Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Predigt über biblische Gestalten im Jahr der Bibel 2003
"Maria Magdalena", verfaßt von Sonja Domröse
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!

In diesem Jahr feiern die Kirchen in Österreich, Frankreich und der Schweiz gemeinsam mit den Christinnen und Christen in Deutschland das Jahr der Bibel. Unter dem Motto „Suchen. Und Finden.“ soll in dieser ökumenischen Aktion das Bewusstsein der Menschen für dieses großartige Buch gestärkt und die kulturelle Bedeutung der Bibel sichtbar gemacht werden.
Hier in unserer Gemeinde startet als ein Beitrag zum Jahr der Bibel deshalb heute die Predigtreihe zu großen Gestalten im „Buch der Bücher“, wie die Bibel ja auch genannt wird. In loser Reihenfolge soll in den Gottesdiensten der kommenden Wochen jeweils eine Person aus dem Alten oder Neuen Testament besonders in den Mittelpunkt gerückt werden.
Wir beginnen mit einer der bedeutendsten Frauengestalten im Neuen Testament, mit Maria Magdalena.
Warum sie neben der anderen Maria, der Mutter Jesu, von so großer Bedeutung sowohl in der biblischen Tradition als auch in der Wirkungsgeschichte der Kirche ist, möchte ich versuchen, heute morgen deutlich zu machen.

Wenn wir uns Jesus vorstellen, wie er in den Jahren seines öffentlichen Wirkens durch die Städte und Dörfer in Galiläa wanderte und Menschen vom Reich Gottes predigte, dann verbinden wir mit diesem Bild wohl meistens eine Gruppe von Männern, die mit ihm gemeinsam unterwegs war. Wir denken dann an die 12 Jünger: Einfache Männer aus dem Volk, manche von ihnen Fischer von Beruf, die meisten aus der Gegend rund um den See Genezareth. Diese Männer folgten Jesus, weil sie von seiner Liebe und Barmherzigkeit zu den Menschen fasziniert waren. Sie ließen ihr alltägliches Leben zurück, um Jesus ganz nahe zu sein.
Aber in dieser Gemeinschaft, die mit Jesus zusammen unterwegs war, gab es nicht nur Jünger. Es gab auch eine ganze Anzahl von Jüngerinnen, von denen wir nur einige namentlich kennen. So schreibt Lukas im 8. Kapitel seines Evangeliums in den Versen 1-3:
„ Und es begab sich danach, dass Jesus durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.“

Etwas dürftig sind diese Informationen über die Jüngerinnen Jesu schon. Nur von dreien erfahren wir die Namen, obwohl, wie Lukas schreibt, noch viele andere mit Jesus unterwegs waren. Einige dieser Frauen müssen recht wohlhabend gewesen sein, denn sie „dienten mit ihrer Habe“, d.h. sie sorgten mit ihrem Geld für Essen und Trinken, Unterkunft und finanzielle Unterstützung für Jesus und seine Gefährten.

Das ist schon eine ungewöhnliche Situation: Frauen machen sich gemeinsam mit Jesus auf den Weg. Sie verlassen zumindest zeitweise ihre Familien, um sich ihm und seiner von Ort zu Ort wandernden Schar anzuschließen. Sie wollen dabei sein, wenn er Kranke heilt und den Armen das Evangelium predigt. Sie unterstützen ihn finanziell und gehen mit ihm nach Jerusalem. Unter ihnen ist Maria Magdalena. Sie bekommt diesen Namen, weil sie aus dem Ort Magdala stammt, einem Dorf am See Genezareth. Wir erfahren darüber hinaus nicht viel von ihr, nur, dass Jesus sie von „sieben bösen Geistern“ befreit hat. Vielleicht eine epileptische Erkrankung, vielleicht auch ein manisch-depressiver Zustand.
Nach ihrer Heilung schließt sie sich Jesus an und wandert mit ihm bis nach Jerusalem
Am meisten erfahren wir von dieser herausragendsten Frau an der Seite Jesu in den Geschichten der Kreuzigung und Auferstehung. Alle vier Evangelien berichten nämlich übereinstimmend, dass Maria Magdalena gemeinsam mit anderen Frauen unter dem Kreuz Jesu stand, bei Markus und Matthäus heißt es: „Sie standen von ferne“ (Mk 15,40; Mth 27,55). Von den Jüngern dagegen keine Spur, bis auf Johannes, von dem es im gleichnamigen Evangelium heißt, er habe mit der Mutter Jesu und den anderen Frauen unter dem Kreuz gestanden.

Warum ließen die Jünger Jesus in der Stunde seines Todes allein und nur die Frauen waren in seiner Nähe?
Richtig zu verstehen ist dies wohl nur, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die damalige Politik gegen alle als aufständisch Angesehenen aussah. Die Römer hatten als Besatzungsmacht das Sagen in Israel und als Strafe für Aufstand gegen die Besatzer wurde der Tod am Kreuz verhängt. Die Kreuzigung eines Menschen hatte schwere Konsequenzen für alle seine Verwandten und Freunde. Die Justiz bestimmte, dass ein gekreuzigter Verbrecher zur Abschreckung am Kreuz hängen bleiben sollte, bis die Tiere seinen Leichnam gefressen hatten. Die Verweigerung der Bestattung war ein Teil der Strafe, die auch Freunde und Verwandte oder, wie im Fall Jesu, Anhänger treffen sollte. Deswegen wurden gekreuzigte Leichname von römischen Soldaten bewacht, damit niemand sie stehlen konnte. Wie die Bestattung, so war auch die Trauer verboten. Menschen, die über den Tod eines Hingerichteten öffentlich weinten, liefen Gefahr, selber hingerichtet zu werden.
Selbst wenn Maria Magdalena und die anderen Frauen also nur von ferne standen, so nahmen sie doch kein geringes Risiko auf sich, denn die Justiz schonte auch keine Frauen und Kinder. Zum Grab zu gehen war ebenfalls gefährlich, denn die Römer befürchteten, dass die Gräber hingerichteter Gegner des Reiches zur Wallfahrtsstätte von Gesinnungs-genossen werden könnten.

Wiederum in allen vier Evangelien wird übereinstimmend davon berichtet, dass sich Maria Magdalena am Ostermorgen auf den Weg zum Grab machte, um den Leichnam Jesu zu salben. Eine letzte zärtliche Wohltat wollte sie damit dem geschundenen Leib Jesu erweisen.
Bei Johannes findet sich dann die wohl innigste Schilderung dessen, was Maria am Grab erlebte:
Weinend steht sie vor dem Grab, als sie zwei Engel erblickt, die sie fragen „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortet ihnen: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Weiter heißt es dann in der Luther-Übersetzung:
„ Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Spricht Jesus zu ihr: „Maria!“ Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebräisch „Rabbuni!“, d.h. „Meister!“
Spricht Jesus zu ihr: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott!“
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“ (Joh. 20,14-18).

Mich rührt diese innige Szene jedes Mal wieder, wenn ich sie höre. Maria erkennt Jesus erst, als er sie bei ihrem Namen nennt. Sie wiederum möchte ich ihn berühren und umarmen, aber Jesus ist nicht mehr der, der er vor seinem Tod war. „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren“, wehrt er ab.
In diesen wenigen Worten wird spürbar, wie nahe Jesus und Maria Magdalena sich gewesen sein müssen. Mit Fug und Recht können wir wohl sagen: Sie war die Frau, die ihm am nächsten stand.
Und so erfährt sie folgerichtig auch als erste von allen Jüngern und Jüngerinnen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Mehr noch, sie erhält von Jesus persönlich den Auftrag, seinen Jüngern diese frohe Botschaft zu überbringen. Sie wird damit zur ersten Zeugin seiner Auferstehung, zu ersten Predigerin des Evangeliums.

In der Kunstgeschichte gibt es viele Darstellungen der Maria Magdalena. Eine, die ich besonders eindrückliche finde, möchte ich an dieser Stelle kurz beschreiben. Das Bild stammt aus dem Albani-Psalter, einer mit kostbaren Bildern ausgeschmückten Bibel des 12. Jahrhunderts, die in Hildesheim aufbewahrt wird.
Diese Illustration zeigt Maria Magdalena, umkränzt von einem Heiligenschein, wie sie den verbliebenen 11 Jüngern verkündet, dass ihr am Ostermorgen der auferstandene Jesus erschienen ist.
Eine einzelne Frau steht einer Gruppe von Männern gegenüber und predigt ihnen das Wort Gottes. Als Zeichen ihrer Autorität hat sie den Finger belehrend gehoben.
Je länger ich bei meinen Vorbereitungen für den heutigen Sonntag dieses Bild habe auch mich wirken lassen, desto mehr drängte sich mir eine Frage auf: Wie sähe unsere evangelische Kirche, vielmehr noch unsere katholische Schwesterkirche wohl heute aus, wenn wir diesem Rollenmodell von Frauen und Männern in der 2000 jährigen Geschichte der Kirche gefolgt wären!

Für uns Protestanten ist es fast selbstverständlich, dass Frauen in unserer Kirche predigen und mittlerweile auch Leitungsämter übernehmen. Wir vergessen leicht dabei, dass wir diese Errungenschaft erst seit knapp 50 Jahren haben. Erst in den 40er Jahren setzte es sich durch, dass Frauen öffentlich das Wort Gottes verkündigen durften. Damals mehr eine Notlösung, weil sie so viele Gemeinden auf Grund des 2. Weltkrieges ohne Pastor dastanden. Diese Regelung ließ sich danach nicht wieder rückgängig machen. Allerdings durften bis in die 60er Jahre hinein, Pastorinnen nicht verheiratet sein. Erst seit gut 40 Jahren genießen Pastorinnen in unserer Kirche also die gleichen Rechte wie Pastoren.
In der katholischen Kirche ist das Priesteramt dagegen bis zum heutigen Tag den Frauen verwehrt.
Wenn wir uns mit der Gestalt der Maria Magdalena beschäftigen, dann berühren wir unweigerlich auch das Thema: Welche Rolle haben Frauen in der christlichen Tradition gespielt?
Und dann müssen wir auch selbstkritisch feststellen: Die Bedeutung von Frauen wurde über viele Jahrhunderte hinweg in unserer Tradition an den Rand gedrängt von einer Kirche, in der vornehmlich die Männer das Sagen hatten.
Die vielzitierte Stelle aus dem 1. Korintherbrief, in der es kategorisch heißt: „Das Weib schweige in der Gemeinde!“ (1. Kor. 14,34), wurde immer wieder ins Feld geführt, um Frauen mundtot zu machen. Dabei ist offensichtlich, wie sehr diese Verse dem ausdrücklichen Auftrag Jesu widersprechen, dass Maria Magdalena zu den Jüngern gehen soll, um ihnen das Evangelium seiner Auferstehung zu verkündigen.

Warum ist das so, fragen wir uns. Warum ist das so, dass Verse der Bibel sich so gegensätzlich gegenüberstehen?
In diesen sich widersprechenden Abschnitten des Neuen Testaments wird deutlich, dass es in den jungen christlichen Gemeinden schon früh darum ging, wer Einfluss haben sollte und mit apostolischer Autorität reden durfte. Und wer eben auch nicht. Wie überall in der Welt ging es auch hier um die Frage von Macht und Durchsetzungskraft. Konnte eine Frau wirklich die gleiche Autorität haben wie ein Mann?

In den Evangelien wird berichtet, dass die Jünger der Botschaft Maria Magdalenas über die Auferstehung Jesu nicht glaubten. Für Frauen vielleicht keine ganz ungewohnte Erfahrung, dass ihren Worten kein Glaube geschenkt wird. Ihnen nicht zugetraut wird, mit der gleichen Autorität sprechen zu können wie Männer.
Die Auseinandersetzungen um die Bedeutung der Maria Magdalena und anderer Frauen in den ersten christlichen Gemeinden werden hier also bereits sichtbar. Anstatt den emanzipatorischen Strömungen der biblischen Botschaft zu folgen, die der Frau das gleiche Recht zu Lehre und Wortverkündigung zuerkannten wie dem Mann, folgten die christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg einer von Männern dominierten Tradition.
Und so bedeutet eine Betrachtung über die Gestalt der Maria Magdalena für uns heute auch immer wieder eine Besinnung darauf, dass in der Kirche Jesu Christi Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander Zeugnis ablegen sollen vom Wort Gottes.
Denn wie heißt es im Galater-Brief in den Versen, die wir vorhin als Lesung gehört haben:
„ Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Amen.

Pastorin Sonja Domröse
Öffentlichkeitsbeauftragte im Sprengel Stade
Oeffentlichkeitsarbeit.Stade@evlka.de

 


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