Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Septuagesimae
Datum: 31.1.1999
Predigttext: Matthäus 13, 44-46
Verfasser: Wilhelm Gräb


Wilhelm Gräb

Glück im Unglück - Predigt über Mt 13, 44-46 am Sonntag, 31.1.99
(Rundfunkübertragung durch Deutschlandfunk und Deutsche Welle, 10.00 Uhr)

Liebe Gemeinde!
Glücklich sein, das wäre schön. Darum stellen wir uns so oft die Frage: Was macht glücklich?
Geld?
Nicht unbedingt. Aber wo das Nötigste fehlt, durchaus.
Gesundheit?
Ja, vor allem dann, wenn einer von schwerer Krankheit genesen ist.
Arbeit und Beruf?
Möglicherweise, dann jedenfalls, wenn sie Freude machen. Dann auch, wenn es keineswegs selbstverständlich war, eine freie Stelle, einen Arbeitsplatz zu finden.
Gesellschaftliches Ansehen?
Ja, das kann schon gut tun. Anerkennung zu spüren. Beachtet zu werden. Das Gefühl zu haben, etwas wert zu sein, ist ungemein wichtig.
Gott?
Wie das? Darauf bin ich zuletzt gekommen. Gott macht nicht glücklich. Doch halt! Vielleicht ist das Wort ‚Gott' nur ein anderes Wort für ‚Glück', besser, für das Geheimnis, das auch dem Glück innewohnt.

Jesus hat in Gleichnissen von Gott erzählt und von der Welt, in der er anwesend ist. Er hat Gott ins Spiel gebracht, um den Hörern zu zeigen, was glücklich macht. Seine Geschichten sind vielfach Anleitungen zum Glücklichsein. Anregungen, die Lebenskunst zu lernen.
Hören wir nur die beiden Gleichnisse vom Schatzfinder und vom Perlensucher:

Mt 13, 44-46
"Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Wiederum gleich das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte und kaufte sie."

Glücksgeschichten. Geschichten, wo auf einmal alles gelingt. Gelingensgeschichten. Der Schatz im Acker. Die kostbare Perle. Da werden Träume wahr. Da erfüllen sich Wünsche. Da wird auf einmal und ganz wider Erwarten das Leben so, wie es schöner nicht sein könnte. Nicht anders, sagt Jesus, ist es mit dem Himmelreich, mit der Anwesenheit Gottes in der Welt. So ist Gott da. So wird er für Menschen zur Erfahrung. Wo denn, wie denn? Auch für mich? Ja, sieh doch, wie es zugegangen ist. Und auch, was die beiden getan haben.
Dem einen ist der Schatz zugefallen. Er hatte nicht damit gerechnet. Auch nicht mehr daran geglaubt. Nicht danach gesucht. Zufällig ist er darüber gestolpert. Beim Pflügen vielleicht. Möglicherweise ist er aber auch nur spazierengegangen. Mit hängendem Kopf. In trüben Gedanken versunken. Das Glück war nicht bei ihm. Er wußte, daß es nicht auf seiner Seite ist. Zu oft schon hatte er verloren. Zu viele Verluste erlitten. Zu viele Pläne gemacht, die dann doch nicht in Erfüllung gingen. Ein Verlierer. Einer, dem das Schicksal übel mitgespielt hat.
Der andere hat nach der kostbaren Perle gesucht. In allen Büchern. Auf allen Finanzmärkten. In allen Weltgegenden. Er wollte und konnte sich mit dem Erreichten nicht zufrieden geben. Das alles befriedigte ihn nicht. Nicht der Erfolg im Beruf. Nicht die Wissenschaft, die er betrieb. Nicht die Kunst, die er liebte. Nicht der Aktienkurs, der immer höher stieg. Aber auch das Glück in der Familie nicht und mit den Kindern. Ja, nicht einmal die Pilgerreise nach Kalkutta, zu den Schwestern der Barmherzigkeit. Er hatte alles, er konnte alles, ihm gelang alles. Er war ein Vorbild denen, die ihn kannten. Und doch kam er nicht ans Ziel auf der Suche nach dem Vollkommenen. Es muß doch zu finden sein, hier auf dieser Erde, die gute Perle, die absolute Schönheit, das Wahre, das Gute. Es kann doch nicht bleiben bei dem zerbrochenen, stümperhaften, bruchstückhaften, immer nur relativ gültigen, schnell wieder vergehenden Glück, dem jederzeit bedrohten, dem immer nur begrenzten Glück.
Verschieden waren sie, der Schatzfinder und der Perlensucher. Doch unglücklich waren sie beide. Der eine, weil zu viel schon schief gelaufen war in seinem Leben. Der andere, weil er sich mit allem, was er erreicht hatte, doch nie zufrieden geben konnte. Zu viele Schläge hatte der eine einstecken müssen. Er hatte aufgehört, nach dem Besseren zu suchen. Das Leben, so schließlich seine Meinung, ist doch nur ein absurder Witz. Bei dem anderen hingegen war die Sehnsucht nach dem Vollkommenen zu groß: Das Vollkommene, so seine Einstellung nach vielen Enttäuschungen, das Vollkommene kann es in dieser Welt nicht geben. Unglücklich macht sich, so seine Meinung, wer dennoch daran glaubt; auch der, der die Welt verbessern möchte. Verbitterung, eine ewige Unzufriedenheit legte sich auf seine Seele.

Was aber macht glücklich? Seht, wie es zugegangen ist. Und dann auch, was die beiden, der Schatzfinder und der Perlensucher, daraus gemacht haben.
Wie es zugegangen ist. Der eine, den sein permanentes Unglück zu Boden gedrückt hatte, der an sein Glück schon gar nicht mehr zu glauben wagte, stolpert über den Schatz im Acker. Der andere, der mit nichts wirklich zufrieden war, der Unruhige, findet, wonach er gesucht hat, die kostbare Perle. Das zunächst ist die Glückserfahrung für beide. Es tritt ein, womit sie nicht mehr gerechnet hatten, woran sie nicht mehr glauben konnten, worauf sie nicht mehr gehofft hatten. Nein, es muß nicht immer so weiter gehen. Es kann leicht auch anders kommen. Die Zukunft ist offen. Es wird so sein, daß Lasten von dir abfallen; daß die Sorgen, die du dir machst, klein werden; daß du die Probleme bewältigen wirst; daß du zur Ruhe findest.

Glück, das ist zunächst die Erfahrung, daß es ein Ende hat oder zumindest weniger wird mit dem erfahrenen oder befürchteten Unglück. So spüren wir es. Dann fühlen wir es, wie das Glück aufsteigt, von innen: Ein Stein, der vom Herzen fällt. Es fällt etwas ab von dem, was das Leben schwer gemacht hat. Wenn eine Prüfung bestanden ist. Wenn eine Bewerbung schließlich Erfolg hatte. Wenn ich von einer Krankheit genesen bin. Wenn der Arzt meine schlimmen Befürchtungen zerstreuen kann. Glück ist ein Aufatmen. Ein Lichtblick mitten im Unglück. Daß dies nun doch nicht schon alles gewesen sein muß. Es gibt ein Darüberhinaus. Einen offenen Horizont. Licht für die Mühseligen. Hoffnung für die Enttäuschten. Mut bei den Ängstlichen. Ein Finden für die Suchenden.
Gibt es das? Ist das wirklich wahr? Gibt es das für jeden und jede? Stolpern nicht viele ein Leben lang vergeblich über die Äcker und Straßen dieser Welt? Mit gesenktem Blick, mit leeren Augen. Aufgrund zu vieler Enttäuschungen. Niedergedrückt von Mißerfolgen, ohne daß das Blatt sich noch einmal wendet. Und werden nicht viele der Suchenden zu Skeptikern und Zynikern. Es gibt das Vollkommene nicht, sagen sie. Es bleibt alles Stückwerk. Blinder Zufall. Da ist kein Zusammenhang. Kein Sinn. Keine Zukunft. Wie soll sich ein Weg zum Glück zeigen und finden lassen?

Seht, wie es zugegangen ist und vor allem, was der Schatzfinder und der Perlensucher aus dem gemacht haben, was ihnen zugefallen ist. Glück muß entstehen in mir. Ich finde es nicht außen. Es liegt nicht in den Dingen. Es ist nicht objektiv gegeben. Ob ich glücklich werde oder nicht, entscheidet sich innen, in meinem Selbstgefühl. Deshalb hat Jesus vom Schatzfinder und Perlensucher erzählt. Was ihnen schließlich zugefallen ist, was sie gefunden haben, dafür mußten sie zugleich viel, ja sich selbst investieren, um es zu besitzen. Drangeben mußten sie alles, was sie besaßen. Erst indem sie sich selbst mit vollem Risiko einsetzten für ihren Fund, ist er ihnen zum Glück ihres Lebens geworden.
Die beiden, von denen Jesus erzählt, sind über ihren unerwarteten Fund nicht nur ins Staunen oder in ausgelassene Freude geraten. Der Schatz und die Perle sind ihnen auch nicht bloß in den Schoß gefallen. Es war ganz anders als bei den Geschichten, von denen die Boulevard-Blätter berichten, wenn wieder einmal der Jack-Pott von einem Lottospieler geknackt wurde. Der Schatzfinder und der Perlensucher haben nicht als erstes überlegt, wie sie den ihnen zugefallenen Reichtum ausgeben könnten, welche Wünsche sie sich erfüllen wollen. Sie haben überlegt, wie sie das Gefundene erwerben können, um es wirklich zu besitzen. Gerade der Schatzfinder ist dabei sogar mit einer gewissen Raffinesse vorgegangen. Er hat den verborgenen Schatz im Verborgenen gehalten. Sonst hätte man ihm den Acker, in dem er verborgen lag, vermutlich nicht verkauft. Aber auch so noch mußte er alles, was er hatte, zum Einsatz bringen, um den Acker mit dem in ihm verborgenen Schatz erwerben zu können. Ebenso der Perlensucher. Auch er hat alles drangegeben, was er besaß, um der einen, kostbaren Perle willen. Nur dadurch, daß er sich mit allem, was er besaß, mit seinem ganzen bisherigen Leben also, für die eine kostbare Perle investierte, wurde sie die seinige. Und nur weil er sich ganz, mit vollem Risiko, für sie eingesetzt hat, konnte er sich wirklich an seinem Glück freuen. War diese Perle so, wie sie vollkommener nicht gedacht werden kann? Der Perlensucher, dieser Skeptiker, er ist schließlich über seinen Schatten gesprungen, hat alles für die eine Perle hingegeben. Und siehe da! Der Traum vom Vollkommenen wurde für ihn doch noch wahr.
So ist das mit dem Glück im Leben. Es fällt zu. Es liegt in den kleinen und großen Dingen, die uns freuen, die uns guttun, manchmal unendlich guttun: Ein Geldstück in der Not, eine liebevolle Umarmung, eine abgeschlossene Arbeit, ein unerwarteter Anruf, ein ermutigender ärztlicher Befund. Gute Erfahrungen, die jeder und jede irgendwann und irgendwo schon gemacht hat oder machen wird. Ein Aufatmen, umso tiefer, je bedrohlicher das reale oder befürchtete Unglück bedrängt. Doch das ist nur das eine. Und vor allem, das alles kann geschehen, ohne daß wir das Glück wirklich spüren, das darin liegt. Das alles kann geschehen, ohne daß wir einen Geschmack bekommen für das Vollkommene, das sich zeigt, das Stimmige, das Wahre, das Gute. Daß alles Elend einmal ein Ende hat und unser Leben einen Sinn. Damit wir das merken, braucht es unsere Aufmerksamkeit auf die Dinge und Ereignisse des Glücks. Damit das Zufällige des Glücks auch wirklich zur eigenen Glückserfahrung wird, müssen wir es achten. Wir müssen es ergreifen, uns aneignen. Wirkliches Glück ist immer innerlich empfundenes, persönliches Glück. Wir empfinden es, wenn die Dinge sich für uns und für andere zum Guten fügen, wenn wir selber ganz in einer guten Sache aufgehen. Sei es, daß wir anderen in ihrer Not helfen können, sei es daß wir selbst liebevoll in den Arm genommen werden, sei es, daß wir uns für die Musik oder die Malerei begeistern, Freude an der Wissenschaft haben, an unserem Beruf, an der Familie und den Kinder. Mit ganzen Herzen bei einer guten Sache sein, das macht glücklich.
Wann war ich das zuletzt? Wo kann ich es sein? Manchmal wird uns erst im Rückblick, in der Erinnerung bewußt, wo die Dinge stimmig waren, wir weitergekommen sind, Probleme lösen konnten, wo wir bewahrt worden sind in Gefahr, Konflikte überwunden wurden, schwierige Beziehungen sich zum Guten gefügt haben, wo wir anderen Hilfe waren, wo Nähe da war und Geborgenheit. Entscheidend ist, daß wir festhalten, was Gutes uns widerfahren ist. Gute Erfahrungen können Vorschein sein des Vollkommenen. Sie können stark machen, mutig, widerständig, wenn uns Unglück trifft. Denn dieses ist dann nie schon alles und das Ganze gewesen. Es steht noch etwas aus. Und was aussteht, ist längst auch schon wirklich geworden. Denk doch, was dir Gutes geschehen ist!
Was macht glücklich? Wir haben es gehört. Ergreifen, festhalten, im Herzen bewahren, was wir Gutes in unserem Leben erfahren haben und gegenwärtig erfahren. Es ist nicht schon das Vollkommene, aber es kann dazu werden. Ein Vorschein sein dessen, was gut noch werden wird. Die Begrenztheit, die Endlichkeit, das Unvollkommene, das Zerbrochene werden wir, die wir sterben müssen, nicht los. Glück ist für uns Menschen immer Glück im Unglück. Solches Glück aber gibt es für jeden und jede von uns. Es kommt nur darauf an, daß wir es auch am Schopfe packen, daß wir es achten und darauf aufmerksam sind. Denn es wächst von innen her, in unserem Selbstgefühl. Das Glück braucht die Arbeit an uns selber, daß wir das Gute, das uns zugefallen ist und zufällt, jedem von uns, auch wahrnehmen, daß wir es mit dem Herzen sehen, es auch in der Erinnerung bewahren. Daß wir uns für die gute Sache auch einsetzen, die uns in die Hände oder vor die uns vor die Füße kommt, daß wir sie uns etwas kosten lassen: Zeit, Geld, Klugheit, Liebe.

Was hat dieses Glück mit Gott zu tun? Jesus hat die Geschichte vom Schatzfinder und Perlensucher erzählt, um zu zeigen, daß das Gottesreich auf diese Weise hereinbricht, Gott also erfahren wird in unserer Welt. Das Himmelreich, die Gottesherrschaft wächst wie das Glück von innen her, indem sich unser Leben mit Inhalt füllt. Ja, Gott ist dieses Glück, das Gefühl für den unendlichen Wert, den die Dinge des Lebens haben: das Geld, wo es am Nötigsten fehlt, die Gesundheit, Arbeit und Beruf, die Anerkennung durch andere auch. Gott ist dieses Glück, selber unendlich wertvoll zu sein, wirklich geliebt. Dieses Glücksgefühl ist Gottes lebendige Gegenwart. Dann und dort ist Gott da in unserem Leben. Am intensivsten, wo wir gerade nicht nur um uns selber kreisen, mit resigniertem Blick oder in verzweifelter Unruhe. Gott, den Sinn, den alles hat, unser ganzes Leben, wie es weitergehen wird mit dieser Welt, Gott, den Sinn, das Glück, finden wir da, wo wir ganz bei der Sache sind, die uns in die Hände oder vor die Füße fällt, bei den Menschen, die uns brauchen, bei den großen und kleinen Problemen, die auf Lösung warten. Wir gewinnen uns selbst, unser Leben füllt sich mit Inhalt, wo wir uns an das Gute verlieren, das geschieht und das wir tun können. Das ist eine erstaunliche Logik. Aber sie ist vielfach wahr. Eine Wahrheit, die uns und anderen guttut. Gottes Wahrheit für uns Menschen. Licht, das gegeben ist den Mühseligen.
Amen

Prof. Dr. Wilhelm Gräb, Ruhr-Universität, Ev.-Theol.Fakultät, Universitätsstr. 150, 44801 Bochum
email: WGraeb@t-online.de

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