Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 26. Juni 2005
Predigt über Johannes 1, 35-42, verfasst von Joachim Goeze
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Exegetische und homiletische Entscheidungen

In dieser Berufungs-und Begegnungsgeschichte mit Jesus vom v.35 bis Ende des Kap.1 werden drei Namen Jesu genannt, drei Jünger finden zu ihrem (neuen) Meister, (verlassen Johannes) und folgen Jesus, indem sie in einem Dreischritt sehend werden durch Suchen, Fragen und Mitgehen: Diese drei Dreischritte geschehen in der 10. Stunde, der Stunde der Vollkommenheit: Die vollendete Komposition eines Stückchens Weltliteratur. Die Trilogie der Namen kann auch im Sinne einer Trinitätslehre gedeutet werden: Der Messias führt die Aufgabe des Vaters fort, bis wieder alle `eins in Gott´ sind; das Lamm Gottes führt das Versöhnungswerk des Sohnes durch, indem es Mensch und Gott wieder vereint durch seinen Opfertod, und der Rabbi endlich erinnert an die Aufgabe des Heiligen Geistes, durch Kommunikation zu Gott zu führen.

Wichtig für den heutigen Hörer dieser Jesus-Titel ist m.E., deren Fremdheit und Degeneration zu beachten. Gottes Lamm wird mit Unschuld, Ergebenheit, Sanftmut und Leiden in Verbindung gebracht. Auch „lammfromm“ betont das Gegenteil dessen, was das Werk Jesu und die Nachfolge dieses Gotteslammes beinhaltet, nämlich Härte, Durchhaltefähigkeit und Enttäuschungsfestigkeit bei der Suche nach Gott. Allenfalls das die Siegesfahne schwenkende barocke Lamm erinnert an den Durchhaltewillen Christi und seinen Sieg am Kreuz, in dessen Zeichen Christen die Leiden und Freuden ihres Lebens in der Nachfolge ihres Herrn bewältigen lernen. Aber mehr als kunsthistorische Bekanntheit meine ich nicht voraussetzen zu können. Die Visionen der Offenbarung vom Lamm, das als Leittier fungiert und einzig die sieben Siegel der Geheimnisse Gottes brechen kann, ist nach meiner Einschätzung dem heutigen Hörer ebenfalls nahezu unbekannt. Im Sinne der Rabbinischen Lehraufgabe meine ich jedoch, dass wir inhaltlich theologisch auf dieses wichtige Symbol nicht verzichten können: Belegt es doch den Versöhnungs- und Gerechtigkeitswillen Gottes. Eindrucksvoll bekannt scheint das Agnus Dei nur Insidern der Kirchenmusik zu sein.

Weil die Christus-Titel wenig gefragte Werte in unserer Konkurrenz- und Wegwerfgesellschaft konnotieren, will ich die Predigt auf sie focussieren, ebenso wenig wie ich auf die klar beschriebenen Schritte der Nachfolge: Suchen, Fragen, Mitgehen („Komm und sieh“) nicht verzichten will. Sie sind es wert, in unserem unzufriedenen und festgefahrenen Deutschland gepredigt zu werden.

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder in Christus! „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ sagt Martin Buber, der große Religionsphilosoph. Von einer lebensentscheidenden Begegnung hören wir heute in unserem Predigttext. Textverlesung

Vor zwei Tagen war das Fest Johannes des Täufers. Er trägt seinen Namen, weil er Jesus getauft hat. Dadurch wurde Jesus Gottes Kind und uns gleichgestellt. Zwei Jünger, also Gesinnungsfreunde des Johannes, erleben, wie ihr Meister auf Jesus zeigt und – zweimal – und in einer scheinbar alltäglichen Unterhaltung ausruft: „Das ist Gottes Lamm“. Es entspinnt sich ein Dialog, Jesus fragt selber mit einem Gefolgsmann an seiner Seite die beiden anderen: „Was sucht ihr?“ – Da mischt sich Petrus ein und sagt: „Das ist der Messias“. Und wie wenn nun alle drei verstanden hätten, was diese uns so fernen Worte bedeuten, reden sie Jesus an wie Schüler ihren Meister, mit „Rabbi“, was wörtlich übersetzt „mein Lehrer“ heißt. Sie fragen Jesus: „Wo bist du zu Hause?“ Und Jesus antwortet mit einer Einladung: „Kommt und seht.“

So kurz die unscheinbare Geschichte, so ungeheuer inhaltsreich die mit ihr angesprochenen Symbole der Wege zu Gott, die auf die im Text gestellte Frage antworten: Was sucht Ihr?
Drei Titel, die von drei Leuten auf Jesus bezogen werden: Lamm Gottes, Messias,
Rabbi. Drei Weisen, wie Gott erkannt werden kann: Suchen,fragen,aufbrechen.

Gott suchen und finden wollen, die immer aktuelle Frage jedes Menschen auf der Suche nach dem Sinn seines und ihres Lebens. Und darum auch heute mit Recht unsere Frage, die es wert ist, in einer Predigt bedacht und ausgelegt zu werden.
Zuerst also zu den Namen Jesu, dann zu den Schritten, Gott zu erkennen.

Drei Menschen weisen mit drei verschiedenen Symbolen auf den Vertreter Gottes hin. Die Verschiedenartigkeit der Christustitel vereinigen sich in einer Symphonie der Erkenntnis. So verschieden die Menschen sind, die auf Jesus hinweisen, so unterschiedlich ist auch ihre Wahrnehmung, ihre Hoffnung, ein Fundament ihres Lebens gefunden zu haben. In dem vielstimmigen Konzert der Wahrheitsanpreiser ist dies eine leise Szene. Kein Anspruch auf die Wahrheit, sondern eine vorläufige Antwort auf dem gemeinsamen Weg der Suche nach dem, was uns unbedingt angeht. Wieder einmal der Ort, daraufhin zu weisen, dass es auch Johannes war und kein noch so kompetenter Religionskritiker wie Ludwig Feuerbach und kein Karl Marx, sondern die Bibel selbst es uns sagt: „Niemand hat Gott je gesehen, aber der eingeborene Sohn hat ihn uns verkündigt.“Dies ist der unmittelbare Zusammenhang unseres Textes (Joh.1,18). Menschen, die auf Jesus weisen, werden in ihrer vorläufigen Antwort auf die Suche nach Lebenserfüllung zu einer Gemeinschaft der Suchenden, derer, die mit verschiedenen Antworten dennoch gemeinsam auf Jesus sehen und aufgebrochen sind. Darum diese leise Szene und doch eine Symphonie der Erfahrung von Weite und Größe Gottes, ein Wegweiser, der zugleich darauf hinweist, dass wir Gott durch Mensch und Mitmensch und in uns selbst Erkennen lernen müssen, können, dürfen. Darum die immer neue und erste Erkenntnis, die uns dieser schlichte Textabschnitt, der doch so wohl durchdacht ist, als eine Begegnungsgeschichte vermittelt. Wo wir suchen, hat Gott uns schon eingeladen, unseren Weg zu gehen und sehen zu lernen. Weil das Buch der Erfahrung mit Gott, weil die Bibel, davon spricht, bleibt es im Konzert der Wahrheitsanbieter wichtig: Wir können und sollen nicht auf das biblische Vokabular verzichten, auch wenn es tausend Versuche gibt, deren Bedeutung zu verändern oder den Menschen, die sich an Gott orientieren, Worte und Symbole wegzunehmen. Das fromme Unschuldslamm zum Beispiel, das die kirchliche Tradition sogar selbst hervorgebracht hat, muss eben vom Schutt der Frömmigkeitstradition befreit und in der Lebensbedeutung einer Nachfolge Jesu immer neu verortet werden. Für unsere pastorale Szene darf der biblische Zusammenhang nicht vernachlässigt werden. Das ist die harte Realität eines heimatlosen Propheten, der, weil er die Wahrheit sagt,zu Tode gebracht wird. Das ist der Ernst der Nachfolge, einem solchen Mann eigenständig zu folgen und meine eigenen Worte und Ausdruck für meinen Lebensweg zu finden. „Ich sende euch“ - lässt die Bibel an anderer Stelle Jesus sagen – „wie Schafe unter die Wölfe“. Sind Christen wirklich heute in andrer Lage?

Ich jedenfalls fühle mich in diesem unseren Lande als einer, der sich unter Schwächen bemüht sich an den lebenserhaltenden Werten der Wahrheit, der Achtsamkeit und der nachgehenden Sorge um seine Mitmenschen zu beteiligen. Aber ich komme mir eben als „dummes Schaf“ vor. Das Buch von U.Wickert mit dem zutreffenden Titel :“Der Ehrliche ist der Dumme“ zeigt genügend Beispiele. Und dazu kommen dann noch die Kommentare auch lieber Zeitgenossen, ja du machst Dich ja selbst unglücklich, wenn Du Dich d a r ü b e r noch aufregst.

Ja, ich rege mich darüber auf. Ich ärgere mich über die Kürzungen bei den Kleinen und die Sonderboni für die Großen in unsern angeblich so geldknappen Zeiten. Ja, ich finde Fragen nach der Diesseitigkeit christlicher Hoffnungen nicht überflüssig und ich finde die Maßstäbe, nach denen unsere junge Generation im Augenblick politisch behandelt wird, vor allem wegen des Mangels an Ausbildung ungerecht. Und finde es als Schlag ins Gesicht der christlichen Anschauung von der Taufe, die uns alle zu Kindern Gottes macht, wenn nur der Missbrauch der sozialen Hängematte diskutiert, nicht aber die Probleme einer Gesellschaft ohne Arbeit angegangen werden. Da braucht es schon einen starken Impuls, den sozialen Frieden in dieser Gesellschaft, den Schalom des Messias, dennoch zu erhoffen. Der Weg der Gewaltlosigkeit durch Überzeugung und Beispiel und nicht durch Ellenbogenbenutzung scheint hoffnungslos zu sein in einer Gesellschaft, deren Motto zu lautet: ich geniesse, also bin ich.

Ich bestehe darauf, es muss im Leben mehr als alles geben. Christliche Hoffnung auf einen Sinn unseres Lebens bleibt bestehen, wenn wir an den Hoffnungen des Messias, des Hoffnungsträgers Gottes, festhalten. So sicher Gerechtigkeit, auch soziale, ein Annäherungswert bleibt, so sicher macht es Sinn, sich in dieser Arbeit einzusetzen. Und dazu bedarf es eben auch der Anerkennung von Werten, wie sie Jesus, der Lehrer gelebt hat. Da finden wir dann in aller Gebrochenheit doch ein Stück Himmel auf dieser armen Erde, denn Gott geschieht, wo immer er gesucht und gelebt wird.

Das eigentliche Hindernis ,Gott zu finden, ist doch unsere Angst, aufzubrechen.
Darum vermittelt der dritte Titel Jesu Rabbi ,Meister,Lehrer, zugleich auch Masstäbe. Das Meister-Schüler-Verhältnis nimmt Maß zu einer Nachfolge aus Einsicht, nicht aus Bevormundung: Komm und sieh, bis Du lernst, bei Dir selbst zu Hause zu sein. Dann wird es Dir auch nichts ausmachen, zu entdecken, dass gerade er ein Meister ist, der anders als Fuchs und Vogel keine Höhle und kein Nest haben muss, um zu Hause zu sein. Hat der In-sich-Ruhende doch begriffen, wenn alle Welt Gott gehört, wie kann ich dann nicht in ihr zu Hause sein, wenn ich zu Gott gehöre. Diese Weltsicht schafft dann keine abgeschlossenen Besitzgemeinschaften sondern die des gemeinsamen Suchens, wo man sich wieder erkennt als Geschwister; wie der Andreas unserer Begegnungsgeschichte seinen leiblichen Bruder Petrus wiederfindet auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Dann reicht es, sich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens gegenseitig daran zu erkennen, dass alle Dinge in der Liebe Gottes geschehen sollen. Dann ist es in der Gemeinschaft der Suchenden selbstverständlich, dass jede und jeder in seiner Lebenserfahrung ihre und seine Erfahrung mit Gott mit unterschiedlichen Worten und Begriffen bezeichnen darf und dass doch alle in der Orientierung auf den grossen Hinweiser zu Gott, das Lamm, den Messias, den Hoffnungsträger und den grossen Lehrer, den Rabbi, vereint sind.

Diese gesammelten Erkenntnisse aus unserer pastoralen Begegnungsszene mit den Jüngern, den folgebereiten Freunden Jesu, sind für uns insofern von Bedeutung, dass sie eben auf eine grosse Notwendigkeit hinweisen: aufzubrechen nämlich aus den steinern gewordenen Häusern unserer Angst, den Gefängnissen unser Lebensgier. Aufzubrechen und zu suchen, zu fragen und zu kommen, wenn wir eingeladen werden. Und wie dieser Dreischritt geschieht, so äusserlich unbedeutend, in einer Geschichte der Begegnung mit unsern Mitmenschen, durch das Verlassen des Alten, wie aus dem Lehrhaus des Johannes, so wichtig ist doch das Verlassen unserer Vorstellung von Gott als dem Erhabenen, der hinter den Sternen wohnt. Christen suchen nach dem Gott der Mitmenschlichkeit, gehören zu denen, wie es die Braunschweiger Zeitung verächtlich über den evangelischen Kirchentag in Hannover schrieb, „die sich um den sozialen Kitt in der Gesellschaft bemühen“.

Gott begegnet uns eben auch anders, als wir es uns vorzustellen belieben. Und wer sagt denn nicht, dass vielleicht eine Zeit kommt, in der noch ernster der Weg des Lammes uns dazu bringen wird, die historischen Gotteshäuser den Kunstliebhabern überlassen zu müssen, damit wir die Persongemeinschaft der Gottsuchenden nicht verfehlen?

Mich jedenfalls macht diese Beschreibung von Nachfolgerschritten, suchen, fragen, kommen, um zu sehen sehr nachdenklich. Gemessen an diesen Schritten erscheint mir gut evangelisch vieles an unserer kirchlichen Praxis verbesserungs-oder theologisch gesprochen reformationsbedürftig zu sein. Allein schon die geistliche Ausrüstung unserer Geistlichen und die der unstudierten Christinnen und Christen, die unendlich variierten Defizite der heute spirituell genannten Fähigkeiten, in eigener Person Hinweiser auf Jesus zu sein, in dem wir Gott suchen und erfahren können. Die auch ökumenisch gesehen einmalige Belastung unserer Gemeindeleiter mit Geschäftsführertätigkeiten verstärken meine Suche nach einladender Autorität, nach gutem Gewissen, wirklich vor Ort ein `Komm und sieh!´ aussprechen zu können, weil wir gemeinsam unterwegs sind nach dem Zuhause Gottes.

Darum lehrt mich diese Begegnungsgeschichte nicht nur mehr Achtung vor den Erfahrungen der GottSuchenden. Sie lehrt mich auch, die Vielstimmigkeit und die Unfertigkeit unserer Antworten auf die Frage nach Gott und dem Sinn unseres Lebens ernst zu nehmen. Sie lehrt mich drittens mitten im Alltag, wie ihn unsere Bibelgeschichte zeigt, die Möglichkeit zu verfolgen, durch Menschen zu Gotteserkenntnis geführt zu werden, die allein die Erfahrung des gemeinsamen Suchens verbindet. Die grossen Worte Lamm Gottes,Messias,Rabbi sind starke Hinweise darauf, dass sich ein Gottfinden nicht durch Haben und Verbrauchen, sondern durch ein Aufbrechen und Auf-den-Weg-Machen erfüllen wird. Der eigentliche Schritt aus dem Tal der Unzufriedenheit in Deutschland besteht ja auch meiner Erfahrung nach nicht im Reden, sondern - um es wieder einmal mit Bonhoeffer zu sagen - durch die Tat: “Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.“

Geht uns das Lamm Gottes voran, begleitet uns die Hoffnung auf den Vollender der Gottesherrschaft und lehrt uns die verzeihende Liebe des Rabbi Jesus miteinander zu sein, so werden wir schon den Sinn unseres Lebens entdecken. Dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut, und durch ihn lernen wir, ihm bei uns zu Haus zu begegnen .Amen.

Dr. Joachim Goeze
Am Schiffhorn 10
38124 Braunschweig
joachim.goeze@web.de


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