Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Lätare, 6. März 2005
Predigtreihe "Psalmen der Passionszeit"
Predigt über Jesaja 66, 10 (-14), verfasst von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

In einer Hamburger Kirchengemeinde gibt es einen Mann, der in jedem Jahr am Sonntag Laetare Blumen an die Gottesdienstbesucher verteilt.
„Wenn der Sonntag schon ‚freut euch‘ heißt - so seine Begründung, „dann sollen die
Leute auch etwas haben, woran sie sich freuen können.“
Eine schöne Idee, denn in der Tat ist ja eine solche Aufforderung mitten in der Passionszeit vielleicht doch etwas erklärungsbedürftig: „freut euch“?
Auch wenn heute nicht mehr das ganze gesellschaftliche Leben während dieser Zeit wie lahm gelegt erscheint, nicht mehr in der Intensität vom Gedanken an den Leidensweg Jesu bestimmt wird wie früher einmal.
Noch vor gar nicht so langer Zeit war völlig klar:
rauschende Feste und große Feierlichkeiten durften in dieser Zeit im Kirchenjahr einfach nicht sein, man fastete vielleicht, war jedenfalls bemüht, den Leidensweg Jesu intensiv nachzuempfinden und innerlich ein Stück mitzugehen.
Umso mehr verwundert es, dass ausgerechnet einer der Passionssonntage den Freudenaufruf sogar im Titel trägt!
Sehen wir uns also den Text einmal etwa genauer an, der dem Sonntag Laetare den Namen gegeben hat, aus Jesaja 66:
10. Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, die ihr über sie traurig wart.
11. Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!
12. Denn so spricht der Herr: Seht her: wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach.
13. Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.
14. Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras.

Manchmal kann es ganz hilfreich sein, einen Augenblick von sich selbst und der eigenen Zeit abzusehen und die in den Blick zu nehmen, denen diese jahrtausende alte Rede unsprünglich gegolten hat.
Das läßt auch die eigene Situation mitunter noch einmal in einem ganz neuen Licht erscheinen!
Wie war das also - damals zu Zeiten Jesajas?
Jesaja redet mit Menschen, die lange Jahre im Exil zubringen mußten, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, ausgegrenzt, verloren;
Nirgends gehörten sie so richtig dazu.
Fremd waren sie Jahre lang gewesen und ohne jede Hoffnung!
Jahrzehnte lang inzwischen schon, die Jüngeren konnten sich an die Heimat schon gar nicht mehr erinnern, sie waren schon im Ausland geboren, groß geworden in Babylonien.
Aber immer noch gab es welche unter ihnen, unverbesserliche Optimisten, die sagten: „Doch, klar, irgendwann kommen wir wieder nach Hause, irgendwann wird alles wieder gut. Wir werden unsere Häuser und den Tempel wieder aufbauen und leben genau wie früher, und es wird Frieden sein!
„Träumer seid ihr“, sagten die anderen. „Weltfremde Spinner! Nie wieder werden wir zurück können in unsere Heimat, das ist ein für alle Mal vorbei, nun seid doch endlich realistisch und richtet euch ein in diesem Land! Wir leben nun mal hier in Babylonien, also passt euch an und fertig.“
Ob es dennoch auch in ihnen vielleicht die leise Hoffnung auf Rückkehr gegeben hat, das wird man nun wohl nie mehr herausfinden können, diese Hoffnung, ohne die kein Mensch im Grunde wirklich leben kann;
Diese Hoffnung, die uns sagt: es könnte ja vielleicht doch eines Tages alles gut werden...
Und dann war das Unglaubliche geschehen, die kaum fassbare Hoffnung wirklich wahr geworden: sie waren nach Hause zurückgekehrt, die grauenvolle Zeit der Trennung, Verschleppung und Entfremdung hatte ein Ende gehabt!
Aber - in was für ein Zuhause kamen sie zurück!
Der Tempel lag in Schutt und Asche; Der Ort, der ihnen so wichtig war, weil sie dort ihrem Gott am intensivsten begegnen konnten, er war einfach nicht mehr da!
Ihre eigenen Häuser gab es sowieso schon lange nicht mehr, geschweige denn, dass jemand sie im Triumphzug geleitet und voller Wiedersehensfreude in Empfang genommen hätte.
Es war ja auch kaum noch jemand da von den alten Freunden, kaum noch einer erkannte sie wieder.
Was für eine klägliche und jammervolle Rückkehr!
Wie riesengroß muß die Enttäuschung gewesen sein!
Ich vermute, wenn sie überhaupt noch Hoffnung hatten für die Zukunf, dürfte die in diesem Moment zusammengefallen sein wie ein Kartenhaus.
Wieso also überhaupt den Aufbau des Tempels und ihrer Häuser in Angriff nehmen?
Es hat ja sowieso alles kkeinen Zweck!
Das ist so: Hoffnungslosigkeit kann ganz schön lähmen und einem alle Kraft aus den Knochen saugen.
Die Anstrengungen, die der Wiederaufbau kostete, waren viel größer, als sie leisten konnten, als sie je befürchtet hatten.
Davon können wir in unserem Land ja auch ein Lied singen, so einfach ist es eben doch nicht mit dem (wieder) Zusammenwachsen!
Ohne Entbehrungen und Enttäuschungen geht es offenbar doch nicht.
Aber: darf man das zugeben?
Zurückkehren nach Hause - oder (bei uns) wieder Zusammengehören, wieder ein Volk sein - das war doch für viele immer der ganz große Traum, an den im Grunde doch niemand mehr so richtig geglaubt hat.
Aber darf man da zugeben, dass man das, was draus geworden ist, vielleicht gar nicht so toll findet, immer noch oder wieder leidet unter der Situation, sich sehnt nach den blühenden Landschaften?
Darf man denn wütend sein, wenn man doch eigentlich erreicht hat, was man immer wollte?
Wütend vielleicht sogar auf Gott, den die Propheten doch immer wieder für ihre Vision vom Heil verantwortlich gemacht hatten, dessen Wort sie ja ausrichten sollten?
„Wie einen Strom leite ich den Frieden nach Jerusalem, und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach.“
Gott wird das tun, er wird euch prachtvoll geleiten, so wie er die Vorfahren aus Ägypten herausgeholt hat, hatten die Propheten behauptet, so wird er auch euch erretten und ihr werdet in Frieden leben.
Und jetzt?
Waren das etwa alles leere Versprechungen von Menschen gewesen?
Kann man jetzt sogar den Propheten nicht mehr trauen?
Oder noch schlimmer - kann Gott das vielleicht gar nicht? Ist er gar nicht so machtvoll, wie wir ihn uns immer vorgestellt haben?
Oder - will er es womöglich gar nicht?
Und wohin dann mit meiner Wut?
„Ach wie lang, ach lange ist dem Herzen bange und verlangt nach dir!“ dichtet 1653 Johann Franck in dem Lied „Jesu, meine Freude“(EG 396), heute Wochenlied zum Sonntag Laetare.
Er nimmt damit, wie ich finde, sehr schön dieses Gefühlsmischmasch, diese verwirrten Stimmungen auf.
Hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung- das waren sowohl die Menschen zu Jesajas Zeiten, die mit ihrer kläglichen Rückkehr nach Jerusalem zurechtkommen mußten als auch die seiner eigenen Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg.
Wird Gott wirklich retten und helfen, einen neuen Anfang ermöglichen?
Werden wir es schaffen in all den kläglichen, bedrückenden und schwierigen Erfahrungen, die so leicht ratlos machen und resignieren lassen?

Das dürfte wohl eine menschliche Grunderfahrung sein: sich hin- und her gerissen zu fühlen zwischen zuversichtlichen Momenten, in denen der Glaube so sicher und Gott so nahe erscheint- und den ganz anderen Zeiten, in denen die Hoffnung zerbricht und man sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass es einmal wieder anders werden könnte, auch das Vertrauen in die eigenen Kräfte und Möglichkeiten in sich zusammenfällt.
Umgeben von Chaos und Untergang scheint sich der Dichter Johann Franck immer wieder selbst Mut zuzusprechen;
Ein bißchen wie ein Kind, das im dunklen Keller die Angst mit lautem Singen zu vertreiben versucht:
„Trotz dem alten Drachen, Trotz dem Todesrachen, Trotz der Furcht dazu! Tobe, Welt, und springen; ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh...“ (V.3)
Aber er findet auch Zugang zu dem mütterlich tröstenden, beschirmenden Gott, von dem schon Jesaja, der Prophet, gesprochen hatte:
„Unter deinem Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei...“
„Wie eine Mutter ihr Kind“ sagt Gott, „so werde ich euch trösten...“
und „Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!“ sagt er über Jerusalem.
Und ich denke, dass beides zu verschiedenen Zeiten in unserem Leben nötig sein kann:
Manchmal brauchen wir eher den Stoß in die Rippen, die energische Aufforderung: „Nun mal los, pack‘s an, du schaffst das schon!“
Manchmal ist es eher die vorsichtige Begleitung, die wir brauchen.
Da ist es gut, wenn einfach einer oder eine da ist, wartet, die Klage des anderen anhört, seine /ihre Tränen aushält, ausharrt, hofft und hilft, offen zu werden für den Strom des Friedens.
Ein andermal mehr der Blick auf das, was für uns die Realität des Lebens ist, auf Lebensumstände und -möglichkeiten, so nüchtern und realistisch wie möglich,
auch das trotzige Aufbegehren, das „Jetzt-erst-recht“
„Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein...“
Wir brauchen aber auch Träume und Visionen, brauchen die Verheißung Gottes, dass dieses Leben eines Tages in einem großen Fest aufgehen wird,
brauchen Bilder für diese ganz andere Wirklichkeit.
Alles wird gut werden, das ist die Realität, die Gott über unser Leben schreibt!
Eine Zusage, die einem so schnell entgleiten kann im ganz normalen Chaos des Alltags, in Erfahrungen, die dagegen zu sprechen scheinen, oder in den vorherrschenden Themen der Zeit.
Da ist es gut, wenn wir immer wieder neu Zeichen finden, die an die Güte und Zuwendung Gottes erinnern;
Zeichen wie die Blumen am Sonntag Laetare in der Hamburger Kirchengemeinde, Hoffnungszeichen, die uns aufbrechen lassen in eine neue Zukunft.
Amen.


Elisabeth Tobaben
Ev. Luth. Inselkirchengemeinde JUIST
Elisabeth.Tobaben@evlka.de

 


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