Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe: Die Antithesen in der Bergpredigt

Datum: 21.3.99
Text: Matthäus 5, 9
Verfasserin: Elisabeth Tobaben

Exegetische Anmerkungen (hier klicken!)

"Selig sind die Friedensstiftenden, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden"

Matth. 5,9

Liebe Gemeinde!

Geht das?
Kann man mit der Bergpredigt – regieren?
Lassen sich solche Sätze wie dieser von den Friedensstiftenden für ein gesellschaftspolitisches Programm verwerten?
Kann man einer nicht- oder nachchristlichen Welt Werte und Normen zumuten, die eigentlich in ein christliches Gedankengebäude gehören, auch wenn die biblischen Texte und Inhalte dazu gar nicht mehr bekannt sind,
wenn die biblischen Bilder im Leben der angesprochenen Menschen sonst überhaupt keine Rolle mehr spielen?

Oder ist es ganz anders – und es handelt sich bei unseren christlichen Überzeugungen um Werte, die auch unabhängig von christlichen Lebens- und Glaubenszusammenhängen funktionieren können?
Die auch ohne den Bezug auf Christus einfach für alle richtig sind?
Fragen wie diese wurden vehement diskutiert zu Zeiten, als die Friedensbewegung noch bewegter erschien als heute, als sich noch Kirchentage mit einem Meer von lila Tüchern gegen Massenvernichtungswaffen erhoben, bereit, die Rolle der Friedensstiftenden sofort zu übernehmen.
Alte und neue Krisenpunkte gibt es nach wie vor noch genug auf unserer Erde.

Und natürlich: Die Nachrichten liefern tag-täglich Informationen über internationale Friedensmissionen und Friedenstruppen, die wieder auf den Weg geschickt worden sind.
Der Einsatz derer ist groß, die versuchen, zu vermitteln und die verfeindeten und zerstrittenen Parteien an einen Tisch zu bringen, und manchmal gelingt es ja auch!
Manchmal kommen tatsächlich Verhandlungen zustande, werden Abkommen geschlossen und Verträge unterschrieben.
Um die kirchliche Friedensbewegung jedoch ist es still geworden.
Lähmen uns in der Kirche vielleicht die immer wieder an neuen Stellen aufflackernden kriegerischen Auseinandersetzungen, die unlösbar erscheinenden Konflikte in den eigenen Reihen so sehr?

"Selig sind die Friedensstiftenden" – so weit wird nach wie vor gern mal die Bibel zitiert in Talkshows und Tagespresse.
Von der nachfolgenden Verheißung allerdings lassen Journalisten und TalkmasterInnen dabei meist vorsichtshalber lieber die Finger: "Kinder Gottes" – vielleicht doch ein arg fremdes Ziel?
Der Akzent liegt bei solchen Zitationen deswegen folgerichtig auf der Aufforderung: ‚Nun mal ran, das ist doch euer Job, für Frieden zu sorgen!‘
Ich habe den Eindruck, daß sich da in der weltlichen Presse etwas widerspiegelt, was auch langjährige kirchliche Auslegungsgeschichte dieses Textes gewesen ist!
Aus den Seligpreisungen ist tatsächlich oft so etwas gemacht worden wie ein Verhaltenskatalog, eine Liste von sogenannten ‚Tugenden‘!
Das funktioniert dann nach dem System: Wenn Du Dich so und so verhältst, dann wird das und das geschehen.
Wenn Du Frieden stiftest, dann ...
Es greift natürlich sofort die Umkehrung: "Aha, wenn ich selig werden will, muß ich Frieden stiften."
Und da Jesus ringsum in der Bergpredigt ein Bild der Vollkommenheit zeichnet, kann dabei nur herauskommen:
"Das schaffe ich ja nie!" oder
"Wer kann dann selig werden?" (Mt. 19, 25)
Und da man gelernt hat, daß man auch das Unerreichbare zumindest anstreben soll, gerät der Hörer oder die Hörerin gewaltig unter Druck.
Frieden stiften!
Damit ist auch lange ein Mißverständnis verbunden gewesen.
Luther hat übersetzt: Selig sind die Friedfertigen.
Und viele haben das so gehört, als käme es bloß auf die richtige Gesinnung an, als müßte man nur friedlich gestimmt sein, das reiche dann schon aus, auch in der unfriedlichsten Umgebung, der konfliktreichsten Zeit.
Daraus wurde ein recht zweifelhaftes Ideal, das gerade bei uns in der Kirche eine friedliche Gesinnung, ein "friedliches" Verhalten – manchmal um jeden Preis – verlangte:
Konflikte sind zu vermeiden oder werden unter den Teppich gekehrt; Streit bekommt ein negatives Image, darf eigentlich nicht sein und wird sofort mit dem Verdikt "unchristlich" belegt.
Was ist das für ein Friede, der so – vielleicht – entsteht?
Mir kommt er vor wie ein Friedhofs-Friede;
ein krankmachender und einengender Friede, ein toter Friede.
Und wie kann dann ein Friede entstehen, der lebendig macht? Der alle Lebensbereiche umfaßt, den inneren wie den äußeren Menschen wachsen läßt, der weiterhilft?

Es gibt eine ganz banale Voraussetzung: Wenn ich diesen gewünschten oder erträumten Frieden stiften will oder soll, dann muß ich zunächst einmal wahrnehmen, daß es ihn offenbar hier und jetzt (noch) nicht gibt; daß der Zustand, in dem die Beteiligten leben, ein anderer ist: Streit vielleicht, Krieg oder Unfrieden.
Da sind Konflikte, tiefsitzende Ängste, Verletzungen und Enttäuschungen oder vielleicht auch einfach eine Unklarheit darüber, wie denn die Realität gerade wirklich aussieht.
Dann kommt es darauf an, zuerst gerade das anzugucken, was noch nicht in Ordnung ist, was Probleme mit sich bringt und Schwierigkeiten macht.

Das hört sich einfach an.
Aber oft genug ist dieser erste auch der schwierigste Schritt, sich nämlich einzugestehen: Ja, es gibt Probleme, wir haben Schwierigkeiten miteinander.
Zum Beispiel in einer festgefahrenen Beziehung, wenn die Partner vielleicht schon nebeneinander herleben und sich aus dem Weg gehen: Wieviel Energie kostet es da schon, sich aufzuraffen, etwas für die Rettung der Beziehung zu tun, vielleicht SeelsorgerIn oder EheberaterIn aufzusuchen?

Das ist das eine.
Und dann: Es steht gar nicht da, daß immer alle zu allen Zeiten Friedensstiftende sein müssen!
Die nächste Frage ist also: Ist mein friedensstiftender Einsatz überhaupt gewollt? Ist er jetzt und hier und in diesem Zusammenhang gerade ‚dran‘?

Wir alle kennen vermutlich Menschen, die sich permanent überall einmischen müssen und die den anderen dabei ihre Vorstellung von Frieden überstülpen.
Wer hätte nicht schon zu hören bekommen: "Ich weiß schon, was gut für dich ist." Oder: "Das haben wir doch schon immer so gemacht."
Und wir kennen bestimmt auch die anderen, die, die sich grundsätzlich immer aus allem raushalten. "Das geht mich doch gar nichts an"; "Da können wir sowieso nichts ändern"; "Da muß schon jeder selber sehen ..." sind die Sprüche solcher Leute.
Diejenigen, die da selig gepriesen werden, haben offenbar das richtige getroffen und den richtigen Moment dafür erwischt. Sie konnten vermitteln, weil sie sich nicht hineinziehen ließen in einen Konflikt, sondern in der Lage waren, einmal mit den Augen des einen, einmal aus der Sicht des anderen auf die umstrittene Sache zu gucken.
"Selig" werden sie jetzt genannt!

"Ich bin selig" – das sagen wir wohl manchmal, wenn uns geradezu unfaßbares Glück widerfährt, frisch verliebt, die schwierige Prüfung in der Tasche ...
Da ist man schon selig. Klar.
Aber das kann es hier doch wohl nicht sein, denn auch im besten und geglücktesten Fall ist Frieden-Stiften schließlich immer eine gefährliche, eine riskante Mission!
Die Gefahr ist immer damit verbunden, daß ich dabei zwischen die Fronten gerate und von beiden Seiten verhauen werde.
Es könnte ja sein, daß es lebendigen Frieden an diesem Risiko vorbei gar nicht gibt!
Die Sehnsucht ist groß nach innerem und äußerem Frieden.

Jeder unserer Gottesdienste schließt mit dem Friedenswunsch: "Gehet hin im Frieden des Herrn!"
Leben unter dem Segen Gottes wird erbeten.
Leben in der Fülle der Möglichkeiten, heil und ganz.
"Schalom" sagt die hebräische Bibel.

Mir ist wichtig, daß wir diesen Text am Sonntag Judica bedenken, schon gegen Ende der Passionszeit. Wir gehen miteinander auf Karfreitag zu, auf den Gekreuzigten, der sich in besonderer Weise ‚zwischen die Fronten‘ gestellt hat.
In ihm kann sich unsere Friedenssehnsucht erfüllen, in aller Brüchigkeit und Vorläufigkeit schon jetzt und hier,
und einmal in aller Fülle.

Amen.

Elisabeth Tobaben, Kirchstraße 13, 37186 Moringen

Exegetische Anmerkungen:

Die Seligpreisung der Friedensstiftenden (Mt. 5,9) gehört zum zweiten Teil, zu den Preisungen, die auf das rechte Verhalten abzielen.

Bei den e i r h n o p o i o i ist an Handelnde zu denken, nicht nur an Menschen mit einer friedliebenden Gesinnung.

Den Angesprochenen wird zugetraut, Frieden im umfassenden Sinn, Heil und Ganzsein in allen Lebensbezügen zu schaffen – Schalom.

Dies ist möglich, weil in Jesus das Reich Gottes nahegekommen ist und sich – nach Matthäus – die alttestamentlichen Verheißungen zu erfüllen beginnen.


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