Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Passionszeit 2006
Theologische und kirchenmusikalische Anregungen zu Passionsliedern
Alexander Völker und Thomas Schmidt
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Zum 2. Sonntag der Passionszeit (12. März 2006)

Wenn wir in höchsten Nöten sein EG 366

Dieses Buß- und Bittlied (orig. „gegen die Türkengefahr und die Pest“; Paul Eber, 1566, in die Glaubensstreitigkeiten nach Luthers und Melanchthons Tod hineingezogen) setzt nicht mit einem Lob Gottes oder der Verkündigung einer Heilstat, sondern mit dem Kasus ein, der den Menschen am meisten zu schaffen macht: Wenn wir in höchsten Nöten sein ... Zur Kennzeichnung dieses Kasus breitet das Lied für seine Sänger wie Hörer einen einzigen langen Satz in einer schrittweise sich vortastenden Meditation, zugleich auch Argumentation, über vier Strophen aus: Die trotz unablässigen Sorgens auswegslose Lage (Str. 1) führt zum Zusammen ... dich anrufen (2,2f.), ja zum „Aufheben“ von Aug’ und Herz ... in Reu ... (3,1ff.); die Augen der Singenden brauchen nicht niedergeschlagen zu bleiben, weil sie sich dabei, 1. Joh 2,1f. folgend, auf unser Heil und Fürsprech Jesus Christus (4,4) berufen dürfen, – ein großer Spannungsbogen vom Liedanfang her, der seinen Höhepunkt erst in Strophe 4 erreicht.

Mit dieser Szenerie, die unverkennbar Assoziationen an das ‚Dies irae, dies illa’ weckt, sind Sänger und Hörer unmittelbar in den Rechtsstreit versetzt, in dem Gott und die Menschen am Beispiel des Weinbergs (Jes 5,1-7; Mk 12,1-12) nach Gerechtigkeit fragen. Wie der erste erscheint auch der zweite Liedteil (Drum kommen wir, 5,1) auf einen Höhepunkt (auf dass von Herzen können wir ... danken dir, 7,1f.) ausgerichtet; nach dem Durchgang durch große Trübsal und Gefahr (5,4), die die Glaubenden als Strafe (3,4) für ihre Sünde groß (6,1) erleben, bekommen Danksagung und Lobpreis der Treue Gottes (2,3; vgl. das sprachlich verwandte Trost, 2,1) ihren gebührenden Platz in der Schlussstrophe des Liedes. Ohne Frage bilden die 2. Chron 20 erinnerten, dort literarisch ganz neu konzipierten Ereignisse um Juda aus der frühen Königszeit (Joschafat), dem bibelfesten Wittenberger Professor Eber natürlich präsent, den ‚heilsgeschichtlichen’ Hintergrund des Bittliedes.

Die in ruhigem Wechsel von Halben und Vierteln fließende Melodie kommt dem Bittgebet zugute, wobei dem 6. Ton (Nö-ten, 1,1) „ein deutlicher, dringlich wirkender Akzent aufgesetzt“ ist: Durch alle Strophen hindurch macht so die Weise das flehen um Begnadigung (3,3) glaubwürdig. Unbegleitetes Singen würde die Gemeinde ‚Hauptworte’, Schwerpunkte auf der drittletzten Silbe jeder Zeile, miterleben lassen. Wie immer EG 366 in einem Gottesdienst umgesetzt werden mag – das Bauprinzip einer Zusammengehörigkeit der Strophen 1 bis 4 und 5 bis 7 sollte respektiert werden.

-> EG 366

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de


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