Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


8. Sonntag nach Trinitatis
25. Juli 1999
Predigttext: Jesaja 2, 1-5
Verfasser: Gottfried Sprondel




"Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amos, geschaut
hat über Juda und Jerusalem:
Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus
ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle
Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen
und viele Völker werden hingehen und sagen:
Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen,
zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre
seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!
Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des
Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Heiden und
zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre
Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu
Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider
das andere das Schwert erheben, und sie werden
hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns
wandeln im Licht des Herrn!"


Liebe Gemeinde,

eine Idee kann noch so gut, noch so einleuchtend sein - wenn sie nicht ein Bild findet, das sich den Herzen der Menschen einprägt, sie erwärmt und begeistert, hat sie wenig Chancen. Was hier in der Bibel beschrieben wird, heißt in der Politikersprache von heute "Rüstungskonversion". Zu deutsch: Umwandlung der gewaltigen Waffentechnik in lauter friedliche Dinge, weil man die Waffen nämlich nicht mehr braucht. "Rüstungskonversion" - das ist Papierdeutsch; das nehmen die wenigsten ernst. Was so umständlich ausgedrückt wird, daran wird wohl auch nicht viel sein. Aber "Schwerter zu Pflugscharen; Spieße zu Sicheln" - das kommt an, prägt sich ein, reißt mit. Und es macht gar nichts, daß heute keiner mehr mit Schwert und Spieß in den Krieg zieht und die wenigsten von uns eine Pflugschar brauchen und eine Sichel führen können. Ältere unter uns erinnern sich an die Nachkriegszeit, als man aus nackter Not seine eigene Rüstungskonversion betrieb: Die Granathülse wurde zur Kochhexe, der Stahlhelm zum Suppentopf, und gar Fallschirmseide zu ergattern war die Höhe der Gefühle. Ein sowjetischer Bildhauer hat den Friedenshelden, der sein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet, kraftvoll und zu allem entschlossen, in einer Skulptur dargestellt. So steht sie heute in New York vor dem Wolkenkratzer der Vereinten Nationen und sagt ohne Worte: Dafür gibt es diese Völkergemeinschaft, daran arbeiten wir hier. Kein Krieg mehr, Schluß mit der irrsinnigen Vergeudung von Intelligenz, Phantasie, List, Geld nur zum Zweck des Tötens; der Friede ist der Ernstfall (Gustav Heinemann). Wahrhaftig, der Bibel glücken solche Menschheitsbilder.

*
Doch muß nicht unausweichlich der Verdacht sich einstellen, daß damit überhaupt nichts gewonnen ist und der Friedensaufschwung schneller, als uns lieb ist, seine Kehrseite offenbart? Die Kehrseite ist, daß der große Friedenstraum noch keinen einzigen Krieg verhindert hat. Wir haben sogar erlebt, daß des Friedens wegen Krieg geführt wird, möglicherweise sogar geführt werden mußte. Ich setze Dir das Knie auf die Brust, damit Du deine eigenen Leute nicht massakrierst! So verrückt kann die Logik des Friedens manchmal sein. Damit nicht genug! Der Massakrierer, als es ihm ans Leder ging, rief: Ich will, daß die Vereinten Nationen entscheiden. In der Sprache der Bibel: Ich laufe zum Zion, nach Jerusalem, wo der große Schiedsrichter sitzt. Der soll sagen, ob ihr unser Land mit Bomben belegen dürft, weil euch nicht paßt, was wir in den eigenen vier Wänden anstellen.

Stellen wir uns vor Augen, was hier in der Bibel steht! Es wird einen Ort in der Welt geben, zu dem die verfeindeten Völker strömen, gemeinsam angezogen von der Aussicht auf Frieden: Serben und Albaner, Nato-Länder und Serben, protestantische Ulsterpatrioten und katholische Iren, Inder und Pakistani, Äthiopier und Eritreer, Israeli und Hizbollah, Russen und Tschetschenen - die Liste wird immer länger, je präziser wir unsere Phantasie anstrengen. Alle bewegen sich sternförmig auf einen Ort zu, beladen mit ihrem Haß, ihren Feindschaften, ihrer Unfähigkeit zum Frieden, aber einig in ihrem Zutrauen, daß dort einer ist, der die Lösung weiß für ihren Streit und daß sie alle von ihm lernen können und es auch wollen. Und dann wird Frieden sein. Keiner beherrscht mehr das Kriegshandwerk, keiner vertraut mehr auf die Gewalt als Lösung aller Probleme.

Vielleicht kann die Menschheit nicht leben ohne solche Träume. "Wo keine Vision ist, wird das Volk wild und wüst", heißt es einmal in der Bibel (Spr. 29, 18). Man muß nur wissen, wo die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ist. Sonst wird man allzu schnell das Opfer derer, die nicht träumen, sondern zuschlagen, oder man wird zynisch und sagt sich: Schön wär's ja, aber es ist leider nicht so; also laßt mich in Ruhe mit euren Träumereien! Ich muß selber sehen, wie ich zurechtkomme.

*
Wir haben Grund zu der Annahme, daß unser gewaltiges Bild vom hohen Gottesberg, von dem Gerechtigkeit und Friede ausgehen, für den Propheten, in dessen Buch es steht, selber schon vorgegeben war, eine Art Predigttext also bildete, den er weitersagt und auslegt. Seine Auslegung ist die denkbar kürzeste, ein Satz nur: "Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des Herrn!"

Auf einen Schlag wird aus dem süßen, aber unwirklichen Traum etwas ganz anderes: ein Licht. Es sind nicht Menschen, die das Licht angezündet haben, nicht die UNO, nicht eine politische Heilslehre, nicht eine Friedensbewegung: Es ist der Herr. Wenn man's so nimmt, ist der Pflugscharenschmied vor dem UNO-Gebäude eigentlich ein Mißverständnis. Nicht hinter den tausend Fenstern, weder in der Vollversammlung noch im Weltsicherheitsrat wird der Völkerfrieden ausgebrütet, wir haben es erlebt. Die Bibel läßt keinen Zweifel, daß für sie alles daran hängt, daß es Gott der Herr ist, der aus dem goldenen Traum die Wirklichkeit macht.

Die an IHN glauben, glauben eben daran, daß ER Frieden und Heil für seine Schöpfung will. Sie glauben IHM einfach, daß es am Ende darauf hinauslaufen und alles gut werden wird. Sie glauben es IHM, weil ER auf diese Erde ein Unterpfand gesetzt hat. Das ist das Kreuz Jesu, das Zeichen der großen Versöhnung. Seitdem haben sie ein Licht, für das sie selbst nicht mehr zu sorgen brauchen. Aber sie wollen nun auch nicht länger im Halbdunkel herumstolpern, sondern "wandeln im Licht des Herrn", das ja da ist. Sie sind seitdem überall dort zu finden, wo Frieden zu stiften ist, auch der kleine, gebrechliche, zeitlich begrenzte Friede, ohne die Illusion, sie müßten jedesmal den Weltfrieden erfinden. Sie können ganz unbeirrt bei dieser Arbeit bleiben und zugleich alles in die Hände des Herrn legen, der beides gesagt hat: daß ER Frieden auf Erden bringt und daß die Friedensstifter selige Leute sind, weil sie die Erde besitzen sollen. Denn sie sind mit IHM im Bunde.
Amen

Dr. Gottfried Sprondel
An der Wihokirche 1
49078 Osnabrück
Tel. 0541 / 445871



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