Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Gottesdienst am Nachmittag des 24.12.1997 für Kinder und Erwachsene
Text: Johannes 1, 14 a
Verfasserin: Christiane Neukirch, Geversdorf


Vorbemerkung

Die Predigt ist bestimmt für den Weihnachtsgottesdienst für Kinder und Erwachsene am Nachmittag des 24.12. Daher ist sie kürzer als eine Sonntagspredigt. Sie setzt ein traditionelles Krippenspiel voraus, in dem es zum Schluß heißt: "Weihnachten beginnt in unseren Herzen". Predigttext ist Johannes 1,14a: "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit." Möglicherweise ist dieser Vers Teil eines urchristlichen Hymnus. So wird er als Bündelung einer Begegnung mit Jesus an das Ende der Predigt gestellt.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Die Nacht ist still. Nur wenige wissen, was in dieser Nacht geschehen ist: Maria und Joseph; die Hirten und die Weisen. Nur die Hirten auf den Feldern bei ihren Herden haben die Engel gesehen und ihren Jubel gehört. Nur die Weisen aus dem Morgenland haben verstanden, was der Stern bedeutet, der so hell wie kein anderer über Bethlehem strahlt. Sie knien nieder vor dem Kind in der Krippe und beten.

Und was ist mit all den anderen Menschen - in Bethlehem und überall? Wurde es für die nicht Weihnachten? Sie werden den Stern auch gesehen haben - welch ein großartiges Naturschauspiel! Und dann werden sie weiter ihr Abendbrot gegessen haben, und vielleicht haben auch manche überlegt, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte zwischen dem hellen Licht und den Worten des Propheten Jesaja, die wir gehört haben.

Aber: Daß Gott, der uns alle gemacht hat, daß der in dem kleinen Jesuskind auf die Welt gekommen und ein Mensch geworden ist - verletzlich und sterblich wie wir - das haben sie nicht begriffen. Das ist ja auch schwer zu begreifen, oder?

Im Johannesevangelium wird uns von Menschen erzählt, die Weihnachten ganz anders erlebt haben. Ich nenne es "ihr Weihnachten". Von Menschen wird erzählt, denen der erwachsene Jesus begegnet ist; und in dieser Begegnung ist ihnen das Licht aufgegangen, und der Jubel der Engel hat sie erfüllt - so wie damals den Himmel über Bethlehem, vielleicht sogar noch schöner.

So war es für den Mann, der sich nicht bewegen konnte, der in einer der fünf großen Hallen am Teich Betesda in Jerusalem lag, bis er endlich, nach 38 Jahren, wieder gesund wurde. Gut möglich, daß er als Kind so lustig und beweglich war wie ihr. Sicher hat sein Vater ihm immer wieder erzählt von der großen Hoffnung, daß Gott den Messias schicken würde, der Israel aus aller Not erlöst. Gut möglich, daß er selber festes Vertrauen in Gott hatte. Daß er dachte: Gott, der die Welt so schön gemacht hat, der muß sie doch von Anfang an liebgehabt haben und mich auch.

Aber dann ist alles anders geworden. Eine Krankheit hat ihn erwischt. Schließlich konnte er sich gar nicht mehr bewegen. Ein Fünkchen Hoffnung gab es noch. Weit weg von seinem Zuhause, in Jerusalem, war ein Teich mit dem Namen Betesda. Dieser Teich galt als besonderer Tip für Leute, denen die Ärzte nicht helfen konnten. Von diesem Teich sagten die Leute nämlich: Manchmal kommt ein Engel, der nicht zu sehen ist. Aber dieser Engel gibt dem Wasser heilende Kraft in dem Moment, in dem er das Wasser berührt. Dann bewegt sich die Wasseroberfläche. Wer dann sofort in das Wasser steigt, der wird gesund.

So hat also die Familie des Gelähmten ihn dahin gebracht - aber: Wieviele Kranke waren da?! Die Familie konnte nicht bleiben. Wer würde ihm helfen, ins Wasser zu gelangen? Keiner! Er kam nie an die Reihe, immer waren andere vor ihm da.

So ging das 38 Jahre lang - könnt ihr euch überhaupt vorstellen, was für eine lange Zeit das ist? Wo war Gott? Hatte Gott ihn vergessen, oder hatte er eine schwere Sünde begangen, daß es ihm so erging, oder warum ließ Gott ihn da liegen? Er muß verzweifelt gewesen sein.

Aber dann, eines Tages, geschieht es. Gott kommt. Vorn an der Tür zum Krankensaal ist plötzlich Gedränge. Frauen und Männer sind zu sehen. In der Mitte ist Jesus. Sein Blick findet den Gelähmten. Er geht direkt auf ihn zu. "Willst du gesund werden?" fragt er ihn. Der Mann kann nicht einfach "Ja" sagen. Er denkt, er muß erklären, warum er da liegt. Und das tut er. Doch Jesus sagt: "Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause" - kann das möglich sein?

Zweifellos: Der Mann fühlt: Er ist frei! Jesus ist nicht einer von vielen Heilern; er ist ein besonderer Mensch. Solche Kraft kann nur von Gott selber ausgehen! In Jesus ist Gott zu ihm gekommen, zu diesem Kranken, der nie zum Zuge kam; den die anderen links liegen ließen; um den sich niemand kümmerte. Endlich kann er sich aufrichten, durchatmen, nicht immer alles nur von unten sehen. Er weiß: Gott ist ein Mensch geworden - dieser Mensch Jesus aus Nazareth.

Ich bin sicher: Dem Geheilten wird es licht ums Herz, und es ist, als ob ihn der Jubel der himmlischen Heerscharen erfüllt. Das ist sein Weihnachten!

Liebe Gemeinde! Das ist auch eine Weihnachtsgeschichte - aber eine ganz andere - aus dem Johannesevangelium. Sie erzählt nicht, wie Jesus als Mensch zur Welt kam; sondern was das bedeutet: Für uns ist Gott in Jesus ein Mensch geworden! Die Geschichte vom Kind in der Krippe und von dem Mann Jesus aus Nazareth, der uns Gottes menschliches Gesicht zeigt - sie gehören zusammen!

"Weihnachten beginnt in unseren Herzen" hat die 2. Erzählerin am Schluß unseres Krippenspiels gesagt. Weihnachten beginnt, wo dir und mir das Licht aufgeht: Es ist wahr: Gott läßt uns nicht im Stich. In Jesus ist er gekommen, um uns aufzuspüren in unserer Verzweiflung, um uns zu helfen und aufzurichten.

Wie könnte sich die Freude darüber besser ausdrücken als im Singen? Das uns mit allen verbindet, die jemals in diesen Jubel miteingestimmt haben?! So, wie wir heute von Jesus singen, so haben es die Menschen der ersten Christenheit auch getan. Eine Liedzeile von ihnen ist uns überliefert. Sie besagt: Gott vergißt uns nicht. Er hat uns lieb, und das hat Hand und Fuß - in Jesus Christus! In den Worten des Johannesevangeliums heißt das: "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit."

Ich wünsche uns allen gesegnete Weihnachten!

Amen.

Christiane Neukirch, Pastorin in Geversdorf, Ellhornstr. 2, 21784 Geversdorf
E-Mail: Johannes.Neukirch@t-online.de