein, um nach dem Schuldbekenntnis (Str. 2) die „Frucht des Leidens“ sehr entschieden in sechsfacher Antithese (Kampf/Sieg bis Blut/Lösegeld, Str. 3) auf den Punkt zu bringen. Die drei letzten Strophen ‚buchstabieren’ am Beispiel der Passion die Kasus des täglichen Lebens, wobei Doppelausdrücke (4,2; 5,8) und Dreierreihung (4,8; 6,6f.), Anzeichen eines traditionellen Passions-Summariums, begegnen. Dass der Dichter mit dem Mittel einer rhetorischen Aufzählung arbeitet (Str. 1: für; 2: uns; 3: dein; 5: durch; 6: lass), zeugt von beachtlich hoher poetischer Qualität; in der Regel tragen je zwei Kurzzeilen einen Sinnabschnitt – dies trägt zur Geschlossenheit der Strophen und zum besseren „Behalten“, auswendig Erinnern des Liedes bei.

Das Profil des Gottesknechts, das der (der Gemeinde im Einzelnen wohl nicht geläufige) Predigttext Jes 50,4-9 zeichnet, weist konvergente Züge zu dem auf, wie das Lied den leidenden Jesus sieht: Der im Leidenskampf errungene Sieg (3,1; 5,4) erscheint im doppelten „Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden“ (50,7). Sein Gehorsam („und weiche nicht zurück“, 50,5) und erlittene Misshandlungen („Rücken ... Wangen ... Angesicht“, 50,6) sind in den beiden ersten Strophen dankbar erinnert; im zweiten Liedteil werden sie als Heilung und Trost (6,2.4) erbeten. Auf diese Weise erweist sich – beim Predigtschwerpunkt auf dem Gottesknechtstext – das Lied geradezu als Äquivalent einer ganzen neutestamentlichen Lesung.

oder

Er weckt mich alle Morgen EG 452

Das neben EG 16 bekannteste Lied von Jochen Klepper, am Dienstag der Karwoche, dem 12. April 1938 niedergeschrieben, gehört nicht zum Haupt- (bzw. Wochen-)liedplan; da jedoch viele beim diesjährigen Palmsonntagstext an das Lied denken, möge ein kurzer Blick auf ein meisterhaftes Kunstwerk zugelassen sein. Jes 50, 4.5.7.8. bilden das Liedfundament (1,1f.; 2,8; 3,1f. 5; 4,1f.), um dessen „Mittelachse“ (Str. 3) das schöpferische Wort Gottes (Str. 2) wie das den Sünder freisprechende, rechtfertigende Wort (Str. 4) angeordnet sind. Jede Strophe setzt mit seinem Handeln (Er fünffach), nicht mit der Befindlichkeit des Menschen ein. Es ist das (biblische) Wort, aus dem der Dichter wie die singende Gemeinde lebt (1,5ff., 5,1ff.). Sprachliche Symmetrie bei Wort und Licht (1,5f., 5,1f.) und wohlüberlegte Wortwahl an vielen Stellen (an der Dämmrung Pforte, 1,7; in seinem Wort mein Glück, 3,4; Er will mich früh umhüllen, 5,1) machen solche Verse ganz kostbar. Schließlich: Kleppers Lied ist ganz „dem Kommenden“ zugewandt, wie dunkel auch der Tag (5,8).

Beide Lieder, EG 87 wie EG 452, bieten sich für den Palmsonntag-Gottesdienst 2006 an. Die drei gleichen, gleichsam anklopfenden Anfangstöne in beiden Melodien könnten nahe legen, beide Lieder vor, nach, in der Predigt abwechselnd – oder wie auch immer – zu singen.

-> EG 87 / EG 452

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de


(zurück zum Seitenanfang)