Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach Trinitatis
13. Juni 1999
Predigttext: Matthäus 22, 1-14
Verfasser: Pfarrer Dr. Friedrich Seven


1
Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach:
2
Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.
3
Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen.
4
Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet, und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit!
5
Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft.
6
Einige aber ergriffen seine Knechte, höhnten und töteten sie.
7
Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
8
Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren es nicht wert.
9
Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet ein zur Hochzeit, wen ihr findet.
10
Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.
11
Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an,
12
und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte.
13
Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein.
14
Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.


Liebe Gemeinde,

über diese Geschichte zu predigen ist mindestens so ärgerlich wie das, was darin passiert. Hier wird doch allen Ernstes erzählt, daß auch vor Gott eine Kleiderordnung gilt.
Sicher ist das alles nicht so gemeint, wie es die Geschichte erzählt, schließlich handelt es sich ja um ein Gleichnis, doch vielleicht macht gerade das die Sache noch schlimmer: Soll da tatsächlich einer vom Rest im Himmelreich ausgeschlossen werden, obwohl er weder die Einladung ausgeschlagen noch die Boten gepeinigt oder gar umgebracht hat, sondern lediglich so erschienen ist, wie er es nicht besser wußte?
Da predigen wir in der Kirche von der Gnade, von der Zuwendung Gottes, die jedem gilt und die keinen Unterschied macht, und müssen hier von einem Gott hören, der auch ganz anders sein kann, ja, der in seinem Handeln mit einem Herrn verglichen wird, der unangemessen gekleidete Gäste nicht nur vor die Tür, sondern gefesselt in die Finsternis werfen läßt. Da streiten sich die Theologen verschiedener Konfessionen, oder auch von ein und derselben, um das rechte Verständnis von Gott und Mensch und geben nicht eher Ruhe, als bis klar ist, daß Gott den Menschen liebt, ihm sein gottfernes Leben nachsieht und ihn einlädt, und hier wird von einem Menschen erzählt, den Gott ausschließt, obwohl der doch wohl gerade nicht zu den großen Sündern gehört.
Immer steht die Kirche vor der Aufgabe, die unverdiente Gnade zu predigen, und Sie, liebe Gemeinde, haben hoffentlich wenigstens einige Male diese Gnade erfahren. Aber jetzt ist zu hören, daß da einer sogar noch seine Arglosigkeit mit Fesseln an Händen und Füßen bezahlen muß und von Gnade nichts mehr sehen wird. Auch Martin Luther hat diesen Text ein "schrecklich(es) Evangelium" genannt, das er nicht gerne predige.
Mancher mag jetzt sagen: So ist es eben immer bei der Kirche. Sicher, sie laden Dich ein, auch wenn andere dies schon nicht mehr tun, und wer es nötig hat oder gerne möchte, der kann sogar nach vorne an den Tisch gehen und hinterher im Pfarrsaal noch am gedeckten Tisch sitzen. Aber dann, wenn man nach einigen Wochen, vielleicht in einem Gesprächskreis, einer Elterngruppe oder beim Predigtnachgespräch, so richtig warm geworden ist, dann kommt einer und will Dir sagen, was hier zu tun oder gar zu glauben sei und wie man hier ganz dazugehört und wie nur so halb und vor allem, wie schon gar nicht.
Auf diese oder auf noch viel freundlichere Art erfährt man dann etwas von den versteckten Kleiderordnungen, die sich nicht so leicht erkennen und befolgen lassen, weil sie unser inwendiges Kleid und damit unsere Seele betreffen.
Wer dann fragt, was denn zu tun oder zu lassen sei, damit man hier angenehm sei, stellt sich mitunter eher selbst in Frage, als daß er ermutigende Antworten bekommt. Vielleicht hört er einiges von dem, was zu einem rechten Glauben und zur rechten christlichen Praxis dazugehört, wie etwa Kenntnisse aus der Bibel, regelmäßiger Gottesdienstbesuch, ein der Zukunft zugewandtes Leben, Gebet und Meditation im Alltag oder wenigstens freundliche Bejahung der hiesigen Gemeinschaft von ganzem Herzen und von ganzer Seele.
So kann er dann versuchen, möglichst viel davon zu befolgen oder trotzig nach seinem eigenen Weg zu suchen. Am Ende glaubt er aber möglicherweise immer noch nicht, nur unterdrückt er jeden Zweifel aus lauter Angst vor Verzweiflung. Er begreift, daß alles das, was zum Glauben dazugehört, noch nicht der Glaube selbst ist, wie ja auch der Stoff noch nicht das Kleid ist. Ihn hält die schale Hoffnung aufrecht, wenn schon Gottes Liebe nicht zu finden, dann doch wenigstens die hiesige Gemeinschaft nicht zu verlieren. Denn verliert er auch noch diesen Kontakt, bleibt ihm nur noch der Spiegel, nur noch das Selbstgespräch, die weiß Gott keine sichere Auskunft geben können, wie es an uns und in uns aussieht.
Dabei ist doch die Kirche Gottes Haus, und an seinem Tisch möchte ich doch gerne sitzen. Für den, der an den geheimen Ansprüchen, mit denen wir uns in Gruppen immer wieder beengen und mitunter sogar ängstigen, leidet, kann diese Geschichte nun doch zum Trost und zur Ermutigung werden. Wird doch in ihr erzählt, daß nur der Herr allein entscheidet, wer zur Hochzeit seines Sohnes kommen und wer bleiben darf. So soll es auch bei Gott sein. Nur Gott, der Herr, entscheidet, wer am himmlischen Fest teilnehmen darf. Nur er entscheidet über den rechten Glauben.
Gerade darin liegen der Trost und die Ermutigung. Der, der hier urteilt, ist auch der, der allein gibt. Ihn können wir bitten "um den rechten Glauben allermeist", und diese Bitte ist schon der Anfang des Glaubens. Vor Gott steht der Mensch immer nackt und bloß als Sünder, der ganz darauf angewiesen ist, geladen und bekleidet zu werden.
Deswegen ist jeder beim Hören der Geschichte gefragt, ob sein Gewand, ob sein Glaube eigentlich recht ist und jedem steht es frei, Gott um den rechten Glauben, den Herrn um das rechte Gewand zu bitten. Dann wird er hoffentlich die Einladung des Sohnes hören: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!"
Amen.

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
Tel.: 05521 / 2429
Fax: 05521 / 73192


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