Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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4. Sonntag im Advent, 18. Dezember 2005
Predigt über Johannes 3, 25-36, verfasst von Lars Ole Gjesing (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Ein großer Teil der letzten Weihnachtsvorbereitungen besteht darin, aufzuräumen und Platz zu machen. Alles wird aufgeräumt, was das Haus im Alltag füllt, man räumt auf nach der Weihnachtsbriefschreiberei und nach dem Packen von Geschenken und Paketen, und man macht Platz für den Weihnachtsbaum, für Gäste, kurz, man macht Platz für das Fest.

Und hier im Haus ist es kein bisschen anders mit den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Ganz konkret hat der Kirchendiener im Laufe der kommenden Tage Weihnachtsbäume aufzustellen, überall Kerzen aufzustellen und Schmuck zu verteilen. Aber auch in den Adventsgottesdiensten sind alle Texte sorgfältig für Vorbereitungen mit ihrer Hilfe ausgewählt.

Und das ganz besonders hier am 3. und 4. Sonntag im Advent, wo Johannes der Täufer im Vordergrund steht. In der Jesusgeschichte ist er ja der Wegbereiter, der den Weg für den Herrn bahnt, der, der vorangeht. Die Arbeit Johannes’ des Täufers besteht also darin, aufzuräumen und alles an seinen Platz stellen, bevor Jesus kommt. Das ist die Weihnachtsvorbereitung der Adventsgottesdienste.

Aber wie stellt er das an? Auf welche Weise räumt er auf und bereitet er den Weg? Was ist das für eine innere Vorbereitung auf das Kommen Jesu, zu der er uns auffordert?

Das ist eine umfassende Frage, ganz kurz kann man aber sagen: er will uns dazu bringen, dass wir uns klar machen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Kurz und gut, aber nicht eben wenig! Wenn man sich nicht wenigstens ein bisschen klar gemacht hat, was unsere Stellung und unser Wert und unsere Bestimmung hier auf Erden ist, dann haben wir nicht eben viele Chancen, irgend etwas von dem zu hören und zu begreifen, womit Jesus kommt.

Was ist es also, das Johannes in seiner Verkündigung und seiner Taufe über uns sagt?

In erster Linie sagt er, dass ein Mensch ein Schuldner ist. Das hörte man nicht gern. Johannes wurde dafür, dass er das sagte, umgebracht. Und man hört es auch heute nicht gern. Die stärkste Kritik an der Kirche in den letzten hundert Jahren hat sich darauf bezogen, dass die Kirche mit all ihrer Rede von Sünde und Schuld Menschen in Schuldbewusstsein unterdrückt.

Aber es ist dennoch wahr, dass ein Mensch zu sein bedeutet, ein Schuldner zu sein. Was aber bedeutet das?

Ja, das bedeutet nicht, dass da nur Böses im Menschen ist. Es wäre ganz verkehrt, das zu behaupten. Es ist vielmehr ein sowohl als auch. – Es bedeutet, dass nichts von dem, was wir als Menschen haben, unser Eigenes ist. Wir haben uns nicht selbst Leben geschenkt, wir haben uns nicht selbst Erde gegeben, um auf ihr zu leben, oder Mitmenschen oder Liebste oder die Glückseligkeit, die darin besteht, dass wir zwei Geschlechter sind, oder die Glückseligkeit, die im Wechsel der Jahreszeiten besteht, im Flug der Zugvögel, darin, dass das Essen auf dem Tisch steht, dass es Schönheit gibt usw. Wir sind einfach in das alles wie vom Himmel gefallen, wir haben es alles als eine Liebesgabe zur Verfügung gestellt bekommen.

Nichts davon ist unsers oder unser Werk. Alle Möglichkeiten, aller Rohstoff war bereitgestellt, lange bevor wir in die Welt kamen. Ja, es ist so frühzeitig bereitgestellt, dass wir uns leicht dazu verleiten lassen zu glauben, es sei alles selbstverständlich, wenn wir so nach und nach da hineinfallen.

Aber es ist dumm, das alles als Selbstverständlichkeiten zu nehmen. Das einzig Richtige ist, es als eine Liebesgabe zu nehmen, froh einzusehen, dass es nicht unser Eigenes ist und schon gar nicht unser Privates. Das gilt vom Leben und von der Erde und den Mitmenschen und allem, was dazugehört.

Und dies liegt ganz fundamental darin, dass der Mensch ein Schuldner ist. Was schulden wir? – alles! Aber wie gut ist es, ein Schuldner auf diese Art und Weise zu sein. Das ermöglicht eine mächtige Dankbarkeit und wahrlich auch eine mächtige Fürsorge für und Sorgfalt um all das, was wir so einfach zur Verfügung gestellt bekommen haben.

Worüber Johannes so aufgebracht ist, das ist vor allem dies, dass nur so wenige Menschen danach leben, dass alles Gottes Gaben sind. Dass so wenige ihr Leben nach dieser Erkenntnis formen wollen; dass so viele dennoch allein darauf aus sind, an sich zu reißen, um noch mehr zu bekommen; dass so wenige darauf eingestellt sind, im Ernst den Reichtum zu teilen.

Und er wettert über den Jordan hin: wenn es so ist, dann trifft der Tod uns auch mit Recht. Ein Hieb mit der Axt, die an der Wurzel des Baumes liegt. Er ist erbost über die maßlosen Egoisten, die ein Geschenk nicht als ein Geschenk annehmen und es dementsprechend behandeln wollen, sondern die stattdessen alles als einen Anspruch, ein Recht auffassen, das keinerlei ernste Fürsorge und Sorgfalt für die Welt und Mitgeschöpfe mit sich führt.

Weihnachtsvorbereitung – ernsthafte Weihnachtsvorbereitung – besteht darin, sich darauf zu besinnen, dass der Täufer Recht hat. Er weiß, was ein Menschenleben in all seiner Größe und all seinem Reichtum und in all seiner Verfehltheit ist.

Viele Menschen kommen und hören ihn, sehen, dass er Recht hat, entschließen sich, von jetzt an etwas dafür zu tun, und werden von ihm getauft als Zeichen, dass sie von jetzt an ihr Bestes tun wollen. Der Täufer zeigte eine grundlegende Wahrheit über das Dasein auf: über das Geschenk des Lebens, die Forderungen des Lebens, über den Tod, über die Schuld und die Möglichkeit, richtig oder verkehrt zu leben. Er schuf Einsicht. Aber er schuf weder Überwindung des Bösen noch des Todes.

Wenn man diese Züge des Daseins verstehen lernt, dann ist man bereit, Weihnachten zu feiern. In dem Sinne bereitet Johannes der Täufer zu jeder Zeit den Weg für Christus.

Wenn wir wissen, was wir bekommen haben und was wir schuldig sind, wenn wir wissen, dass wir trotzdem andauernd das Wichtigste verfehlen, wenn wir wissen, dass der verbissenste Angriff auf das Böse und das verfehlte Leben fehlgeschlagen ist – nämlich der Angriff des Täufers, wenn wir wissen, dass die einfache Rückerstattung des Todes weiterhin herrscht, und wenn wir wissen, dass es nur so wenig ist, was die Menschheit hat ausrichten können, dann sind wir bereit, das zu verstehen, was der Täufer heute sagt: ”Christus muss wachsen, ich aber muss abnehmen“, dann sind wir bereit, uns danach zu sehnen, dass wir ganz Neues von Gott hören, dann sind wir bereit, wirklich Weihnachten zu feiern. Amen.

Pastor Lars Ole Gjesing
Søndergade 43
DK-5970 Æreskøbing
Tel.: +45 62 52 11 72
E-mail: logj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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