Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 2. Oktober 2005
Alle guten Gaben ... Liedpredigten zu Erntedank
EG 499, "Erd und Himmel sollen singen", Wolfgang Vögele
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Str.1 Erd und Himmel sollen singen vor dem Herrn der Herrlichkeit, alle Welt soll hell erklingen, loben Gott zu dieser Zeit. Halleluja, dienen ihm in Ewigkeit.
Str.2 Sonne, Mond und Stern sich neigen vor dem Herrn der Herrlichkeit; Tag und Nacht sie nimmer schweigen, loben Gott zu aller Zeit. Halleluja, dienen ihm in Ewigkeit.
Str.3 Darum kannst auch du nicht schweigen vor dem Herrn der Herrlichkeit, deinen Dank ihm zu erzeigen, lobe Gott zu aller Zeit. Halleluja, diene ihm in Ewigkeit.

Liebe Gemeinde,

„Sonne, Mond und Stern sich neigen / vor dem Herrn der Herrlichkeit.“ Ein wunderschönes, treffsicheres Bild überschwänglicher Dankbarkeit! Im Herbst und Spätsommer ernten Gärtnerinnen und Bauern Äpfel, Zuckerrüben, Tomaten, Mohrrüben. Wir legen Gemüse, Früchte, Erntegaben an diesem festlichen Tag auf den Altar, um ihn zu schmücken. In all seinen Farben vom dunklen Traubenblau bis zum hellen Orange der Kürbisse sieht das schön und bunt und vielfältig aus. Eigentlich lädt es zum Essen ein, aber damit wollen wir noch einen Gottesdienst lang warten.

Denn solange wir die Früchte sehen, spüren wir: Der grüne Apfel sagt dasselbe wie die gelbe Sonne. Die dunkelgrüne Gurke sagt dasselbe wie der leuchtende Mond. Der orangene Kürbis sagt dasselbe wie der strahlende Stern. Alle zusammen loben und danken Gott allein dadurch, daß es sie gibt. Alle zusammen sagen sie, was wir im Lied singen: „Tag und Nacht sie nimmer schweigen, / loben Gott zu aller Zeit.“

Bevor ich jedoch weiter über das Loben und Danken spreche, will ich Ihnen etwas über das Gegenteil davon erzählen, über den Ärger. Denn aus der folgenden Ärgergeschichte läßt sich etwas über das Danken lernen.

Ich habe einen Freund, der hat mir einmal erzählt: Wenn ich mich sehr ärgere, über mich selbst oder irgend etwas anderes, dann setze ich mich ins Wohnzimmer und nehme mir den großen Weltatlas aus dem Bücherregal. Ich blättere durch die Seiten, schaue auf die Karten von allen Kontinenten und Ländern und komme am Ende auf die letzte Karte, die Karte des Kosmos, des gesamten Weltalls. Ich wusste gar nicht, daß es so etwas gibt und ließ es mir erklären: Die Astronomen versuchen, mit dieser Karte Umfang, Größe und Aufbau des gesamten Weltalls darzustellen.

Das ist etwas anderes als eine Landkarte, eher eine Art ineinander geschachtelter Karten. Sie kennen das vielleicht, das ist wie bei diesen russischen Puppen: Auf dem Papier ist die riesige Erde so groß wie ein kleiner Ball. Und die Erde paßt zigmal in das gesamte Sonnensystem, und das Sonnensystem paßt zigmal in die gesamte Milchstraße, und die gesamte Milchstraße ist nur eine von zigmillionen Galaxien, und diese Galaxien sind wiederum nur ein kleiner Punkt in einem unendlichen Raum, der keine Grenzen kennt. Und wenn man nun die Bälle der Planeten, die Haufen von Galaxien und Milchstraßen sieht, wenn man sich das vorstellt, dann ist man bei Zahlen, Größen und Entfernungen angelangt, die man sich gar nicht vorstellen kann, wenn man nicht gerade Astronom und Fachmann ist. Millionen und Milliarden von Lichtjahren übersteigen die schiere menschliche Vorstellungskraft.

Dieser Freund von mir sagt: Wenn ich mir diese Karte anschaue mit ihren Größendimensionen, dann erkenne ich, wie klein, bedeutungslos und überflüssig mein kleiner Ärger ist und ich kann mich leichter davon distanzieren. Dann kann ich diesen Ärger loslassen, er fällt mir dann nicht mehr so schwer, ich grübele mich nicht mehr hinein und vergrabe mich nicht mehr darin.

Das ist eine kluge, eine weisheitliche Art, seinen Ärger loszuwerden, seine eigene Größe zu erkennen. Mein kleiner Ärger gegen die Größe eines unvorstellbaren weiten Universums. Das rückt die Verhältnisse zurecht, zeigt aber auch die Kühle dieses Gedankens. Denn wer den kleinen Ärger mit der Größe des Universums vergleicht, der erkennt die richtigen Zahlen- und Größenverhältnisse. Und die Zahlenverhältnisse erzeugen eine ganz menschliche Demut.

Und damit bin ich wieder beim Danken. Denn aus der Ärgergeschichte läßt sich etwas für das Singen dieses Liedes lernen. Die Größe des Weltalls macht den Ärger klein – und gleichzeitig macht sie die Dankbarkeit groß.

Ich weiß nicht, welche Vorstellungen von der Schöpfung Paulus Stein und Paul Ernst Ruppel, die Liederdichter der drei Strophen bewegt haben, aber ich stelle mir vor, sie haben auch eine Karte des Kosmos zur Verfügung gehabt. Im Angesicht des Weltalls überwiegt das unermessliche Staunen. Dieses Staunen fließt in das Bild, daß das ganze Weltall, Sterne, Himmel, Planeten, Milchstraßen für Gott singen, ihm danken und ihn loben. Die Schöpfung verweist zurück auf ihren Schöpfer. Das Geschaffene verweist zurück auf den, der geschaffen hat und noch dabei ist zu schaffen. Das erinnert an das Lob Gottes in Psalm 104. Dort heißt es:
„HERR, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;
du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes, der du machst Winde zu deinen Boten und Feuerflammen zu deinen Dienern; der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden, daß es bleibt immer und ewiglich. Mit Fluten decktest du es wie mit einem Kleide, und die Wasser standen über den Bergen.“

Der Beter des Psalms läßt das Lob Gottes aus dem Staunen über die Schöpfung wachsen. Und das Danklied geht noch den einen Schritt weiter: Die Elemente der Schöpfung loben Gott selbst aus dem Staunen über die Welt heraus. Und wenn das dann mit dem Schwung und der Begeisterung des Gospelsongs gesungen wird, den der Komponist sich dafür als Vorbild nahm, dann spüren wir dieses Lob Gottes nicht nur im Hören, sondern dann bewegt das unsere Herzen. Und der Rhythmus der Melodie ergreift einen, ermuntert zum Mitmachen, Mitklatschen, Mitdanken.

Schweigen wäre undankbar, sagt das Lied: „Darum kannst auch du nicht schweigen vor dem Herrn der Herrlichkeit, deinen Dank ihm zu erzeigen, lobe Gott zu aller Zeit.“ Die Liederdichter, der Komponist, die Sängerinnen und Sänger, sie alle sind sich darin einig: Es geht gar nicht anders, ich muß es einfach sagen, es kommt aus tiefstem dankbarstem Herzen heraus. Es ist der Jubelruf des Dankes, das biblische Halleluja, das hier seine zeitgemäße Vertonung findet. Das ist das angemessene Lied für Erntedank.

Doch bei allem Jubel, bei aller Freude und Dankbarkeit: Was ist mit denen, die das nicht können? Was ist mit den warnenden, zweifelnden, traurigen Stimmen? Wir singen in diesem Gottesdienst ein Danklied für den Gott, der alles geschaffen hat. Darüber ist nicht zu vergessen: Alles hat seine Zeit, Trauer und Dankbarkeit. Der wunderschön gesungene Dank aus diesem Lied soll nicht alles zudecken. Niemand soll die Halleluja-Keule schwingen, auch nicht im Überschwang. Neben dem Dank hat auch die Klage, gerade die Klage vor Gott ihre Berechtigung.

Schwierig ist das für Menschen, die nur danken wollen oder nur klagen. In solcher Einseitigkeit geht die Welt nicht auf, wird Wirklichkeit nicht angemessen wahrgenommen. Wer dankt, muß sich bewußt sein, daß es Menschen gibt, die Grund zur Klage haben.

Gerade wenn wir die Früchte der Ernte auf dem Altar sehen, wird uns auch anderes bewußt als der Dank an Gott den Schöpfer. Die Früchte auf dem Altar lösen in Ihnen, liebe Gemeinde, vielleicht auch andere Bilder aus: die Auseinandersetzungen um gentechnisch veränderte Lebensmittel, die Bilder von Butter- und Getreidebergen und Milchseen, die auf Treckern protestierenden Bauern, die langsam tuckernd durch die Einkaufsstraßen fahren, das Unbehagen über die bürokratische Agrarpolitik der Europäischen Union. Im Moment streitet man heftig über die Subventionen für Zuckerrüben. Das könnte viele Bauern in Deutschland, die Zuckerrüben anbauen, ihre Existenz kosten.

Vieles andere wäre noch aufzuführen. Der goldgelbe Apfel auf dem Altar steht gegen das Bild vom Butterberg. Geht das zusammen: für den Apfel danken und über den Butterberg klagen?

Wer sich in den bedrängenden Bildern von Getreidebergen und Milchseen nicht verlieren will, der kann sich nicht einfach so zu den schönen Altarbildern flüchten. Wer danken will, muß beide Bilder aushalten. Um sie auszuhalten, führe ich am Ende fünf Punkte auf:

  1. Eine effiziente und gute Agrarpolitik, so kompliziert sie sein mag, ist zunächst und vor allem die Sache von beteiligten Bürgern, Bauern und Politikern und ihrer abwägenden Vernunft. Agrarpolitik verbessert sich durch nüchterne Erwägungen zur Nützlichkeit und durch die gutwillige Bereitschaft zu Kompromiß und Konsens. Und das hat mit Glauben insofern zu tun, als die Agrarpolitiker unser stellvertretenden Fürbitte bedürfen. Erntedank heißt auch: Wir beten für die Politiker und Verbandsvertreter in Brüssel und Berlin, die sich um Agrarpolitik kümmern.
  2. Agrarpolitik wird nicht an ihr vernünftiges Ziel gelangen, wenn im Hintergrund die Überzeugung steht, man habe es nur gefühllos mit „Sachen“ und „Zahlen“ zu tun, mit abstrakten Figuren, die jeden Bezug zur Wirklichkeit bäuerlichen und bürgerlichen Lebens verloren haben.
  3. Butter ist eben nicht nur ein Baustein für den Butterberg, sondern das Produkt einer langen und guten Kooperation zwischen Natur, Tier und Mensch. Das Gras, welches die Kuh frisst, die Milch, die die Kuh gibt, die Verarbeitung dieser Milch durch den Menschen, das alles zusammen ergibt erst das halbe Pfund Butter, das die Kunden im Supermarkt aus der Tiefkühltruhe nehmen und in den Einkaufswagen legen.
  4. Deswegen ist es so wichtig, sich mindestens an einem Tag im Jahr dessen bewußt zu werden und die Früchte der Ernte auf den Altar zu legen – um Dank zu sagen, Dank an die Menschen, die das Getreide angebaut und die Kühe ernährt und gepflegt haben, Dank an Gott, daß er dieses Wachstum mit seinem Segen begleitet hat.
  5. Dieser Dank geht ein in den großen, jubelnden Dank unseres Liedes. Nicht nur wir Menschen danken für die Ernte, nein, das Lied steigert die Dankbarkeit ins Unermessliche. Die ganze Schöpfung ist ein einziges Lob ihres Schöpfers, ist ein Zeichen der Dankbarkeit an den, der sie geschaffen hat.

„Erd und Himmel sollen singen vor dem Herrn der Herrlichkeit, alle Welt soll hell erklingen, loben Gott zu dieser Zeit. Halleluja, dienen ihm in Ewigkeit.“ In aller Überschwänglichkeit, mit der wir diese Verse singen – diese Dankbarkeit weiß auch vom Seufzen der Kreatur, wie das Paulus ausgedrückt hat. Wir erleben noch nicht, was einst sein wird. Die Dankbarkeit – jetzt schon, in aller Vorläufigkeit – ist ein Vorzeichen auf die Verheißung Gottes, die Welt und die Schöpfung zu erlösen. Jeder Stern am Abendhimmel, die im Abendrot untergehende Sonne, jeder Kartoffel und jeder Kürbis und jede Tomate auf dem Altar erinnern uns daran.

Amen.

Dr. Wolfgang Vögele
Goldaper Str.29
12249 Berlin
wolfgang.voegele@aktivanet.de

 


(zurück zum Seitenanfang)