Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigt am Ostersonntag 1998 auf dem Marktplatz in Husum

Prediger: Erich Faehling


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen.

Ja, liebe Leute, es ist schön mit Euch (auch bei diesem Wetter). Es ist gut, hier zu sein, jedes Jahr wieder zu Ostern. Es ist gut zu erleben, wie Ihr dabei seid, mitmacht, wie Ihr Euch freuen könnt darüber, daß hier vorne drei Paare eben "ja" gesagt haben. Es ist gut, daß Ihr alle heil da seid. Und es wird noch besser sein, wenn Ihr nachher auch alle wieder heil zuhause seid. Es ist gut hier, weil wir ein Fest zusammen feiern. Und für mich als Pastor ist es natürlich auch eine Riesenfreude, daß dieses Fest nicht irgendeine tolle Sause ist, sondern ein Gottesdienst mit einer richtigen Kirche und mit einem richtigen Gott.

Es ist gut hier, und so ist eigentlich das Fest fast zu schön dazu, aber ich will heute mit Euch über den Tod reden.

Ich habe oft zu tun mit dem Tod. Und ich meine nicht nur den, wenn ich an einem Sarg stehe. Den meine ich sogar fast zuletzt. Ich meine den Tod in vielerlei anderer Gestalt, oft tragischer und lange bevor das Herz dann richtig aufhört zu schlagen.

Ich meine den sogenannten kleinen Tod, den es in vielen verschiedenen Formen gibt. Ich meine den, der eintritt, wenn ein Mensch die Hoffnung aufgibt, Hoffnung auf Respekt z.B., oder Hoffnung auf echtes Zuhören, oder Hoffnung auf Liebe.

Ich meine den Tod, der eintritt, wenn Leute sich entscheiden, nicht mehr für sich selbst einzutreten, weil sie meinen, sie wären es nicht wert. Ich meine den Tod, den Menschen bei bester Gesundheit erleiden in dem Moment wo sie die Wahrheit, oder den Selbstwert oder die eigene Achtung hergeben für Erfolg, für Geld, für Macht.

Ich meine auch den, wo zwei, die sich einmal geliebt haben, den Kampf für diese Liebe aufgeben, und - was noch tödlicher ist - den Kampf für die Kinder, die sich doch diese Eltern nicht aussuchen konnten. Ich meine den fast totgeschwiegenen Tod vieler Mädchen und Jungen, die nicht vom bösen, sondern vom guten Onkel, nicht vom Fremden, sondern vom eigenen Vater sexuell mißbraucht oder blau geschlagen oder einfach nur mit Worten erniedrigt werden. Der Tod hat viele Gesichter. Manchmal sind die, die am lautesten lachen, schon am längsten gestorben.

Warum erzähl ich das? Weltuntergangsstimmung? Spaß verderben? Den moralischen Hammer rausholen?

Nein! Und die, die mich schon etwas kennen, wissen, es ist nicht, um die Stimmung zu senken und die Moral zu heben. Es ist vielmehr der Versuch, einen Blick auf die Dinge so zu wagen, wie sie viel öfter sind, als wir meinen, aber niemand will es sehen. Ich rede davon, weil wegsehen nicht hilft. Es macht die Sache stattdessen noch schlimmer. Und ich rede davon, weil ich von der Möglichkeit erzählen will, diesen Toden zu begegnen, diese Tode auszuhebeln, sie durch Leben zu ersetzen.

Klar, es ist immer dasselbe zu Ostern: Ich rede von Gott. Ich will Euch damit nicht nerven. Es liegt einfach daran, daß ich nichts besseres habe.

Gott ist der, mit dem wir dem Tod in seinen vielen Gestalten begegnen können. Die Geschichten der Bibel sind es, die uns von Menschen erzählen, die den Tod mitten im Leben erleiden und dennoch Wege finden. Ostern ist das Fest, zu dem das alles begann. Es waren Frauen, die damals als erste zum Grab Jesu gingen. Vielleicht kein Zufall, daß sie sich eher an den Tod heranwagten, als all die harten Männer wie Petrus, der ja immer gesagt hatte, er werde Jesus nicht von der Seite weichen und ihn dann als erster verlassen hatte.

Es waren Frauen. Und als sie ans Grab kamen, war der Stein weggerollt. Es war ein Felsengrab mit einem Riesenstein als Tür. Und er war weg. Wir können die Bibel an dieser Stelle schon wieder zuschlagen. Denn das ist die Botschaft, um die es mir heute geht: Der Stein war weg.

Ich hatte mit dem Tod begonnen. Und nun bin ich bei der Botschaft gegen den Tod. Vom zugemauerten Grab ist der Stein weg, die Tür ist offen, dem Leben steht nichts mehr im Weg. Das tut Gott. Er hat es einmal getan. Er tut es immer wieder, für jede und jeden, die ihn das tun lassen.

Wie oft stehen wir in unserem Leben in Sackgassen, selbst hineinmanövriert, von anderen dazu gebracht? Wie oft haben wir schon gehört oder selbst gesagt: Da mußt du Augen zu und durch? Wie oft schon haben wir mit Menschen gebrochen, weil wir dachten, Versöhnung ist unmöglich? Wie oft schon haben wir die Dinge einfach verdrängt, geschluckt, weggesteckt, einfach, weil uns nichts Besseres einfiel? Gott bricht, verdrängt, versteckt, schluckt nicht. Gott nimmt die Dinge, wie sie sind, und wenn es der Tod ist. Und dann rollt er den Stein weg, macht den Weg frei.

Das ist ein Wunder. Aber es ist keine Zauberei. Es ist fast unglaublich, aber es ist keine Träumerei. Wer sich darauf einläßt, findet sich auch nicht in erster Linie auf der Kirchenbank wieder, sondern mitten im Leben. Gott rollt Steine weg, und was wir dann wiederfinden sind unsere Möglichkeiten. Wir sind nämlich eigentlich frei, geliebt, zum Leben geschaffen. Wir vergessen das nur leider immer wieder unter all dem, was uns an schönem und schweren im Leben begegnet.

Eigentlich sind wir Menschen mit Möglichkeiten und nicht Sklaven unserer Zwänge und Notwendigkeiten. Gott befreit uns, das zu tun, was dran ist. Nicht das, was andere uns sagen zu ihrem Vorteil, zu ihrem Machtgewinn. Was dabei herauskommt, sind Wahrheit, Treue, Zueinanderstehen, Schützen, dem Leben dienen, und zwar nicht als hohe moralische Tugenden, sondern aus einer liebevollen Sichtweise des Lebens und aus Sehnsucht nach diesem Leben. Albert Schweitzer hat das einmal die Ehrfurcht vor dem Leben genannt, ein altes, aber schönes Wort.

Zu Beginn hatte ich gesagt, ich wolle mit Euch über den Tod reden. Ich wollte es tun, um Euch als Antwort darauf von der Ehrfurcht gegenüber dem Leben zu erzählen und davon, daß das für uns alle gut ist. Der Tod in seinen vielen Gestalten ist der Feind, Gott der Freund unseres Lebens.

Reden wie mit einem Freund, und damit Steine aus dem Weg räumen, und damit Leben: Das ist es, was Gott will, für jede und jeden von Euch.

Amen.

Pastor Erich Faehling
Tel.: 04394-357
Fax: 04394-1345

Anmerkung:

Die Predigt wurde gehalten im Gottesdienst am Ostersonntag 1998 auf dem überfüllten Marktplatz in Husum von den Stufen der Marienkirche. Der Gottesdienst fand auf Bitten eines Motorradclubs im Rahmen der Husumer Veranstaltung für Motorbikerinnen und -biker statt. An dem Gottesdienst nahmen auch zahlreiche Bürger der Stadt und Touristen teil. Väter trugen ihre Kinder auf Schultern, damit sie etwas sehen konnten. Drei Paare wurden getraut. Funk, Fernsehen und Presse wiesen auf den Gottesdienst hin und berichteten ausführlich. Solche Ostergottesdienste finden schon seit Jahren in Husum statt.

Der Prediger teilt das Osterereignis mit den Hörerinnen und Hörern (vgl. U. Nembach, predigen heute, 1996, S. 135 ff.)


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