Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 27. März 2005
Predigt über Matthäus 28, 1-10, verfasst von Matthias Rein
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Liebe Gemeinde!

wie kommen Menschen von der Trauer über einen Verstorbenen
zur Freude über einen Auferstandenen?

Das ist eine einfache Frage.
Die Antwort darauf ist nicht so einfach.

Denn es geht hier nicht um eine abstrakte, theoretische Frage.
Es geht um Lebenserfahrung, es geht um die Sicht auf die Welt.
Und es geht um uns.
Die Frage heißt ja für uns: Wie kommen wir, wie komme ich von der traurigen Gewissheit, dass in dieser Welt der Tod regiert, zu dem frohmachenden Wissen, dass Gott, der Schöpfer der Welt, den Tod besiegt?

Um Antwort auf diese Frage zu bekommen, hören wir auf eine Geschichte, auf einen Bericht aus dem Matthäusevangelium.
Wir heften uns an die Versen der beiden Frauen und versuchen mit ihren Augen wahrzunehmen, was geschehen ist.
Sie, die Frauen, erleben genau dies: Sie kommen als Trauernde und sie gehen voller Freude, sie eilen, sie rennen, um zu erzählen.

Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef haben alles mit eigenen Augen gesehen:
Sie standen auf dem Berg und sahen, wie Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, wie er verhöhnt wurde, wie er laut kagte, Gott habe ihn verlassen, wie er starb am Kreuz.
Sie haben gesehen, wie Wachen aufgestellt wurden am Kreuz, damit keiner dem Toten zu nahe kam.
Sie waren Zeugen, als Josef von Arimathäa kam, den Leichnam nahm und in sein eigenes Grab trug.
Sie sahen, wie das Grab mit dem großen Stein verschlossen wurde.
Sie saßen dem Grab gegenüber und sahen zu.
Sie sind Augenzeugen dessen, was geschah.

Und nun, nach drei Tagen, nach dem Fest, kommen sie wieder.
Sie wollen das Grab sehen. Sie wollen sich vergewissern, ob das alles wirklich wahr ist. Und sie wollen trauern, allein und ungestört.
Aber sie sind nicht allein am Grab. Soldaten sind da, sie stören die Ruhe am Grab. Sie bewachen das Grab – was für ein Unsinn, brauchen Tote Bewachung?
Die Hohenpriester wollen einen Grabraub verhindern.
Könnte ja sein, dass die Jünger den Leichnam ihres Herrn stehlen und dann behaupten, er sei auferstanden. Könnte ja sein.

Eine merkwürdige Gesellschaft hat sich da eingefunden: die trauernden Frauen, zutiefst bewegt, und die Soldaten, die das alles überhaupt nichts angeht, die dienstlich sicherstellen, daß nichts passiert.

Und dann passiert etwas.
Die Erde bebt, Licht scheint grell auf, der Engel des Herrn steht da, er wälzt den Stein vom Grab und setzt sich drauf. Er thront geradezu auf dem Grab.
Die Soldaten sehen alles. Sie sind zu Tode entsetzt. Und sie fallen alle um, wohl ohnmächtig. Sie sind wie tot, so beschreibt es Matthäus.
Gott wirkt und die Amtsgewalt wird ausgeschaltet. Denn nun gibt es keine unabhängigen Zeugen mehr, keine amtlich beglaubigten gewissermaßen.
Gott wirkt, und die amtlichen Festeller begreifen nichts mehr.
Heißt das, das wir das wirkliche Wesentliche, das Wirken Gottes in der Welt, eben nicht als unbeteiligte Zuschauer wahrnehmen können?

Der Engel spricht nun zu den Frauen. Auch sie sind erschrocken, aber sie fallen nicht um.
Fürchtet euch nicht, so sein erstes Wort, und für solchen Zuspruch gibt es nun allen Grund, denn wo Gott auftritt, da ergreift uns Menschen Furcht und Zittern.
„Ihr sucht den Gekreuzigten, aber er ist nicht hier, er ist auferstanden, so wie er gesagt hat.“
So seine Botschaft. Aber das ist ja nun alles völlig unmöglich.
Der Engel weist in das Grab: „Seht, seht mit euren eigenen Augen! Das Grab ist leer. Da hat er gelegen.“ Die Frauen sollen in das Grab hineingehen und sich selbst überzeugen.

Und dann schickt der Engel sie zu den Jüngern.
„Geht schnell zu ihnen, sagt ihnen, dass Jesus von den Toten auferweckt wurde. Sagt ihnen, dass er schon unterwegs ist nach Galiläa, da sollen sie hingehen, dort werden auch sie ihn mit eigenen Augen sehen.“

Das Grab ist leer, so sehen die Frauen mit eigenen Augen.
Aber wie kommt es, dass das Grab leer ist?

Hier gibt es in dem Bericht des Matthäus ein Lücke.
Matthäus erzählt nicht, was in den drei Tagen zwischen Jesu Grablegung und dem Auftreten des Engels am leeren Grab geschah.
Auch die anderen Evangelisten sagen dazu nichts.

Uns begegnet eine Lücke, eine Leerstelle, ein Loch.
Dieses Loch hat es in sich, denn hier wird die Welt durchbrochen, die wir kennen, die sich millionenfach in menschlicher Erfahrung bestätigt, die wir mit den Augen unbestechlicher Zeugen wahrnehmen können.

Auf diese Leerstelle weist das leere Grab hin.
Aber es weist nur hin, es liefert keinen Beweis dafür, was geschehen ist.
Die Vorgesetzten der Soldaten finden später ihre Erklärung für das leere Grab: Die Wache ist eingeschlafen. Anhänger Jesu kamen in der Nacht und haben den Leichnam gestohlen.
Andere melden bis heute grundsätzliche Zweifel an: War Jesus überhaupt dort begraben? Haben sich die Frauen und die Anhänger Jesu das alles nur eingebildet? Sie standen noch unter dem Eindruck der Ereignisse.

Die Erklärung des Evangelisten ist folgende:
Gott ist hier am Werk, das kann man nicht übersehen, wie man auch ein Erdbeben oder einen Blitz am Himmel nicht übersehen kann.
Gott hat den Gekreuzigten zu neuem Leben erweckt.
Ich, Matthäus, der Evangelist, weiß nicht, wie Gott das gemacht hat. Deshalb erzähle ich es nicht. Aber ich erzähle davon, wie dieser Auferstandene Menschen begegnet ist.

Und so setzt Matthäus seinen Bericht fort:
Die Frauen hören, was der Engel sagt.
Und sie laufen los, weg von dem Grab, weg von den toten Wächtern, weg von diesem sonderbaren Ort.
Sie fürchten sich – aber sie sind auch voller Freude.
Sie machen sich auf den Weg zu den Jüngern in großer Eile. Sie wollen ihnen erzählen, was sie mit eigenen Augen gesehen haben. Und sie wollen den Jüngern davon berichten, was ihnen der Engel gesagt hat.

Auf diesem Weg erleben sie eine weitere erstaunliche Begegnung.
Der Auferstandene selbst begegnet ihnen.
Er spricht sie an, er grüßt sie.
Sie sehen ihn, sie erkennen ihn, ja, das ist er, der, den die Römer ans Kreuz geschlagen haben.
Sie fallen auf die Knie, überwältigt, und geben ihrer Verehrung Ausdruck.
Der Auferstandene spricht mit ihnen:
„Fürchtet euch nicht!
Lauft zu meinen Brüdern, zu den Jüngern.
Erzählt ihnen alles!
Sagt ihnen, sie sollen nach Galiläa gehen.
Dort werden auch sie mich sehen.“
Er wiederholt und er bekräftigt, was der Engel ihnen gesagt hat.

Damit endet der Bericht des Matthäus.
Was hat er uns mitgeteilt?

Es gab unabhängige Zeugen, dort am Grab, die haben auch etwas erlebt, aber das eigentlich wichtige Geschehen konnten sie nicht beobachten. Gott wirkt, es ist sichtbar und doch kann es nicht alle Welt sehen. Nur die Frauen nehmen das Eigentliche wahr.

Wie es bei Jesu Auferstehung zuging, erfahren wir nicht.
Leider, viele sind sehr neugierig, dies zu erfahren. Aber dies bleibt Gottes Geheimnis.

Ein leeres Grab an sich ist kein Beweis. Es weist auf ein Geschehen hin, aber für ein leeres Grab kann es viele Gründe geben.

Entscheidend ist, dass sich der Auferstandene Menschen zeigt. Nicht der ganzen Welt, hier nur zwei Frauen, aber das reicht. Diese Frauen erkennen ihn, hören ihn, sehen ihn mit eigenen Augen. Und dann ist er wieder weg.
Die Frauen aber sind wie verwandelt. Kein Gedanke mehr an Trauer, ist ja auch gar nicht nötig. Sie freuen sich, dass der Gekreuzigte lebt, anders als Menschen leben, aber doch höchst präsent und gegenwärtig.

Der Auferstandene begegnet Menschen. Davon erzählen uns die Evangelisten in verschiedenen Geschichten. Und davon haben wir einen Augenzeugenbericht im Originalton. Paulus berichtet von dieser Begegnung. Und wohlgemerkt: Paulus war bis zu dieser Begegnung ein aktiver Gegner Jesu und Verfolger seiner Anhänger. Er wird in dieser Begegnung umgekrempelt.

Aber wie ist das mit der Auferstehung selbst?
Ist das glaubwürdig? Wie sollen wir uns das vorstellen?

Von der Auferstehung erzählen heißt von einem Loch in der Welt erzählen.
Hier passiert etwas, was über unsere Welt hinaus geht.
Wir können nur bis zum Tod sehen und denken. Wir wissen nicht einmal, wie es ist, tot zu sein, auch wenn wir wissen,dass es den Tod gibt.
Das jemand von den Toten aufersteht, heißt: es gibt wenigsten an dieser Stelle mehr als den Tod, es gibt etwas, jemand, der über den Tod hinaus geht.

Wenn wir begreifen wollen, was die Auferstehung eines Menschen, der tot war, bedeutet, dann müssen wir Gott ins Spiel bringen. Von der Auferstehung erzählen heißt, von Gott erzählen.
Gott wirkt, Gott steht hinter dem, was da geschehen ist.
Er schafft neues Leben. Er schafft neues Leben für einen Menschen, der tot ist.
Gott ist hier als Schöpfer am Werk wie am Anfang der Welt. Und dieses Schöpfungswerk ist für uns allemal Grund zur Freude, denn es schafft uns neues Leben.

Dies haben die Frauen wahrgenommen, als sie Jesus begegneten. Und die Jünger werden es später auch wahrnehmen in Galiläa auf dem Berg. Sie begegnen dem Auferstandenen.
Ich kann die Freude der Frauen verstehen, liebe Gemeinde.

Nun fragen wir, wie dies für uns heute sichtbar, erlebbar, erfahrbar wird.
Sollen wir acuh heute auf die Begegnung mit dem Auferstandenen hoffen?

Ich möchte Ihnen von einem Erlebnis erzählen, das ich vor kurzem hatte, dass mich sehr bewegt und bei dem auch ein Loch, eine unvermutete Tür eine Rolle spielt.
Vor einigen Tagen besuchte ich mit einigen Seelsorgern eine große Palliativ-Station in einem Münchener Krankenhaus. Der Leitende Arzt empfing uns und erzählte eindrücklich von seiner Arbeit auf dieser Station. Unheilbar Kranke kommen dorthin, oft mit großen Schmerzen. Unsere Aufgabe ist, diesen Menschen die Schmerzen zu nehmen und sie in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten, so der Arzt. Und das können wir auch tun. Dem Arzt war der Respekt, die Empathie für seine Patienten abzuspüren. Wir gehen respektvoll und demütig mit den Menschen um. Sie sagen uns, was für sie gut ist, so sagte er im Gespräch. Der Tod ist sehr präsent in diesem Haus, das wurde deutlich an zwei Nachttischen, die vor den Krankenzimmern standen, mit einer Blume, einem persönlichen Gegenstand und einer brennenden Kerze darauf. Zeichen dafür, dass hier vor kurzem zwei Menschen gestorben sind. Wir fragten den Arzt, was denn nach dem Tod seiner Meinung nach käme. Er bekannte: Ich weiß es nicht. Menschen, die dem Tod sehr nahe gekommen sind, berichten Widersprüchliches. Aber ich glaube, dass nach dem Tod Gott selbst auf uns zukommen wird.
Er führte uns durch die Station, überall Blumen und Pflanzen, viele Farben. Alle Krankenzimmer haben einen Wintergarten zum Park hin. So können die Kranken in die Natur, in die Bäume, in die Schöpfung sehen. Und dann gibt es sogar einen kleinen Hund auf der Station, den eine Schwester zum Dienst mitbringt. Seine Lebendigkeit tut vielen gut.
Hier wird der Tod nicht ausgeblendet, so wurde uns deutlich, und gerade deshalb wird ihm seine Macht genommen, wird ihm nicht das letzte Wort gelassen. Endgültig ist der Tod besiegt. Dies strahlte dieser Ort, dieser letzte Ort für viele Menschen auf Erden, den sie erleben, aus.
Wir verabschiedeten uns von dem Arzt. Er zeigte uns eine kleine unscheinbare Tür. Wir traten hindurch und standen sofort auf einem riesigen schneebedeckten sonnenüberfluteten Platz. Kinder spielten auf den zugefrorenen Kanälen. An der Seite prangte ein herrliches Schloß in der Sonne.
Für mich wurde dieser Schritt durch die unscheinbare Tür in den Glanz der Sonne zum Bild für die Herrlichkeit, auf die wir hoffen. Wir hoffen mit Grund, denn der lebendige Auferstandene ist Menschen begegnet.
Und deshalb feiern wir Ostern fröhlich und lassen uns von der Freude der Frauen anstecken.

Amen

Hinweis: Eine anregende Meditation zu Mt 28,1-10 findet sich bei Hüsch, Hanns Dieter: Das Schwere leicht gesagt, 11.Aufl., Freiburg, Basel, Wien 2000, 108f:

Am Randes des Grabes

Wer von uns kann schon sagen
Wie damals Maria von Magdala
Ich habe den Herrn gesehen
Wer von uns kann so vermessen
So fromm oder trunken sein
Und kann damit durch die Welt gehen
Jedermanns Haus betreten
Mit froher Zuversicht
Ohne Furcht und mit freien Händen
Unter dem Himmel dahingehen
Wer von uns kann so kühn und lebendig
Allem begegnen, was ihm widerfährt
Und ist so verwandelt und losgelöst Weil er es weiß
Ich habe den Herrn gesehen
Sehn wir nicht immer am Rande des Grabes
Zuerst nur den Gärtner
Und denken, er habe den Grabstein weggeholt
Und alles habe so seine Friedhofsordnung
Und sind dann gar nicht betroffen
Und gehn mit dem Weinen sehr sparsam um
Weil wir das alles nicht glauben möchten
Heute am Ende der Neuzeit
Und sind doch so sterblich wie ehedem
Herr verlasse uns nicht
ja Du bist auferstanden
Du hast das Grab und den Stein überwunden
Aber geh nicht so wortlos davon
Ich habe den Herrn gesehen
Möchten wir gerne sagen
Genau wie damals Maria von Magdala
Wir haben das leere Grab gesehen
Und der Stein war hinweg
Seht welch ein Mensch
Hat Pilatus gesagt
Ich kann keine Schuld an ihm finden
Und so gehen wir durch Mühe und Leid
Durch Hoffnung und Tod
Durch Anfang und Ende
Schuldlos und voller Schuld
Mit einem leeren Grab
Aber der Stein ist hinweg

Du hast ihn o Herr überwunden
Für uns aus dem Weg geräumt
Du bist durch ihn hindurchgegangen
Wolle mich nicht berühren hast Du gesagt
Und Maria von Magdala Sünderin einst
Und später Büßerin in der Provence sagt die Legende
Hat uns die Nachricht gegeben
Ich habe den Herrn gesehen
Ruhiger denn je
Gelassener denn je und freier als alle Freiheit
Alle Großzügigkeit war um ihn versammelt
Alle Liebe in ihm
Und so hat er uns verlassen
Um Tag und Nacht bei uns zu sein
Ich habe den Herrn gesehen
Möchten wir sagen
Seht welch ein Mensch
So möchten wir sein
Fürchtet Euch nicht
Die Tür steht offen
Der Stein ist verschwunden
Wir können mit IHM in alles hinein
Aus allem heraus und durch alles hindurchgehen
Amen


Dr. Matthias Rein
Studienleiter am Theologischen Studienseminar der VELKD
Bischof-Meiser-Str. 6
82049 Pullach
Tel. 089/74442428
Email: Matthias.Rein@t-online.de


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