Göttinger
Predigten im Internet,
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Reminiscere
Datum: 28.02.1999
Predigttext: Hebräer 11, 8-10
Verfasser: Joachim Ringleben
DAS HOHELIED DES GLAUBENS.
Predigt im Universitätsgottesdienst über
Hebr 11, 8-10
am Sonntag Remimiscere (28. Februar 1999)
in St. Nikolai
Göttingen
Liebe Gemeinde!
Vom Hohenlied der Liebe zu reden, ist vertrauter als vom
Hohenlied des Glaubens.
Das Hohelied der Liebe - so nennt man das 13. Kapitel des 1.
Korintherbriefs, wo der Apostel Paulus mit Menschen- und mit
Engelszungen die Liebe preist, die das Höchste ist von allem,
ohne die auch der Glaube nichts wäre, die Liebe, die so
unendlich ist wie Gott selber und die nicht aufhört, sondern als
das Größte ewig bleiben soll. Vollmächtiger ist wohl nirgendwo
von der Liebe geredet worden, als der Apostel es da tut.
Und vielleicht bewundern wir diesen Hymnus auf die Liebe so, weil
ja dies Thema bis in unsere Tiefen reicht und weil wir selber von
solcher unbesieglichen Liebe oft nur die kleine Münze haben; wir
stümpern doch eher dabei mehr oder weniger.
Aber es gibt im Neuen Testament das Hohelied des Glaubens; ich
rede vom 1. Kapitel des Hebräerbriefes, den man jahrhundertelang
auch für paulinisch hielt. Christlich kann man von der Liebe nur
dann ohne falschen Überschwang reden, wenn man zugleich vom
Glauben redet. Denn unsere menschliche Liebe, unsere Liebe zu
Gott und zum Mitmenschen, ist nie schon die unendliche Liebe, von
der wir doch leben; nur Gott ist Liebe, wir lieben
fragmentarisch. Um dieser Menschlichkeit unserer Liebe willen
reden wir von der Liebe nicht, ohne zugleich vom Glauben zu
reden.
Ja, ich meine sogar, das Thema des Glaubens hat mehr mit unserem
täglichen Leben zu tun, als unsere enthusiastische Vorliebe für
die Liebe es wahrhaben will. Denn schließlich ist uns die Liebe
doch so wichtig, weil wir irgendwie auch an sie glauben. Ihre
Realität ist ja oft sehr vieldeutig. Mit dem Bestehen unseres
Lebens Tag für Tag aber hat der Glaube in Wirklichkeit ganz nahe
zu tun. In der Liebe gibt es Höhen und Tiefen, der Glaube
bleibt. Ihn brauchen wir, auch wo wir in der Liebe versagen, er
begleitet uns treu durch das alltägliche Dasein. Wenn das Fest
der Liebe verhallt, dann heißt es: "und jedes gehet morgen
/ auf schmaler Erde seinen Gang" (Hölderlin). Gerade da
zeigt sich, wie wir den Glauben brauchen, um zu leben.
Unser Predigttext für heute stammt aus dem Hohenlied des
Glaubens, Hebr 11. Das Hohelied im Alten Testament ist eigentlich
eine Liebesdichtung. Unser Predigttext wäre also ein Liebeslied
auf den Glauben? Kann es so etwas geben?
Aber wir lieben doch unseren Glauben; so klein oder heimlich, so
unsicher oder tastend er sein mag, wir lieben den Glauben als das
Heiligste, Zarteste in uns, vielleicht das Beste in einem
Menschen, jedenfalls etwas Schutzbedürftiges und Unantastbares.
Wir lieben am Glauben etwas, was, wie verschwiegen auch immer,
mit dem Intimsten unserer selbst zusammenhängt.
Aber auch Gott liebt unseren Glauben, Auch da, wo er so
unscheinbar und winzig ist, wie ein Senfkörnlein, da schon liebt
Gott unsern Glauben unendlich (Lk 17, 6), ja schon in diesem
kleinsten Keim von Glauben ist er mit der Fülle seines Reiches
(Mk 4, 30-32). Das ist so, weil Gott in jedem Tropfen wahren
Glaubens mit dem Meer seiner Liebe gegenwärtig ist, denn in
unserm Glauben liebt Gott sich selber.
I
Darum also das Hohelied des Glaubens. Der Abschnitt daraus für
die Predigt lautet:
"Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen
wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus
und wußte nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein
Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden
und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben
Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen
Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist." (Hebr
11, 8-10)
Liebe Gemeinde, vielleicht hat Sie der verlesene Text etwas
enttäuscht - nach meiner Ankündigung. Das soll das Hohelied des
Glaubens sein? Diese drei Verse über das Leben des Erzvaters
Abraham, das sich in den sagenhaften Anfängen der biblischen
Geschichte, in ferner Vergangenheit verliert?
Von Abraham ist im Neuen Testament immer wieder die Rede, denn
der christliche Glaube sieht in ihm den Vater des Glaubens
überhaupt. Unser Gott - das ist der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs, so wie es auch der Gott Jesu war.
Was also findet das Neue Testament Besonderes in diesen uralten
Berichten über Abraham? Warum hat man sie immer wieder gelesen
und sogar ins Neue Testament hinübergenommen, wie Paulus es tat
und hier der Hebräerbrief? Was können wir in dieser alten
Überlieferung heute entdecken?
Die Antwort: Aus dieser dämmernden Vergangenheit strahlt die
Gestalt Abrahams, weil er in seinem Glauben weit über sich
hinaus weist: in die Zukunft, in die wir gehören, und die auch
noch unsere eigene Zukunft ist. Die Christen aller Zeiten fanden
in den heiligen Schriften des alten Bundes, und sie fanden in
einzigartiger Weise in der Abrahamsgeschichte: Erinnerungen an
die Zukunft.
Das gilt es zu entdecken.
II
Abraham, der Mann aus Ur in Chaldäa, vernimmt das Wort seines
Gottes, er hört eine Verheißung und macht sich auf den Weg. Das
kann man im 1. Buch Mose vom 12. Kapitel an nachlesen.
Der Aufbruch Abrahams, von jener unverwechselbaren Stimme
geleitet, er war also nicht Abenteuerlust, Unbeständigkeit oder
Bodenlosigkeit, nicht Wagemut, Abwechslungsdrang, Neugierde und
auch nicht einfach kräftiger Lebensmut. Abraham ist der Vater
des Glaubens, nicht ein Held der Mobilität bei der
Arbeitsplatzsuche. Uns wird hier kein dynamischer
Unternehmergeist vorgeführt. Wir sitzen ja ruhig in der
Kirchenbank und hören zu, aber es geht doch auch nicht um
aufgeregten Tourismus, weiß der Teufel wohin, sondern es geht -
bei Abraham und für uns - um Gott, freilich den "Gott mit
Futur als Seinsbeschaffenheit" (E. Bloch): "Die Zukunft
ist sein Land", sein Land - das ist die Zukunft.
Es geht um Abrahams Verhältnis zum Leben, dessen
Wechselhaftigkeit er überholt, es geht um Abrahams Verhältnis
zu sich selber, weil er sich als offenen Prozeß erfährt, und es
geht in beidem um Abrahams Verhältnis zu Gott, dem Gott, der ihn
aus sich selber herausholt. Davon ist jetzt zu reden.
Das Hohelied des Glaubens im Hebräerbrief fängt mit einer
Definition dessen, was Glaube ist, an, die im Neuen Testament
einzigartig ist. Der 1. Vers lautet: "Es ist aber der Glaube
die Substanz dessen, was man hofft, und ein Erweis des
Unsichtbaren".
Dieser Satz kann uns die Augen öffnen über Abraham, den Vater
des Glaubens. Wir fragen uns: wo haben denn wir unsere Substanz?
Den Schwerpunkt im Leben, das Gravitationszentrum in diesem immer
wieder schönen, aber oft auch schweren Leben, seinem Drängen
und Ziehen? Auf diesem Weg, der über alle Höhepunkte und Tiefen
hinweg auf ein Ende zutreibt, indem das Leben vorbeigeht, oft wie
unter den Händen zerrinnt, als Ganzes vergehen muß: wo bleibt
da ein fester Halt in dieser Flüchtigkeit, in diesem
unaufhaltsamen Gefälle?
III
Nun also Abraham:
"Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen
wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus
und wußte nicht, wo er hinkäme". (Vers 8)
Gott spricht ihn an; Abraham widerfährt es, daß ein Wort ihn
trifft und daß er dies Wort nicht mehr vergessen kann, es hat
ihn umgepolt. Dies Wort erhellt schlagartig das "Dunkel des
gelebten Augenblicks" (E. Bloch) und reißt ihn in eine
Zukunftsperspektive, Abrahams Gegenwart wird zur Zukunft hin
geöffnet. Statt sich an den Augenblick, die dumpfe Gegenwart des
Alltäglichen und Gewohnten zu klammern, sieht er das Licht einer
Verheißung. Sein Glaube, das ist nichts anderes, als dies Licht
fest im Blick zu behalten, sich wehrlos Gott zu überlassen, dem
Wort, das er vernommen hat, rein zu vertrauen. Rein, weil Abraham
"nicht wußte, wo er hinkommen würde". Gott ruft ihn
ins Offene. "Glaube ist ein Erweis des Unsichtbaren" -
so die Definition; die Unsichtbarkeit Gottes übersetzt sich im
Glauben Abrahams in Hoffnung auf den kommenden Gott, seine
Zukunft.
Der berühmte Exodus im Alten Testament, er ist zuerst ein Exodus
Abrahams aus sich selber, Gott zieht ihn heraus aus sich, aus
seiner Selbstgewißheit, aus seiner Selbstbestimmung und auch
seiner Selbstverkrümmtheit.
Damit wird Abraham im Glauben frei von sich selber. Er braucht
sich nicht an seine Identität zu klammern, er findet seine
Identität im rufenden Gott, er hat sie nicht hier und jetzt
schon fertig, sondern hat sie vor sich, erwartet sein wahres Sein
von der Zukunft Gottes.
So wie Gott unsichtbar ist, so ist auch unser wahres Ich noch
nicht da, es ist unkenntlich, es liegt bei Gott. Der Glaube
erwartet unser wahres Sein erst noch, darum hält er sich an den
Unsichtbaren. Wer sagt: "Ich glaube", wer das zu sagen
wagt, der sagt: Ich bin noch unterwegs, ich will nicht fertig
sein, nicht Gefangener meiner selbst, vor mir liegt ein Weg.
"Gott" - dies Wort lockt auf einen Weg, es ist, dies
rätselhafte Wort, selber eine Verheißung; ich spüre, er zieht
mich in eine Geschichte hinein, deren Ziel er allein kennt, ja
selber ist, der unsichtbare, zu mir redende Gott.
Abraham wagt, sich selber zu verlassen, um sich restlos auf Gott
zu verlassen. Glaube heißt aufzubrechen.
An Abraham kann man sehen: Glauben, das bedeutet nicht an
irgendwelche Wahrheiten, Lehren, feste Sätze zu glauben, sondern
auf Gott selber geworfen zu sein. Der Glaube Abrahams bestand nur
darin, Gott am Werk zu spüren, ihn in einem Wort zu erspüren -
und zwar als einen Gott, der ihn persönlich meinte, genau mit
ihm, diesem bestimmten Menschen, etwas vor hatte.
Wer glaubt, ein bißchen so glaubt wie Abraham, der weiß auch:
es ist eine falsche Alternative zwischen Glaube und Freiheit,
dazwischen, auf Gott zu hören oder sein Leben selbst in die Hand
zu nehmen. Dies sollen wir in gewissem Sinne durchaus tun, aber
entscheidend ist, aus welcher Hand wir unser Leben entgegennehmen
und in welchen Händen wir unser tätiges Leben ruhen lassen.
IV
Wer so aufbricht wie Abraham, der ist hier im letzten nicht
zuhause.
"Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem
verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit
Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung". (Vers
9)
Das ist nun fast das Merkwürdigste an Abraham und seinem
Glauben: er bleibt auch im verheißenen Lande wie ein Fremdling
(11, 13), er erreicht ein Ziel und doch setzt er sich darin nicht
fest, dieser Nomade des unsichtbaren Gottes. Seine Zelte sind
kein festes Zuhause, er besitzt, was ihm zufällt, nur "als
ob nicht", uÑ H¿, wie es bei Paulus heißt (I Kor 7,
29f.). Was er ist und hat, ist Zwischenstation auf seinem Wege,
er ist eben der "Erbe der Verheißung" (6, 12). Daher
weiß er im Tiefsten, und darin besteht eigentlich sein Glaube:
"Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die
zukünftige suchen wir" - so heißt es später unvergeßlich
im Hebräerbrief (13, 14).
Das ist Exodusreligion pur. Während Jahrhunderte später das
Volk Israel sich im verheißenen Land endgültig niederläßt und
es schließlich wieder verliert und es bis zum heutigen Tag nur
umstritten und umkämpft behaupten kann, ist Abraham "allem
Abschied voran" (Rilke), dieser Wanderer zwischen zwei
Welten, zwischen den Zeiten, der Vater des Glaubens. Keine
bleibende Stätte hier, also nicht Endstation der Sehnsucht,
sondern unterwegs - im Glauben.
Wir alle wissen, wie schwer das ist, diesen Widerspruch zwischen
Schon und Noch nicht auszuhalten, wie schwer dem Unsichtbaren,
dem Wort der Verheißung treu zu bleiben - im Sichtbaren und
greifbar Gegenwärtigen. Solcher Glaube sagt immer: "Ich
glaube, hilf meinem Unglauben" (Mk 9, 24). So glauben, d.h.
auch gegen das eigene Sündersein glauben, von sich weg fliehen
zu Gott: Sünder in re, Gerechter in spe - in der Hoffnung
(Luther). Abraham glaubt, d.h. er lebt sola fide, allein im
Glauben, von Gott her gehalten. Genauso hat Paulus im Römerbrief
Abraham verstanden und kommentiert: Glauben, "auf Hoffnung -
gegen alle Hoffnung" (Röm 4, 18). Eine seltsame Verbindung
von Schwachheit und Kraft (11, 34; cf. I Kor 1, 25; II Kor 12,
9).
V
Und genau weil für den Glauben gilt: "Wir haben hier keine
bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir" (13,
14), darum heißt es endlich von Abraham:
"Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat,
deren Baumeister und Schöpfer Gott ist". (Vers 10)
"Die Stadt, die einen festen Grund hat" - Abraham, der
Glaube - er will nicht auf Sand bauen (Mt 7, 26), sondern ihn
treibt die Suche nach einem Absoluten, eine unstillbare
Erwartung, die Sehnsucht nach dem Endgültigen. Im Hauch des
Wortes der Verheißung kündigt sich das wahre Sein an.
Wer einmal etwas von Gott gespürt hat, der kann nicht zur Ruhe
kommen, der muß fragen: was hat Gott mit mir vor? Denn
überhaupt "Gott" sagen, heißt, daß noch nicht alles
aufgeht, daß das Entscheidende noch offen ist, noch aussteht;
heißt, daß noch gar nicht erschienen ist, was wir sein werden
(I Joh 3, 2). Der Name Gottes hält unser Dasein offen. Darum
fragt der Glaube: was hat Gott mit mir vor?
Die feste Stadt, die Gott dem Glaubenden bereitet hat und bereit
hält (11, 16), das ist er selber, der kommende Gott, "ein
feste Burg". Darum hält der Glaubende sich an den
Unsichtbaren, als sähe er ihn (11, 27b). Dieser Glaube weiß
zutiefst: "Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk
Gottes" (4, 9) - die ewige Teilhabe an Gottes Sabbat.
Liebe Gemeinde, weil das einfach so ist mit uns: "Ich bin,
aber ich habe mich nicht, darum werden wir erst" (E. Bloch)
- darum gibt es den Glauben und die Gemeinschaft der Glaubenden,
die Gemeinde derer, die auf dem Weg sind.
Unser christlicher Glaube hält sich an Jesus, und der hat selber
gesagt: "Wer seine Hand an den Pflug legt und schaut
zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes" (Lk
9, 62). Nun ist Christus selber für uns zum lebendigen Weg
geworden (10, 20). Darum hält der Glaube sich an ihn, der da
sagt: "Ich bin der Weg" (Joh 14, 6), "Ich bin die
Tür" (Joh 10, 9) und auch sagt: "Siehe, ich habe vor
dich gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie
zuschließen" (Offbr 3, 8).
Gott schenke uns Glauben: das Erkennen der offenen Tür.
Amen
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