Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Gründonnerstag, 8. April 2004
Szenischer Abendgottesdienst, Andreas Kern
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


‘Bleibet hier und wachet mit mir’
Gottesdienst am Gründonnerstag (21.00 Uhr)
- anschließend Nachtwache in der Kirche mit stündlichem Gebet

Überblick:

Rezitation / Szene 1: Frau mit Salböl: Ich mußte es tun. ...
Vorspiel
Einführung in den Abend
Lied
Rezitation / Szene 2: Hoherpriester: Kaiphas heiße ich. ...
Gebet
Rezitation / Szene 3: Judas: Jesus, der Heiland! Jesus, der Retter! ...
Lied
Rezitation / Szene 4: Jünger: Uns beide hat er geschickt. Wir sollten den Raum ...
Musik: Zwischenspiel
Lesung Mt 26, 17-46
Rezitation / Szene 5: Jünger: Ich habe mich furchtbar erschrocken: ...
Lied
Abendmahlsgebet, Einsetzungsworte, Austeilung
Lied
Rezitation / Szene 6: Petrus: Alle würden wir uns heute nacht ärgern über ihn, ...
Liedvers: Bleibet hier und wachet mit mir
Rezitation / Szene 7: Jünger: Als er uns bat, mit ihm zu wachen ...
Liedvers: Bleibet hier und wachet mit mir
Rezitation / Szene 8: Judas: Als ich ihn küsste, da wußte ich noch nicht, ...
Liedvers: Bleibet hier und wachet mit mir
Rezitation / Szene 9: Hoherpriester: Als wir ihn endlich hatten, ...
Liedvers: Bleibet hier und wachet mit mir
Gebet, [Vaterunser,] Segen
Rezitation / Szene 10: Frau mit Salböl: Jetzt erinnere ich mich: ...
Musik zum Schluß?

Texte der Rezitationen / Szenen:

Rezitation / Szene 1: Frau mit Salböl

Ich mußte es tun. Jesus hat mich geradezu angezogen, und es war mir klar, was von mir erwartet wurde.
Ich hatte Salb-Öl, eine duftende Labsal für die ausgedörrte und von der Sonne verbrannte Haut. Es war kostbar, aber ich spürte: für ihn war selbst das teuerste Öl nicht kostbar genug.
Jesus war im Haus von Simon zu Gast. Viele Leute gingen ein und aus - sicher auch, um dem berühmten Gast zu begegnen. Auch ich ging hin. Ich ging direkt auf ihn zu, goß das Öl auf seine Stirn und verrieb es mit meiner Hand auf seinem Gesicht.
Klar - die Umstehenden fingen an zu murren: das teure Öl - welche Verschwendung! Was für Wohltaten hätte man mit dem Geld tun können! Daß Jesus gerade diese Wohltat brauchte, haben seine Leute wohl nicht verstanden.
Aber er selbst wußte es: Er dankte mir für die wohltuende Pflege.
Und er sagte was von:
Leute, die Wohltaten brauchen, habt ihr immer um euch - mich aber habt ihr nicht allezeit.
Ewigen Ruhm versprach er mir - ich weiß micht, ob er sich da über mich lustig machen wollte.
Aber trotzdem: Ich mußte es tun.

Rezitation / Szene 2: Hoherpriester

Kaiphas heiße ich. Ich bin Hoherpriester. Ich bin verantwortlich für die Ordnung im Tempel. Und ich bin der Vertreter des jüdischen Volkes gegenüber den Römern.
Vor kurzer Zeit erhielten wir beunruhigende Nachrichten über einen Jesus aus Nazareth. Er hatte wohl alles durcheinandergebracht: die gute Ordnung, von Gott offenbart, die dem Leben seiner Menschen dient - sie war ihm egal. Er hatte ganz neue Ideen, alles Bewährte stellte er in Frage.
Das wäre ja alles nicht so schlimm gewesen, wenn die einfachen Leute ihm nicht nachgelaufen wären. Er mußte eine Ausstrahlung haben, die sie in den Bann zog. Sie hörten ihm zu, und sie liefen ihm nach. Er redete und tat Unerhörtes - und es wurden immer mehr. Der Friede war gefährdet, und auch die Zusammenarbeit mit den Römern.
Schließlich konnte ich, konnten wir nicht anders: es mußte etwas geschehen. Lange konnten wir nicht mehr zusehen.
Dabei wollten wir vermeiden, daß er und seine Leute beim Passafest Tumulte anzetteln und die Situation außer Kontrolle gerät. Die Römer werden sowieso immer nervös, wenn Tausende von Menschen aus dem ganzen Land in die Stadt strömen und überall die Befreiung aus Ägypten gefeiert wird. Wir mußten wachsam sein!

Rezitation / Szene 3: Judas

Jesus, der Heiland! Jesus, der Retter! Ach, was habe ich für Titel gehört, was haben die Leute ihn angehimmelt!
Dabei wußte ich, Judas, doch immer: der bringt es nicht! Die Römer halten unser Land besetzt, wir werden unterdrückt, wir sind die Untermenschen!
Am Anfang hatte ich ja auch gehofft, er würde es den Römern zeigen: mit Gottes Hilfe das Königreich von David erneuern, die Römer rausschmeißen und uns endlich Freiheit bringen!
Aber er redete vom Himmelreich - statt sich um sein leidendes Volk zu kümmern. Und er redete - beim ersten Hören traute ich meinen Ohren nicht - von Feindesliebe: geh zwei Meilen mit, wenn ein Soldat dich auffordert, seine Ausrüstung eine Meile zu schleppen! Halte die andere Backe hin, wenn einer dir eine runterhaut!
Ich, Judas, wußte doch immer: der bringt es nicht! Laßt uns einen ande­ren suchen, nicht so einen Weichling, sondern einen, der gewaltig drauf­haut und was ändert, der nicht viele Worte macht, aber Taten vorzeigt!
Es war ein nettes Zubrot, was ich bei der Sache noch dazuverdienen konnte! Ich sage ja immer: nur Bargeld lacht!

Rezitation / Szene 4: Jünger 1 + Jünger 2:

Uns beide hat er geschickt. Wir sollten den Raum für die Feier vorbereiten und das Passa-Mahl. Er hatte wohl Beziehungen, kannte jemanden von früher. Wir haben bloß ausgerichtet, was er uns aufgetragen hatte:
‘Der Meister läßt dir sagen: Meine Zeit ist nah; ich will bei dir das Passa feiern mit meinen Jüngern.’
Wir mußten nicht betteln, nicht einmal verhandeln. Ein großes Zimmer, der Platz am Tisch würde für uns alle reichen. Die Küche des Hauses half uns mit den Speisen: wir brieten das Lamm, einer hat den Salat und das leckere Frucht-Mus besorgt, ich habe den Brotteig geknetet, den Wein hat uns der Hausherr verkauft.
Die Vorfreude auf ein Fest - ich glaube, ihr kennt das alle: wir waren geschäftig und mit unseren Gedanken schon bei dem feierlichen Essen. Wir würden zusammensein die ganze Nacht, Gott loben und ihm danken - und es uns gut gehen lassen.
Ob Andreas wieder betrunken sein und als erster einschlafen würde? Oder Petrus: welche tollen Geschichten würde er diesmal erzählen?
Judas würde bestimmt wieder verbiesterte Reden schwingen - und wir anderen würden nur drüber lachen.
Ja, es war eine schöne Vorbereitung und Vor-Freude! Jesus in unserer Mitte - wir als seine Familie: das Passa-Fest konnte beginnen!

Rezitation / Szene 5: Petrus + Jünger 3:

Ich habe mich furchtbar erschrocken: Wir waren mitten in der ausgelassenen Feier. Wir hatten zu Essen und zu Trinken. Wir waren friedlich beisammen. Und dann sagt Jesus plötzlich:
‘Wahrlich, ich sage euch: einer unter euch wird mich verraten!’
Mir blieb der Bissen im Hals stecken. Jesus verraten? Erst wurde es ganz still, dann hörte man, daß zwei von uns sich vor Schreck verschluckt hatten. Jesus verraten: Wer würde das tun?
‘Bin ich’s?’
‘Bin ich’s?’ - ‘Bin ich’s?’
‘Bin ich’s?’
Alle redeten durcheinander, fragten ihn einzeln:
‘Bin ich’s?’
‘Bin ich’s?’
Die Stimmung war hin. Wie ein schwarzes Tuch senkte sich eine große Betrübnis über uns. Das Essen schmeckte nicht mehr. Angst kroch in uns hoch: was würde noch geschehen in dieser Nacht?
Wir konnten es nicht glauben, als Jesus den Verräter identifizierte - und doch wußte jeder von uns:
Ich bin’s auch.
Ich bin’s auch.

Rezitation / Szene 6: Petrus (allein):

Alle würden wir uns heute nacht ärgern über ihn, hatte Jesus gesagt. Alle würden wir zerstreut werden, würden ohne ihn als Hirten auseinanderlaufen, verschwinden, in alle Winde zerstreut.
Ich, ich wollte nicht zu ‘Allen’ dazugehören. Ich nicht! Ich würde mich nicht ärgern über ihn. Ich würde bei ihm bleiben, was immer auch geschieht. Es war meine Entdeckung: er ist der Christus Gottes. Ich bin der Fels, auf dem seine Gemeinde aufgebaut würde - das hatte er mir zugesagt. Ich würde nicht zusammenbrechen, ich würde standhaft sein, ganz klar! Ich würde kämpfen, in unverbrüchlicher Treue, tapfer und stark!
Da wußte ich noch nicht, wie schwach ich bin: ich wußte nicht, daß ich Angst haben würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, was diese Nacht aus mir machen würde - noch vor dem ersten Hahnenschrei: Auch ich ein Verräter, einer, der nichts mehr wissen wollte davon, daß er zu Jesus gehört hatte.
Das war zu viel für mich: es überstieg meine Vorstellungskraft und meine Willenskraft. Ich hatte zuviel ‘Ich’ gesagt: auch das war zu viel für mich.
Am Ende war ich mit meinen Tränen allein.

Rezitation / Szene 7: Jünger 1 + Jünger 2:

Als er uns bat, mit ihm zu wachen, da wußten wir noch nicht, was ihn wirklich erwartet.
‘Meine Zeit ist nah’ - hatte er das nicht gesagt?
Was es bedeutete, wurde uns erst später klar.
Warum waren wir nur so müde?
Warum haben wir seine Angst nicht gespürt?
Warum haben wir ihn allein gelassen? Warum?
Rezitation / Szene 8: Judas:

Als ich ihn küsste, da wußte ich noch nicht, was ich damit angerichtet hatte. Als ich ihn küsste, wurde mir erst klar: ich sprach mein eigenes Urteil. Als ich ihn küsste, zitterte der Boden unter meinen Füßen.
Als ich ihn küsste, wurden meine Ahnungen zur Gewißheit: ein Ende - ein Anfang - alles aus - alles neu...

Rezitation / Szene 9: Hoherpriester:

Als wir ihn endlich hatten, da wußten wir noch nicht, daß dieser Jesus uns auch später noch Ärger machen würde. Seine Leute waren ja schnell abgetaucht - obwohl wenigstens einer noch ordentlich um sich geschlagen hatte.
‘König’ hat Jesus sich genannt im Verhör vor Pilatus - es wäre zum Lachen, wenn nicht sogar ich gespürt hätte: er hatte recht.

Rezitation / Szene 10: Frau mit Salböl

Jetzt erinnere ich mich! Jesus hat zu der Geschichte mit dem Salb-Öl noch etwas gesagt: ich hätte damit schon die Toten-Salbung vorweggenommen.
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. Aber er wußte schon, was geschehen würde: alle würden ihn verlassen, einsam und allein würde er am Ende abgeführt - zum Richter und zum Henker.
Hätte ich bei ihm bleiben können?

Abendmahlsgebet:

Herr Jesus Christus, wir freuen uns, daß wir an deinen Tisch geladen sind. Wir sind deine Menschen, deine Gemeinde, deine Jünger. Wir sind voller Freude - und voller Betroffenheit. Voller Erinnerung und voller Hoffnung. Doch dann sind wir die Erschockenen, die Ertappten, die Verräter.
Ja, Herr, wir werden dir immer wieder untreu. Und auch den Menschen, die uns brauchen, werden wir nicht gerecht. Wir sind viel kleiner, als wir uns gebärden, wir sind viel schwächer, als wir erscheinen möchten.
Wir werden immer wieder schuldig. So bleiben wir angewiesen auf dich und deine Gnade. Herr, wir hoffen auf dich. Deshalb bitten wir dich: vergib uns unsere Schuld.
Den du, Herr, hast Macht zu heilen. An deinem Tisch haben auch die Versager und Verräter ihren Platz. Dein Wort tröstet die Sünder und weckt noch in Sterbenden Hoffnung. Sprich zu uns, Herr, und heile uns. Töte den alten Menschen, den Menschen der Lüge und der Habgier und der Bosheit, und rufe einen neuen Menschen ins Leben, der nach deinem Glauben lebt und handelt. Herr, hilf uns glauben, damit wir leben. Amen.

Einsetzungsworte

Unser Herr Jesus Christus nahm in der Nacht, in der er verraten wurde, das Brot, dankte und brach es und gab es seinen Jüngern und sprach: nehmt und esst, das ist + mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.
Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: Nehmt und trinkt alle daraus, dieser Kelch ist der neue Bund in + meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünde. Das tut, sooft ihr's trinkt, zu meinem Gedächtnis.
Kommt, denn es ist alles bereit;
schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.

Schlußgebet:

Herr Jesus Christus, du hast vor deinem Leiden gesagt: ‘Ich werde nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich’.
Wir haben deine Nähe gespürt. Im Abendmahl bist du unter uns gewesen, wir haben einen Moment mit dir in deines Vaters Reich verbracht. Wir sind erfüllt und gestärkt - und das tut uns gut.
Nun bittest du uns: ‘Bleibet hier und wachet mit mir’. Und wir merken: wir sind aufgewühlt und zerrissen. Wir haben die Gemeinschaft erfahren und wissen doch: wir sind zu schwach und zu bequem, wir sind zu müde, um an deiner Seite zu bleiben. Wir wollen uns Mühe geben, aber wir brauchen dafür deine Kraft.
So bitten wir dich: bleib du an unserer Seite. Wenn wir verspottet und verraten werden, dann tröste du uns. Wenn wir die schlimmen und schmerzhaften Wege gehen müssen, dann halte du unsere Hand. Und wenn wir einmal aus diesem Leben Abschied nehmen müssen, dann heiße du uns willkommen.
Dir sei Ehre alle Zeit und in Ewigkeit.

Andreas Kern
Friedrichstrasse 60
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Fax +49-4181-2349669
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