Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

4. Sonntag im Advent, 21. Dezember 2003
Predigt übe
r Johannes 3, 25-36, verfaßt von Erik Høegh-Andersen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Prophet, der draußen bleibt

Wenn man hier an den letzten Sonntagen vor Weihnachten die Gelegenheit erhält, sich in Erinnerung zu rufen, was die Evangelisten über Johannes den Täufer schreiben, kann einem der gute Johannes fast leid tun. Er wird nämlich beschrieben als der, der mehr als jemand sonst das Kommen des Reiches Gottes verkündet, selbst aber nicht hineinkommt. Er gehört dem alten Zeitalter an, während Jesus und das Reich, das er vertritt, der Beginn eines neuen Zeitalters ist.

Johannes der Täufer ist also nicht eigentlich als ein Christ zu verstehen. Er spricht von Christus, von dem Gesalbten Gottes, der kommt und alles neu macht. Er steht draußen in der Wüste und spricht von den Propheten vor ihm, von dem Reich mit Gerechtigkeit und Frieden und Freude, das die Wüste zum Blühen bringt und den Menschen frei macht; das erfordert Umkehr, ja ein ganz neues Leben, um in das Reich Gottes eintreten zu können. Nichts liegt ihm mehr am Herzen. Er freut sich schon, so wie sich der Brautführer freut, wenn er den Bräutigam kommen hört, um seine Braut zu holen.

Er selbst aber nimmt am Fest nicht teil. Er bleibt draußen stehen. So wie Moses nicht in das verheißene Land kam, sondern es nur schaute, so wird Johannes die Freude und die neue Zeit nicht zuteil, die er sich ersehnt hat.

Er steht nun da mit seiner Sehnsucht, seinem Zweifel und seinem Glauben - der Evangelist erzählt, daß er bis zuletzt, im Gefängnis vor seinem Tode, dran zweifelt, daß Jesus der Christus ist, der da kommen soll. Er ist wie der Irdische, der vom Himmel träumt, aber von sich aus nicht hineinkommen kann.

Glaube als Sehnsucht

Johannes, der sich sehnt, aber nicht hinkommt, Johannes, der draußen bleiben muß - dieser Johannes ist für mich eine Person, in der sich heute viele Menschen wiedererkennen können. Heute, wo wir wieder anfangen, vom Christentum zu reden und von Gott und vom Glauben. Selbst alte Rationalisten oder bekennende Atheisten beginnen von der Bedeutung des Glaubens für das Leben zu schreiben. Das sieht man inzwischen in vielen Büchern. Auch in den Medien wird wie nie zuvor davon gesprochen und geschrieben, was Glaube ist und was Gott ist.

Aber hier wird sogleich eines deutlich: Glaube ist nicht einfach mehr das, was es einmal war. Und Gott vielleicht auch nicht.

Glaube ist nicht die unerschütterliche Gewißheit, daß alles wahr ist, was im Glaubensbekenntnis steht. Ja Glaube und Zweifel gehören zusammen - wir wissen vielleicht nicht einmal, wie wir uns zur Frage nach der Existenz Gottes verhalten sollen. Wenn es also um den Glauben geht als innere Gewißheit, als Bekenntnis zur Existenz Gottes, dann werden viele sagen, daß sie da nicht mehr folgen können. Auch wenn ihnen all das, worum es im Glauben geht, wovon das Christentum handelt, am Herzen liegt. Ja sie haben in sich eine Sehnsucht, es zu spüren, mit ihm in Berührung zu kommen. Dennoch können sie sich nicht überwinden, sie sind nicht mit dabei. Ihr Los ist es, draußen stehen zu müssen.

In einer dänischen Zeitung gibt es in diesen Wochen eine sehr interessante Serie von Interviews, die das zeigt. Hier werden vier Menschen interviewt. Ihnen ist gemeinsam, die sie außerhalb der christlichen Kirche stehen, außerhalb des bekennenden Glaubens, während sie fasziniert, wenn auch kritisch in ihn hineinblicken.

Das erste Interview ist mit einem norwegischen Psychiater. Wenn es davon spricht, wie der moderne Glaube aussieht, spricht er von seinen vielen Gesprächen her mit Menschen, denen er begegnet. Der moderne Glaube, stellt er fest, hält sich nicht an eine Ganzheit oder einen festen Orientierungspunkt. Den Glauben finden wir vielmehr in einer Unruhe in uns, einer Sehnsucht. "Wir sind voll von Sehnsucht, aber wir erhalten nicht das, wonach wir uns sehnen. Wir fühlen, daß wir etwas verloren haben, was wir nie besaßen. Wir trauern, ohne zu wissen, worüber .. in unserer Sehnsucht ist ein religiöser Ton, eine Sehnsucht nach Gott".

Dennoch sieht er sich selbst und viele andere als Betrachter, die draußen vor stehen. Die innere Glaubenserfahrung, Gott als Gegenwart, als Wirklichkeit können er und viele mit ihm nicht erlangen. Dazu gibt es allzu viel Zweifel und Bewußtsein und Vernunft in unserem Leben.

Auch wenn die Glaubens lust , oder die Hoffnung bestimmt auch da ist, daß dies für mich Wirklichkeit werde.

Glaube als Gabe

Ich glaube, daß diese Darstellung dessen, wie Glaube heute oft aussieht, richtig ist. Aber ich glaube auch, daß hier etwas angesprochen wird, was allgemein uns allen gilt, ob nun unser Glaube vage ist oder fest und stark. Glaube ist nämlich immer zugleich eine Sehnsucht, eine Unruhe, eine Offenheit gegenüber etwas, das wir unmöglich besitzen oder festhalten können. Das Geschenk des Glaubens besteht darin, daß wir hin und wieder eine innere Gewißheit spüren, daß es so ist, daß mein Leben in Gott ruht. Das Geschenk des Glaubens besteht darin, daß wir von einer Freude angerührt werden, einer Hoffnung und einem Leben, die nicht gerade von uns selbst kommen. Das Geschenk des Glaubens besteht darin, daß unsere Sehnsucht in irgendeiner Weise erfüllt wird, eine Antwort erfährt. Und das, was wir erfahren, ist eben dies, daß es nicht von uns selbst kommt.

Eben dies ist Johannes dem Täufer so sehr bewußt. Ein Mensch, sagt er, kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Glaube ist nicht etwas, was wir nur nehmen können, Glaube ist letztlich etwas, das uns geschenkt wird. Die Gnaden-Gabe des Glaubens, wie man dies ja genannt hat. Den Glauben kennen wir also zunächst als Sehnsucht, Unruhe, Faszination, aber ob er auch zu einer Gewißheit des Herzens wird, zu seligen himmlischen Tropfen, oder zu einer inneren Quelle, wo es aus einer unerklär­lichen Quelle sprudelt, das wissen wir nicht. Ja vielleicht ist dies nur sehr selten der Fall.

Und dann ist es vielleicht besser, daß wir statt dieses starken Glaubensbewußtseins in der Wüste bleiben, in unserem Mangel, und uns sehnen nach Ruhe, nach Wasser.

In der Wüste

In dem Interview finden wir, daß gerade Wüstenlandschaften eine starke Anziehungskraft auf den Psychiater ausüben. In seinem Büro haben alle vier Wände die Farbe des Wüstensandes. Die Wüste als der eigentliche Aufenthaltsort der Propheten und Asketen, die Wüste, in der Johannes der Täufer seine Stimme erhob. "Die Leere und Öde der Wüste spricht mich an", sagt er, "denn hier wird nichts verlangt. In phantastisch schönen Landschaften werden wir leicht an unsere eigenen Mängel und Unvermögen erinnert ... Aber die Wüste ist trocken, leer, zerpflückt und rein ... Die Wüste ist ohne Annehmlichkeiten und frei von Stimulanzen. Hier herrscht eine Stille, die uns drinnen in der Stadt erschrecken würde. Die Wüste lädt ein zur Begegnung mit einem selbst. Hier ist man einsam, und man weiß es".

Also die Wüste ist der Ort, wo wir unser Leben ungeschminkt sehen, so wie es ist. In der Wüste finden wir in uns die innerste Sehnsucht, das, was uns wirklich fehlt. In der Wüste werden wir nicht verstreut, sondern wir erreichen eine Konzentration auf das eine, das wichtig ist in unserem Leben.

Die Wüste ist in diesem Sinne der Ort des Glaubens oder der Sehnsucht. Und wir wissen: Immer, wenn wir dorthin kommen, wenn wir eine Quelle sehen, Wasser trinken, dann geschieht dies als eine Gabe. Ja, die Wüste als eine geistige Stätte der Zuflucht lehrt uns vielleicht letzten Endes die Demut, die notwendig ist, damit wir alles das empfangen können, was von Gott kommt. Wo wir kleiner werden müssen, damit Gott mit seinem Leben, mit seiner Liebe und seiner Freude in uns groß werden kann.

Ein Weihnachtsgebet

Heute ist der letzte Sonntag vor Weihnachten, bevor wir die große Freude für uns alle feiern, daß Gott nicht mehr in seinem Himmel ist, sondern zu uns gekommen ist auf unsere Erde. Die Frage ist: Kann das für uns wirklich werden? Können wir die göttliche Nähe erfahren, die himmlische Gabe, die tiefe Freude und den Frieden der Weihnacht? Oder sind wir noch immer Menschen der Sehnsucht, die draußen bleiben müssen? Außerhalb der Krippe und der Freude, die uns dort begegnet. Draußen in der Wüste, die so endlos und leer sein kann.

Dieser Sonntag ist deshalb für mich ein Gebet zu Gott, daß die Freude der Weihnacht, der Friede der Weihnacht auch zur Leben schenkenden Freude und himmlischem Frieden in uns werden möge.

In Grundtvigs Lied "Willkommen, du liebe Engelschar" finde ich den schönsten Ausdruck für dieses Gebet.

Es ist ein Lied, das Grundtvig am Weihnachtstage 1825 in der Erlöserkirche in Kopenhagen vortrug. Zeugen dieses Ereignis­ses in der vollen Kirche haben beschrieben, wie Grundtvig aufleuchtete, als er die Kanzel betrat. "Ein verklärter Glanz lag über seinem Gesicht, wie bei jemandem, der ins Paradies geschaut hat. Am größten war der Glanz und tief bewegt seine Stimme, als er seine Predigt mit der Bemerkung abschloß, daß ihm in dieser heiligen Nacht ein neues Lied geschenkt wurde, das er nun mitteilen wolle".

Er hatte es erhalten , ein Geschenk von oben. Vorhergegangen war aber eine Nacht, in der sich Grundtvig in die Finsternis versetzt fühlte, in die Wüste, draußen. Man hat es sich so vorgestellt, wie Grundtvig die ganze Nacht ruhelos umherging, unruhig in sich selbst. Wie er an die Predigt des nächsten Morgens dachte, an die Vision der Hirten, die Freude, den kindlichen Jubel. Und doch fühlte er, daß diese Freude weit, weit weg war von ihm. Er empfand es vor allem so, als stünde er draußen auf dem Felde zusammen mit den Hirten, in der Finsternis, der Kälte, ohne daß irgendetwas passieren würde. Kein Licht, keine Engel. Keine Freude, kein Leben. Alles war so, wie es immer gewesen war. Was in Bethlehem geschah, würde in Grundtvig selbst nicht Wirklichkeit werden.

Grundtvig war traurig und niedergeschlagen. Nicht nur für sich, sondern auch seiner Kirche wegen. Um sich sah er eine Kirche, die in Hirngespinsten verfangen war. Nur was die Vernunft und die Gelehrten sagten, galt. Was das Herz ansprach, das Gefühl, die Phantasie - damit rechnete niemand. Deshalb gab es keine Visionen und keine wirkliche Freude in der dänischen Kirche. Da war nur ein welkendes und engbrüstiges Christentum, das mangels Freude und Leben zu ersticken drohte.

So war Grundtvig rastlos und traurig in der Stube auf und ab gegangen. Zwischendurch hatte er aus dem Fenster gesehen, in den dunklen Himmel mit seinen Millionen von Sternen.

Und plötzlich geschieht etwas. Grundtvig steht wieder am Fenster und sieht hinauf zu den leuchtenden und glitzernden Sternen des Himmnels. Da ist es, als würden die Sterne lebendig vor seinen Augen. Er sieht sie als Engel, die wie Sonnenstrahlen vom Himmel herabtanzen auf die dunkle Erde. Leuchtende und selige Engel. Grundtvig hat gesehen, was die Hirten auf dem Felde in der heiligen Nacht sahen. Und er setzt sich hin und schreibt:

Willkommen, du liebe Engelschar,
aus hohem Himmelssaale
mit Kleidern aus Sonnenschein so klar
im dunklen Erdentale!
Trotz klirrendem Frost ein gutes Jahr
ihr bringt für's Feld, das kahle!

Mitten in der Traurigkeit, in der Finsternis und der Kälte haben die Engel sich dennoch Grundtvig gezeigt. Er hat sie singen gehört. Er hat ihren himmlischen Glanz gesehen. Der Himmel hat sich geöffnet. Etwas ist wieder lebendig geworden. Eine Hoffnung. Ein Herzschlag. Ein kindlicher Traum von Vogelgesang und Sommer.

Und Grundtvig sieht vor sich, wie die Engel mit himmlischer Freude zu den Menschen kommen, die in Armut und geistiger Dürre leben. Und er sieht, wie sie für die Kinder singen. Die Kinder mit den blauen Augen, die die Tiefe des Himmels widerspiegeln. Und er sieht, daß die Kinder träumend den Engeln folgen auf ihrem Weg - nach Bethlehem, in ein himmlisches Land. Und Grundtvig selbst folgt ihnen als Erwachsener. Er beschreibt, was er sieht. Und als die Nacht vorüber ist, hat er ein wunderschönes Lied darüber gedichtet, was wir vielleicht als himmlische Gabe sehen werden.

Aber wir wissen es nicht. Wir können es nicht erzwingen. Es muß zu uns kommen als ein Geschenk, das die Engel des Himmels zu uns bringen hier in unser irdisches Leben. Und deshalb schließt das Lied mit einem Gebet. Ein Gebet aus dem Ort der Traurigkeit, der Wüste, unserer Sehnsucht:

O dürften wir nur die Freude sehn
vor unserm letzten Schlummer
dann schwindet der Schmerz wie Mutterwehn
beim Wiegenlied im Schlummer.
Laß, Vater im Himmel, dies geschehn!
Wieg fort den Weihnachtskummer!

Laßt dies unser Gebet sein, hier am letzten Sonntag vor Weihnachten.

Amen.

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 - 39 65 43 87
e-mail: erha@km.dk

 


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