Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigtvorschlag zur Konfirmation, April 1999

Predigt: Peter Kusenberg
Text: Mt 7, 13-16a


Liebe Konfirmanden, liebe Gemeinde!

Es ist eine Entscheidung fällig. Zwei Wege stehen zur Wahl. Menschen stehen vor 2 Eingängen. Einen davon müssen sie nehmen. Jeder der beiden Zugänge ist der Anfang eines Weges. Das eine Tor, groß und weit, gibt den Blick frei auf einen breiten Weg, bunt glitzernd, schön ausgebaut und sehr bequem. Wie der andere Weg aussieht, ist schwer zu erkennen, denn die schmale Tür läßt nur Sicht auf den Anfang: ein gewundener Pfad scheint es zu sein, bergauf führend, mit einem hölzernen Geländer.

Entscheidet euch! Stehenbleiben ist nicht möglich, und einen dritten Weg gibt es nicht. Einen der beiden Eingänge, einen der beiden Wege.

Eigentlich gar keine Frage. Natürlich die breite, einladende Öffnung! Die Menschen strömen nur so hindurch. Viele nehmen es nicht einmal wahr, daß da noch eine andere Möglichkeit wäre, sich ein zweiter Weg auftut. Der bequeme Weg lockt, sich im Sog der Masse treiben zu lassen, hindurch zu erhofften Wundern.

Das überrascht niemand. Verwunderlich ist es eher, daß einige wenige dennoch die enge Tür wählen und durch sie hindurchgehen. Außenseiter? Unverbesserliche Eigenbrötler? Oder bloße Spinner?

Oder haben die sich die Mühe gemacht, die fast schon unleserlichen Wegweiser zu entziffern, die über den beiden Eingängen angebracht sind? Wer nämlich dort genau hinschaut, entdeckt in ausgebleichten, verwitterten Buchstaben zwei Worte, eines für jedes Tor. Die meisten haben diese Worte übersehen, hatten die Nase nur nach vorn gerichtet, nicht nach oben: wo die anderen auch alle gehen, kann es ja nicht falsch sein. Also rasch voran, um nicht den Anschluß zu verpassen; ruhig ein wenig drängeln, um voranzukommen. Man muß schließlich sehen, wo man bleibt.

Ein paar, die einen flüchtigen Blick auf die Inschriften warfen, haben mit den Schultern gezuckt: Märchenkram aus vergangener Zeit, das geht uns heute nichts mehr an. Da sind wir doch längst drüber weg.

Was steht dort? Zwei Worte: "Leben" und "Tod". "Tod" über dem breiten, "Leben" über dem engen Tor.

- So oder ähnlich hat vor langer Zeit Jesus seinen Zuhörern eine Geschichte erzählt. Sie saßen beieinander, auf einer Anhöhe über dem See Genezareth, und Jesus wählte das Bild der zwei Türen und Wege, um ihnen den Unterschied zwischen wirklichem Leben und dem Leben der meisten anderen Menschen anschaulich zu machen. Die Mehrzahl wählt den breiten, bequemen Weg. Sich anpassen, nicht auffallen, mitmachen. Und wenn am Ende der Tod wartet - nun, sterben müssen wir alle.

Jesus hat dem widersprochen. Leben, das sich nur an irdischen Maßstäben ausrichtet, ist Leben ohne Hoffnung, ist Leben auf den Tod hin. Leben aber, das mit Gott rechnet, hat einen großen Verbündeten an seiner Seite.

Wir haben die Wahl. Es ist unsere Entscheidung. Vielleicht lesen wir heute andere Namen auf den Schildern über den Toren. Über dem breiten Tor steht "Grenzenlose Freiheit", oder "Wir machen den Weg frei", oder "Nichts ist unmöglich!" - Das Schild an der kleineren Tür könnte lauten: "Verantwortung", oder "Toleranz", oder "Gewissen".

Eine Entscheidung werdet auch Ihr Konfirmanden heute treffen. Ihr werdet nachher mit Eurem Ja bekräftigen, daß ihr zur Gemeinde dieses Jesus von Nazareth gehören wollt, in die ihr heute als neue, vollberechtigte Mitglieder aufgenommen werdet.

Aber das ist nur ein äußeres Zeichen. Es würde mich (und bestimmt nicht nur mich) sehr überraschen, wenn jemand von Euch nachher Nein sagen würde - selbst wenn Ihr insgeheim Zweifel habt oder Euch einer solchen Entscheidung nicht gewachsen fühlt. Die eigentliche Entscheidung, die innere, fällt nicht an einem bestimmten Tag oder Datum.

Die Frage der zwei Wege, der zwei Türen stellt sich immer wieder, für jeden Menschen, für Euch Konfirmanden wie für Eure Eltern und Paten, für uns alle. Eine Situation fordert unsere Entscheidung: wie verhalten wir uns? Sehen wir zu, daß allein wir den größten Vorteil gewinnen, oder haben wir auch Augen und Ohren für die Lage des Anderen?

Mit dem heutigen Tag macht Ihr Konfirmanden einen Schritt in Richtung "Erwachsensein". Damit will ich sagen, daß Euch mehr Verantwortung zugetraut wird, Euch auch mehr Freiheiten gegeben werden. Das ist gut so.

Aber seid vorsichtig! Viele liegen auf der Lauer und wollen Euch etwas über das Leben vorlügen. Fallt nicht darauf herein! Laßt euch Zeit, zu überlegen, was für Euch gut ist und was nicht. "Wir wollen alles! Wir wollen es sofort! Und natürlich umsonst!" ist die ungute Devise vieler Jugendlicher, denen die Werbung und andere Rattenfänger das Gehirn vernebelt haben.

Ich wünsche Euch, daß Ihr begreifen lernt, daß Freiheit auch heißen kann, auf Dinge zu verzichten, und anders zu sein als die Masse. Toll wäre es, wenn Ihr Euren Altersgenossen, die sich nur mit Glimmstengel, Designer-Klamotten und Alkohol groß fühlen, zeigen könntet, was für arme Würstchen sie in Wirklichkeit sind.

Vergeßt nicht, daß Freiheit auch immer die Freiheit des Andersdenkenden einschließt. Wer rücksichtslos die Ellenbogen einsetzt, kann von anderen keine Nachsicht erwarten, wenn er einmal Hilfe braucht. Egoismus könnt Ihr Euch leisten, solange Ihr stark seid: aber wer garantiert Euch, daß Ihr nicht einmal auf einen Stärkeren trefft?

Ihr werdet erfahren, daß die Welt der Erwachsenen kein großes Euro-Disney ist, daß das Leben ganz anders ist als im Kino, und daß man für sein Einkommen mehr tun muß als in einer Gameshow zu gewinnen.

Ich hoffe für Euch, daß Ihr nicht zu Menschen heranwachsen werdet, die immer sagen "Man müßte dieses oder jenes tun", "Man sollte endlich einmal dem und dem das Handwerk legen", aber selbst nicht den Schneid haben, etwas dafür zu tun. Ich hoffe, daß Ihr nicht an Stammtischen oder übern Gartenzaun das große Wort führt, aber stumm werdet, wenn Ihr öffentlich Farbe bekennen sollt. Ich hoffe, daß Ihr nicht wie jene werdet, die stets wissen, was andere zu tun oder zu lassen hätten, selbst aber über jede Kritik erhaben sind. Hoffentlich werdet ihr auch nicht solche, die lautstark Tempo 30 für ihr Wohnviertel fordern, selbst aber mit 70 durch den Nachbarort rasen.

Ich hoffe, daß Ihr gemerkt habt, daß "Kirche" nicht ein abstraktes Ding ist, sondern sich aus Menschen zusammensetzt, keinen Heiligen, sondern ganz normalen Menschen einer Gemeinde. Und ich wünsche mir, daß Ihr nicht eines Tages aus Ärger an Eurer Kirche oder aus schlichtem Geiz dieser Kirche den Rücken kehrt, sondern sie versteht als eine Gemeinschaft, die sich müht, die Botschaft von Jesus in Wort und Tat in die Welt zu tragen.

So viele Wünsche und Hoffnungen. Warum ich die jetzt alle sage? Weil ich weiß, daß ich viele von euch von nun an für eine ganze Weile nicht mehr sehen werde und dies also die vorerst letzte Gelegenheit dazu ist. Ich sage das ohne Vorwurf und ohne Bitterkeit. Die Pfarre habt Ihr hinter Euch; vieles Neue stürmt auf Euch ein. Aber von dem, was wir in den zwei Jahren miteinander erlebt haben, wird vielleicht etwas einmal weiterwirken in Euch - bewußt oder unbewußt.

Vor allem anderen aber wünsche ich Euch, daß es keine schlimmen oder grausamen Erfahrungen sein werden, die Euch die Augen öffnen und die Sinne schärfen für das Leben, das vor Euch liegt. Und das zweite: daß Ihr bei den großen und kleinen Entscheidungen Eures Lebens nicht das Gespür dafür verliert, daß Ihr zwischen zwei Wegen wählen könnt. Der schmale wird dabei manchmal mit mehr Nachdenken, vielleicht mehr Arbeit und mehr Rücksicht auf andere verbunden sein. Aber dafür müßt Ihr diesen Weg nie allein gehen. Amen.

Peter Kusenberg, Pastor in Erbsen, Landkreis Göttingen Tel. 05506 - 8331 E-Mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de


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