Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigt zur Konfirmation an Rogate, 17.5.1998

Verfasser: Pastor Heiko Ehrhardt
Text: 1. Timotheus 2, 1-6a


Anmerkungen zur besonderen Situation der Predigt: Siehe am Schluß der Predigt!

Liebe Daniela, liebe Julia, lieber Boris, lieber Daniel, liebe Festgemeinde!

Aus und vorbei - dies mag das erste Gefühl sein, was Euch heute bewegt. Aus und vorbei: In der Tat ist der Unterricht aus und die Konfirmandenzeit vorbei. Ihr habt es geschafft, Ihr habt durchgehalten und nun werdet Ihr konfirmiert. Am heutigen Tage wird Euch das, was Euch in der Taufe bereits zugesprochen wurde, noch einmal gesagt, am heutigen Tage wird die Liebe Gottes, die in Jesus Christus in die Welt gekommen ist, noch einmal ganz konkret und deutlich für Euch.

Ich freue mich, daß ich Euch heute konfirmieren darf und ich wünsche mir, daß Ihr nicht nur zu Karteileichen werdet, die zwar noch irgendwie irgendwo irgendwann vorkommen, sondern daß Ihr Freude daran findet, zur Gemeinde zu gehören und gemeinsam mit anderen Jesus Christus nachzufolgen.

Als Text für den heutigen Tag habe ich nach langer Suche den Predigttext für den heutigen Sonntag herausgesucht.

Der heutige Sonntag trägt den lateinischen Namen "Rogate", das heißt auf deutsch soviel wie "Fraget".

Fragen - nach wem und nach was denn fragen, so könnte man nun fragen. Die Antwort ist nicht schwer: Gefragt wird nach dem, der unser Leben trägt, der unser Trost im Leben und im Sterben ist, der mit seiner heilsamen Liebe bei uns ist und nach dem wir fragen dürfen, weil er immer wieder nach uns fragt.

Fragen dürfen wir also nach Gott.

Wie Gott in unserem Leben wirken kann, wie Gott in unsere Welt eingreift, kann der Predigttext des heutigen Sonntags zeigen. Ich lese einen Abschnitt aus dem 1.Tim.:

"So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.

Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, daß dies zu seiner Zeit gepredigt werde.

Liebe Daniela, liebe Julia, lieber Boris, lieber Daniel, liebe Festgemeinde!

Ich vermute, daß es Euch und Ihnen so erging, wie es mir erging, als ich den Text zum ersten Mal gelesen habe: ich fand den Text sperrig, schwer verständlich und weit weg von heutiger Sprache und von heutigen Fragen. Die Fragen, die der heutige Sonntag und der heutige Konfirmationstag stellen, scheinen im Text überhaupt nicht vorzukommen.

Statt dessen: Schwere, gewundene, fast etwas gestelzte Sprache und hohe, schwer verständlich Theologie.

Zumindest beim ersten Blick ist dieser Text kein Text, mit dem man "warm werden kann". Anders ist es dann allerdings beim zweiten Blick:

Der Text beantwortet nämlich zwei der elementarsten menschlichen Grundfragen: Die Frage danach, wem ich vertrauen kann und die Frage danach, wie ich etwas von dem erfahren kann, dem ich vertrauen kann. Beide Fragen möchte ich mit dem Text zu beantworten suchen.

Die erste Frage ist eine enorm wichtige Frage in der heutigen Zeit. "Wem können wir vertrauen ? Wem können wir unser Leben anvertrauen ? Wer ist so vertrauenswürdig, daß er zum einzigen Trost im Leben und auch im Sterben werden kann ?" - diese Frage ist es, um die es in der Konfirmandenzeit immer wieder ging.

Zu Beginn habe ich Euch danach gefragt, woran Euer Herz hängt und Euch darauf hingewiesen, daß man sein Herz nicht beliebig oft verschenken kann. Deshalb heißt es "Aufgepaßt !", wenn jemand um unser Vertrauen buhlt, wenn jemand unser Herz geschenkt haben will.

Als Ihr Euch Eure Konfirmationssprüche ausgesucht habt, ist mir deutlich geworden, daß die Frage auch dem Vertrauen auch Euch bewegt. Alle Konfirmationssprüche stellen auf ihre Weise die Frage, wem man denn nun vertrauen kann und worauf man sein Leben aufbauen kann.

Besonders deutlich ist mir das bei Danielas Konfirmationsspruch geworden (Ps.142,1-4 nach "Gute Nachricht"), denn dieser Spruch fragt in harten, deutlichen Worten danach, wem man seinen Kummer und seine Probleme anvertrauen darf.

In der heutigen Zeit ist es allerdings durchaus nicht einfach, die Frage zu beantworten, wem man denn nun vertrauen darf.

Wem dürfen wir vertrauen ?
Auf diese Frage kommt es an.
Wem dürfen wir vertrauen ?

Den Politikern ? Auch wenn der Spruch "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch im Wahlkampf spricht" sicher nur für eine Minderheit unserer Politiker gelten mag - Jugend hat die Politiker und die Parteien weitgehend abgehakt. Die Ergebnisse der letzten "Shell-Studie" sprechen da eine deutliche Sprache.

Oder dürfen wir Kirchenvertretern vertrauen ? Auch da sieht es düster aus - das Image von Kirche ist in der Jugend schlecht, Kirchenvertreter stehen immer unter dem Verdacht, Forderungen aufzustellen, die sie dann selbst nicht halten. Also auch hier: Mehr Mißtrauen als Vertrauen.

Wem dürfen wir dann vertrauen ? Die Stars - so unterschiedlich sie auch sein mögen - die Ihr Euch an Eure Wände hängt, scheiden als Vertrauensträger auch aus. Jemand, der zum Idol erklärt wird, der fast vergöttert wird, mag im besten Fall als Vorbild dienen - vertrauenswürdig ist er nicht. Dafür ist er zu weit weg.

Und Eltern und Erzieher ? Es wäre schön, wenn es da Vertrauen gäbe - aber in Eurem Alter ist es ja wohl eher so, daß die Eltern/Erzieher in "einem schwierigen Alter" sind und daß Ihr Euch daher langsam aber sicher Eure eigenen Vertrauten sucht.

Es sieht also nicht gut aus mit denen, die heute noch vertrauenswürdig sein können. Und so regiert ein dumpfes, vielfach ängstliches Mißtrauen.

Die "Shell-Studie" beschreibt eine Jugend, die realistisch ist, die keine großen Ideale mehr hat, weil alle Kraft für den täglichen Kampf um Schulnoten, Lehrstellen und Arbeitsplätze draufgeht.

Mir scheint es so, daß der frühere rheinische Präses Peter Beier Recht hatte, als er sagte: "Der deutsche Kaiser Wilhelm II hat vor hundert Jahren gesagt: Wir Deutschen fürchten nichts - außer Gott. Heute hat sich dies umgedreht: Wir Deutschen fürchten so ungefähr alles - außer Gott." Ist das der Weisheit letzter Schluß ? Ist das alles, was zu sagen wäre?

Der Predigttext freilich weist in eine andere Richtung: Wir dürfen vertrauen, denn es gibt einen, der unbedingt vertrauenswürdig ist. Dieser eine ist der, der von Gott in die Welt geschickt wurde, der ein Mensch wurde wie wir, der unser Leben gelebt hat und der unseren Tod am Kreuz von Golgatha gestorben ist. Dieser eine - Jesus Christus - zeigt uns, daß Gott unbedingt vertrauenswürdig ist. Dieser eine ist gewissermaßen eine menschgewordene vertrauenbildende Maßnahme Gottes.

Gott ist vertrauenswürdig, weil er Jesus Christus gesandt hat. Gott ist vertrauenswürdig, weil er als kleines Kind in unsere Welt kam, um so um uns und unser Vertrauen zu werben.

Darauf kommt es an: Wir sollen Gott gar nicht fürchten - nein: Wir dürfen ihm vertrauen und mit diesem Vertrauen all den Ängsten und Sorgen, die uns umtreiben mögen, entgegentreten.

Dies also ist die Antwort auf die erste Frage: Wer ist überhaupt noch vertrauenswürdig? Der menschgewordene Gott ist es.

Schwerer mag allerdings die zweite Frage wiegen. Denn selbst wenn man grundsätzlich bejaht, daß Gott vertrauenswürdig ist, daß Gott Gutes mit uns vorhat, daß Gott will, daß uns und der ganzen Welt geholfen wird, selbst dann, wenn man dies bejaht und gut findet, stellt sich doch die Frage, wann und wo man diesem Gott begegnen kann, wann und wie man diesen Gott kennenlernen kann.

Auch hierauf gibt der Predigttext eine Antwort, eine einfache Antwort. Gott kann man kennenlernen, indem man zu ihm betet, indem man mit ihm redet. Dabei kann das Beten durchaus mehrere Formen haben - der Predigttext nennt allein vier - wichtiger ist aber, daß ein Gebet zu Gott nicht ohne Antwort bleiben wird.

"Gott ist nur soweit entfernt wie das nächste Gebet" - diesen Satz hat mir vor vielen Jahren mal irgend jemand gesagt. Ich habe ihn nie vergessen, denn der Satz stimmt. Im Psalm wird dies noch anders ausgedrückt: "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten", heißt es dort. Das heißt, daß ein Gebet zu Gott nie in die Leere geht, daß das Beten also die direkte Kontaktaufnahme zu Gott bedeuten kann.

Dabei darf das Gebet durchaus so lauten, wie einem "der Schnabel gewachsen ist" - die Gebete, die wir für den heutigen Gottesdienst gelernt haben, sind zwar wichtige Hilfestellungen, aber beileibe nicht die einzige Art, wie gebetet werden darf.

Und noch etwas ist wichtig: Beten kann jeder allein, das ist wahr. Aber noch besser ist es, wenn man die Gemeinschaft derer sucht, die auch nach Gott fragen. Das Gebet zu Gott wird früher oder später auch in die Gemeinschaft derer führen, die nach Gott fragen und die Jesus Christus nachfolgen wollen. Glaube an Gott ist daher niemals nur Privatsache sondern immer auch ein Geschehen, daß im Raum einer Gemeinde stattfindet. Auch deshalb werdet Ihr heute im Rahmen eines Gottesdienstes und in Gegenwart der Gemeinde konfirmiert.

Liebe Daniela, liebe Julia, lieber Boris, lieber Daniel, liebe Festgemeinde!

Zwei Fragen habe ich eingangs gestellt: "Wem können wir vertrauen ?" - Dem menschgewordenen Gott. "Wie können wir diesen Gott kennenlernen ?" - In dem wir den direkten Kontakt mit ihm suchen, zu ihm beten, mit ihm reden.

Beides kann auf den Wegen, die noch vor Euch liegen, sehr wichtig werden. Selbst dann, wenn es so aussieht, daß alles Aus und Vorbei ist, ist noch lange nicht alles vorbei. Gott steht auch da zu Euch, wo Ihr vielleicht nicht mehr weiter wißt oder weiter könnt.

Deshalb wünsche ich Euch am heutigen Tag, daß Ihr die Erfahrung macht, die der Psalmbeter so ausdrückt:

"Ich schaue mich um: da ist keiner, der mich beachtet. Ich habe keine Zuflucht mehr, keinen Menschen, der sich um mich kümmert. Zu dir Herr, schreie ich ! Ich sage: Du bist meine Zuflucht, du gibst mir alles, was ich im Leben brauche." (Ps.142,5+6 nach "Gute Nachricht")

Redet mit Gott und er wird Euch antworten. Und die Wege, die Ihr geht, werden gute Wege sein.

Amen.

Anmerkungen zur Predigt:

Diese Konfirmationspredigt wendet sich an eine kleine Konfirmandengruppe im Evgl. Kinder- und Jugendheim Oberbieber (bei Neuwied). In diesem Heim leben ca. 150 verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche in verschiedenen Betreuungsformen (Tagesgruppen, Wohngruppen, Familiengruppen, Verselbständigungsgruppen). Für die seelsorgerliche Betreuung aller Jugendlichen und der zugehörigen ErzieherInnen bin ich als Pastor zuständig.

Die Konfirmandengruppe ist eine kleine Gruppe von 2 Konfirmandinnen und 2 Konfirmanden - ich habe mit einer größeren Gruppe gestartet, aber erfahrungsgemäß hält ein Teil der Jugendlichen nicht bis zum Schluß durch. Dies auch deshalb, weil der Anreiz, Geschenke zu erhalten, nicht vorhanden ist (ganze 60,-- DM stehen pro Kind für Geschenke zur Verfügung). Deshalb springen immer wieder Jugendliche ab. Andererseits kenne ich die, die "durchgehalten" haben, sehr gut und ich habe den Eindruck, daß die Motivation, zur Konfirmation zu gehen, sehr hoch ist.

Für die Predigt ist in jedem Fall noch zu beachten, daß das intellektuelle Vermögen der gesamten Gruppe nicht sehr hoch ist (2 Sonderschüler, 2 Hauptschülerinnen) und daß ich erwarte, daß die GottesdienstbesucherInnen nicht zur Kerngemeinde gehören werden. Daher versuche ich, das Niveau niedrig anzusetzen. Schließlich ist mir wichtig, einige Gesichtspunkte des vorangegangenen Unterrichts noch einmal aufzunehmen - hier vor allem den Gesichtspunkt, daß ich "Glaube" immer wieder mit "Vertrauen" umschrieben habe.

Pastor Heiko Ehrhardt


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