Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ein adventlicher Abend

Der adventliche Abend fand statt in Göttingen. Er wurde konzipiert mit Musik, Lesungen und Ansprachen für die Mitglieder eines Vereins und dessen Angehörige. Da so ein Abend in gleicher oder ähnlicher Gestalt auch anderswo entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten gestaltet werden kann, wird er hier mitgeteilt.

Adventlicher Abend in St. Albani, Göttingen
Programm

Es musizieren und sprechen:
Ernst Arfken, Barbara und Peter Diepold, Ulrich Nembach, Ulla und Wolfgang Schimpf, Jobst von Stuckrad-Barre


Ansprachen

1.) Begrüßung

Liebe Freunde,

ich begrüße Sie herzlich heute Abend in der Albani-Kirche, der ältesten Kirche Göttingens. Das älteste schriftliche Zeugnis von der Kirche findet sich in einer Urkunde aus dem Jahre 1254. Die Kirche selbst ist älter. Es gibt Hinweise, daß Otto der Große die Kirche gestiftet habe. Er regierte von 936 - 972.
Der Name Albani läßt an noch frühere Anfänge denken, die bis in die Zeit des Bonificius reichen. Feststeht, daß die Kirche außerhalb des später sich zur Stadt entwickelnden Dorfes lag und zu ihr nur wenige Häuser gehörten. Wenn trotzdem ein großes Gebäude errichtet wurde, muß dahinter ein großer Stifter - oder mehrere - gestanden haben.
Die entstehende Stadt profitierte von der Kreuzung zweier bedeutender Straßen, der von Norden kommenden Heerstraße, die durch das Leinetal nach Süden, nach Mainz führte, und der Straße, die aus Thüringen kommend durch das Gartetal nach Westen, nach Köln, führte.
Wie die Ursprünge und der weitere Gang der Geschichte auch immer verlief, es steht fest, wir befinden uns hier an dem Ort des heutigen Göttingens, an dem die christliche Gemeinde sich am längsten versammelt, um im Namen ihres Herrn, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ihre Gottesdienste zu feiern.
Wir haben uns heute hier eingefunden, um wieder einen adventlichen Abend gemeinsam erleben. Lassen Sie uns als Lied zum Advent von dem Dichter und Schriftsteller Jochen Klepper singen.
Klepper ging von einem Vers des Briefes des Apostel Paulus an die Römer aus, Kap. 13, 12.
Es steht im Gesangbuch unter der Nr. 16


2.) "Advent - Gedanken zur Zeit"

Liebe Freunde,

die Reihe der Geschichten, die zum 24. Dezember erschienen sind, ist lang. Ich könnte fortfahren, weitere zu verlesen. Es gibt kaum einen berühmten Autor, der nicht zu diesem Tag eine größere oder kleinere Geschichte geschrieben hätte. Darunter finden sich auch Autoren, von denen man eine Geschichte zum Weihnachtsfest nicht erwartet. Zu ihnen gehört Bertolt Brecht.

Er beschreibt den Abend, den eine Gruppe armer, arbeitsloser Männer im Chicago des Jahres 1908 verbringt. Sie sind ohne Geld, haben kein Dach überm Kopf, während ein eiskalter Wind pfeift; deshalb verkriechen sie sich in eine kleine Kneipe und versuchen, bei einem einzigen Glas Whisky sitzend möglichst lange in der Kneipe bleiben zu dürfen.

Schließlich kommen noch ein paar gutmütige Gäste, die etwas Geld haben, und spenden ihnen einen weiteren Whisky. Nun wendet sich die bislang herrschende hoffnungslose Stimmung. Freude kommt auf, aber ihr Elend können sie nicht vergessen. Deshalb mischt sich das Gefühl des Glücks mit Verzweiflung.

Das Ergebnis ist, daß sie auf die Idee kommen, sich einen makabren Scherz zu erlauben. Dem Abend angemessen, basteln sie Geschenke für einige der Anwesenden. Darunter sind die aus dem Telefonbuch herausgerissenen Seiten der Polizeiwachen der Stadt. Die Seiten werden sorgfältig in eine Zeitung eingehüllt, die herumlag.

Dieses Geschenk wird dann einem Mann überreicht, von dem die Anwesenden munkeln, das die Polizei ihn suche. Der Beschenkte nicht ahnend, was mit ihm getrieben wird, nimmt das Geschenk, beginnt in der Zeitung zu lesen, vertieft sich gar in sie. Schließlich blickt er auf. Er lacht und sagt: "Da lese eben ich in der Zeitung, daß die ganze Sache einfach schon lang aufgeklärt ist. Jedermann in Ohio weiß, daß ich mit der ganzen Sache nicht das geringste zu tun hatte".

Brecht beendet seine Erzählung nicht damit, sondern fügt noch zwei Bemerkungen an:

Eine gilt der Stimmung in der Kneipe. Es wurde ein "ausgezeichnetes Weihnachten", schreibt Brecht. Die zweite Bemerkung - es ist der Schlußsatz der Erzählung - gilt der Wende. Von ihr sagt Brecht: "Und bei dieser allgemeinen Befriedung spielte es natürlich gar keine Rolle mehr, daß dieses Zeitungsblatt nicht wir ausgesucht hatten, sondern Gott".

Dieser Schluß überrascht bei Brecht. Vielleicht ist das Ganze von ihm ironisch gemeint. Macht er sich darüber lustig, daß Menschen so denken? Anderseits bekannte Brecht, daß seine liebste Lektüre die Bibel sei.

Die Erzählung fand ich in einer Ausgabe von Weihnachtserzählungen, die der Insel Verlag vorlegte. Der Lektor hat sie aufgenommen neben Erzählungen von Böll, Lenz, Walser, Tillich u.a. Der Lektor versteht sie offensichtlich als eine Weihnachtserzählung. Ob wir die Geschichte ebenfalls als zu dem Fest passend, ihm adäquat verstehen oder ob wir sie als Ironie interpretieren, ist nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick hin zu entscheiden.

Ähnlich undeutlich war es mit der Geburt vor 2000 Jahren selbst, die der Anlaß für all die Geschichten zum 24. Dezember und alle Vorbereitungen, den ganzen Advent, ist.

Dabei ist eigentlich eine Geburt ein Anlaß, auf den man sich vorbereiten kann, nichts ungewiß sein muß. Aber selbst eine Geburt in unseren Tagen mit ihrer langen Vorbereitung in Familie, Beruf usw. verändert das ganze Leben des betroffenen Paares, etwaiger schon vorhandener Kinder, der Nachbarschaft. Wir alle sind in einem Alter, in dem wir Geburten erlebten. Trotz der Vorbereitungen - selbst für das erste Kind, für das besonders alles gut vorbereitet wurde - war alles anders, als der oder die Kleine da war. Fast alles mußte umgestellt werden. Dabei ist das Kind in seiner Kleinheit hilflos. Es braucht die Für-sorge in jeder Hinsicht.

Mir scheint, diese Tatsache kann ein Symbol für die Geburt sein. Ein Symbol ist ein Zeichen für etwas anderes, hier für die Veränderung. Das Kind, vor 2000 Jahren geboren, verändert das Zusammenleben zweier Menschen und das der ganzen Welt. Die Erinnerung daran und der Ausblick nach vorn, machen Weihnachten aus, lassen es so schön sein, fordern zur Vorbereitung darauf auf.

Eine solche Erinnerung und ein solcher Ausblick brauchen wegen ihrer Besonderheit eine Zeit der Vorbereitung. Wir geraten an unsere Grenzen und sind doch dabei, sie durchstoßen zu können. Das ist nicht leicht und zugleich schön.

So erging es der kleinen Virgina, deren Geschichte wir vorhin gehört haben. Sie hat mit ihrer Frage die Zeitung verändert. Über 50 Jahre, bis zu ihrem Ende, druckte das Blatt die Antwort, bekannte damit sich offenen zu Liebe, Glaube, Freude. So erging es ebenfalls Wolfgang Borchert, wie wir seiner vorhin gehörten Geschichte entnehmen können. Wenigstens für einen Abend blieb er nicht draußen vor der Tür. Brecht brachte unerwartet Gott ins Spiel. Die Veränderung zu Liebe, Glaube, Freude hin erzählen alle drei Geschichten, so verschieden ihre Szenen und die Umstände ihrer Entstehung auch sind.

Von der Veränderung zu Liebe, Glaube, Freude hin berichten auch alle anderen Geschichten, die heute Abend hier nicht laut wurden. Dazu gehört ferner die erstaunliche Tatsache, daß so viele Autoren an dem 24. Dezember nicht vorbeikommen.

Die Weihnachtsgeschichte schließt bei Lukas mit dem Lobgesang der Engel. Bevor sie sich so plötzlich verabschieden, wie sie unerwartet gekommen sind: singen sie das Gloria in excelsis deo. Seitdem erklingt es in den Kirchen der Welt.

Weihnachten verändert. Kirchenlieddichter und Komponisten nahmen den Lobgesang auf. So hat ein alter Hymnus, den schon Jahrhunderte vor dem Bau dieser Kirche, nämlich 386 Ambrosius dichtete, später, im 12. Jh. eine Melodie erhalten; nochmals Jahrhunderte später übertrug ihn Luther ins Deutsche. Andere Dichter fordern mit recht zur Vorbereitung auf.

Ohne Vorbereitung ist eine Geburt, ist die Ankunft Jesu schwieriger, eigentlich gar nicht zu bewältigen. So singen wir im Advent: "Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir"? Lassen Sie uns heute Abend dieser Vorbereitung anschließen!
Lied Nr. 11


Prof. Dr. Ulrich Nembach, Platz der Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen, Tel. 0551 - 39 71 39, e-mail: unembac@gwdg.de

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