Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Neujahr
Datum: 1.1.1999
Text: Johannes 14,1-6
Verfasser: Pfarrer Klaus Stolz


Am Anfang der Reise in ein neues Jahr

Liebe Gemeinde,

der Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt erzählt in einer seiner Kurzgeschichten folgendes: Da machen Menschen sich auf eine Reise, sie steigen in einen Zug, der nach einer Weile in einen Tunnel fährt. Aber diese Zugfahrt ist keine Fahrt wie jede andere. Immer schneller rast der vollbesetzte Zug in den Tunnel, ein Ende der Dunkelheit ist nicht in Sicht. Die Menschen, zuerst ängstlich, geraten schließlich in Panik. Ihre Fahrt endet im Dunkel.

Wenn wir uns heute, am ersten Tag des Jahres 1999, auf die Reise in dieses neue Jahr machen, kann es uns vielleicht ähnlich ergehen: Wohin die Fahrt gehen wird - wir wissen es nicht. Die 365 Tage des Jahres 1999 liegen im Dunkel. Wo werde ich ankommen in diesem Jahr 1999?

Es ist schon eine seltsame Mischung aus Angst und Hoffnung, Beklemmung und Zuversicht, die wir da im Gepäck zum Jahreswechsel mit uns herumschleppen.

Ich denke, es tut uns darum recht gut, wenn wir auf Worte Jesu aus dem Johannesevangelium hören, die auch an unsichere und ängstliche Jünger gerichtet sind:

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich.
Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Stünde es anders, würde ich euch gesagt haben: Ich gehe, um euch die Stätte zu bereiten?
Und wenn ich weggegangen bin, um euch die Stätte zu bereiten, werde ich wiederkommen und euch zu mir zu nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.
Wohin ich weggehe, dahin kennt ihr ja den Weg.
Da sagt Thomas zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir da den Weg kennen?
Jesus antwortete: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich
(Übersetzung nach Ulrich Wilckens)

Das große Ziel unserer Reise: Die Wohnung bei Gott

Unmittelbar vor seinem Tod haben die Jünger bange Fragen gestellt. Was wird, wenn Jesus nicht mehr bei uns ist? Unsere Hoffnungen und Pläne - mit einem Mal zerschlagen? Was soll aus uns persönlich werden? Der Karfreitag mit seinem Schatten liegt über den sogenannten Abschiedsreden des Evangelisten Johannes, aus denen unser Wort zur Predigt genommen ist.

Jeus Antwort klingt einfach: Glaubt an Gott und glaubt an mich.

Das Vertrauen zu Gott soll unseren Weg in die Zukunft erleichtern. Das Vertrauen zu Jesus Christus soll mir die Angst nehmen vor dem Dunkel von Morgen und Übermorgen.

Und: Jesus erinnert mich daran, daß ich als Christ ein großes Ziel habe, auf das ich zugehe: Die Wohnung bei Gott. Anders als in Dürrenmatts Geschichte wartet auf mich nicht ein großes Dunkel, ein großes Nichts, sondern eine Wohnung bei Gott.

Nach jeder Reise - und ich verreise wirklich gerne - freue ich mich immer wieder auf Zuhause. Meine gewohnte Umgebung, meine Bücher und Schallplatten, mein eigenes Bett und auch meine eigene Unordnung im Arbeitszimmer - sie vermitteln mir ein gutes Gefühl. Auch jetzt, an den zurückliegenden Weihnachtstagen hätte ich meine eigenen vier Wände nicht missen mögen: Als es draußen stürmisch und kalt war, waren das gut beheizte Wohnzimmer und die Lichter am Weihnachtsbaum wirklich ein behaglicher Zufluchtsort.

Für mich ist das ein beruhigender Gedanke zu wissen: Wenn ich das alles hier einmal zurücklassen muß, werde ich an einen Ort kommen, an dem ich mich nicht fremd fühlen muß. Zu Gott zu kommen - nach dem Sterben - davon spricht Jesu ja - ist wie nach Hause kommen. Das große Ziel unserer Lebensreise ist eine Wohnung bei Gott.

Im Vertrauen auf Christus auf dem Weg ins neue Jahr

Aber auch wenn ich dieses große Ziel meiner Lebensreise kenne, liebe Gemeinde, will ich doch ehrlich sein: Die Frage noch Morgen und Übermorgen stellt sich immer noch. Auch wenn Jesu Worte mir Mut machen und auch Hoffnung einflößen, mir sozusagen eine große Perspektive, einen weiten Horizont eröffnen - gerne wüßte ich doch noch mehr über den Weg, über den Weg zu diesem großen Ziel, über den Weg durch dieses neue Jahr, über den Weg in meine Zukunft.

Daß Thomas, den die kirchliche Tradition ja gerne den Zweifler nennt, Jesus darum mit einer Zwischenfrage unterbricht, finde ich gut. Auch ich möchte dazwischenfragen: Herr, wir wissen nicht so genau wohin du gegangen bist. Vieles, was wir vielleicht mit dem Kopf verstanden haben, ist noch lange nicht auch in unseren Herzen angekommen.

Wenn ich krank werde in diesem neuen Jahr, was wird dann aus mir? Wenn ich einen lieben Menschen hergeben muß, wie werde ich damit fertig werden? Wenn die Beziehung mit meinem Lebenspartner in die Brüche geht, wie kann ich das bewältigen? Wenn ich meine Arbeitsstelle verliere, werde ich genügend Halt finden?

Mit seiner Antwort wirbt Jesus einmal mehr um Vertrauen - um das Vertrauen des Thomas und auch um unser Vertrauen: Wir sind heute ja hier in der Kirche beieinander, weil wir uns mit Jesus Christus verbunden wissen, weil wir ihm vertrauen, Darum sagt er uns:

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. - Ich will dir nicht sagen, welcher Weg im einzelnen vor dir liegt. Ich will dir das Nachdenken und Abwägen über das, was wahr oder falsch ist, nicht abnehmen. Ich will dir die Freuden, aber eben auch die Enttäuschungen dieses Lebens nicht einfach so ersparen. Aber: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Geh deinen Weg mit mir, deinen Weg in dieses neue Jahr 1999. Dann wirst du gelassen das hinnehmen, was nicht zu ändern ist. Geh deinen Weg mit mir in dieses neue Jahr 1999. Das große Ziel kennst du. Und auch die vielen kleine Ziele im Leben, die du nicht kennst, wirst du mit mir erreichen, die Niederlagen bestehen.

Die Reise durchs Leben, die Reise in dieses neue Jahr, ist und bleibt, wie jede Reise, eine spannende Sache. Das kann und will uns Jesus Christus nicht abnehmen. Aber mit dem Vertrauen auf Christus im Reisegepäck wird unsere Reise nicht zur blinden Irrfahrt oder zur Fahrt in die Dunkelheit. Mit Christus im Reisegepäck kann auch in uns die Gelassenheit wachsen, die Dietrich Bonhoeffer zuversichtlich dichten ließ:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Amen.


Pfarrer Klaus Stolz
Dr.-Martin-Luther-Ring 2
92685 Floß
Telefon: 09603-8318

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