Liebe Gemeinde!
In diesem Jahr feiern die Kirchen in Österreich, Frankreich und der
Schweiz gemeinsam mit den Christinnen und Christen in Deutschland das Jahr
der Bibel. Unter dem Motto „Suchen. Und Finden.“ soll in dieser ökumenischen
Aktion das Bewusstsein der Menschen für dieses großartige Buch
gestärkt und die kulturelle Bedeutung der Bibel sichtbar gemacht werden.
Hier in unserer Gemeinde startet als ein Beitrag zum Jahr der Bibel deshalb
heute die Predigtreihe zu großen Gestalten im „Buch der Bücher“,
wie die Bibel ja auch genannt wird. In loser Reihenfolge soll in den Gottesdiensten
der kommenden Wochen jeweils eine Person aus dem Alten oder Neuen Testament
besonders in den Mittelpunkt gerückt werden.
Wir beginnen mit einer der bedeutendsten Frauengestalten im Neuen Testament,
mit Maria Magdalena.
Warum sie neben der anderen Maria, der Mutter Jesu, von so großer
Bedeutung sowohl in der biblischen Tradition als auch in der Wirkungsgeschichte
der Kirche ist, möchte ich versuchen, heute morgen deutlich zu machen.
Wenn wir uns Jesus vorstellen, wie er in den Jahren seines öffentlichen
Wirkens durch die Städte und Dörfer in Galiläa wanderte
und Menschen vom Reich Gottes predigte, dann verbinden wir mit diesem
Bild wohl meistens eine Gruppe von Männern, die mit ihm gemeinsam
unterwegs war. Wir denken dann an die 12 Jünger: Einfache Männer
aus dem Volk, manche von ihnen Fischer von Beruf, die meisten aus der
Gegend rund um den See Genezareth. Diese Männer folgten Jesus, weil
sie von seiner Liebe und Barmherzigkeit zu den Menschen fasziniert waren.
Sie ließen ihr alltägliches Leben zurück, um Jesus ganz
nahe zu sein.
Aber in dieser Gemeinschaft, die mit Jesus zusammen unterwegs war, gab
es nicht nur Jünger. Es gab auch eine ganze Anzahl von Jüngerinnen,
von denen wir nur einige namentlich kennen. So schreibt Lukas im 8. Kapitel
seines Evangeliums in den Versen 1-3:
„
Und es begab sich danach, dass Jesus durch Städte und Dörfer
zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes;
und die Zwölf waren mit ihm, dazu einige Frauen, die er gesund gemacht
hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt
Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, und Johanna,
die Frau des Chuzas, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele
andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.“
Etwas dürftig sind diese Informationen über die Jüngerinnen
Jesu schon. Nur von dreien erfahren wir die Namen, obwohl, wie Lukas
schreibt, noch viele andere mit Jesus unterwegs waren. Einige dieser
Frauen müssen recht wohlhabend gewesen sein, denn sie „dienten
mit ihrer Habe“, d.h. sie sorgten mit ihrem Geld für Essen
und Trinken, Unterkunft und finanzielle Unterstützung für Jesus
und seine Gefährten.
Das ist schon eine ungewöhnliche Situation: Frauen machen sich
gemeinsam mit Jesus auf den Weg. Sie verlassen zumindest zeitweise ihre
Familien, um sich ihm und seiner von Ort zu Ort wandernden Schar anzuschließen.
Sie wollen dabei sein, wenn er Kranke heilt und den Armen das Evangelium
predigt. Sie unterstützen ihn finanziell und gehen mit ihm nach
Jerusalem. Unter ihnen ist Maria Magdalena. Sie bekommt diesen Namen,
weil sie aus dem Ort Magdala stammt, einem Dorf am See Genezareth. Wir
erfahren darüber hinaus nicht viel von ihr, nur, dass Jesus sie
von „sieben bösen Geistern“ befreit hat. Vielleicht
eine epileptische Erkrankung, vielleicht auch ein manisch-depressiver
Zustand.
Nach ihrer Heilung schließt sie sich Jesus an und wandert mit ihm
bis nach Jerusalem
Am meisten erfahren wir von dieser herausragendsten Frau an der Seite
Jesu in den Geschichten der Kreuzigung und Auferstehung. Alle vier Evangelien
berichten nämlich übereinstimmend, dass Maria Magdalena gemeinsam
mit anderen Frauen unter dem Kreuz Jesu stand, bei Markus und Matthäus
heißt es: „Sie standen von ferne“ (Mk 15,40; Mth 27,55).
Von den Jüngern dagegen keine Spur, bis auf Johannes, von dem es
im gleichnamigen Evangelium heißt, er habe mit der Mutter Jesu
und den anderen Frauen unter dem Kreuz gestanden.
Warum ließen die Jünger Jesus in der Stunde seines Todes
allein und nur die Frauen waren in seiner Nähe?
Richtig zu verstehen ist dies wohl nur, wenn wir uns vergegenwärtigen,
wie die damalige Politik gegen alle als aufständisch Angesehenen
aussah. Die Römer hatten als Besatzungsmacht das Sagen in Israel
und als Strafe für Aufstand gegen die Besatzer wurde der Tod am
Kreuz verhängt. Die Kreuzigung eines Menschen hatte schwere Konsequenzen
für alle seine Verwandten und Freunde. Die Justiz bestimmte, dass
ein gekreuzigter Verbrecher zur Abschreckung am Kreuz hängen bleiben
sollte, bis die Tiere seinen Leichnam gefressen hatten. Die Verweigerung
der Bestattung war ein Teil der Strafe, die auch Freunde und Verwandte
oder, wie im Fall Jesu, Anhänger treffen sollte. Deswegen wurden
gekreuzigte Leichname von römischen Soldaten bewacht, damit niemand
sie stehlen konnte. Wie die Bestattung, so war auch die Trauer verboten.
Menschen, die über den Tod eines Hingerichteten öffentlich
weinten, liefen Gefahr, selber hingerichtet zu werden.
Selbst wenn Maria Magdalena und die anderen Frauen also nur von ferne
standen, so nahmen sie doch kein geringes Risiko auf sich, denn die Justiz
schonte auch keine Frauen und Kinder. Zum Grab zu gehen war ebenfalls
gefährlich, denn die Römer befürchteten, dass die Gräber
hingerichteter Gegner des Reiches zur Wallfahrtsstätte von Gesinnungs-genossen
werden könnten.
Wiederum in allen vier Evangelien wird übereinstimmend davon berichtet,
dass sich Maria Magdalena am Ostermorgen auf den Weg zum Grab machte,
um den Leichnam Jesu zu salben. Eine letzte zärtliche Wohltat wollte
sie damit dem geschundenen Leib Jesu erweisen.
Bei Johannes findet sich dann die wohl innigste Schilderung dessen, was
Maria am Grab erlebte:
Weinend steht sie vor dem Grab, als sie zwei Engel erblickt, die sie
fragen „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortet ihnen: „Sie
haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt
haben.“
Weiter heißt es dann in der Luther-Übersetzung:
„
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und
weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: „Frau,
warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie meint, es sei der Gärtner,
und spricht zu ihm: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir,
wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Spricht Jesus zu ihr: „Maria!“ Da wandte sie sich um und
spricht zu ihm auf hebräisch „Rabbuni!“, d.h. „Meister!“
Spricht Jesus zu ihr: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch
nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und
sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem
Gott und zu eurem Gott!“
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: „Ich
habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“ (Joh. 20,14-18).
Mich rührt diese innige Szene jedes Mal wieder, wenn ich sie höre.
Maria erkennt Jesus erst, als er sie bei ihrem Namen nennt. Sie wiederum
möchte ich ihn berühren und umarmen, aber Jesus ist nicht mehr
der, der er vor seinem Tod war. „Rühre mich nicht an, denn
ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren“, wehrt er ab.
In diesen wenigen Worten wird spürbar, wie nahe Jesus und Maria
Magdalena sich gewesen sein müssen. Mit Fug und Recht können
wir wohl sagen: Sie war die Frau, die ihm am nächsten stand.
Und so erfährt sie folgerichtig auch als erste von allen Jüngern
und Jüngerinnen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Mehr
noch, sie erhält von Jesus persönlich den Auftrag, seinen Jüngern
diese frohe Botschaft zu überbringen. Sie wird damit zur ersten
Zeugin seiner Auferstehung, zu ersten Predigerin des Evangeliums.
In der Kunstgeschichte gibt es viele Darstellungen der Maria Magdalena.
Eine, die ich besonders eindrückliche finde, möchte ich an
dieser Stelle kurz beschreiben. Das Bild stammt aus dem Albani-Psalter,
einer mit kostbaren Bildern ausgeschmückten Bibel des 12. Jahrhunderts,
die in Hildesheim aufbewahrt wird.
Diese Illustration zeigt Maria Magdalena, umkränzt von einem Heiligenschein,
wie sie den verbliebenen 11 Jüngern verkündet, dass ihr am
Ostermorgen der auferstandene Jesus erschienen ist.
Eine einzelne Frau steht einer Gruppe von Männern gegenüber
und predigt ihnen das Wort Gottes. Als Zeichen ihrer Autorität hat
sie den Finger belehrend gehoben.
Je länger ich bei meinen Vorbereitungen für den heutigen Sonntag
dieses Bild habe auch mich wirken lassen, desto mehr drängte sich
mir eine Frage auf: Wie sähe unsere evangelische Kirche, vielmehr
noch unsere katholische Schwesterkirche wohl heute aus, wenn wir diesem
Rollenmodell von Frauen und Männern in der 2000 jährigen Geschichte
der Kirche gefolgt wären!
Für uns Protestanten ist es fast selbstverständlich, dass
Frauen in unserer Kirche predigen und mittlerweile auch Leitungsämter übernehmen.
Wir vergessen leicht dabei, dass wir diese Errungenschaft erst seit knapp
50 Jahren haben. Erst in den 40er Jahren setzte es sich durch, dass Frauen öffentlich
das Wort Gottes verkündigen durften. Damals mehr eine Notlösung,
weil sie so viele Gemeinden auf Grund des 2. Weltkrieges ohne Pastor
dastanden. Diese Regelung ließ sich danach nicht wieder rückgängig
machen. Allerdings durften bis in die 60er Jahre hinein, Pastorinnen
nicht verheiratet sein. Erst seit gut 40 Jahren genießen Pastorinnen
in unserer Kirche also die gleichen Rechte wie Pastoren.
In der katholischen Kirche ist das Priesteramt dagegen bis zum heutigen
Tag den Frauen verwehrt.
Wenn wir uns mit der Gestalt der Maria Magdalena beschäftigen, dann
berühren wir unweigerlich auch das Thema: Welche Rolle haben Frauen
in der christlichen Tradition gespielt?
Und dann müssen wir auch selbstkritisch feststellen: Die Bedeutung
von Frauen wurde über viele Jahrhunderte hinweg in unserer Tradition
an den Rand gedrängt von einer Kirche, in der vornehmlich die Männer
das Sagen hatten.
Die vielzitierte Stelle aus dem 1. Korintherbrief, in der es kategorisch
heißt: „Das Weib schweige in der Gemeinde!“ (1. Kor.
14,34), wurde immer wieder ins Feld geführt, um Frauen mundtot zu
machen. Dabei ist offensichtlich, wie sehr diese Verse dem ausdrücklichen
Auftrag Jesu widersprechen, dass Maria Magdalena zu den Jüngern
gehen soll, um ihnen das Evangelium seiner Auferstehung zu verkündigen.
Warum ist das so, fragen wir uns. Warum ist das so, dass Verse der Bibel
sich so gegensätzlich gegenüberstehen?
In diesen sich widersprechenden Abschnitten des Neuen Testaments wird
deutlich, dass es in den jungen christlichen Gemeinden schon früh
darum ging, wer Einfluss haben sollte und mit apostolischer Autorität
reden durfte. Und wer eben auch nicht. Wie überall in der Welt ging
es auch hier um die Frage von Macht und Durchsetzungskraft. Konnte eine
Frau wirklich die gleiche Autorität haben wie ein Mann?
In den Evangelien wird berichtet, dass die Jünger der Botschaft
Maria Magdalenas über die Auferstehung Jesu nicht glaubten. Für
Frauen vielleicht keine ganz ungewohnte Erfahrung, dass ihren Worten
kein Glaube geschenkt wird. Ihnen nicht zugetraut wird, mit der gleichen
Autorität sprechen zu können wie Männer.
Die Auseinandersetzungen um die Bedeutung der Maria Magdalena und anderer
Frauen in den ersten christlichen Gemeinden werden hier also bereits
sichtbar. Anstatt den emanzipatorischen Strömungen der biblischen
Botschaft zu folgen, die der Frau das gleiche Recht zu Lehre und Wortverkündigung
zuerkannten wie dem Mann, folgten die christlichen Kirchen über
Jahrhunderte hinweg einer von Männern dominierten Tradition.
Und so bedeutet eine Betrachtung über die Gestalt der Maria Magdalena
für uns heute auch immer wieder eine Besinnung darauf, dass in der
Kirche Jesu Christi Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander
Zeugnis ablegen sollen vom Wort Gottes.
Denn wie heißt es im Galater-Brief in den Versen, die wir vorhin
als Lesung gehört haben:
„
Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn
ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus
Jesus.“
Amen.
Pastorin
Sonja Domröse
Öffentlichkeitsbeauftragte im Sprengel Stade
Oeffentlichkeitsarbeit.Stade@evlka.de
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