Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe: Die Antithesen in der Bergpredigt

Datum: 14.3.99
Text: Matthäus 5, 33-37
Verfasser: Prof. Dr. Stefan Knobloch

"Was zuviel ist, ist zuviel?"

Es wurde damals von der Öffentlichkeit deutlich vermerkt: Als die neue Bundesregierung vereidigt wurde, verzichteten manche - allen voran der Bundeskanzler - auf die Eidesformel, "ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Hatten er und die anderen, die es ihm gleichtaten, mehr von dem verstanden, wozu uns die sogenannte dritte Antithese der Bergpredigt (Mt 5, 33-37) auffordert, als wir es gewöhnlich tun? Nicht zu schwören? Wobei sie es ja taten, nur eben, ohne sich auf Gott zu beziehen? "Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht ..." Haben sie wenigstens ein Stück weit die Intention Jesu wiedergegeben, indem sie davon absahen, Gott in ihrer Eidesformel zu erwähnen?

Würde man sie fragen, käme wohl kein deutlicher Bezug auf unsere Bergpredigtstelle heraus, eher wohl käme die Begründung zum Vorschein, daß zwischen öffentlichem und privatem Bereich zu unterscheiden sei, daß ein so qualifiziert öffentlicher Akt wie die Eidesleistung bei der Übernahme des Amtes eines Bundesministers bzw. einer Bundesministerin nicht der Ort sei, ihn mit der persönlichen Glaubenshaltung gegenüber Gott zu vermengen. Wäre es so, wäre die aus der Hüfte geschossene Vermutung, wir hätten es mit "glaubenslosen" Politikern zu tun, eine in der Tat unzutreffende Mutmaßung, denn der Verzicht auf die Eidesformel muß nicht mehr anzeigen, als daß zwischen öffentlich und privat getrennt werde. Jede Mutmaßung darüber hinaus "stammte (gewissermaßen) vom Bösen" (Mt 5,37).

1. Eid und Schwören im Leben unentbehrlich?

Viele Situationen im Leben sehen einen Eid vor. Das gilt bis hinein in die Kirche, wo im Fall der katholischen Kirche ein von Rom neu vorgelegter "Treue-Eid" vor einigen Jahren für nachhaltigen Wirbel sorgte. Geht es offenbar nicht ohne Eid im Leben? Wenn wir das Wortfeld Eid/Schwur etwas erweitern, werden wir gewahr, daß kaum einer von uns dem hier von Jesus aufgeworfenen Problem entkommt. Denn dann haben wir nicht nur an Eid und Schwören zu denken, sondern auch an nahe verwandte Bereiche wie Gelöbnis, Gelübde (Ordensgelübde zum Beispiel) oder die vordergründig aus der Übung gekommene Verlobung zweier Menschen, die ihren gemeinsamen Weg in gegenseitiger Verbindlichkeit zu gehen bereit sind. "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein". Sind Gelöbnis, Gelübde, Verlobung von Übel? Manche mögen das vom Gelöbnis der Bundeswehr denken, aber aus anderen Gründen, als dem Motiv Jesu, daß unser Ja ein Ja sei, unser Nein ein klares, festes Nein. Und sollten Ordensgelübde, sollte die Verlobung zweier Menschen ebenso unter den Verdacht fallen, nicht im Sinne Jesu zu liegen?

Die Fragen türmen sich. Worum also geht es in Mt 5,33-37? Lassen wir den Text sprechen, indem wir mit ihm sprechen.

2. Eine sympathische Zurückweisung

Der Text beginnt mit einer - aus heutiger Sicht - für viele sympathischen Zurückweisung. Sich einfach auf Traditionen zu berufen, zu sagen, etwas sei immer schon so gewesen, man kenne es nicht anders, das scheint für Jesus nicht zu zählen. Wenn etwas "zu den Alten gesagt" wurde, dann muß das noch nicht viel heißen. Diese Zurückweisung dürfte heute auf breite Sympathie stoßen. Man will es selber wissen, will selbst seine Erfahrungen machen. Gerade in der Zeit des heutigen Überangebots an Lebens- und Orientierungsmöglichkeiten will man die Vielfalt testen, will man selbst sehen, was sich bewährt, und was nicht. "Zu den Alten wurde gesagt", hilft da nicht weiter. Traditionelle Orientierungen geraten in den Verdacht, rückwärts-, nicht vorwärtsorientiert zu sein. Für Frauen zumal kann noch hinzukommen, daß sie entdecken, daß die Inhalte des Traditionsgutes, das, was den Alten gesagt wurde, weithin von Männern dominiertes Gedanken- und Orientierungsgut war, in dem sich die Frauen kaum wiederfinden. So kann Jesus mit seinem einen Traditionsbruch andeutenden "Ich aber sage euch" zunächst auf Sympathie und Zustimmung stoßen, noch bevor es um die Inhalte selbst geht, zu denen er hier kritisch Stellung bezieht.

Blickt man auf die inhaltliche Aussage, dann dürften die Dinge rasch anders liegen. Da findet dann das den Vätern und von den Vätern Überlieferte doch wieder unsere Zustimmung, eher jedenfalls, als die von Jesus dagegen gesetzte Alternative. Keinen Meineid zu schwören, ist gesellschaftsweit akzeptiert. Erwiesene Meineide oder auch so gut wie erwiesene Meineide - man denke an die Aura der Clinton-Affäre - ziehen unterschiedlichste Sanktionen nach sich. Zu halten, was man geschworen hat, findet ebenso breiteste Zustimmung. Aber: Überhaupt nicht zu schwören, gewissermaßen auf das Rechtsinstrument des Eides mit dem Ziel der Wahrheitsfindung zu verzichten, ist das nicht illusorisch, weltfremd?

3. Eine Einladung an die Gestaltung des Alltags

Es ist interessant, daß wir bei Eid und Schwur - was in der Tat naheliegt - immer sogleich an Verteidigungs- und Gerichtsszenen denken, an Gepflogenheiten, bei denen ein Eid als öffentlich-rechtliches Instrumentarium der Wahrheitsfindung oder der Selbstverpflichtung gegenüber öffentlichen Aufgaben dient. Diesen Bereich hatte Jesus nicht im Auge. Er konnte unterscheiden zwischen den Alltagssituationen des Lebens und ihrem Anspruch auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit und der Eidesleistung vor Gericht oder vor Antritt öffentlicher Ämter. In dieser dritten Antithese der Bergpredigt, die sich, wie übrigens die gesamte Bergpredigt, an die "vielen Leute" (Mt 5,1) richtet, die Jesus aus allen Gegenden zugeströmt waren, in dieser dritten Antithese wendet sich Jesus an die Inszenierung des Alltags und an die Alltagserfahrungen von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe. Hier ständig "heilige Eide" zu bemühen, untergräbt die Kommunikation und Glaubwürdigkeit unter Menschen. Als hätte man es ständig nötig, darauf hinzuweisen, vom Abgrund der Unwahrheit, der Lüge, der Schlitzohrigkeit, des den anderen Übervorteilens zurückzutreten. Wer dies so praktizierte, würde nur zeigen, daß er sich in der Tat ständig an diesem Abgrund bewegt, oder schlimmer, sich nur im Augenblick des Schwurs von diesem Abgrund löst.

4. Jesu Argumentation - anschlußfähig an heutiges Denken?

Über die vier Arten, auf die zu schwören Jesus uns verwehrt, scheint es zunächst nicht zu lohnen, lange nachzudenken. Es sind Gedankengänge, die uns nicht leicht zugänglich sind. Und die im Grunde nichts anderes ausdrücken wollen, als daß wir im alltäglichen Leben ohne Eid und Schwören auskommen sollten. Daß unser Ja ein Ja und unser Nein ein Nein sei. Sosehr wir uns schwertun mögen mit Jesu Argumentation, enthält sie doch wichtige Aspekte.

Wir sollen schwören "beim Himmel, denn er ist Gottes Thron". Daraus spricht eine Haltung, die dem Menschen deutlich machen will, wer er ist, und wer er nicht ist. Wir verfügen nicht über den Himmel, wir verfügen nicht über Gott, um uns seiner im Eid bemächtigen zu dürfen. Wir nehmen Gott im Eid für unsere Wahrheitsaussage in Beschlag. Eben das gehe nicht, sagt Jesus. Das sei kein rechter Umgang mit Gott. Dem heutigen Menschen mag es nicht ohne weiteres in den Sinn kommen, "bei Gott" zu schwören. Es mag ihm nicht so ohne weiteres einleuchten, daß er sich damit "Gott bemächtige", wo doch auch sonst Gott in seinem Leben kaum eine Rolle spielt. Stattdessen kommt es für den heutigen Menschen eher in Frage, bei dem zu schwören, was "ihm heilig ist". In dieser Formel aber wird ebenso ein Bereich berührt, über den der Mensch nicht verfügt, den er sich nicht selbst geschaffen hat, über den er nicht das Sagen hat. Was dem Menschen "heilig ist", weist in eine Wirklichkeitszone, über die er nicht verfügt, die er in Anspruch nimmt, die er braucht, ohne daß sie seine Konstruktion wäre. Bei dem zu schwören, was "mir heilig ist", deutet also verdeckt wieder auf die Bemächtigung einer Wirklichkeit, die von Jesus ausdrücklich und ohne Umschweife mit "Himmel" und "Thron Gottes" benannt wird.

Wir sollen auch nicht schwören "bei der Erde, sie ist der Schemel für seine (Gottes) Füße". Hier wird es für uns noch kritischer, dieser Begründung etwas abzugewinnen. Das Bild eines alt und schwach gewordenen, vielleicht auch gemütlichen Gott-Vaters taucht auf, der seine müden Füße auf einer Schemelbank ausruht. Wie bei einem alten Menschen rauscht das Leben an ihm vorbei? In Wirklichkeit ist es ein - für uns gewiß erst mühsam zu erschließendes - Bild dafür, daß die Erde nicht unsere Erde ist, mit der wir tun und lassen könnten, was wir wollten. Für deren Bewahrung heute viele Menschen mehr Sensibilität aufbringen, als dies früher der Fall war. So oder so, die Erde ist nicht einfach unser, sie ist abkünftig von ihrem Schöpfer, ist von ihm ins Dasein gehalten von Augenblick zu Augenblick. Wieder also bemächtigen wir uns - diesmal mehr indirekt - Gottes, wenn wir, so will Jesus sagen, bei der Erde schwören.

Die Warnung, nicht bei Jerusalem zu schwören, dürfte uns am wenigsten sagen. Jerusalem dürfte nicht Gegenstand unseres Schwörens sein, es dürfte eher Gegenstand unserer Reiseträume und Sehnsüchte sein, das Heilige Land kennenzulernen. Damals aber war es - was für die drei großen monotheistischen Weltreligionen bis heute gilt - das Zentrum des Glaubens, das Zentrum des religiösen Kultes, das Zentrum der Begegnung mit Gott.

Auch die vierte Argumentation, nicht beim eigenen Haupt zu schwören, scheint sich erledigt zu haben. Nichts fällt heute leichter, als sich die Haare weiß oder schwarz, lila oder pink zu färben. Und dennoch, das hintergründig Gemeinte gilt bis heute: Wir sollen nicht bei unsrem Haupte schwören, weil wir, richtig verstanden, auch nicht über uns verfügen. Zwar haben wir Verfügungsrecht über vieles in unserem Leben, aber über unser Leben verfügen wir nicht. Es ist uns geschenkt, wir sind nicht aus eigenem Entschluß ins Leben eingetreten. Und wir verfügen darüber auch nicht, wenn wir im Suizid unsere vermeintliche Selbstverfügung demonstrativ unter Beweis stellten. Solche Verfügung vollzöge sich immer noch nur im Rahmen unseres grundsätzlichen Verfügtseins. Wir sind offen, sind verwiesen auf den, der uns verfügt, gedacht, ins Dasein gedacht hat. Auch bei uns zu schwören, berührt also wieder einen Wirklichkeitsbereich, in dem unsere Existenz ruht, dem sie sich verdankt, über den wir nicht verfügen: Gott.

5. Kein Verbot, aber eine Einladung zum Leben

Seht also zu, daß ihr eure Alltagswirklichkeit so gestaltet und handhabt, daß euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein sei. Darauf läuft die Antithese hinaus; auf unser Bemühen, miteinander wahrhaftig, offen, ohne Schlitzohrigkeit umzugehen, weil das das Leben verläßlich und angenehm macht. Jesus läßt eine Einladung ergehen, er erläßt kein Gesetz, das nun in allen Bereichen des Lebens zu Geltung kommen müßte. Es ist eine Einladung, eine Empfehlung, es auszuprobieren, weil sich so das Leben und die Lebensbeziehungen geradliniger und lebensfreundlicher gestalten ließen. Dabei geht es Jesus streng genommen nicht um das Verbot des Schwörens. Er hat nichts zu verbieten, weder für den privaten noch für den öffentlichen Bereich es geht ihm um die Geradlinigkeit und Wahrhaftigkeit im Alltag. Daß er nicht ein generelles Verbot des Schwörens im Schilde führt, zeigt seine Drohrede an die Schriftgelehrten und Pharisäer in Mt 23,16-22. Hier weist er Unterscheidungen zurück, die die Schriftgelehrten und Pharisäer getroffen hatten, welche Art von Eid binde, und welche nicht. Ein Eid beim Tempel sei kein Eid, wohl aber einer beim Gold des Tempels. Ein Eid beim Altar sei kein Eid, wohl aber einer beim Opfer, das auf dem Altar liege. Indem Jesus diese Spitzfindigkeiten nicht mitmacht, kommt aber als Ergebnis heraus, daß er nichts Grundsätzliches gegen den Schwur hat. Nur, wer schwört, müsse sich daran halten, wo immer es sei.

6. Mehr als ja, ja, nein, nein

Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein, das könnte nun aus einer ganz anderen Ecke gründlich mißverstanden werden, dann nämlich, wenn wir daraus die Aufforderung heraushörten, geradezu wie in der digitalisierten Computersprache nur noch über die Signale "ja", "nein" miteinander zu verkehren. Die Einladung Jesu enthält nichts von einer Aufforderung, ohne Einfühlung, wie ein Holzklotz miteinander umzugehen, oder wie auf dem Kasernenhof sich mit schneidiger Zackigkeit mit Ja und Nein zu verständigen. Gemeint ist, daß die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, in ihrer gesamten Ausrichtung wahr, aufrichtig, stimmig, ohne Falsch, ohne Hintergedanken sein soll. Eine Art, die wir nie erreichen werden, die wir nie zur Gänze einlösen werden, an der wir uns aber in kleinen Schritten, in überschaubaren Zusammenhängen, immer wieder ausrichten sollen: Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. Was darüber hinausgeht, was zuviel ist, ist zuviel.

Ein knapper lyrischer Text von Daniel Lowarth kann im Licht des Jesuswortes, euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein, gelesen werden, ein Text, der mit "Du und Ich" überschrieben ist und in einfachen Bildern ausdrückt, wie sich ein Ja als Ja bewährt.

Sich gegenseitig
über den Spalt heben,
daß keines im Schwindel
vom Berg in die Tiefe
abstürzt,

oder nur einfach
am andern sich halten
auf eisglattem
Kopfsteinpflaster im Winter
genügt - um heim zu kommen.

Prof. Dr. Stefan Knobloch
55129 Mainz
Tel. 06131 / 508982
Fax 06131 / 394097


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