Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 30. Oktober 2005
Predigt über Johannes 15, 18-21, verfasst von Petra Savvidis
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung: Der johanneische Dualismus des Textes kann nicht einfach ausgeblendet werden. Eine klare Gegenüberstellung hilft auch zur eigenen Positionsbestimmung. Allerdings kann eine Predigt auch nicht dabei stehen bleiben, sondern muss den starren Dualismus in ein bewegliches Spannungsverhältnis bringen. Kurz vor dem Reformationstag kommt darum Martin Luther zu Wort, der nicht trennt und nicht vermischt, aber in rechter Weise unterscheidet.

Johannes 15, 18-21 Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat.
Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb.
Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe,
darum hasst euch die Welt.
Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe:
Der Knecht ist nicht größer als sein Herr.
Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen;
haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.
Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens willen;
denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Nicht von dieser Welt

Liebe Gemeinde!
„Der ist ja nicht von dieser Welt.“ Das sagen wir manchmal.
Und meinen damit: „Der ist nicht alltagstauglich, der begreift nicht, wie es läuft,
nach welchen Regeln hier gespielt wird, wie es zugeht im wirklichen Leben“.
Wer „nicht von dieser Welt“ ist, der ist ein bisschen weltfremd, verträumt, versponnen, idealistisch. Solche Menschen werden gutmütig belächelt, ihre Ansichten werden geduldig angehört und dann mit netten Worten abgefangen
– bestenfalls, und das heißt, solange sie nicht stören.

Wenn solche weltfremden Menschen aber anfangen, sich einzumischen in die „normale“ Welt und dort ihre Ideen ernsthaft zu vertreten, dann wird es lästig.
Dann werden sie nicht mehr belächelt, sondern verspottet,
nicht mehr freundlich abgelehnt, sondern barsch zurückgewiesen.
Weltfremde Menschen können in der Welt bis zu einem gewissen Punkt mit Verständnis rechnen, sie werden aber lästig und sogar gefährlich, wenn sie weltliche Spielregeln in Frage stellen oder Gegenwelten bauen.

Abschied von der Welt

Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern. Ohne ihn müssen sie jetzt zurechtkommen.
Er kehrt zurück zu seinem Vater im Himmel.
„Er war in der Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht.“ Joh 1,10.
„Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Joh 1,11.
Jesus hat Ablehnung und Hass erfahren, weil die Menschen sein Evangelium von der Gnade und der Liebe Gottes nicht verstanden haben und nicht verstehen wollten.
Seine Botschaft widerspricht den weltlichen Spielregeln,
in seiner Welt zählen nicht Reichtum und Macht, sondern Großmut und Milde.
Jesus veränderte die Welt, die Sichtweisen, den Horizont, die Gebote,
nach denen Menschen leben.
Er kam in die Welt und wurde ein Teil von ihr, aber er blieb ein Welt-Fremder.

In seinen Abschiedsworten ruft er die Jünger in seine Nähe und betont die Verbindung,
die nicht abreißen wird: „Bleibt in meiner Liebe“ Joh 15,9
Er bereitet sie vor auf die Trennung: „Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe“.
Und er beschreibt ihnen, wie ihr Leben nach ihm in der Welt ohne ihn aussehen wird:
„Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen.“
In der Nachfolge Jesu werden sie die Ablehnung erfahren, die er erfahren hat,
sie werden den Hass spüren, den er zu spüren bekommen hat,
sie werden wie er in der Welt sein, aber zugleich nicht ganz von dieser Welt.
„Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.“

Christen in der Welt

Jesus macht seinen Jüngern nichts vor: Nachfolge ist mühsam,
Verfolgung und Feindschaft sind wahrscheinlich, Unverständnis und Misstrauen sind sicher.
Die Welt wollte ihn nicht und hat ihn ausgeliefert,
und die Welt wird auch seine Gemeinde nicht mögen.
Wenn sie in seiner Spur bleibt und sich nicht irre machen lässt,
wenn sie das Evangelium verkündigt,
wenn sie wie Jesus klare Worte findet und sich denen zuwendet, die an der Welt leiden.

An Jesus scheiden sich die Geister. Das war zu seinen Lebzeiten so, das ist bis heute so.
Zwischen der Gemeinde und der Welt klafft ein unversöhnlicher Gegensatz.
So hören wir es hier in diesem Text.
Jesus hat aber auch andere Worte gefunden.
Er hat davon geredet, dass die Christen ein wichtiger Teil dieser Welt sind,
nämlich das Salz der Erde, das Salz in der Suppe.
Oder auch: das Licht der Welt, Orientierung und Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten. Dass Gemeinde und Welt zusammengehören, weil sie aufeinander angewiesen sind,
auch das hat Jesus gepredigt. Aber:
immer hat er klar gemacht, dass die Menschen in seiner Nachfolge schwere Wege gehen, gegen den Strom schwimmen, unbequem sind oder sogar unangenehm auffallen.

Christen in der Welt sind anders: Irgendwie haben sie schon einen Fuß im Himmel,
sie sind nicht mehr ganz und gar dieser Welt und ihren Regeln und Geboten verhaftet und verpflichtet. Christenmenschen sind frei, viel freier, als Weltmenschen ihnen das manchmal zugestehen wollen.

Christen für die Welt

Martin Luther hat behauptet: „Ein Christ ist ein freier Mensch über alle Dinge und niemandem untertan, und zugleich ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Es bleibt immer wieder spannend, als Christ in der Welt seinen Ort und seine Aufgabe zu finden. Das kann kein unversöhnliches Gegeneinander sein, aber auch kein gemütlicher Schmusekurs.
Gerade in unserer Zeit, in der die Kirche neu Profil und Orientierung in der Gesellschaft sucht, kommt es auf die richtige Unterscheidung an.

Es bleibt eine Gratwanderung. Aber gerade heute werden das Zeugnis und der Dienst von Christen gebraucht. In der Welt und für die Welt. In einer heilsamen Distanz, die die Freiheit und die Unabhängigkeit bewahrt. Das richtige Maß der Distanz zu finden, ist schwierig, aber notwendig. Nur so werden wir als Gemeinde Christi seinem Ruf gerecht. Unbestechlich, frei, nicht ganz von dieser Welt, ein bisschen welt-fremd, aber durch und durch zu Christus gehörig.

Martin Luther hat das auf den Punkt gebracht und gesagt, „dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe … Sieh, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde.“ (Freiheit eines Christenmenschen, 30)
Amen.

Pfarrerin Dr. Petra Savvidis
59514 Welver-Schwefe
savvidisp@hotmail.com


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