Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juli 2004
Predigt über
1. Korinther 1, 18-25, verfaßt von Bert Hitzegrad
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Paulus schreibt:
Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit,
wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Liebe Gemeinde!

Umfragen sind sehr beliebt. Zu allen Themen wird die Meinung der Öffentlichkeit erfragt und dann ermitteln die großen Umfrageinstitute die Ergebnisse: 82 % der Deutschen meinen, die Benzinpreise seien zur Zeit zu hoch. 76 % geben aber an, sie würden deshalb aber nicht weniger mit dem Auto fahren ...
Wöchentlich werden die Deutschen auch zur politischen Situation befragt: Wer liegt gerade vorn in der Gunst der Wähler? „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, wen würden die Deutschen zum Kanzler oder zur Kanzlerin machen ...?” Klar ist, dass die Regierungskoalition im Augenblick - laut Umfragen - nicht die Mehrheit bekommen würde.
Auch zur Zukunft der Nationalelf werden die Massen im Augenblick um ihre Meinung gebeten. Nach der Enttäuschung von Portugal heißt es: „Wird die Nationalmannschaft mit neuem Teamchef erfolgreicher spielen?” Die Mehrheit steht zu Rudi Völler, 59 % sagen: „Nein!”

Natürlich gibt es auch Umfragen zu kirchlichen Themen: „Was glauben die Deutschen”, so hat der SPIEGEL vor einigen Jahren gefragt. „Was wird aus der Kirche?” war der Titel einer kirchlichen Stimmungsanalyse.
Bei der SPIEGEL-Umfrage wurde deutlich: An ein Leben nach dem Tod glauben die meisten Deutschen noch. Dass dieses ewige Leben etwas mit Jesus Christus zu tun hat, das glauben weitaus weniger! Ähnlich auch die Aussagen in der letzten EKD-Studie über die Kirchenmitgliedschaft: Die Aussage „Ich glauben, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat!” konnten nur 43% der Befragten bejahen.

Umfragen - sie sind sehr beliebt und scheinen die Wahrheiten abzubilden. Aber auch die ganze Wahrheit?
Mich persönlich würde einmal das Ergebnis zu der Frage interessieren: „Was ist Ihrer Meinung nach die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens, was ist das Zentrum, was ist die Mitte?”

Vielleicht lässt sich das Ergebnis, ohne aufwendige Umfrage, bereits am Kirchenbesuch ablesen - eine Abstimmung sozusagen mit den Füßen. Mitten im Sommer denke ich an die Gottesdienste am Heiligen Abend. Dort muss die zentrale Botschaft zu erfahren sein, denn da hören alle zu, da sehen alle hin: das „Kind in der Krippe”, das „Licht der Welt, das in die Dunkelheit kommt”, „holder Knabe im lockigen Haar”, „das liebe Jesulein”, das ist süß, schön anzusehen - ja, das muss es sein!

Würden wir nicht die Christen gut 2000 Jahre nach der Geburt dieses Kindes fragen, sondern diejenigen, die Menschen, die IHM unmittelbar nachfolgten, wir würden wohl eine andere Antwort bekommen: „Das Kreuz, der Christus am Kreuz, der mit und für uns stirbt, das ist das Zentrale, das ist die Mitte der Botschaft. Alles andere - die Geburt, sein Leben, das Mitfeiern bei der Hochzeit in Kanaa, sein Mitleiden mit den Bedürftigen ... all dies lässt sich nur von dem Kreuz her verstehen und erklären.”

Der Evangelist Markus, der wohl als erster aufgeschrieben hat, was das Leben Jesus ausgemacht hat, er zeigt das mit seinem Evangelium schon rein äußerlich: Wie eine Passionsgeschichte mit einer ausführlichen Einleitung wirkt sein Evangelium, sein Bericht über den Jesus von Nazareth. Zentral für ihn sind die Leidensankündigungen und die Ereignisse in Jerusalem: Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen.
Über Jesu Kindheit verliert Markus kein Wort, daran haben erst die späteren Evangelisten Matthäus und Lukas ein Interesse.

Die Geburt eines Kindes, auch wenn sie im erbärmlichen Stall geschieht, ist eben doch schöner als die Erinnerung an eine Kreuzigung - vor allem, wenn wir uns deutlich machen, dass das Kreuz Christi wenig mit den goldenen Kreuzen an kostbaren Kettchen zu tun hat.
Ein Hinrichtungsinstrument war es, so wie heutzutage der elektrische Stuhl oder die Giftspritze. In Europas Demokratien hat man sich längst von den Todesurteilen verabschiedet. Aber dennoch: Würde man die Massen entscheiden lassen, würde man den „Fall Dutroux” oder den „Fall Fourniret” den Umfrageergebnissen überlassen - der Tod per Knopfdruck oder Spritze würde auch hier wieder einziehen.
Doch wer würde moderne Werkzeuge des Todes als Zeichen des Glücks und als Zeichen der Hoffnung am Kettchen tragen!?
Eine Torheit wäre das, eine Torheit ist das Kreuz - sagt Paulus.
Und eine Mutter sagt: „Ich erzähle meinen fünf und siebenjährigen Kindern nie die Passionsgeschichte. Am liebsten würde ich das Bild von der Kreuzigung in der Kinderbibel zukleben. Warum muss man seinen Kindern diese traurigen und furchtbaren Geschichten erzählen, wenn Jesus dann doch auferstanden ist und wir uns drüber freuen sollen?”

Doch ist das die ganze Wahrheit, ist das das ganze Leben? Auf jeden Fall hat die Mutter der beiden Kinder begriffen, dass das Kreuz eine ungeheure Provokation ist - weitaus mehr als die großen weißen Kreuze, die an einer Bundesstraße aufgestellt wurden, um die vorbeirasenden Autofahrer an die tödliche Gefahr auf der Straßen zu erinnern.
Das Kreuz von Golgatha provoziert unsere Gefühle, unsere Hoffnungen, unsere Sehnsüchte, unsere ganze Weltsicht und Selbsteinschätzung.

Provoziert fühlten sich in Bayern vor einigen Jahren auch einige Eltern, die das Kreuz aus den Schulen verbannen wollten - es sei eine Zumutung, so hieß es, dieses Symbol der Gewalt täglich den Kinderaugen auszusetzen. Eine Torheit - doch die anderen, die sich für die Kreuze als „Teil der bayerischen Tradition” einsetzten, haben vielleich eben so wenig begriffen.

Denn ein Kreuz in der Schule sagt etwas darüber aus, dass es noch andere Werte in unserem Leben gibt als „Pauken” und „Pisa”. Lernen und Leistung ist nicht alles. Der Christus am Kreuz steht deshalb gerade für die ein, die nicht die glänzenden Stars sind, sondern mit mäßigem Erfolg und schlechten Noten zu kämpfen haben, denen das Glück nicht zufällt, sondern die auf Solidarität und Hilfe angewiesen sind. So nimmt das Kreuz im Klassenzimmer auch die in die Verantwortung, die den Unterricht gestalten, damit die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben.

Und ein Kreuz im Gerichtssaal? Das Bild des Verurteilten wird zum Mahner, wenn über Menschenleben entschieden wird. Das Kreuz nimmt die Justiz in die Verantwortung, dass nicht Umfragen oder die Meinung der Masse über Recht oder Unrecht entscheiden, sondern ein Urteil, dass alle Seiten beleuchtet. Und auch dann, wenn Schuld auf einem Menschenleben lastest, bleibt das Kreuz Christi stehen und erinnert an Gottes „JA” zu seiner Schöpfung, wie sehr sie auch auf die schiefe Bahn geraten ist.

Und ein Kreuz in den Zimmern der Krankenhäuser? Dort wird es zum Zeichen des segnenden Christus, der Nähe und Sympathie zeigt mit denen, die leiden und denen, die helfen.
Kein schönes Bild, kein schönes Zeichen. Aber für die, die am Ende sind, ein Zeichen der Hoffnung und des Neuanfangs.
Denn nicht wir selbst, unsere guten Taten, unser Wollen und Scheitern, unser religiöses Wetteifern und unsere frommen Gebete schenken uns die Nähe und die Liebe Gottes.
Gerade das ist der Affront gegen unser Denken und Empfinden - „den Griechen eine Torheit”. Denn auf diesem Fundament der griechischen Philosophie ruht unser abendländisches Denken bis heute: Gott wollen wir durch kluge Gedanken und ein moralisch einwandfreies Leben finden. Der Mensch will sich in göttliche Sphären erheben. Dagegen heißt die zentrale christliche Botschaft: Gott kommt von oben und liefert sich der menschlichen Willkür am Kreuz aus.

„Den Juden ein Ärgernis” - denn sie haben einen anderen Messias erwartet. Gott, der gewaltig und mächtig daherkommt - wie sehr wünschen auch wir uns den Gottessohn so! Der Mann, der durch seine Macht über die Elemente Wasser zu Wein, Kranke gesund und die tobende See zu einem sanften Gewässer macht ... Aber der Messias als der Gekreuzigte, das Kreuz, Zeichen der römischen Besatzer, als Zeichen des Sieges? Ein Ärgernis - und mit ihm zusammen alle, die daran glauben.
Und wenn uns eine der berühmten Umfragen treffen würde: „Was meinen Sie: Das Kreuz - Sieg oder Niederlage, Macht oder Versagen, Weisheit oder Torheit?”
„Uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft” - so antwortet Paulus auf die vielleicht nicht repräsentative Umfrage. Gott selbst kommt uns nahe, er kommt an diesem einen Punkt der Weltgeschichte uns so nahe, dass sich Erde und Himmel durch das Kreuz verbinden, durch den, der mit uns ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” Auch am Kreuz ist er nicht am Ende, sondern am Ziel seiner Mission und verkündet die Erlösung: „Es ist vollbracht!” Sogar in der Stunde seines Todes macht er dem Mut, der mit ihm an seiner Seite gekreuzigt wird: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein!” Der eine, der ohne Sünde war, ist unter die Sünde geworfen, der eine, der von Gott kam, ist gestorben, damit wir zu Gott kommen. Torheit, Ärgernis oder Gottes große Liebe? Nicht zu fassen, nicht zu begreifen, nur zu glauben, nur zu vertrauen!

Gut, dass Gott nicht eine Umfrage gemacht hat, ob uns seine Rettung so recht ist oder nicht.
Gut, dass Gott nicht nach unserem Wissen und Verstehen fragt, sondern nur nach seiner Liebe. Das ist die Botschaft vom Kreuz, die provoziert, die aber auch heilt und die verbindet. Amen.

Lied nach der Predigt:
EG 91, 5-10

Bert Hitzegrad, Cadenberge
BHitzegrad@aol.com

 


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