Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 5. Februar 2006
Predigt zu Johannes 12, 23-33, verfasst von Elof Westergaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Die einzige Antwort des Vaters

„Vater, verherrliche deinen Namen!“, sagt Jesus.
„Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen”, antwortet die Stimme vom Himmel.

Das ist der göttliche Wortwechsel zwischen Vater und Sohn. Es ist das einzige Mal im ganzen Johannesevangelium, dass Gott der Vater selbst spricht.

Gott der Vater schweigt, auch da, wo die anderen Evangelisten ihn sprechen lassen. Er hält seinen Mund, mit der Ausnahme dieser einzigen Stelle. Warum bricht er gerade hier sein Schweigen?

Vater und Sohn

Gott der Vater ist in der Darstellung des Johannesevangeliums erhaben und fern, aber er ist zugleich ganz besonders aktiv: Er schickt seinen Sohn in die Welt. Er liebt den Sohn und die Welt. Er sucht die, die ihn anbeten in Geist und in Wahrheit. Er arbeitet ständig.
Aber Gott der Vater sagt selbst nichts, dieses eine Mal ausgenommen.

Er braucht auch nichts zu sagen. Der Sohn spricht für ihn. Jesus stellt seine Zunge und seine Stimme zur Verfügung. Der Vater und der Sohn stehen nämlich zusammen. Sie sind eins.
Gott der Vater und Gottes Sohn. In ihnen und in dem Verhältnis zwischen ihnen wird das Gottesbild erweitert und entfaltet:

Jesus kann nichts ohne den Vater tun, und der Vater wird gesehen durch Jesus. Jesus ist der Dolmetscher des Vaters und sein Ausgesandter.

Aus der Sicht einer heutigen psychologischen Betrachtungsweise wirkt das Verhältnis nicht gerade gesund. Es ist als ein fast unnatürliches Verhältnis aufzufassen, wenn der Sohn nichts tun kann, ohne dass er den Vater es tun sieht. Welch eine Vaterbindung!

Das wird auch dann nicht viel besser, wenn der Vater nur durch Jesus gesehen werden kann. Welche eine Entmündigung! Ist der Vater ins Pflegeheim gebracht in einem abgeschiedenen Winkel, mit gesperrtem Konto und an sein Himmelbett gebunden?

Der Vater und der Sohn haben wohl beide Befreiung nötig. In dem Licht besehen ist es durchaus befreiend, dass der Vater jetzt jedenfalls dieses eine Mal seinen wahren Charakter zeigt und selbst seinen Mund auftut!

Die wiederholte Betonung des Johannesevangeliums von der Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn hat indessen ihren Grund. Der Vater vergisst nicht, was er geformt hat. Der Vater im Himmel wendet seinen Blick nicht weg von der Erde. Sein Wort und seine Hände sind sich dessen bewusst, was sie bisher getragen haben, und er träumt von dem, was er fortgesetzt tragen wird. Der Vater besteht auf dem, was er geschaffen hat. Dieses enge Verhältnis wird dann dadurch hervorgehoben, dass Gott sich in Jesus offenbart, in einem Menschen. In ihm kennen wir Gott.

Mit anderen Worten: Das Schweigen des Vaters macht die Stimme des Sohnes und Gottes Offenbarung in Jesus Christus deutlich.

Zugang zu Gott

Das Himmelsgewölbe, das Meer, die Erde, die Pflanzen, das Vieh und die Ochsen, die Sonne, der Mond und die Sterne, die Fische, die Vögel und der Mensch, geschaffen im Bilde Gottes, können unser Verlangen nach Zusammenhang und Sinn verstärken. Dies alles kann in uns Verwunderung und eine Suche bewirken, aber das Geschaffene umfasst nicht das Ganze und die Ordnung. Sie sind nicht Gott. Wie es ja auch nicht in irgendeinem Gesetzt oder in unserem eigenen Herzen und aus unserem eigenen Verstand geschieht, dass wir uns Gott nähern. Es geschieht in Jesus, dass wir Gott begegnen. Er spricht und ist Gottes Wort.

Aber warum öffnet dann Gott der Vater selbst seinen Mund dieses eine Mal im Johannesevangelium? Öffnet er hier trotzdem einen anderen Kanal, eine Spalte, durch die wir uns ihm direkt nähern – und Jesus umgehen – können? Oder nimmt Gott der Vater das Wort, weil er unzufrieden ist mit dem, was Jesus sagt? Hat Jesus als Dolmetscher Gottes seine Rolle und als Ausgesandter seine Botschaft vergessen? Ist der Sohn aus der Einheit mit dem Vater herausgefallen?

Gottes Wort wird Fleisch

Die einzige Antwort des Vaters fällt nicht zufällig. Die Todesahnung hat Jesus erfasst. Er hat gesagt: ”Die Stunde ist gekommen.” Er weiß, dass Ostern mit dem Leiden am Kreuz nun nahe ist.

Im Johannesevangelium hat bis zu dieser Stelle etwas eindeutig Bestimmtes und Erhabenes über Jesus gelegen, wie wenn der Evangelist Jesu Einheit mit dem himmelfernen Blick des Vaters betonen wollte. Das Erhabene über Jesus verschwindet nie ganz im Johannesevanglium. Jesus weiß anscheinend die ganze Zeit, was geschehen wird. Aber seine Menschlichkeit kommt jetzt für einen Augenblick stärker zum Ausdruck. Das Besondere an der Offenbarung Gottes in ihm, einem Menschen, wird deutlich gemacht. Jesus hat früher von Gott gesagt, dass er das Licht, die Wahrheit und der Geist ist, während er von sich selbst in konkreteren, physischeren Bildern gesprochen hat: Ich bin das Brot. Ich bin das Wasser. Ich bin das Tor. Ich bin der Weinstock. In Jesus begegnen wir also einer auf andere Weise starken Verbindung zwischen Gott und Leib, Geist, Fleisch und Blut. Selbst die innere Unruhe, die in einem Menschen herrschen kann, die uns in so viele Richtungen treiben kann, zeigt sich jetzt im Sohn.

Jesus wurde am Grab des Freundes Lazarus zornig, und wir hören nun Jesus unruhig und angefochten in Worten reden, die in mehrere Richtungen weisen: ”Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater verherrliche deinen Namen!”

Jesu Seele ist betrübt, oder wie es in der alten Übersetzung hieß: ”Meine Seele ist erschrocken”. Die Furcht vor der Zukunft, dem Kreuz, steht vor seinen Augen. Die Stunde der Entscheidung ist gekommen. Jesus, der sonst ununterbrochen die Zeit im Griff zu haben scheint (er weiß, wann die Stunde nicht gekommen ist und wann sie kommt), ist in der Schilderung bei Johannes offensichtlich aus der Fassung gebracht. Er zeigt sich wie ein Mensch, getroffen von der Abwesenheit Gottes. Er muss hier aus der Tiefe Gott um Hilfe anrufen. Jesus muss sich sogar, wie wir, Worte leihen, um seine Unruhe auszudrücken. Er zitiert teilweise aus einem alttestamentlichen Psalm. Seine eigenen Worte reichen anscheinend nicht aus. Das Wort ist wahrhaft Fleisch geworden. Gott lässt sich von der inneren Unruhe des Menschen beeindrucken.

Eine Antwort vom Himmel

Genau an dieser Stelle, wo Jesu Seele in Unruhe ist und wo er vielleicht versucht ist, seinem Schicksal aus dem Wege zu gehen, lässt der Evangelist Johannes Gott den Vater selbst das Wort ergreifen. Der Vater bestätigt das Gebet des Sohnes, dass er, Gott der Vater, seinen Namen verherrlichen soll. ”Ich habe es getan, und ich will es abermals tun,” bestätigt er. Jesus ist unmittelbar danach gleich wieder ”cool”. Als jemand von den Umstehenden die Stimme vom Himmel bloss als einen Donner oder die Stimme eines Engels auffasst, macht Jesus klar, dass die Stimme vom Himmel nicht um seinetwillen geschehen ist. ”Sie erklang um euretwillen”, sagt er. So weit lässt der Evangelist Jesus uns ähnlich sein. Er will auch nicht Schwäche zeigen. Aber es ist nun Jesus selbst, der um Bestätigung bittet.

Gott der Vater antwortet. Aber was bewirkt es dann an dem Vater und dem Sohn, dass der Vater diesmal selbst das Wort ergreift? Sind die beiden jeweils ihren eigenen Weg gegangen? Nein! Ganz im Gegenteil! Die Stimme des Vaters vom Himmel betont den Sohn als einen Menschen, dem hier eine besondere Aufgabe gegeben ist. Der Sohn ist das Weizenkorn, dass hier in die Erde gelegt werden soll.

Gott der Vater und der Sohn erweitern und entfalten unser Gottesbild. Sie zeigen, wie Gott sowohl den Blick des Vogels als auch das Gefühl des Wurms für Erde in sich trägt. Gewiss ist Gott der Vater als fern geschildert, und der Sohn als erhaben, aber Gott verbindet sich mit der Welt. Das Licht, die Wahrheit und der Geist strömen fortgesetzt aus dem Himmel. Das zugedeckte Weizenkorn keimt.
Das geschieht durch die Gnade Gottes, auch unter Schnee.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.

Pastor Elof Westergaard
Mariehøj 17
DK-8600 Silkeborg
Tel.: ++ 45 – 86 80 08 15
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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