Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

5. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juli 2003
Predigt über Lukas 5, 1-11, verfaßt von Jørgen Demant (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Die Erzählung vom Fischzug des Petrus hat in der kirchlichen Auslegungsgeschichte unterschiedliche Deutungen erfahren.

Einer der Auslegungen konzentriert sich auf die Begegnung mit dem Heiligen. Diese Begegnung findet am See statt. Der See ist einer der Schreck-Orte in der biblischen Tradition. Zusammen mit dem Berg und der Wüste. An ausgesetzten Stellen findet die Begegnung mit dem Heiligen statt. Denkt an den Sturm auf dem See. Der See ist der Ort, wo sowohl das Dämonische als auch das Göttliche ihre Kräfte manifestieren.

Das zweite Predigtthema, das sich mit dem Bilde von diesem Fischer aufdrängt, ist das Fährunternehmen, die Mission. Die Tierfischerei wird zur Menschenfischerei.

Die Begegnung mit dem Heiligen, die Mission sind Motive, um die es in dieser Erzählung geht - das hat sie gemeinsam mit den beiden anderen Lesungen für diesen Sonntag nach der dänischen Ordnung, nämlich die Berufung des Jesaja (Jes. 6,1-8) und die Ermahnung des Petrus, bereit zu sein zu Leiden und Verteidigung (1. Petr. 1,8-15). Und tut man dies, dann wird das andere Motiv aktuell und dringlich, nämlich die Frage, was Berufung ist.

Die alttestamentliche Erzählung von Jesaja handelt von der eigenen Berufung des Propheten. Kann man den See Genezareth vor sich sehen, kann es vielleicht schwer fallen mit diesem Szenarium, das an Science fiction erinnert, wo Jahwe auf seinen Thron tritt, in großen Gewand mit einem Schleier, der den ganzen Tempel füllt. Seraphen - die sechsflügeligen Wesen um sich, deren Anwesenheit den ganzen Palast erbeben läßt. Und dann der heiligste Augenblick, wo der eine Seraph vom Altar fliegt mit einem Stück glühender Kohle in einer Zange, um die Lippen von Jesaja zu berühren mit den Worten: "Nun hat dies deine Lippen berührt. Deine Schuld ist von dir genommen, deine Sünde gesühnt".

Er berührte meinen Mund. Das göttliche Wort, das die Lippen der Menschen berü berührt. Hier vermittelt durch einen Oberengel - einen Seraphen. Man weigert sich fast, das Bild zu entmythologisieren. So schön und phantastisch ist es. Vielleicht sollte man nur fortfahren in der Schaffung von Bildern. Ich denke an das Bild der Helden in der Christianisierung der Dänen, den Priester und späteren Bischof Poppo, der glühendes Eisen mit bloßen Händen trug, um die Macht und Autorität des christlichen Wortes zu demonstrieren. Oder ein Künstler, der Engelflügel an einer Figur befestigen sollte, erzählte, wie schwer es war, den Punkt zu finden für den Übergang zwischen einem menschlichen Körper und Engelsflügeln. Also der Zwischenraum zwischen Geist und Körper, zwischen Himmel und Erde. Wo am Körper der Geist beginnt. Wo auf Erden der Himmel beginnt.

Auch davon handelt die Berufung des Jesaja. "So spricht Gott". Die brennende Kohle des Wortes Gottes auf Menschenlippen. Er sollte selbst kommen, um den tiefen Schlaf des Volkes zu spüren, die zugeklebten Augen. Denn die Worte der Lippen wollten das Herz anrühren. Das Wort - das Gotteswort war nicht mehr etwas, was auf Steintafeln oder in Tempelplätzen war. Das Gotteswort wollte das Tiefste und Innerste im Menschen erschüttern. Kein Wunder, daß dies Unwillen hervorrief, Abfall und Untreue.

Da scheint der Apostel Petrus in seiner Berufung sicherer und von der Wirkung des Wortes mehr überzeugt zu sein. Jedenfalls so wie wir ihn in der Epistel hören. Hier ist nicht die Zurückhaltung und Scheu des Fischers, sondern vielmehr der Apostel der unerschütterlichen Freimut und Dreistigkeit der ersten Kirche: "Ihr seid dazu berufen, meinen Segen zu erben". Der Segen, der sich im Leben miteinander in Mitgefühl, Bruderliebe, Barmherzigkeit und Demut entfaltet.

Wie soll man sich zum Ruf Gottes verhalten? Wie ist es mit dem Wort Gottes auf der Zunge von Menschen? Ist das wie ein glühendes Stück Kohle, das meine Lippen mit dem heiligen Feuer berühren kann, das flammende Wort, das brennende Herz. Ein Wort, das anzieht und erschreckt. Und zu dem man sich deshalb im Abstand der Gegenwart und der Gegenwart des Abstandes verhält. Unter allen Umständen in Distanz.

Oder ist das Gotteswort wie ein Segen, den man nicht zu fürchten braucht, vor dem man sich nicht ängstigen muß. Ein Wort, das man zu sich nimmt und das einen high macht, so hoch, das man fast fliegen kann oder besser selbst fischen kann, den Sturm auf dem Wasser stillen kann, ja, wer weiß, vielleicht auf ihm gehen kann.

Das Wort ruft und erschreckt uns einerseits. Das Wort ruft und wird zu Leben andererseits.

In einem seiner späten Gedichte schreibt der Dichter Rainer Maria Rilke:

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Der Dichter fragt nach Schicksal. Nach Leben, wo Wahrheit ist und Größe. Und Wirklichkeit? Ja, aber ist das nicht nur etwas, was man hat oder erbt, also Leben und Schicksal?

Nicht für Rilke!

Man kann ein Schicksal bekommen? Man kann es sich vielleicht auch aneignen? Aber es lag da nicht unmittelbar und vorhanden! Die Worte gaben ihm Schicksal, gaben ihm Leben. Die Worte hatten Magie und Kraft in sich. Das richtige Wort finden - das Wort mit Weite und Prägnanz könnte eine ganze Landschaft entwerfen, ein ganze Traumspur auslegen, die er betreten könnte. Durch die Worte erwachte die Welt zum Leben.

Man kennt das von der Situation, wo Worte, die man schon tausend Mal gehört hat, plötzlich Fülle erhalten. Das Wort war schon da, es erging viele Male. Aber jetzt ist die Situation da, daß das Geheimnis des Wortes Wirklichkeit werden kann.

Warum werden Worte nicht zu Wirklichkeit? Sie waren doch schon immer da. Wir achten vielleicht nicht die Bedeutung der Worte, nehmen sie nicht wahr, haben die Worte nicht genug gelernt. Das liegt an unserer eigenen Geschichte, unserer eigenen Trägheit. Daß wir die Bedeutung der Worte nicht erfaßt haben und uns nicht auf sie besonnen haben. Sie sind nicht aus dem äußeren Klang zu ihrer inneren Ablagerung gelangt - in unserem Inneren.

Wie war das nun mit Petrus? An diesem Tage hörte er starke Worte aus dem Munde Jesu. Da wurde er berufen. Das war ein merkwürdiger und entscheidender Augenblick im Leben des Petrus, als plötzlich ein unbekannter Mann vor ihm steht und zu ihm sagt, daß er das tun soll, was er von all seinem Wissen und all seinen Erfahrungen her weiß, daß es hoffnungslos ist: Fahre auf die Höhe und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug tut.

Da ist nur ein Gefühl in ihm: Vergeblich! Alles erscheint unmöglich.

Und dann tut er es doch. Das Unmögliche. So stark ist das Wort, das er hört, daß er sich seiner Autorität beugen muß, daß es in sein Leben einbricht. Das Leben des Petrus erhielt Richtung und Sinn. Da wurde mit Jesu Wort an ihn eine Spur ausgelegt - eine Traumspur. Einige mögen es eine Offenbarung nennen. Andere werden sagen, daß das ein schicksalhaftes Ereignis war.

Diese heilige Begegnung geschah nicht in den Höhen des Tempels, umgeben von Seraphen. Der Gott war selbst gegenwärtig in Menschengestalt und in menschlicher Rede. Und dennoch weckte das Wort Bestürzung und Aufsehen. Die Erzählung über Petrus bezeugt ja dasselbe wie die über die Berufung des Jesaja: eine gewisse Form von Demut gegenüber der Berufung: "Herr gehe von mir hinaus! Ich bin ein sündiger Mann". Die überwältigende und bewegende Begegnung ruft Macht und Ohnmacht hervor, Selbstgefühl und Demut, Größe und Armut. Nicht das Heilige, sondern den Heiligen zu treffen, ruft ein merkwürdiges Gefühl und Bewußtsein von Gegenwart und Abstand hervor, vorbehaltlose Hingabe und Distanz voller Vorbehalt.

Ja, aber was mit dem Fischer, der Apostel wurde, und von dem Ruf sprach, den Segen zu erben, den Segen, dessen Worte sich als Leben durchsetzen: Ewigkeit, Mitgefühl, Bruderliebe, Barmherzigkeit und Demut? Das klingt fast zu überwältigend, um wahr zu sein: Daß das Wort des Heiligen sich so ausleben läßt. Daß es Wirklichkeit wird.

Daß Petrus sich mit dem Wort am See Genezareth taufen ließ, daran kann wohl kein Zweifel bestehen - hier änderte sich seine Bahn. Hier wurde er berufen. Hier wurde er von einem Wort berührt, das ihm einen neuen Horizont schenkte. Den Horizont des Reiches Gottes. Und damit nicht genug. Er erhielt den Auftrag, Gesandter dieses Wortes zu sein. Aber wie unterscheidet man nun zwischen dem Wort, von dem er selbst berührt wurde, und dem Wort, mit dem er andere berühren soll? Das war keine leichte Aufgabe für den Menschenfischer Petrus oder für alle nach ihm. Die Horizonterweiterung - daß man sich im Reich Gottes befand - konnte entweder zu Übermut führen, zu Selbstverherrlichung und Selbstvergötterung. Mann konnte auf dem Wasser gehen und dann glauben, man sei Gott selbst. Und das mag ja ganz schön sein, wenn es nur nicht zu lange dauert. Jesus ist der Fisch, wie sind die kleinen Fische. Petrus ist der Felsen, der zum Menschenfischer wird, nicht der Fels.

Fisch vom See Genezareth wurde eines der ersten Zeichen der Kirche. Christus ist der Fisch, wir sind die kleinen Fische. Und es geht darum, sich vor Augen zu halten, daß das einen Unterschied macht.

In der St. Godehard Kirche in Hildesheim gibt es den berühmten St. Albans Altar. Hier sieht man Johannes den Täufer Jesus zum Messias salben und ihn taufen. Links sieht man einen schwarz gekleideten Engel, und rechts einen hell geleideten Engel. Jesus ist abgebildet mit dem Wasser des Jordan um sich, und die Konturen des Flusses sind wie ein Fisch. Einer der kleinen Fische ist natürlich Simon Petrus, der heute vom Wort gefangen wird.

Wir müssen als Kirche an diesem Bild festhalten. Nicht zuletzt wenn wir uns als Menschenfischer ausgeben, daß ein Unterschied besteht zwischen Jesus, der mit seinem Wort fing, und dem Wort, mit dem Petrus einfängt. Jesus ist der Fisch und wir sind die kleinen Fische.

Das erste Zeichen in der Geschichte der Kirche - der Fisch, verwandelte andere Zeichen und Symbole. Die man an die Wände und die Fenster der Kirchen anbrachte. Sie trugen zusammen mit dem Kirchengebäude selbst und anderen äußeren Zeichen und Handlungen im Kirchenraum: die Bibel auf dem Altar, aus der vorgelesen wird, die Taufe, das Abendmahl, das Glaubensbekenntnis - dazu bei, für jeden, der hier kommt, zu betonen und deutlich zu machen, wer der Fisch ist. Wer der Heiland ist und wer erlöst wird. Zwischen dem Fisch und den kleinen Fischen unterscheiden zu können, kann stets nützlich sein, sowohl an den Tagen, wenn die Ohnmacht des Glaubens am deutlichsten ist, aber auch an den Tagen, an denen das Selbstgefühl und der Übermut überhand nehmen.

Hinausfahren und fischen - das kann eine höchst wunderbare und riskante Sache sein.

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 - 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk

 


(zurück zum Seitenanfang)