Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 8. August 2004
Predigt über
Philipper 3, 7-11 , verfaßt von Ulrich Wiesjahn
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!
„Schaden“, „Dreck“ – so nannte Paulus seine alte Religion. Darf man das predigen? Ist das nicht blanker Antijudaismus? Das war meine erste erschrockene Reaktion auf diesen Briefabschnitt. Der Philipperbrief ist ja eigentlich sein Freudenbrief. Paulus hat die Philipper geliebt. Und mittendrin diese ausfälligen Sätze!?

Es hilft nicht – sie stehen da. Und wir müssen sie nur richtig verstehen. Paulus spricht hier von sich selbst – und wir müssen uns dann fragen, was für uns davon gilt. Vielleicht keine Person der Antike ist uns innerlich so bekannt wie Paulus, so dass alle Psychoogen ihre Freude daran haben. Aber der wahre Hintergrund war für ihn selbst bitter ernst. Ein frommer Jude war er, ein Pharisäer, ein Fanatiker, ein Fundamentalist. Ja, er war vermutlich ein Fanatiker – bis er mit dem Kopf gegen die Wand rannte. Seine Vision vor Damaskus war sein Zusammenbruch und der Zusammenbruch jener Mauer, gegen die er gerannt war. Und dahinter tat sich ein neuer Raum auf: hell, schön, befreiend. Jesus hatte ihn berufen.

Das war die Vorgeschichte. Nach Jahren in Einsamkeit und Studium ging er auf Reisen, auch hinüber nach Europa und kam zuerst nach Philippi. Und denen schreibt er später von seinem Lebensbruch. Warum? Das waren doch Römer, ein paar Juden dabei. Nun wird es interessant: Es geht Paulus um Erkenntnis und Wahrheit. er hatte erkannt, dass er mit seiner alten Religion nicht klarkam. Es ist eine bedauerliche Behauptung dass alle Religionen gleich seien. Nein, sie sind eher grundverschieden. Und nun verstehen wir, dass Paulus in eine Zerreißprobe kam. Und er wußte, dass andere auch in diese Zerreißprobe kommen – vielleicht sogar durch ihn selbst. Wer eine Zerreißprobe durchgemacht hat, hat oft eine rauhe Sprache.

Das zweite riesige Beispiel dafür ist Martin Luther, der auch weggegangen ist aus dem alten Leben, Denken und Glauben. Interessanterweise sind viele Revolutionen und Umbrüche aus ganz persönlichen Gründen erfolgt. Und sie haben ein neues, manchmal auch helleres Licht auf die Welt geworfen.
Welche Erkenntnis war es, die Paulus so grob ausbrechen ließ? Es war diese: „...dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die aus dem Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ Im Rückblick empfand Paulus sich als borniert, vernagelt, fixiert, kurz: unfrei. Dagegen bedeutet ihm der Christusglaube als eine einzige große Freiheit, in der zu sich selbst finden konnte. Der Glaube ließ ihn zur Person werden. Und das ermöglichte ihm Jesus, der Eigenwillige und Gotterlöste. „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung der Toten.“
Die gesamte Verkündigung Jesu war vom Himmelreich bestimmt. Und der tatsächliche Lebens- und Leidens- und Auferstehungsweg Jesu war eine Beglaubigung dieser Botschaft. Und dem wollte Paulus nachfolgen. Wie das gesamte Römische Reich so dürstete auch er nach dieser Botschaft. Und deshalb verbreitete sich diese Botschaft in Windeseile. Es ist für Historiker unglaublich, wie schnell und ohne Gewalt sich dieser Glaube damals verbreitet und durchgesetzt hat.

Was bleibt für uns heute? Zuerst die klare Einsicht, dass Religionen selbst bei gleichem Vokabular sehr verschieden sind. Wir erleben es zur Zeit mit dem Islam. Keiner wird da mehr sagen: „Alle Religionen sind gleich.“ Aber viel wichtiger wird es sein, den Charakter der eigenen Religion zu erfassen. Worauf baut denn unsere Religion? Paulus antwortet darauf: nicht auf Gesetzestaten, sonden auf dem Gnadenglauben. Das heißt ganz einfach gesagt: „mit Christus mutig sein, ihm fröhlich nachfolgen, diesem demütigen, freien Mann, mit und für ihn leiden und in der Ewigkeit bei ihm sein.
Die Hauptbegriffe unserer religion sind eigentlich Seelenregungen und sie sind federleicht und geistig und innerlich. Und genau darin sind sie universell. Pauluus hat sie am Ende seines Hohenliedes so genannt: Glaube, Hoffnung, Liebe. Man kann sie mit dem Dreiklang der Glocken vergleichen.

Paulus ist wie ein Vogel aus dem Käfig seiner alten Religion fortgeflogen. Und wir, wenn wir mutig sind, sollten ihm nachfliegen. Wohin? Nach Hause – ins ewige Leben.

Amen.


Ulrich Wiesjahn
Obere Kirchstr. 4
38640 Goslar
Tel.: 05321 22647


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