Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigtvorschlag zur Konfirmation, 25. April 1999

Predigt: Dr. Reinhard Weber
Text: Joh. 16, 16-23a


Text:

"Jesus sprach: Noch kurze Zeit, und ihr werdet mich nicht mehr sehen; und nochmals eine kurze Zeit, so werdet ihr mich wiedersehen. Da sagten einige von seinen Jüngern untereinander: Was soll das heißen: Noch kurze Zeit, und ihr werdet mich nicht mehr sehen; und nochmals eine kurze Zeit, so werdet ihr mich wiedersehen, und: Ich gehe zum Vater? Was soll das bedeuten: noch kurze Zeit? Wir wissen nicht, was er damit sagen will! Jesus merkte, daß sie ihn fragen wollten und sagte zu ihnen: Ihr diskutiert miteinander, was das heißen soll: Noch kurze Zeit und ihr werdet mich nicht mehr sehen; und nochmals eine kurze Zeit, so werdet ihr mich wiedersehen? Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet heulen und schreien, die Welt aber wird sich freuen. Der Schmerz wird über euch kommen, aber euer Schmerz soll in Freude verwandelt werden. Wenn eine Frau gebiert, hat sie Wehen, denn ihre Stunde ist gekommen. Doch wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Not zurück vor der Freude darüber, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist. So kommt jetzt der Schmerz auch über euch. Aber ich werde euch wiedersehen, und dann wird euer Herz sich freuen, und diese Freude vermag euch niemand zu nehmen. Und an dem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen."

Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, Verwandte und Bekannte, liebe Gemeinde!

Es ist wieder einmal soweit. Die Konfirmationszeit ist gekommen. Aber es ist in diesem Jahr doch auch etwas Besonderes, denn: Die letzte Konfirmation in diesem Jahrhundert steht an, jedenfalls die mit einer 19 vorne dran. Damit geht das zweite christliche Jahrtausend zuende. Ihr Konfirmanden seid die letzten, die noch da hinein gehören. Das heißt, die Weltgeschichte steht an einer Wende, aber nicht nur die Weltgeschichte, sondern auch ihr Konfirmanden in eurer Lebensgeschichte, ihr steht an einer Lebenswende. Von alters her hat man die Konfirmation ja so betrachtet, und auch nicht ganz ohne Recht. Denn die Konfirmation trennt die Kindheit von der Jugend, sie ist wie eine Wasserscheide. Ihr wachst nun in eine Lebensphase hinein, die ihre ganz eigenen Chancen und Schwierigkeiten und auch Gefahren hat. Das merkt ihr ja jeden Tag schon selbst. Das Leben liegt vor euch, es ist wie ein großes, weites, unerschlossenes Land, ein ganzer Kontinent. Niemand weiß, was ihr darin entdecken werdet und was euch begegnen wird. Es ist wie eine Schatztruhe, die man noch nicht geöffnet hat, man weiß nicht so richtig, was eigentlich drin ist, aber in jedem Falle ist man neugierig. Ihr möchtet erwachsen werden, die Erwachsenen möchten meistens wieder jung werden.

Und die Konfirmation ist wie eine Schwelle. Wenn man einmal drüber ist, kann man nicht mehr zurück, nie mehr. Unser Leben ist einmalig, unwiederholbar, einzigartig, und jeder hat sein eigenes. und jedes ist wieder anders, keines gleicht dem anderen. Jeder von uns ist ein Gedanke Gottes. Aber wie hat der uns gedacht, der uns dieses Leben gegeben hat? Wohin sollen wir gehen, was für ein Mensch sollen wir werden? Was wird mit uns geschehen auf dem Weg in das Leben? Wo ist das Bild, an dem wir uns orientieren können? Wer wollt ihr sein?

Wenn man so alt ist wie ihr, dann hat man tausend Fragen – es ist wie eine Wundertüte. Auch die Jünger in unserem Predigttext hatten Fragen, Fragen, weil sie vieles von dem, das Jesus zu ihnen sagte, nicht verstanden.

Fragen ist gut! Nur wer fragt, lernt dazu, kommt weiter, bleibt lebendig. Fragen heißt wachsen. Das ist das Erste! Deshalb ist auch mein erster Wunsch an euch: Verlernt nicht das Fragen, bleibt Fragende, bleibt wach, laßt euch nicht einlullen, durch nichts und niemanden. Bringt den inneren Trommler in euch nicht gewaltsam zum Schweigen. Hört auf euer unruhiges Herz! Versucht, hinter die Dinge zu schauen, bleibt unterwegs, sonst könnt ihr nicht nach Hause kommen.

Das zweite ist: die Trennung, der Abschied! Die Jünger in unserem Text wissen noch nicht, daß Jesus sich schon von ihnen verabschiedet hat. Sie begreifen nicht, was die Stunde geschlagen hat, daß ihnen Trennung und Verlust bevorstehen. Ihr begreift das auch nicht, vielleicht schon eher eure Eltern. Die Konfirmation ist auch der Ausdruck für einen Verlust, nicht nur für einen Gewinn. Ihr verliert langsam die Unschuld der Kindheit, den Traum vom Paradies auf der Erde. In dem Paradies können auf die Dauer nur Tiere bleiben. Menschen werden daraus vertrieben, sie müssen einen anderen Weg gehen. Ihr merkt das daran, daß ihr euch verändert, daß ihr mit Problemen konfrontiert werdet, von denen ihr früher gar nichts wußtet, daß ihr euch vielleicht manchmal selbst fremd seid. Euer Leben wird langsam ein anderes, als es war. Ihr verliert damit auch ein Stück Naivität.

Trennung ist Abschied, und Abschied ist Schmerz. Manchmal spürt man das richtig erst viel später. Und dann sehnt man sich auch manchmal zurück nach dem Verlorenen. So haben es auch die Jünger gemacht im Blick auf die Zeit, als Jesus noch leiblich mitten unter ihnen war. Das ist das Leben, immer wieder aufbrechen und immer wieder Abschied nehmen und den Schmerz erdulden – das heißt erwachsen werden, ein Mensch sein.

Das ist das Zweite, und deshalb heißt mein zweiter Wunsch für euch: Brecht auf ins Offene, laßt das Vergangene zurück und behaltet es im Herzen, erduldet den Schmerz der Reifung, macht euch auf den Weg des Erwachsenwerdens, werdet reife Menschen, auch wenn Phasen kommen sollten, in denen ihr heulen und schreien müßt. Es ist wie mit den Weintrauben: Wenn aus ihnen ein gutes Getränk werden soll, dann müssen sie gekeltert und getreten und gepreßt werden. Scheut nicht davor zurück. Durch Leid wird man ein vertiefter Mensch, wenn man es fruchtbar werden läßt, wenn man Gott an der eigenen Seele arbeiten läßt. Es ist der Schmerz vor der Geburt, es sind die Wehen des neuen Menschen, der in unserem Leid in uns zur Welt kommen will. Es ist wirklich wie bei der Geburt, eine Neugeburt. Laßt euch nicht beirren. Das ist das Zweite.

Und nun kommt noch das Dritte und Letzte: die Freude! Es gibt viele Freuden, gewiß, größere und kleinere. Heute ist für euch hoffentlich schon mal eine größere. Ich habe ja keine Ahnung, was da heute so alles auf eurem Geschenktisch liegt, was ihr euch gewünscht habt. Es ist mit Sicherheit eine ganze Menge. Und ihr sollt und könnt und dürft euch anständig darüber freuen. Aber all diese Freuden, die wir so im Leben mitnehmen, die uns geschenkt werden, haben ja einen Nachteil, daß sie kommen und gehen, daß sie nicht bleiben können. Was uns heute noch entzückt, kann uns morgen schon gleichgültig werden und ungerührt lassen. Und dann suchen wir weiter nach neuen Freuden, und immer so weiter. Und wenn wir nicht begreifen, wie sich das mit dem Leben verhält, dann suchen wir wahrscheinlich bis zum Lebensende nach dem mehr, und wir kriegen es doch nicht zu fassen. Das kommt, weil wir an der falschen Stelle suchen! Man kann eben im November keine Ostereier finden! Man kann bei Karstadt eben keine Freude finden oder gar kaufen, die nicht vorübergeht. Die wahre Freude kann man überhaupt nicht kaufen. Sie gibt es in keinem Geschäft, die findet man auch bei keinem anderen Menschen, denn der hat sie ja auch nicht, sondern sucht genauso nach ihr und ist genauso bedürftig. Ich spreche von der Freude, die nichts und niemand mehr von uns wegnehmen kann, von der Freude, die bleibt, die uns geschenkt wird und die wir nicht machen, die wir auch nicht inszenieren müssen, die keine von den billigen Freuden ist, sondern die unser Herz für immer ganz ausfüllt.

Es gibt nur eine einzige Stelle in unserem ganzen Leben, nicht wo wir diese Freude selbst finden, sondern wo wir von ihr gefunden werden, wo wir uns von ihr finden lassen! Und darum ist mein dritter und letzter Wunsch für euch: Werden Hörende und bleibt es! Wir müssen nur Hörende sein, hören, wenn es draußen, wenn es drinnen klopft: Wie klopft es? So klopft es:

Jesus spricht: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, werde ich zu ihm hineingehen du das Mahl mit ihm halten und er mit mir." (Offenbarung 3,20)

Dann werdet ihr ihn sehen, und "dann wird das Herz sich freuen, und diese Freude vermag euch niemand zu nehmen. Und an diesem Tage werdet ihr nichts mehr fragen." Das Verstummen aller ungelösten, qualvollen Fragen des Daseins in der Freude der Anschauung des Ewigen, das ist das Ziel aller Wege des Unendlichen mit uns. Amen!

Priv.-Doz. Dr. Reinhard Weber, Blaue-Kuppe-Straße 37, 37287 Wehretal,
Tel./Fax: 05651-40225


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