Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 5. September 2004
Predigt über
1. Johannes 4,7-12, verfaßt von Enno Junge
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Lassen Sie mich diese Predigt beginnen mit dem Anfang eines Gedichtes von Ingeborg Bachmann. Es lautet: Erklär mir, Liebe

Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat's Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen -
Erklär mir, Liebe!

Wer von uns weiß schon wirklich, was Liebe ist? Wer könnte Liebe erklären?

Fragt man fünf Leute, was Liebe ist, bekommt man wenigstens zehn verschiedene Erklärungsversuche.

Fragt man einen Pastor, dann sagt er unter Umständen etwas so Frommes oder etwas so Theoretisches, dass man es sich kaum merken kann.

Fragt man einen Konfirmanden, kriegt er rote Ohren oder er muss furchtbar lachen.

Fährt man beispielsweise von Fuhrberg aus auf der Mellendorfer Straße nach Mellendorf, sieht man Menschen, die Liebe kaufen und verkaufen in ihren Wohnmobilen.

Viele Erwachsene meinen, man könne Liebe „machen“ und andere behaupten, wie der Playboy zum Beispiel, Liebe sei neben dem Fußball und dem Bier eine der schönsten Nebensachen der Welt.

Für die meisten Menschen ist Liebe wohl schlicht und ergreifend das, was uns unsere Massenmedien unter diesem Begriff verkaufen wollen.

Aber ich frage Sie, liebe Gemeinde, wissen Sie, wenn Sie alle Zeitungen gelesen, alle Filme gesehen und alle Talk‑Shows zum Thema Liebe angeschaut haben endlich, was Liebe ist?

Die Bibel sagt im 1. Johannesbrief im 4. Kapitel:

7 Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
8  Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
9  Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
12  Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinan­der lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Liebe Gemeinde, es wäre vermessen und geradezu arrogant, wollte ich hier den Anschein erwecken, ich könnte eine erschöpfende biblisch-theologische Antwort auf die Frage geben, was denn Liebe sei.

Mir sind aber drei Dinge aufgefallen, die mich dieser Antwort vielleicht ein Stückchen näher bringen: Es ist etwas über den Ursprung der Liebe, etwas über das Wesen der Liebe und etwas über die Wirkung der Liebe.

1. Gott ist die Liebe.

Du bist die Sonne für mich, o sole mio... heißt es in einem italienisch Liebeslied. Jemand sagt zu dem Menschen, den er liebt: Du bist für mich die Sonne; wenn du kommst, dann wird es hell in meinem Leben, ohne dich wäre es in mir finster und leer.

Ein Mensch identifiziert den andern als Inbegriff dessen, was durch ihn bewirkt wird : Du bist die Sonne, du machst es warm und hell für mich, von dir her gewinnen die Dinge meines Lebens ihre Farbe.

Hinter solchen Worten sehe ich eine ganz entschiedene und tiefe Bewunderung, eine letzte und höchste Wertschätzung und eine liebevolle Begeisterung unter Menschen, die miteinander ihr Leben teilen.

Gott wird hier identifiziert als der Inbegriff der Liebe. Gott ist die Liebe. Mehr Liebe auf einmal geht nicht, das ist Gott, der Gott der Bibel, der Schöpfer, der Vater im Himmel.

Wenn sich irgendwo auf der Welt Liebe ereignet und sei es im allerkleinsten Zusammenhang, dann ist da etwas von Gott.

Liebe ist das entscheidende Kriterium für Gott, wenn es etwas gibt, womit sich Gott beschreiben lässt, dann ist es seine abgrundtiefe Liebe zum Menschen, die er unablässig unter Beweis stellt, die sich in so vielen Dingen zeigt, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes unbeschreiblich ist.

Lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott ‑ so heißt es hier.

Wo Gott als der Lebendige und Gegenwärtige geglaubt wird, da darf und kann eben nicht die Lieblosigkeit und die Gleichgültigkeit grassieren, da ist es unmöglich, in der Unversöhnlichkeit zu verharren und aus den Hinterhalten besserwisserischer Rechthaberei aufeinander zu zielen.

In seinem Büchlein „Das l x l der Gemeindeentwicklung“ beschreibt Christian Schwarz acht Qualitätsmerkmale wachsender Gemeinden, eines davon nennt er liebevolle Beziehungen.

Schwarz schreibt: Glaubwürdig gelebte Liebe verleiht einer Gemeinde eine sehr viel größere Ausstrahlungskraft, als alle Marketingbemühungen der Welt es vermögen.

Verstehen Sie mich, liebe Gemeinde und spüren Sie es bereits?

Gott hat längst alles geschenkt und möchte es auch heute in seiner Gemeinde und durch seine Gemeinde verströmen: die Liebe, die er ist!

Gott ist die Liebe, wenn man das an uns noch nicht ablesen und es in unserer Nähe nicht spüren kann, dann sind wir von Blockaden umringt, die wir uns nicht mehr leisten können.

Das ist kein Spaß mehr, was um uns herum in dieser Gesellschaft pausenlos geschieht.

Schauen Sie sich die Zustände in Ehen und Familien an, die Untergänge der Kinder, längst bevor sie eigene Lebensentscheidungen treffen konnten; den Lärm der immer zahlreicher werdenden Gewaltbereiten, die immer schrankenlosere Kriminalität, die sinkende Achtung vor der Würde, der Unversehrtheit und dem Eigentum des Andern.

2. Die Liebe sucht, vergibt und belebt

Es heißt hier, dass Gott uns durch Jesus Christus aufgesucht hat mitten in unserer Welt. Das ist das Wesen der Liebe Gottes, dass sie sozusagen ganz auf unser Lebens abzielt.

Es ist das Wesen der Liebe, dass sie von Gott ausgeht, dass sie ihm keine Ruhe lässt, sie sucht uns, sie will hinein in unsere Lebensverhältnisse, sie muss die Ursache sein und immer wieder werden, wenn wir uns untereinander lieben.

Das gilt für alle Felder des Lebens. Gottes Liebe ist im Spiel, wenn Mann und Frau ihre Liebe zueinander erleben in einem Reichtum, der ein ganzes Leben umspannt. Die Liebe in einer Ehe ist Geschenk Gottes und Abglanz seiner Liebe.

Gottes Liebe sucht, sie vergibt und sie belebt ‑ ist das auch ein bestimmendes Wesensmerkmal der Liebe in dieser Stadtkirchengemeinde?

Ich denke, mit uns Menschen ist es, wie mit einem Hefeteig.

Steht ein Hefeteig in einem kalten und zugigen Raum, dann geht er nicht richtig, ist er schon ein wenig aufgegangen und bekommt dann Zug oder Kälte, dann hört er auf zu gehen.

Befinden wir uns in einem Klima der Lieblosigkeit, sind unsere Beziehungen gestört durch den Mangel an Liebe, dann müssen wir verkümmern, dann blüht unser Leben nicht, dann ist alles mühsam und widrig.

Geraten wir aber in das Kraftfeld echter lebendiger Liebe, dann wird alles anders, dann geht es uns wie einem Hefeteig, der im Warmen steht, dann gehen wir auf, dann entfalten wir uns und nehmen neu Gestalt an, werden brauchbar, dann verlassen wir vielleicht sogar unsere vertrauten Gefäße und bewegen uns aufeinander zu, dann wird es bunt und lebendig.

Gott beschenkt uns mit seiner zurechtbringenden und belebenden Liebe ‑ aber wir dürfen sie nicht voreinander verstecken, sondern müssen sie leben. Und das beginnt schon mit Kleinigkeiten. Freundlich zu einander sein, den anderen achten und ihm seine Würde lassen, das sind nur zwei Dinge, die mir spontan einfallen.

3. Die Liebe baut Persönlichkeiten und Gemeinden.

Wirkungslose Liebe gibt es nicht, sondern bestenfalls lieblose Wirkungen. Zwischen diesen beiden Alternativen spielt unser Leben ‑ privat und als Gemeinde. Liebe verändert. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen:

In den drei Monaten, in denen ich an der MHH meine Ausbildung zum Krankenhausseelsorger machte, habe ich meiner Frau jeden Tag geschrieben. Mich hat einfach danach verlangt, ihr zu schreiben, wie es mir geht und was die Ausbildung mit mir anstellt:

Ich wage es, Ihnen einige Zeilen aus dem letzten Brief vorzulesen. Es ist ein Gedicht, wenn man so will:

Kehr Dich zu meinem Mund:
Ich sage Dir ein Lied unter die Wimpern
Von meiner Sehnsucht nach Dir,
von Bildern und Gefühlen,
die mich endlich
übersetzen zu Deinem Herzschlag.

Liebe Gemeinde!

Liebe kann uns verändern, kann erträglich machen, was uns zu schaffen macht.

Und den größten theologischen Ausdruck für Liebe, finde ich persönlich im Abendmahl. Anhand einer kleinen Geschichte möchte ich Ihren Anfragen, die Sie vielleicht an das Abendmahl haben, begegnen:

Zu einem katholischen Priester kam ein Mann, der sich über den Glauben lustig machen wollte und fragte: „Wie ist das möglich, dass aus Brot und Wein Fleisch und Blut Christi werden?“

Der Priester antwortete: „Wenn schon dein Körper die Nahrung, die du zu dir nimmst in Fleisch und Blut umsetzen >verwandeln< kann, warum soll Gott nicht auch das andere vermögen?“

Der Mann in unserer Geschichte aber gab sich nicht geschlagen. Er fragte: „Wie kann denn in einer so kleinen Oblate der ganze Christus zugegen sein?“

Der Priester gab zur Antwort: „Eine Landschaft, die vor Dir liegt, ist so groß und dein Auge doch so klein. Und doch ist das Bild der großen Landschaft in deinem Auge. Warum soll es denn nicht möglich sein, dass in der kleinen Brotgestalt der ganze Christus zugegen ist?“

Noch eine dritte Frage stellte der andere: „Wie kann derselbe Christus gleichzeitig in allen euren Kirchen zugegen sein?“ Da nahm der Priester einen Spiegel und ließ ihn hineinschauen. Dann warf er den Spiegel zu Boden und sagte: „Auch in jedem einzelnen Stückchen kannst du dein Bild jetzt gleichzeitig sehen!“

Liebe Gemeinde, Gottes Liebe in Jesus Christus gilt allen Menschen.

Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott.

Das ist eine bedenkenswerte Einladung. Sie eröffnet eine wohltuende und schöne Perspektive. Bleibt nur die Frage, ob wir dieser Einladung folgen. Amen.

Enno Junge, Pastor in Fuhrberg
enno@junge-net.com

 

 


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