Exegetische Anmerkungen (hier klicken!)
"Selig sind die Friedensstiftenden,
denn sie werden Kinder Gottes genannt werden"
Matth. 5,9
Liebe Gemeinde!
Geht das?
Kann man mit der Bergpredigt regieren?
Lassen sich solche Sätze wie dieser von den Friedensstiftenden für
ein gesellschaftspolitisches Programm verwerten?
Kann man einer nicht- oder nachchristlichen Welt Werte und Normen zumuten, die
eigentlich in ein christliches Gedankengebäude gehören, auch wenn die
biblischen Texte und Inhalte dazu gar nicht mehr bekannt sind,
wenn die biblischen Bilder im Leben der angesprochenen Menschen sonst
überhaupt keine Rolle mehr spielen?
Oder ist es ganz anders und es handelt sich bei unseren christlichen
Überzeugungen um Werte, die auch unabhängig von christlichen Lebens-
und Glaubenszusammenhängen funktionieren können?
Die auch ohne den Bezug auf Christus einfach für alle richtig sind?
Fragen wie diese wurden vehement diskutiert zu Zeiten, als die
Friedensbewegung noch bewegter erschien als heute, als sich noch
Kirchentage mit einem Meer von lila Tüchern gegen Massenvernichtungswaffen
erhoben, bereit, die Rolle der Friedensstiftenden sofort zu übernehmen.
Alte und neue Krisenpunkte gibt es nach wie vor noch genug auf unserer Erde.
Und natürlich: Die Nachrichten liefern tag-täglich Informationen
über internationale Friedensmissionen und Friedenstruppen, die wieder auf
den Weg geschickt worden sind.
Der Einsatz derer ist groß, die versuchen, zu vermitteln und die
verfeindeten und zerstrittenen Parteien an einen Tisch zu bringen, und manchmal
gelingt es ja auch!
Manchmal kommen tatsächlich Verhandlungen zustande, werden Abkommen
geschlossen und Verträge unterschrieben.
Um die kirchliche Friedensbewegung jedoch ist es still geworden.
Lähmen uns in der Kirche vielleicht die immer wieder an neuen Stellen
aufflackernden kriegerischen Auseinandersetzungen, die unlösbar
erscheinenden Konflikte in den eigenen Reihen so sehr?
"Selig sind die Friedensstiftenden" so weit wird
nach wie vor gern mal die Bibel zitiert in Talkshows und Tagespresse.
Von der nachfolgenden Verheißung allerdings lassen Journalisten und
TalkmasterInnen dabei meist vorsichtshalber lieber die Finger: "Kinder
Gottes" vielleicht doch ein arg fremdes Ziel?
Der Akzent liegt bei solchen Zitationen deswegen folgerichtig auf der
Aufforderung: Nun mal ran, das ist doch euer Job, für Frieden zu
sorgen!
Ich habe den Eindruck, daß sich da in der weltlichen Presse etwas
widerspiegelt, was auch langjährige kirchliche Auslegungsgeschichte dieses
Textes gewesen ist!
Aus den Seligpreisungen ist tatsächlich oft so etwas gemacht worden
wie ein Verhaltenskatalog, eine Liste von sogenannten Tugenden!
Das funktioniert dann nach dem System: Wenn Du Dich so und so verhältst,
dann wird das und das geschehen.
Wenn Du Frieden stiftest, dann ...
Es greift natürlich sofort die Umkehrung: "Aha, wenn ich selig werden
will, muß ich Frieden stiften."
Und da Jesus ringsum in der Bergpredigt ein Bild der Vollkommenheit zeichnet,
kann dabei nur herauskommen:
"Das schaffe ich ja nie!" oder
"Wer kann dann selig werden?" (Mt. 19, 25)
Und da man gelernt hat, daß man auch das Unerreichbare zumindest
anstreben soll, gerät der Hörer oder die Hörerin gewaltig unter
Druck.
Frieden stiften!
Damit ist auch lange ein Mißverständnis verbunden gewesen.
Luther hat übersetzt: Selig sind die Friedfertigen.
Und viele haben das so gehört, als käme es bloß auf die
richtige Gesinnung an, als müßte man nur friedlich gestimmt sein,
das reiche dann schon aus, auch in der unfriedlichsten Umgebung, der
konfliktreichsten Zeit.
Daraus wurde ein recht zweifelhaftes Ideal, das gerade bei uns in der Kirche
eine friedliche Gesinnung, ein "friedliches" Verhalten
manchmal um jeden Preis verlangte:
Konflikte sind zu vermeiden oder werden unter den Teppich gekehrt; Streit
bekommt ein negatives Image, darf eigentlich nicht sein und wird sofort mit dem
Verdikt "unchristlich" belegt.
Was ist das für ein Friede, der so vielleicht entsteht?
Mir kommt er vor wie ein Friedhofs-Friede;
ein krankmachender und einengender Friede, ein toter Friede.
Und wie kann dann ein Friede entstehen, der lebendig macht? Der alle
Lebensbereiche umfaßt, den inneren wie den äußeren Menschen
wachsen läßt, der weiterhilft?
Es gibt eine ganz banale Voraussetzung: Wenn ich diesen
gewünschten oder erträumten Frieden stiften will oder soll, dann
muß ich zunächst einmal wahrnehmen, daß es ihn offenbar hier
und jetzt (noch) nicht gibt; daß der Zustand, in dem die Beteiligten
leben, ein anderer ist: Streit vielleicht, Krieg oder Unfrieden.
Da sind Konflikte, tiefsitzende Ängste, Verletzungen und
Enttäuschungen oder vielleicht auch einfach eine Unklarheit darüber,
wie denn die Realität gerade wirklich aussieht.
Dann kommt es darauf an, zuerst gerade das anzugucken, was noch
nicht in Ordnung ist, was Probleme mit sich bringt und Schwierigkeiten
macht.
Das hört sich einfach an.
Aber oft genug ist dieser erste auch der schwierigste Schritt, sich
nämlich einzugestehen: Ja, es gibt Probleme, wir haben
Schwierigkeiten miteinander.
Zum Beispiel in einer festgefahrenen Beziehung, wenn die Partner vielleicht
schon nebeneinander herleben und sich aus dem Weg gehen: Wieviel Energie kostet
es da schon, sich aufzuraffen, etwas für die Rettung der Beziehung zu tun,
vielleicht SeelsorgerIn oder EheberaterIn aufzusuchen?
Das ist das eine.
Und dann: Es steht gar nicht da, daß immer alle zu allen Zeiten
Friedensstiftende sein müssen!
Die nächste Frage ist also: Ist mein friedensstiftender Einsatz
überhaupt gewollt? Ist er jetzt und hier und in diesem Zusammenhang gerade
dran?
Wir alle kennen vermutlich Menschen, die sich permanent überall
einmischen müssen und die den anderen dabei ihre Vorstellung von
Frieden überstülpen.
Wer hätte nicht schon zu hören bekommen: "Ich weiß schon,
was gut für dich ist." Oder: "Das haben wir doch schon immer so
gemacht."
Und wir kennen bestimmt auch die anderen, die, die sich grundsätzlich
immer aus allem raushalten. "Das geht mich doch gar nichts an";
"Da können wir sowieso nichts ändern"; "Da muß
schon jeder selber sehen ..." sind die Sprüche solcher Leute.
Diejenigen, die da selig gepriesen werden, haben offenbar das richtige
getroffen und den richtigen Moment dafür erwischt. Sie konnten
vermitteln, weil sie sich nicht hineinziehen ließen in einen
Konflikt, sondern in der Lage waren, einmal mit den Augen des einen, einmal aus
der Sicht des anderen auf die umstrittene Sache zu gucken.
"Selig" werden sie jetzt genannt!
"Ich bin selig" das sagen wir wohl manchmal, wenn uns
geradezu unfaßbares Glück widerfährt, frisch verliebt, die
schwierige Prüfung in der Tasche ...
Da ist man schon selig. Klar.
Aber das kann es hier doch wohl nicht sein, denn auch im besten und
geglücktesten Fall ist Frieden-Stiften schließlich immer eine
gefährliche, eine riskante Mission!
Die Gefahr ist immer damit verbunden, daß ich dabei zwischen die Fronten
gerate und von beiden Seiten verhauen werde.
Es könnte ja sein, daß es lebendigen Frieden an diesem Risiko vorbei
gar nicht gibt!
Die Sehnsucht ist groß nach innerem und äußerem Frieden.
Jeder unserer Gottesdienste schließt mit dem Friedenswunsch:
"Gehet hin im Frieden des Herrn!"
Leben unter dem Segen Gottes wird erbeten.
Leben in der Fülle der Möglichkeiten, heil und ganz.
"Schalom" sagt die hebräische Bibel.
Mir ist wichtig, daß wir diesen Text am Sonntag Judica bedenken, schon
gegen Ende der Passionszeit. Wir gehen miteinander auf Karfreitag zu, auf den
Gekreuzigten, der sich in besonderer Weise zwischen die Fronten
gestellt hat.
In ihm kann sich unsere Friedenssehnsucht erfüllen, in aller
Brüchigkeit und Vorläufigkeit schon jetzt und hier,
und einmal in aller Fülle.
Amen.
Elisabeth Tobaben, Kirchstraße 13, 37186 Moringen
Exegetische Anmerkungen:
Die Seligpreisung der Friedensstiftenden (Mt. 5,9) gehört zum zweiten
Teil, zu den Preisungen, die auf das rechte Verhalten abzielen.
Bei den e i
r h n o p o i o i ist an Handelnde zu denken, nicht nur an Menschen mit
einer friedliebenden Gesinnung.
Den Angesprochenen wird zugetraut, Frieden im umfassenden Sinn, Heil und
Ganzsein in allen Lebensbezügen zu schaffen Schalom.
Dies ist möglich, weil in Jesus das Reich Gottes nahegekommen ist und
sich nach Matthäus die alttestamentlichen Verheißungen
zu erfüllen beginnen.
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