Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


10. Sonntag nach Trinitatis
8. August 1999
Predigttext: Johannes 2, 13-22
Verfasser: Friedrich Malkemus


Der Zorn, mit dem Jesus die Tempelreinigung vornimmt, offenbart sein leidenschaftliches Interesse am Tempel. Neue Gottesdienstformen werden nicht gefordert, aber der ungehinderte Zugang zum Tempel. Prophetisches Zeichen aus leidenschaftlicher Liebe zum Gottesdienst und der versammelten Gemeinde. In kühner Vergegenwärtigung rücke ich die Kirche in die Mitte der Betrachtung. Hier trifft das Wort Gottes den hörenden Menschen. Und Gottes Wort nimmt Gestalt an in dem auferstandenen, gegenwärtigen Christus.
Ich predige in dem traditionsgeprägten Dorf Wasenberg, das seinen bäuerlichen Charakter aufgibt und stark verstädtert. Die offene, einladende Kirche ist hier nötig: Stätte der Stille und der Sendung; Wohnraum Nr. 1 in der Gemeinde.

Liebe Gemeinde in Wasenberg!

Sie haben sich bestimmt schon einmal, wenn nicht noch öfter, über die Kirche geärgert. Sie ist Ihnen begegnet, wie Sie Kirche nicht erleben möchten. Sie möchten sie anders erleben und sehen. Aber wie soll Kirche sein? Ist unsere Erwartung übereinstimmend? Und dann ist noch nicht ausgemacht, daß unser Privatmodell Kirche im biblischen Sinne gar nicht Kirche genannt werden kann. - Ich vergröbere einmal unseren Text und versetze ihn in die Gegenwart, in unsere Zeit. Dabei wollen wir den Maßstab Jesu anlegen und überlegen, ob hier auch Jesus eine Reinigung des Tempels anfangen würde oder gar schon die Reinigung als vollendet sehen würde. Da steht die Kirche, ragt mit dem Turm hoch über die Gemeinde hinaus, ist allen sichtbar, auch den umliegenden Dörfern, eine schöne, stolze Kirche. Das würde Jesus bestimmt erfreuen, daß Wasenberg eine Kirche als Gebäude hat, eine Stätte des Zusammenkommens unter dem Wort Gottes. Jedoch - kommen die Leute hier zusammen, treten hier das Dorf Wasenberg und das verkündete Wort zusammen? Sind es Einzelexemplare an Dorfbewohnern, die den Weg hierher finden und suchen? Wissen alle, wo die Kirche steht und wie sie von innen aussieht? Einen quicklebendigen, etwas chaotischen Tumult vor der Kirche findet er normalerweise hier nicht vor, schon gar nicht einen Geld- und Kirchenmarkt, der im Zusammenhang mit dem Gottesdienst steht. Das Marktgeschehen findet hier in der Gegend eher auf dem Floh- und Trödelmarkt statt zur Gottesdienstzeit. Gottesdienst, Kirche: Jetzt, heute? würden viele sagen und fragen, warum jetzt, läuft mir doch nicht weg! Kann doch die Kirche immer besuchen, eher dann, wenn ich alt bin. Oder etwa nicht?

Die Vorfahren haben der Kirche hier eine markante, überragende Gestalt gegeben und sie mit der Nr.1 bezeichnet. Das auffälligste und größte, besonders hohe Haus und Zimmer soll die Kirche sein, und sie soll jedermann von überall her zugänglich sein. Das soll Deine Stube Nr. 1 sein. - Deine Wohnung steht in lebendigem Bezug zu dieser Wohnung des Wortes und der Andacht. Sie soll Vorrang haben vor allen Wohnungen. Darum ist so viel Kunstfertigkeit an ihre Gestalt gewendet worden. Auch den schönen Tempel in Jerusalem hat Jesus oft und gerne besucht und nicht verworfen: Tut mir auf die schöne Pforte, das gilt auch hier!

Wenn in den Wohlstandsjahren, die wir erleben, über Gebäudekosten der Kirche gestöhnt wird, sollten wir nicht vergessen und nicht verschweigen, daß unsere Väter und Mütter in armen, armen Zeiten Kirchen gebaut und erhalten und den Kindern als kostbares Gut übergeben hatten. Sollten wir stöhnen unter der Pflicht, gutes Kultur- und Glaubenserbe sorgfältig zu bewahren? Vergleichen wir die Aufwendungen für andere Gebäude rundum!

Jesus trennt den Gottesdienst von falschen Beigaben und Verfremdungen. Er vertreibt den Rummel aus dem Tempelbereich. - Denkt er hier an die Störung, die dem Besuch des Gottesdienstes und der Heiligung des Ortes im Wege steht?

Was verfremdet heute und hier den Gottesdienst? Was müßte neu gestaltet werden? Der Zugang soll ein ungehinderter sein, das hat Jesus in der temperamentvollen Erzählung nicht angegriffen. Von allen Seiten sollten die Leute schon kommen können, und dabei ist der Zugang nicht beschränkt auf eine Stunde in der Woche. Die schöne, angenehme Stille der Kirchenräume darf durchaus dem Suchenden, Fragenden, dem Anbetenden und Nachdenklichen offenstehen. Mancher findet im Haus den Raum der Stille nicht - hier ist er und wartet und bietet sich an.

Das Sprechen und Singen muß in unserer Sprache erfolgen. Luther hat das Deutsch, die Landessprache, in den Gottesdienst eingebracht! Wir müssen unser Liedgut auf die Sprache unserer Zeit bringen und haben es in langwierigen Prozessen getan. Die Pfarrer müssen eine Sprache der Zeit finden, um Notlagen begegnen zu können und die Interessenlage der Leute zu treffen. Der Konfirmandenspruch: Ich verstehe hier nichts - alles bla-bla - muß uns aufhorchen lassen. Die Gemeinde darf nicht über Langeweile stöhnen, sie soll sich freuen an der Schönheit und Frische des Gottesdienstes.

Denn in ihm lebt und ist gegenwärtig Jesus und Herr. Kirche seid ihr und Kirche ist er, der Herr. Da spricht die Stimme der Ewigkeit mit dem Menschen unserer Zeit. Das lebendige Kirchesein ist abhängig von zwei Faktoren, die Kirche bilden: Das ist die Gemeinde hier, und das ist Christus da. Beide begegnen sich und werden lebendige Kirche. Da erfüllt sich das Wort: Und siehe, ich bin bei euch - ich bin der Weinstock - ihr seid die Reben! - Manche sagen auch völlig korrekt, "Heute ist erst um 11 Uhr Kirche" - und meinen nicht das Gebäude, sondern das Geschehen. "Heute hält Pfarrer Fulda die Kirche" ist allerdings falsch, denn er hat die Predigtaufgabe, und die Kirche wird gehalten von der geistlichen Gemeinschaft der Menschen mit Christus. Deshalb können manche auch sagen, wenn ein Waldgottesdienst stattfinden soll: "Wir haben heute am Waldrand Kirche!" Im strengen und aktuellen Sinne: Kirche ist Wortgeschehen und Gemeindebegegnung, dabei und währenddessen. Und damit trittst Du in den Kreis der Betrachtung: Du bist Kirche, Baustein, lebendiges Gestein, aus dem die Kirche Jesu erbaut wird. Und darfst auch von Dir sagen: "Ich bin Kirche, Teil der Kirche"; "Ich bin bei der Kirche" ist noch zu schwach ausgesagt.

Jesus liebt die Gemeinde, die nach Gottes Wort sucht und unter ihm zusammenkommt. Er liebt sie als Kirche, als sichtbare Kirche unter den Menschen so sehr, daß er sich für sie am Kreuz dahingibt und Ostern aufersteht. Er schenkt sich dem Menschen ganz und lädt ein: Wie ihr hier an der Kirchenpforte steht! Kommt her zu mir alle! - Möge die Begegnung dahin führen, daß wir wie die Jünger an das Wort glauben, das er gesagt hatte.

Amen

Friedrich Malkemus
Dekan i.R. Kirchenrat
Wolfgang-Zeller-Str. 13
34613 Schwalmstadt-Ziegenhain
Tel. 06691 - 71642


[Zurück zur Hauptseite] [Zum Archiv] [Zur Konzeption]