Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe: Die Antithesen in der Bergpredigt

7.3.1999
Text: Matthäus 5, 31-32
Verfasserin: Beate Bachmann

Die folgende Predigt ist für eine kleine Kirchengemeinde mit regem Gottesdienstbesuch in einer ländlichen Gegend konzipiert. Es ist mit Predigthörern aller Altersstufen zu rechnen. Die Scheidungsrate liegt unter dem Durchschnitt, doch werden auch Geschiedene und Wiederverheiratete zu diesem Gottesdienst erwartet.

Liebe Gemeinde,

wir leben in der Passionszeit. Wir denken in diesen Wochen an das Leiden Christi: Es ist für uns eine Herausforderung. Jesus hat für uns gelitten; er ist um unseretwillen in den Tod gegangen. Mußte das sein? Es ist schwer auszuhalten, daß ein anderer um unserer Schuld willen leiden, sterben mußte. Ist die Schuld so groß? Und wenn sie so groß ist, mußte dann Jesus sterben? Wir fragen uns, ob die Todesstrafe in den USA wirklich ausgeführt werden muß. Jesus hat nicht gemordet und wir auch nicht.

Der heutige Predigttext wird aber zeigen, wie nötig sein Tod, dieses Geschenk der Liebe Gottes für uns ist. Der Inhalt des heutigen Textes ist als ein Beispiel zu verstehen; der Text zeigt uns einen konkreten Punkt auf, wo wir gegen Gottes Willen verstoßen und uns damit schuldig machen.

Die Tatsache, daß uns diese Verse vielleicht als besondere Härte erscheinen, zeigt umso deutlicher, wie weit der Wille Gottes dabei aus dem Bewußtsein der Menschen gewichen ist. In diesem Fall fühlen wir uns gar nicht vor Gott schuldig.

I.

Unser heutiger Predigttext steht bei Matthäus im fünften Kapitel. Dort in der Bergpredigt heißt es: "Es ist gesagt: Wer seine Frau entläßt, soll ihr einen Scheidebrief geben. Ich aber sage euch: Jeder, der seine Frau entläßt, außer bei einer Sache der Unzucht, tut, daß sie die Ehe bricht. Und jeder, der eine geschiedene Frau heiratet, bricht ihre Ehe."

Im Ohr bleibt bei diesen beiden Versen der zweite, weil er eine ungeheuere Sprengkraft hat. Doch zunächst wollen wir noch einmal bewußt den ersten Vers hören, gegen den sich Jesus mit seinem "Ich aber sage euch" wendet: "Es ist gesagt: Wer seine Frau entläßt, soll ihr einen Scheidebrief geben." Diese Aussage bezieht sich auf einen Text im fünften Buch Mose, einem Teil des jüdischen Gesetzes; eine Stelle, an der es um Scheidungsfragen geht. Danach konnte ein Ehemann seiner Ehefrau einen Scheidungsbrief ausstellen, gab ihr den von ihr eingebrachten Besitzanteil zurück, und er war wieder ein freier Mann. Das Recht dazu hatte nur der Ehemann. Er wurde weder nach einem Grund noch nach einer Schuld gefragt. Es genügte einfach, daß der Mann die Scheidung wollte. Die Frau wurde weder nach ihrem Wunsch nach Scheidung gefragt, noch hatte sie das Recht, sich scheiden zu lassen. Ohne ein Fehlverhalten ihres Mannes hatte sie keine Möglichkeit, sich von ihm zu trennen, wenn sie seiner überdrüssig war.

Wollte Jesus also die Situation der Frauen mit seinen Worten verbessern? Oder ging es ihm gar um die Gleichberechtigung von Mann und Frau?

Jesus schränkt mit seinen Worten die Scheidung auf die Fälle ein, in denen sich die Frau ein unzüchtiges Verhalten zuschulden kommen ließ. Wie weit dieser Begriff zur Zeit Jesu ausgelegt wurde, läßt sich heute nicht mehr klar sagen. Wir müssen uns jedoch sicher darunter vorstellen, daß Ehebruch dazu gehörte. In diesem Fall war die betroffene Frau ohnehin nach jüdischem Recht von der Todesstrafe bedroht. Die Ehe wäre durch ihre Bestrafung sowieso beendet worden. Aber wollte Jesus genau das mit seinen Worten sagen?

Sicher setzte sich Jesus für Benachteiligte und Schwache ein, zu denen auch Frauen gehörten. Dennoch heben moderne Frauenrechtlerinnen bei dieser Auslegung des Verses nur einen Teil der Aussage übermäßig hervor, und sie vernachlässigen dafür andere Gesichtspunkte. Insbesondere fehlt dabei ein Grundgedanke, um den es Jesus ging: der Gotteswille. Hören wir deshalb noch einmal Jesu Wort: "Ich aber sage euch: Jeder, der seine Frau entläßt, außer bei einer Sache der Unzucht, tut, daß sie die Ehe bricht, und jeder, der eine geschiedene Frau heiratet, bricht ihre Ehe."

Diesen Satz teilt uns Jesus als den Gotteswillen mit. Die Aussage reizt uns in der heutigen Zeit zu starken Reaktionen. Vielleicht möchte mancher von Ihnen aufstehen und die Kirche verlassen, weil er nun eine Moralpredigt befürchtet oder sich von einer Pfarrerin nicht ein solches Wort sagen lassen will. Aber: Es ist nicht unser Wort, sondern der Bibeltext! Vielleicht sagen Sie auch: "So ein 2000 Jahre alter Text! Wie kann der heute noch eine Bedeutung für uns haben? Jesus hat sich doch nur gegen das jüdische Scheidungsrecht seiner Zeit gewandt."

II.

Aber, liebe Gemeinde, ist eine solche Reaktion nicht nur der Versuch, sich diesem Text mit seinem Anspruch zu entziehen? Auch ich kann den Text nur schwer aushalten. Ich würde lieber einen anderen Text predigen. Aber dürfen wir uns von unserem Wollen leiten lassen? Müssen wir nicht vielmehr immer wieder nach Gottes Willen fragen? Diesen können wir in der Bibel erfahren. Daher müssen wir auch die Aussagen, die uns nicht so gut passen, aufnehmen und danach fragen, wie wir damit umgehen können. Der Text will uns den Gotteswillen deutlich machen. Doch darüber, wie wir als Menschen in unserer Menschlichkeit damit umgehen können, sagt er nichts aus.

Gehen wir doch einmal von der gegenwärtigen Wirklichkeit in der Welt aus. Sehen wir uns einmal in unserer Umwelt um. In den alten Bundesländern wird jede dritte Ehe geschieden und in den neuen Bundesländern sogar die Hälfte aller Ehen. Auch Menschen, die wir kennen, vielleicht wir selbst, sind geschieden. Manche der Geschiedenen sind wieder verheiratet.

Heute ist eine Scheidung aus gesellschaftlicher Sicht kein Stein des Anstoßes mehr. Selbst eine mehrmalige Scheidung wird in höchsten politischen und kulturellen Kreisen toleriert. Es gilt nicht mehr als Makel, geschieden zu sein.

Auch in kirchlichen Kreisen ist die Scheidung heute nichts Ungewöhnliches mehr. Wenn es noch vor Jahrzehnten undenkbar war, daß ein Pfarrer sich scheiden ließ, so ist die Zahl der geschiedenen Pastoren heute erheblich. Schließlich sind Pastoren nur Menschen! Gerade dieses Menschsein ist der Grund für das Scheitern einer Ehe.

Wie gehen wir aber nun mit dem Predigttext um? Es ist der Wille Gottes, daß Mann und Frau als Ehepaar zusammenleben. Schon im Schöpfungsbericht heißt es: Sie sollen ein Fleisch werden. Dieses Ziel haben sie bei ihrer Eheschließung. Deshalb bitten sie um Gottes Segen für ihre Ehe, bis daß der Tod sie scheide.

Doch nun: das Aus. Vielleicht ist die Ehe am Alltagstrott oder der Langeweile erstickt. Vielleicht sind die Kinder aus dem Haus, und man hat sich nichts mehr zu sagen. Soll man jetzt um jeden Preis zusammenbleiben? Die Ehe wird vielleicht als Gefängnis erlebt.

Kann es Gottes Wille sein, daß wir so zusammenleben? Nein, denn Gott hat Mann und Frau geschaffen, daß sie als ein Fleisch zusammmenleben. Die Einheit ist jedoch in allen diesen Fällen schon viel früher zerbrochen. Die Scheidung ist nur noch die Folge. Der Ehebruch liegt viel länger zurück.

III.

Uns bleibt nur ein Weg: uns auf den Weg zu unserem Gott zu machen. Zu dem Gott, der von uns Menschen mehr erwartet, als wir leisten können. Zu dem Gott, der um unsere Schwachheit weiß. Dieser Gott ist die Liebe. Aus seiner Liebe heraus hat er uns seinen Sohn geschickt.

Erinnern wir uns noch einmal an den Anfang der Predigt, als wir über den Sinn des Leidens und Sterbens Jesu nachgedacht haben. Unser Predigttext gibt ein Beispiel dafür, wie nötig wir Gott und seine Liebe haben. Dann, wenn wir selbst nicht mehr weiterwissen, wenn wir uns selbst aus unserer Lage nicht befreien können, weil wir als Menschen in Schuld verstrickt sind, dann brauchen wir immer wieder aufs neue Gottes erbarmungsvolle Liebe. Würden wir allein vor Gottes Anspruch dastehen, dann wären wir verloren. Wir könnten seinem Anspruch nicht gerecht werden.

Doch Gott hat nicht nur diesen Anspruch an uns, sondern er weiß auch um unsere Menschlichkeit und Beschränktheit. Darum dürfen wir wissen, was immer unsere Schuld sein mag, was die Ursache ist und wie groß sie uns auch erscheinen mag: Wir dürfen immer hin zu diesem Gott fliehen! Wir dürfen auf seine Vergebung hoffen, denn er hat uns seine Hilfe und Liebe zugesagt.

Das sichtbare Zeichen der Liebe Gottes ist sein Sohn, den er auf die Erde gesandt hat und den er für uns in sein Leiden und Sterben gab. Gott, der seinen eigenen Sohn gab, damit die Welt gerettet würde, dieser Gott nimmt auch uns mit unserer Schuld an.

Damit ist auch der heutige Predigttext auszuhalten. Bei dem Anspruch Gottes, den er an uns hat und dem wir oft nicht gerecht werden können, dürfen, ja sollen wir wissen, daß Gottes Liebe und Vergebung uns zugesprochen ist, wenn wir darum bitten.

Amen.

Beate Bachmann, Brückenhof 14, 34329 Nieste b. Kassel, Tel. 05651 / 951795


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