Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiszere, 7. März 2004
Predigt über Markus 9, 14-29, verfaßt von Jan Lindhardt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Predigt in Stichworten über Markus 9, 14-29 (dänische Perikopenordnung)

Der Glaube
Man kann nicht selbst bestimmen, ob man glauben will. Glaube ist etwas, was einem auferlegt wird, aufgezwungen wird. Man bestimmt auch nicht, ob man sich verlieben will. Oder ob man hassen will. Gefühle stehen nicht in unserer Macht.

Hier ist der Mensch wie ein Spiegel, der nur wiedergibt, was und wer sich in ihm wiederspiegelt. Wenn wir einem glaubwürdigen Menschen begegnen, können wir gar nicht anders als ihm glauben. Wenn wir Gott durch sein Wort begegnen, kommt der Glaube. Es sei denn, wir hätten unsere Liebe schon auf etwas anderes geworfen, das deshalb unser Herz erobert hat und den Platz eingenommen hat, so daß nichts anderes hineinkommen kann.

Der arme Vater, von dem wir im heutigen Evangelium hören, ist gespalten. Er will gerne glauben, denn er glaubt, daß der Glaube die Voraussetzung dafür ist, daß sein Sohn wieder gesund werden kann. Aber er kann nicht, denn Jesus war nicht imstande, ihm Zutrauen oder Vertrauen einzuflößen.

Die Schuld
Es ist schwierig für Jesus, sich glaubwürdig zu machen. Eines ist, daß er Wunder vollbringen kann. Das können viele, auch heute. Heiler gibt es überall. Aber Jesus sollte nicht nur heilen, sondern auch Sünden vergeben, das Verhältnis zu Gott wieder herstellen.

Denn das war ja durch die Krankheit gestört.
Die Krankheit wurde als Strafe für böse Taten verstanden.
Der von Dämonen Besessene mußte seinen Dämon als Strafe tragen.
Daß er ihn nicht gewählt hatte, sondern daß er über ihn hergefallen war, machte keinen Unterschied.
Böses ist böse und soll bestraft werden.

So ist es ja auch heute.
Bekommt man Krebs, wird man gefragt, was man falsch gemacht hat.
Hat man falsch gegessen?
Hat man die falschen Erlebnisse gehabt?
Die Herzvereine oder die Herzmafia schicken uns in die Wälder, um Tiere und Pflanzen niederzutreten unter dem Motto: "Laufe für dein Leben!"
Stirbt man nicht da draußen an einem Herzschlag, ist man selber schuld, wenn man zuhause umfällt.

Immer mehr Leute stellen sich die Frage: Willst du krank sein? Wenn du nicht willst, wirst du es nicht. Krankheit ist heute eigene Schuld.
Da die Sterblichkeitquote fast bei 100% liegt, sind wir also alle immer schuldig.

Deshalb ist der Bericht im heutigen Text so aktuell wie je.
Jesus heilt nicht nur, er vergibt uns auch unsere Schuld und unsere Sünde.

Die Vergeßlichkeit
Vergebung ist deshalb, daß die Schuld entfernt wird. Sie wird verdrängt und vergessen. Gott verdrängt sie.

Vergessen ist oft schlecht angesehen. Seit den mittelalterlichen Sündenspiegeln bis hin zu modernen Psychiatrie hat man die Vergeßlichkeit bekämpft. Die Angst davor, die Augen zu verschließen und sich nicht mehr erinnern zu können, ist ein Merkmal unserer Kultur.

Alzheimer ist eine der am meisten gefürchteten Krankheiten.

Die Verdrängung wird mit allen Mitteln bekämpft.

Mnemotechnik, Schrift und Elektronik werden mobilisiert, um die Vergeßlichkeit zu bekämpfen.

Vergebung aber ist, daß Er vergißt. Und wenn Er das tut, können wir es auch.

"Vergißt du, dann erinnere ich mich", heißt es in einem däni­schen Song. Wenn es ein Kirchenlied wäre, müßte es heißen: "Vergißt du, brauche ich mich auch nicht mehr zu erinnern".

Dem armen Vater fiel es schwer zu vergessen. Er war wie die meisten für kürzere oder längere Zeit im Leben schizophren. Nicht im Sinne einer Diagnose, sondern als Existenz.

Gott ist Liebe. Gott sieht alles, Gott behält alles, aber er vergißt alles andere als die Liebe.

Menschen, wir sind glücklich.

Wir sind durchschaut und übersehen. Amen.

Bischof Dr. theol. Jan Lindhardt
Palæet
DK-4000 Roskilde
Tlf.: ++ 45 - 46 38 19 20
e-mail: jal@km.dk


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