Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Matthäus 2, 1-12, verfaßt von Joachim Ringleben
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Das Ziel der Weisheit
Predigt in der Klosterkirche Bursfelde

Liebe Gemeinde!

Es gibt Bedürfnisse in uns Menschen, die nicht zu unterdrücken sind und die auch durch keine Tatsachen der realen Welt zu widerlegen sind. Dazu gehört die Sehnsucht nach Frieden.

Wir ahnen nicht, liebe Gemeinde, während wir diese stillen Stunden des Heiligen Abends hier friedlich begehen, was anderswo in unserer Welt, im Irak, in Afghanistan, in Israel Palästina an Terror und Blutvergießen gerade in diesen Augenblicken geschehen mag. Wer weiß schon, was der Wahnsinn der Terroristen sich für die Weihnachtstage ausgedacht hat. Wir wissen jetzt noch nichts davon. Was wir aber mit aller Gewissheit wissen, ist, dass die Wahrheit Gottes für die Welt und für uns Frieden heißt.

Wir sind jetzt hier wieder zusammengekommen, weil wir den wahren Frieden suchen und weil wir Frieden als die Wahrheit für den Menschen bezeugen wollen. Denn das ist der Sinn von Weihnachten: dass von Gott her Friede sein soll und Erlösung von allem Unfrieden in den Herzen und in der Welt. Noch ehe es die besonderen Lichterketten für den Frieden gab, waren immer schon die brennenden Weihnachtskerzen in allen Häusern ein Zeugnis für diesen Gottesfrieden – landauf, landab.

I.

Vor diesem Hintergrund und gerade angesichts unserer friedlosen Weltlage kann es uns eigentlich nicht schwer fallen, die alte Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland gut zu verstehen. Diese „Weisen“, bei Matthias steht magoi , magi, „Magier“, was sind das für Leute? Man kann an persische Priester oder Sternkundige aus Babylonien denken – auf jeden Fall müssen wir sie uns als Männer voll Weisheit, mit einem tiefen Blick in die Wirklichkeit und die Geschichte vorstellen. Sie suchen den Erlöser der Welt, und dieser Weitblick bringt sie nach Jerusalem und nach Bethlehem. Getrieben von der Sehnsucht nach Frieden, bewegt von der Frage nach Gott sind sie unterwegs – mit langem Atem, auf einem langen Weg. Als wüssten sie schon: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nah herbeigekommen“ (Röm 13,12) und nicht mehr fern, lassen sie sich, unbeirrbar und keine Mühe scheuend, bei ihrer Suche leiten von einem besonderen Stern, den sie geschaut haben, dem sie folgen, der ihre Reise von fern her mit ihnen wandernd überstrahlt.

Sie kommen aus dem Osten, der anatolh, dem Orient, der Gegend, wo das Licht zuerst zu scheinen beginnt und schließlich die Sonne aufgeht. Ex oriente lux: Licht aus dem Osten, ist die alte Formel dafür. Und so erkennen sie „den Stern“, das Licht für alle Welt, schon an seinen ersten Spuren. Ihre Herkunft ist das „Morgenland, das Land der aufgehenden Sonne, wo alle religiöse Weisheit ihren Ursprung nahm. Es sind fromme und weise Heiden, Sterndeuter, die in der Natur, in der Ordnung des Sternenhimmels etwas ahnen von der Gnadensonne. In ihrem Morgenland haben sie spurenhaft etwas vom Morgenglanz der Ewigkeit wahrgenommen; darum machen sie sich auf, begeben sich auf die Reise zu einem fernen Ziel. Und an diesem Ziel, in Bethlehem angelangt, wird sie das Licht der Heiligen Nacht überstrahlen – diese vornehmen Fremden genauso wie die einfachen Hirten, die wir aus dem Lukasevangelium kennen.

Schon früh hat die christliche Volksfrömmigkeit in diesen „Weisen“ drei Könige, die heiligen drei Könige sehen wollen. Man hat dabei unsere Geschichte kombiniert mit einem Vers beim Propheten Jesaja: „Und die Heiden werden zu deinem Licht ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht“ (60,3). Auch im 72. Psalm hieß es schon „die Könige von Tarsis und auf den Inseln sollen Geschenke bringen, die Könige aus Saba und Scheba sollen Gaben senden. Alle Könige sollen vor ihm niederfallen“ (10f) – vor ihm: dem Friedefürsten von Gott her. Wollen wir in ihnen solche weisen Könige sehen – Luther war bekanntlich nicht dafür - , so sind es jedenfalls Herrscher, die wissen, dass sie selber der Menschheit nicht letzten Frieden und wahres Heil verschaffen können; und sie erleben ja an Herodes schlaglichtartig, wie leicht königliche Macht pervertieren kann.

Sie suchen den wahren König, und sie finden den Ehrenkönig Jesus Christ, das göttliche Kind, dessen Joch sanft ist, und seine Last leicht (Mt 11,30).

II.

Sie suchen den wahren „König der Juden“ und geraten zunächst an den falschen. Der in Israel erwartete Erlöser, der gesalbte König, der Messias Gottes, der Christus – er wird von dem Gewalthaber Herodes sofort als tödliche Konkurrenz empfunden. Die Zweideutigkeit des Weltlaufs verstrickt auch diese Weisen, die das Absolute suchen und nichts ahnend in den Teufelskreis politischer Selbstbehauptung hineingeraten. Herodes scheut vor dem Verbrechen nicht zurück, um seine Macht zu behalten. Der reine Glaube dieser Weisen, er gerät ins Intrigenspiel irdischer Machtsicherung; ihre Suche nach Frieden wird missbraucht, wird übel manipuliert. So geht es zu auf dieser Erde: zutiefst zweideutig. Heute erleben wir, dass ein Sternenbanner in den Orient getragen wurde.

So schlittern die ahnungslosen, frommen Weisen in den Unheilszusammenhang: Sie werden unschuldig mitschuldig an dem wahnsinnigen Kindermord des Herodes; dieser heillose und ganz und gar unheilige König will zum Königsmörder werden, zum Mörder an Christus.

Aber wir wissen ja, auch Jesus selber entging nicht dieser tödlichen Zweideutigkeit der Welt und ihrer Gewaltmechanismen. Der Kindermord ist ein Vorspiel seiner Kreuzigung.

Das Kreuz Jesu wird auch wieder in Jerusalem aufgerichtet, und auch bei dem Beschluss über seinen Tod sind die Priesterkaste und die Schriftgelehrten mit von der Partie.

Ein anderer eiskalter Herrscher und Politiker, der Römer Pontius Pilatus, fragt ihn: „Bist du der König der Juden“ (Joh 18,33) und schreibt schließlich an das Kreuz von Golgatha: „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ (Joh 19,19). Was für ein König hier kommt, dessen Reich nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36), hat Pilatus nicht begriffen.

Aber Gottes Lenkung hat genau diesen Tod des Unschuldigen zum Heil der Welt, zur Erlösung aller Menschen gemacht. Diese göttliche Lenkung wird auch in unserer Geschichte über die drei Weisen leise spürbar, schimmert durch alles hindurch.

III.

Dafür, für diese verborgene Führung durch Gott, steht in unserer schönen Geschichte der weit leuchtende Stern. Auch hier gibt es eine Weissagung im AT: im Munde des Propheten Bileam ist vom „Stern aus Jakob“ die Rede (4. Mose 24,17).

Die drei Weisen aus dem fernen Morgenland haben an einem außergewöhnlichen Stern, der vielleicht tatsächlich um die Zeit von Jesu Geburt am Himmel erschienen war, eine neue Konstellation für den ganzen Kosmos abgelesen. Sie waren innerlich geöffnet für dies Zeichen Gottes in der Natur, und indem sie, die Heiden, kommen, um Christus anzubeten, bezeugt unsere Erzählung, dass das christliche Heil universal ist, dass Gott auch den Heiden sich nicht unbezeugt lässt, dass er die Wirklichkeit im ganzen verborgen auf Christus hinlenkt. Im Matthäus-Evangelium und den anderen Evangelien kommen daher immer wieder auch einzelne Heiden zu Jesus (8,5ff; vgl. Mk 7,24ff; Joh 12,20). Der Apostel Paulus hat daher begriffen, dass das Evangelium der ganzen Welt gilt und wurde konsequent zum Apostel der Heiden, so dass der Christusglaube auch uns hier erreichen konnte.

Ich stelle mir aber auch vor, dass die drei Weisen über die Sterndeutung hinaus eine Ahnung von den Überlieferungen im jüdischen Volk gehabt haben, von den dunklen Weissagungen eines Friedensbringers, der aller Welt verheißen war.

Nicht zufällig wird hier die Spur am natürlichen Himmel durch die Heilige Schrift, durch die Worte des Propheten Micha eindeutig gemacht: „Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll“ (V. 6). Erst Gottes klares Wort bringt die stumme Himmelserscheinung wirklich zum Sprechen.

Gleichwohl: dieser Stern führt die Magier auf ihrem weiten Weg, leitet sie bei ihrer mühevollen Suche, und sie reisen nachts, um so sein Leuchten im Dunkel der Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Er strahlt schließlich auch über dem Dunkel des Stalles von Bethlehem für sie auf. Hier sind sie am Ziel:

„Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, freuten sie sich mit einer übergroßen Freude und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter“ (V. 6).

Der Stern über der Krippe – ein ewiges Bild. Das Höchste und das Niedrigste, ganz oben und ganz unten berühren sich, das Kleinste und das Größte gehen eine wunderbare Konstellation ein. Man kann es nicht besser sagen wie Luther und kann es nicht oft genug wiederholen: „Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt nun in Marien Schoß“ (EG 23,3). Wahrlich ein ewiges Bild, das Bild ewigen Heils. Der eine herrlich schimmernde und leuchtende Stern und das stille Wunder von Mutter und Kind – das ist das Bild wahrer Ruhe und wahren Friedens.

Wie oberflächlich wirkt dagegen der glitzernde Weihnachtsschmuck in unseren Geschäftsstraßen, in denen die Menschen hasten und drängen – ohne die Ruhe zu finden, die sie doch alle suchen.

Im Herzen unserer lieben Weisen kommt daher eine tiefe Freude auf, die Weihnachtsfreude: Sie haben gefunden, was sie suchten, sie sind am Ziel, sie haben den Frieden, der höher ist als alle Vernunft, und er bewahrt ihre Herzen und Sinne in sich.

IV.

Das alles reißt sie hin: zu Anbetung und zum Verschenken des Kostbarsten an dieses Kind. Auch hier nimmt unsere Erzählung eine alttestamentliche Weissagung auf: „Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkünden“, heißt es wieder bei Jesaja (60,6).

Sie geben ihr Bestes, denn hier gehört es hin. Die armselige Krippe, über der der Stern leuchtet, ist Anfang des Größten und Kostbarsten, was es für uns Menschen gibt: von Gott selber seiner Zuwendung gewürdigt zu werden, Kind Gottes zu sein.

Liebe Gemeinde, in allem bisher Gesagten schon können die Weisen aus Morgenland unser Vor-bild sein. Aber nirgends handeln sie so sehr auch für uns, wie mit dem Wegschenken ihrer Schätze an das göttliche Kind.

Der Stern, den sie sahen, leitete sie zwar nicht zu einem „Star oder Superstar“, sondern zu Gottes Geschenk an diese Welt. Sie schenken, weil sie sich unendlich beschenkt wissen. Sie bringen ihren Reichtum in die arme Hütte und beweisen damit doch nur, welch unvorstellbarer Schatz für die Welt hier verborgen ist.

Was sind die Schätze der Weisen: Gold, Weihrauch und Myrrhe – gegen den, „in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“, wie der Kolosserbrief sagt (2,3)!

Sie, die Großen, seien es nun Weisheitsucher oder Könige, sie demütigen sich vor dem Kind. In ihrer Verehrung leuchtet seine unfassbare Wahrheit auf: in der Anbetung werden sie selbst wahr und wahre Menschen. Wer hier anbetet, wird selber verwandelt und geheiligt: So sind die heiligen drei Könige unser Vorbild. Wir pilgern ja auch hierher nach Bursfelde zum Licht der Weihnacht, wie viele andere Menschen jetzt auf der ganzen Welt durch dunkle Städte in die erleuchteten Kirchen gehen.

Und wenn wir beten: „Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesus, du mein Leben, ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben“ (EG 37,1) – dann werden auch wir durchstrahlt vom Licht der neuen Welt und dann können wir – ähnlich wie die drei Weisen – „auf einem anderen Weg“ wieder nachhause gehen. Das schenke Gott uns allen.

A m e n .

Prof. Dr. Joachim Ringleben, Abt zu Bursfelde
Dahlmannstraße 24
37073 Göttingen
Tel. (dienst.) 0551-39-7115; Tel. (priv.) 0551-59560
E-Mail c/o: Regine.Pfau@theologie.uni-goettingen.de


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