Göttinger Predigten im Internet
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4. Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2006
Predigt zu Epheser 1, 15-20a, verfasst von Rudolf Rengstorf
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Kleine graue Tage sind das jetzt - (zumindest) bei uns an der Wasserkante voller Wind und Regen. Da ist so mancher heute morgen lieber zu Hause geblieben. Und nun haben wir im Evangelium (Markus 4,35-41) auch noch diese Wassergeschichte gehört mit der Angst vor dem Versinken in den Wellen. Hoffentlich wirds uns bei der Predigt etwas wärmer!.

Beim ersten - aber nur beim ersten - Blick sieht das nicht so aus. Denn im Epheserbrief steht der Bibelabschnitt, über den heute gepredigt werden soll. Ein Schreiben, das einen eher unpersönlichen Eindruck erweckt. Weil man an keiner Stelle ein Bild vor Augen bekommt von den Menschen, an die es gerichtet ist. Keine Namen, keine Ortsangaben, keine Anfragen, keine Konflikte, auf die der Schreiber, ein Schüler des Apostels Paulus, sich bezieht. Selbst die Adresse "An die Gemeinde in Ephesus" ist erst später eingesetzt worden, um diesem Schreiben einen Namen zu geben. Gerichtet ist es an die Glaubenden insgesamt, also eine Art Hirtenwort an alle Christen, die am Ende des ersten Jahrhunderts im Mittelmeerraum lebten. An keinem Ort wesentlich mehr Menschen als wir hier heute morgen in der Kirche. Kirchen gab es ja noch gar nicht. In Privathäusern traf man sich, die waren ja nicht groß. Und da passte man auch noch gut rein.

Also an kleine Gruppen von Christen ging dieser Brief. In der Gesamtbevölkerung fielen sie kaum ins Gewicht, auch wenn sie hier und da auffielen und man über sie redete, übrigens durchaus nicht nur lobend und bewundernd, sondern mindestens ebenso häufig voll herabsetzender Arroganz und verächtlicher Häme. Wenn man sich das vor Augen hält, bekommen die ersten Worte doch einen warmen Klang. Jede der kleinen Gottesdienstgemeinden bekommt zu hören:

Nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herren Jesus
und von euer Liebe unter einander, höre ich nicht auf, für euch zu danken.

Da hört einer nicht auf zu danken für seine Mitchristen. Liebe Gemeinde, haben wir überhaupt schon damit angefangen? Oder ist da heute nichts mehr von zu hören, dass sich Sonntag für Sonntag überall in unserem Land, auch in den Nachbarländern, ja in der ganzen Welt Menschen treffen, um sich als Christen zu erkennen zu geben und sich im Glauben an Jesus Christus stärken zu lassen?

Aber bleiben wir hier: Stellen Sie sich vor, da käme heute vormittag jemand in unsere Kirche, ginge achtlos vorbei an den vielen leeren Bänken, sähe die gar nicht, hätte nur eins im Auge, dass Sie gekommen sind, um zu beten und zu singen und sich ansprechen zu lassen von Gottes Wort. Und der hörte gar nicht mehr auf, sich darüber zu freuen und dafür zu danken! Täte das nicht gut?

Na ja, mag man nun sagen. Der Glaube spielt sicher eine Rolle bei uns. Aber was ist mit der Liebe? Was ist denn schon davon groß zu hören? Wirklich nichts? Nichts zu hören von Sternsingern und BROT FÜR DIE WELT, nichts zu hören von Wärmestube und Stader Tafel, von ehrenamtlicher Mitarbeit an allen Ecken und Enden der Gemeinde, beginnend von der Arbeit mit Kindern und noch längst nicht aufgehört mit der Hospizgruppe? Nichts zu hören davon, daß siebzehn Frauen und Männer sich in unserer Gemeinde bereit erklärt haben, sich der öffentlichen Wahl für den Kirchenvorstand zu stellen, in dem keine Sitzungsgelder und Diäten winken, aber viel Arbeit für das Gemeindewohl? Ganz zu schweigen von all der christlichen Liebe, die Sie in Ihre Arbeit und den Umgang mit Ihren Mitmenschen stecken! Doch, das wird gehört. und es wird wohl Zeit, aufzuhören mit dem Nörgeln und Mäkeln und Jammern und endlich mit dem Danken anzufangen!

Aber weiter im Text:
Und ich höre nicht auf zu bitten...

Aha, jetzt wirds also doch losgehen mit dem Aufzählen all dessen, was nicht so prall ist unter uns, was alles noch besser, noch intensiver, noch zeitgemäßer und bedarfsgerechter und vor allem noch glaubwürdiger, eindeutiger und wirksamer werden muss unter uns.

Nein, nein, hören Sie:
Und ich höre nicht auf, für euch zu bitten,
dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit,
euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.
Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt,
zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid,
wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für alle Christen ist
und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben,
weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde,
mit der er in Christus gewirkt hat.
Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt.

Erstaunlich, in diesem Gebet geht es nicht um unsere Defizite, Schwächen und Fehlleistungen, sondern um die Fülle dessen, was in uns wirksam ist - die Energie seiner Stärke und Macht. Es ist als fände der Schreiber gar nicht genug kraftvolle Worte, um die Super-Mega-Power, wie man für unsere Ohren übersetzen müsste, auszudrücken, die Gott in uns gesteckt hat. Eine Kraft, die in der Tat nicht übertrieben werden kann, weil sie durch nichts in der Welt zu übertreffen ist - denn gemeint ist die Kraft, die dazu gehört, einen Toten lebendig zu machen. In der Tat, die Kraft, die Jesus von den Toten auferweckt hat, dieselbe Kraft, heißt es hier, ist in uns am Werke. Wer also etwas von österlicher Lebensmacht erfahren will, der muss nicht krampfhaft an ein leeres Grab damals glauben, der muss sich nicht mühsam und bangen Herzens mit dem auseinander setzen, was von dieser oder jenen Seite an Einwänden gegen die Auferstehungsberichte vorgebracht werden mag. Nein, wer in das Kraftfeld von Ostern hinein will, der braucht bloß auf das zu achten, was Gott in ihm und ihr selbst wirkt und in Bewegung setzt.

Dazu braucht es, dazu brauchen Sie und ich freilich eines: dass uns das selber auch klar wird. Wir brauchen erleuchtete Augen des Herzens. Also ein Herz, das nicht mit Scheuklappen durch die Welt läuft, die das Licht fern halten. Ein Herz, das nicht fixiert ist auf das Dunkel und Negative und das deshalb nichts anderes mehr sehen kann. Sondern ein Herz, das den Glanz und die Wärme, auf die es angelegt ist, auch wahr zu nehmen bereit ist. Ein Herz, das nicht nur auf das Tun der Menschen achtet, sondern auf das Wirken Gottes gefasst ist.

Damit wir mit bekommen, was los ist mit dem Glauben und der Liebe, die wir so schnell klein machen. In der Zwangsvorstellung, Glaube sei nur dann richtig und gottwohlgefällig, wenn er von allen geteilt wird und dann auch noch in gleicher Weise - wie die Alten so auch die Jungen.

Als sei das nichts, wenn in einer Jugend und Gesundheit vergötternden Welt älter werdende Menschen auf einen Gekreuzigten sehen und dabei singen und glauben können: "Dein Kampf ist unser Sieg, dein Tod ist unser Leben, die Wunden unser Heil!" Was muss Gott dazu für eine Kraft in uns aufbringen!

Als sei das nichts, dass in einer Welt, die bei allem Spaß und Amüsement voll ist von Angst - Angst davor, nicht mit halten zu können mit anderen; Angst um den Arbeitsplatz, Angst vor Besitzverlust, Angst vor dem Tod und - am schlimmsten - Angst, die sich nicht fassen und begründen lässt - als sei das nichts, dass Menschen hoffen und beten können: „Dein Reich komme“ - das Reich, in dem er abwischen wird alle Tränen und wo kein Tod mehr ist, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz. dafür aber eine Freude, die kein Auge je gesehen und kein Ohr gehört hat! Was muss Gott dazu für eine Kraft in uns aufbringen!

Und als sei das nichts, dass Menschen, die zu allen Zeiten und heute mehr denn je als eine Laune der Natur und dessen, was der Mensch draus macht, angesehen werden können, als sei das nichts, dass sie sich als Kinder Gottes ansprechen lassen, die in Bösem und Gutem, was ihnen in diesem Leben widerfährt, auch Gottes Führung und Geleit zu sehen und ihn darum auch zu bitten vermögen mit dem Lied, das den Menschen hier so lieb ist wie kein anderes: "So nimm denn meine Hände und führe mich!" Noch einmal: Was muss Gott dazu für eine Kraft in uns aufbringen!

In der Tat: Dass wir im Schatten des Todes auf Licht und Leben ausgerichtet sind - das geht nur, weil die Auferstehungsmacht schon wirksam ist in uns. Als ein Vorzeichen nicht massenhaft verbreitet, aber überall erkennbar. Ein Vorzeichen für das, was auf alle von Gott her zu kommt. Nämlich von seinem Wort des Lebens und der Kraft angesprochen, durchdrungen und erleuchtet zu werden - in Ewigkeit! Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Stade
Rudolf.Rengstorf@evlka.de


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