Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 12. September 2004
Predigt über
Römer 8, 14-17, verfaßt von Jobst v. Stuckrad-Barre
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.
15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!
16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind.
17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden."

Vorigen Sonntag bei der Begrüßung der neuen Konfirmandengruppe im Gottesdienst mußten die armen „Neuen“ gleich mehrere Sätze aus verschiedenen Sprachen kennenlernen. Der Kinderchor begann mit „Libera nos, domine!“ – Befreie uns, Herr. Die Liturgie setzte sich griechisch fort mit dem Kyrie eleison, das hebräische Halleluja kannten die meisten schon und konnten es gleich mitsingen. Heute nun für uns ein hebr.-aramäisches Wort, das Paulus (ich weiß, ich weiß, Markus auch) uns überliefert aus der Sprache Jesu. Abba.

Abba, lieber Vater – wie im Gottesdienst: Vater unser; vielleicht auch wie unterwegs, da, wo das Leben beginnt, der Tag, oder wo der Anfang vom Ende bevorsteht – welche Richtung wird das alles nehmen, Vater, unser Leben in deiner Hand, wir als Kinder, die losrennen und dem Vater in die Arme springen. Wir als Erwachsene, die einsehen, daß wir, so sehr wir auch rennen und tun, dies Leben nicht in den Griff kriegen; im Gegenteil, je älter einer, eine wird, desto mehr wird sichtbar, zu oft hat dieses Leben uns im Griff, oder wir sehen an anderen, wie schrecklich der Zugriff eben nicht des Lebens, sondern des Todes ist – die Hunderte in der Turnhalle von Beslan etwa, nicht auszudenken, was sie erlitten haben, Kinder, Mütter und Väter, drinnen und draußen; schrecklich auch die Einsicht, daß wir diese Nachrichten vom täglichen Terror verdrängen, um unsere alltäglichen Aufgaben angehen zu können – und erst wenn so viele so akut bedroht sind, ergreift es uns.

Abba, Vater. Erwachsenwerden läßt sich geradezu damit definieren,, wie weit wir es lernen, mit den unterschiedlichen Anforderungen so umzugehen, daß Bedrohungen nicht verschärft, sondern entschärft werden, Unfrieden nicht verstärkt, sondern verhindert wird. Und Gott, kommt er dann nur noch zu Bewußtsein, wenn wir merken, wie wenig wir eigentlich entschärfen, verhindern können? Doch Paulus nennt uns Kinder, Kinder Gottes, die mitleiden und zwar mit Christus, und darum auch am Ende seine Herrlichkeit mit ihm teilen werden. In welchem Sinn sind Erwachsene Kinder, in welchem Geist leben wir, mehr noch wohin treibt uns der Geist?

Nicht knechtisch, nicht von Furcht geprägt. Nicht im Sold von irgendwem oder irgendwas – seien es Mächte, seien es Menschen, die das Maß des Menschlichen verloren haben, so daß sie Furcht und Schrecken verbreiten. Trotz der aktuellen Bedrohungen (oder ist es eher so, Terroristen z. B. sind ja auch dadurch gekennzeichnet, daß sie in der Anonymität zu verschwinden suchen) wird zu sagen sein: Die anonymen Mächte sind viel verbreiteter, weil wir sie oft gar nicht (mehr) wahrnehmen oder für so selbstverständlich halten, daß wir sie kaum erwähnen: Geld, Gier und die Gleichgültigkeit, die scheinbar lebenserhaltend sein kann, in Wirklichkeit aber tödliche Wirkungen hat. Alle diese großen G´s hinterlassen tödliche Spuren – in uns, in anderen; räumen wir dem Tod Macht ein oder geben wir dem Leben Raum in uns, in anderen?

Abba, lieber Vater – so zu rufen, weil wir sehen, Leben ist mehr, ist anders; weil wir den kindlichen Geist empfangen, der uns so rufen läßt, daß spürbar wird: Wir verdanken dies alles, Leben und Gemeinsamkeit, Vielfalt und Verschiedenheit, Segen und Erkenntnis, dies alles verdanken wir nicht uns selbst, nicht Menschen, sondern dem, der den Tod überwindet – mitten im Leben.

Im Zusammensein etwa einer Gruppe von Konfirmanden mit Behinderten; zu sehen, wie ganz im kindlichen Geist eines der Mädchen zu fragen und teilzunehmen beginnt; nachher erzählt eine andere Konfirmandin, wie sie mit Blinden in Judo ausgebildet wird, „einige von ihnen haben schon den blauen Gürtel“. Zu sehen, wie durch die Gesichter im Lauf der Begegnung ein Zug neuer Aufmerksamkeit geht, das kann etwas vom Geist vermitteln, der uns geschenkt wird und uns bezeugt, daß wir Gottes Kinder sind.

Sind wir aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi. Welche ein Weg – beschenkt zu werden darin, daß wir als Menschen, bloße Menschen mit all unseren Grenzen, daß wir Christi Geist erhalten: ein Mit-Leiden, also im Weg ans Kreuz, darum dann aber auch ein Teilhaben an der Herrlichkeit, die seine Auferstehung uns bereitet. Unausdenklich, das geht weiter, als unsere Fassungskraft reicht – über unsere Zeit und Begriffe hinaus. Bis hin zu der Herrlichkeit, die Gott den Menschen im Ende aller Zeiten und Begriffe zeigt.

Die Gegenwart, im Mit-Leiden begriffen, und diese Zukunft, in der Hoffnung ergriffen, sie bestimmen uns, die Kinder Gottes. Sein Geist ist mitten unter uns; rufend, betend, singend können wir es aussprechen: Abba, lieber Vater, dir vertrauen wir uns an, hier, im Frieden, und hier, im Streit der Mächte und der Menschen – befreie uns, Herr. Erbarme dich und segne uns. Gott sei gelobt. Amen.

„Jesus, der Menschensohn,
kam nicht, sich bedienen zu lassen.
Er diente anderen
und setzte sein Leben ein,
uns zu befrein.“

(Leider habe ich kein schriftliches Vorbild für dieses Lied mehr – und wäre dankbar, wenn mir jemand sein solches mailen könnte, einschl. der Noten.)

Weitere Vorschläge:
EG 289 Nun lob, mein Seel, den Herren
EG 365 Von Gott will ich nicht lassen
EG 134 Komm, o komm du Geist des Lebens (Strophe 3, so schön sie zu Römer 8, 16 paßt, müßte eigens verständlich gemacht werden.)
EG 428 Komm in unsere stolze Welt
EG 360 Die ganze Welt hast du uns überlassen

Pastor Jobst v. Stuckrad-Barre
Kleiner Hillen 1 – 30559 Hannover
e-mail: Jobst.vonStuckrad-Barre@evlka.de

 


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