Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Rogate, 1. Mai 2005
Predigt über Lukas 11, 5-13, verfasst von Martin Müller
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ziemlich unbeholfen sitze ich vor meinem Computer und weiss beim besten Willen nicht mehr weiter. Die CD-ROM mit dem Virenschutz gegen lästige Störungen hab ich mir gekauft. Jetzt bin ich dabei, das Programm auf meinen Rechner zu installieren. Aber keiner sagt mir, wie es funktioniert. Der Verkäufer hat mir erklärt, das geht wie von selber. Tut es aber nicht - und als Amateur stoße ich bald an meine Grenzen.
Da entdecke ich am Monitor eine Telephonnummer, die man in Problemfällen anrufen kann – rund um die Uhr.
Ich schöpfe Hoffnung. Eine Dreiviertelstunde sitze ich schon vor dem „Segen der Menschenheit“, PC genannt. Da kommt es auf ein paar Minuten auf oder ab auch nicht mehr an, denke ich. Ich wähle die 12 oder 14 Zahlen und warte. Keine Stimme, ein Tonband mit Digitalklang meldet sich. Eine Minute Werbung muss ich mir anhören. Dann geht das Tonband weiter: Wenn ich Information über das Produktangebot suche, sollte ich die 1 dazuwählen. Wenn ich eine Bestellung aufgeben möchte, die 2. Wenn ich Gebrauchsanweisungen benötige, die 3. Ich wähle die 3 und warte. Wieder ein Tonband mit vorgefertigtem Text, mein Problem ist nicht dabei. Am Ende springt der Text wieder an den Anfang, und ich bin so klug als wie zuvor. Allein mit meinem kleinen Problem und mit meinem großen Ärger, weil ich mein Anliegen nicht mal anbringen konnte.

Eine kleine Szene aus dem Alltag. Kein großes Problem, aber ein Beispiel für die Erfahrung, die Menschen heute wie damals haben können - hilflos, wohin kann ich mich wenden? Werde ich gehört oder wahrgenommen, oder renne ich gegen unsichtbare Mauern?
Und vielleicht werden diese Erfahrungen der Ohnmacht in unserer technisierten und unpersönlichen Welt umso spürbarer und bedrängender. Nicht nur für ältere oder arme und ausgegrenzte Menschen.

Im Evangelium beschreibt Jesus die Erfahrung derer, die im Gebet Hilfe suchen:
Du redest mit Gott , wie mit einem Freund. Da ist ein Gegenüber, das dich nicht allein lässt. Du bist in Bedrängnis, aber du weißt, dass dein Freund dich nicht im Stich lässt. Du klopfst an und kannst sagen, was du brauchst. Deine Worte gehen nicht ins Leere. Nicht ohnmächtig, sondern hoffnungsvoll kannst du sein, selbst dann, wenn du in Schwierigkeiten bist.

Im Jesusgleichnis vom bittenden Freund geht es nicht um ein kleines Problem des Alltags. Denn die Armen, zu denen Jesus gepredigt hat und aus deren Lebenswelt er immer wieder Beispiele erzählt, leben zwischen Sein und Nichtsein. Da ist ein Stück Brot lebenswichtig, auch das Brot für den Gast, der einkehrt.
Für sie geht es oft genug um existentielle Nöte, wenn sie fragen: Wer ist der Anwalt, der uns zur Seite steht?
Gibt es Hoffnung in Leid und Unterdrückung?
Oder sind wir ausgeliefert einer lebensfeindlichen, unpersönlichen Bürokratie?

Wenn Jesus den Menschen seiner Zeit das Beten lehrt und dieses Gleichnis aus der Lebenswelt der Armen verwendet, bringt er zum Ausdruck:
Gott steht auf eurer Seite. Im Gebet könnt ihr eurer Hoffnung Worte geben.
Mag sein, dass menschliche Freunde sich zieren, aber Gott ist ein Helfer in aller Not. Er wird niemanden abweisen.
Lasst eure Hoffnung nicht sterben, denn Gott ist ein Freund derer, die Hilfe suchen.

Nun weiss jeder, der betet, dass nicht jeder Wunsch in Erfüllung geht.
Manche erfahren es leidvoll, dass Kranke nicht immer geheilt werden, oder dass manche Wege versperrt bleiben, selbst wenn man sie sich noch so sehr wünscht und erbittet.
Das kann einen in eine Glaubenskrise führen.
Und doch steht da die Verheissung Jesu, dass das Gebet gehört wird.
Vielleicht kommt nicht immer genau die Hilfe, die ich erwartet habe. Nicht der Wunsch wird erfüllt, den ich mir ganz konkret vor Augen gemalt habe.
Aber manchmal beweist sich grade darin das bekannte Bonhoeffer-Wort, dass Gott nicht all unsere Wünsche erfüllt, aber alle seine Verheissungen. Und dass ich mitten im Leid durch das Gebet auf besondere Weise geführt und begleitet bin. Dass ich ungeahnt Segen erfahre und so zu einer Praxis der Hoffnung finde, die meinem Leben eine neue Qualität und Tiefe schenkt.

Lindolfo Weingärtner beschreibt diese Praxis der Hoffnung in einem schönen Bild: er beobachtet einen alter Fischer, der im Boot der Lagune steht und unermüdlich sein Wurfnetz auswirft.
Immer wieder fällt das Netz ins Wasser, bis der bleischwere Rand den Boden berührt.
Oft genug bleibt das Netz leer. Er schüttelt es aus, entfernt den Unrat und bereitet den nächsten Wurf vor. Zwanzigmal, fünfzigmal, hundertmal – bis er endlich in seiner Arbeit belohnt wird.
Der alte Fischer weiss: es gibt Tage, da muss man das Netz öfter auswerfen, weil es einfach nötig ist – als Einübung in die Praxis der Hoffnung. Weil nicht werfen aufgeben hieße – und aufgeben hieße aufhören zu leben.
„Geduld ist die Kunst des Hoffens“ heisst es bei Friedrich Schleiermacher. Und das Gebet ist ein heilsames Übungsfeld für diese „Kunst des Hoffens“.

Wenn Jesus seine Jünger das Beten lehrt, ihnen zuerst das Vaterunser und dann das Gleichnis vom bittenden Freund erzählt, dann trainiert er ihnen keine Technik des Betens an.
Sondern zuallererst macht er ihnen Mut zu beten und Mut zum Hoffen, indem er ihnen von Gott als einem Vater und Freund erzählt.
Kein unpersönliches Schicksal, keine geheimnisvolle Aura, der wir uns im Gebet nähern. Sondern der himmlische Vater, der unser Schöpfer ist, der uns mit Namen kennt und zu dem wir liebevoll „Abba“, lieber Vater sagen dürfen.

Aus der Gebetspraxis Jesu wissen wir natürlich auch, dass Stille und Abschiedenheit das Gebet fördern können. Dass es wichtig ist, sich Zeiten der Stille zu reservieren, damit aus dem Reden ein Hören werden kann.
Das Laute und Umtriebige greift ja ganz imperialistisch nach dem ganzen Menschen und lässt ihn nicht mehr los. Wo gibt es heute noch Ort der Stille, die ungestört bleiben vom Geklingel eines Handy’s oder Gepiepse irgendeiner Maschine oder eines Terminplaners?
Da ist es auch wichtig, sich Orte der Stille zu reservieren und Rituale des Gebets zu suchen oder sich an guten Traditionen anzulehnen, damit das Gebet ein Zuhause findet.
Aber Technik ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass Gott wie der liebende Vater und der gute Freund ist, ein persönliches Gegenüber, der wahrnimmt, hört, redet, berührt, aufrichtet, ermahnt und ermutigt.

In den vielen Erfahrungen der Ohnmacht, der kafkaesken Hilflosigkeit also ein befreiendes Gleichnis Jesu vom Gebet:
Du kannst dein Herz ausschütten, deinen Schmerz in Worte fassen. Du kannst deine Freude an den Himmel werfen. Du kannst danken und loben oder weinen und klagen – eines ist sicher: es gibt ein Gegenüber, das dir die Tür auftut. Du wirst wahrgenommen und gehört. Und dein Bitten geht nicht ins Leere. Denn Gott, der himmlische Vater ist es, der dir begegnet und die führt.

Martin Müller
Waiern
pfarre.waiern@utanet.at


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