Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Weihnachtstag
Datum: 26.12.1998
Text: Johannes 8, 12
Verfasser: Dr. Wilhelm Hüffmeier


"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben."

Liebe Gemeinde,

dieser Vers nennt sozusagen die Folgen von Weihnachten. In drei Richtungen wollen wir sie heute morgen bedenken. Zunächst der erste Satz: "Ich bin das Licht der Welt."

Es heißt nicht: Ich möchte gern, ich wäre das Licht der Welt, oder: Ich will das Licht der Welt werden, oder gar: Ich möchte der finsteren Welt gern ein wenig Licht bringen.

An ihrem Ort und zu ihrer Zeit sind das wichtige und gute Absichten. Sie sollten nicht klein gemacht werden. Wer sich vornimmt, im neuen Jahr bei "Amnesty International" oder der "Aktion Sühnezeichen" mitzuarbeiten, an der "Berliner Tafel" für Obdachlose teilzunehmen oder einfach nur die Verwandte im Krankenheim einmal mehr zu besuchen, der oder die könnte Lichtträger werden. Wenn der Entschluß zustandekommt und durchgehalten wird, wird er Hoffnung und Zuversicht für Menschen hier in Berlin oder anderswo bringen, Das paßt zu Weihnachten. In unzähligen kleinen Lichtern spiegelt sich das eine Licht des Lebens.

Der Satz aus dem Johannesevangelium spricht freilich nicht nur von einem guten Vorsatz, den ein Mensch faßt und ausführt. Er zeigt die schon vorhandene, neue, die ganze Welt hell machende göttliche Wirklichkeit an: Das Licht scheint in der Finsternis, heißt es im 1. Kapitel des Johannesevangeliums. Die erste und wichtigste Konsequenz aus Weihnachten lautet: Diese neue, hell leuchtende Realität ist aus der Welt nicht mehr wegzudenken, dieses Licht, das den Namen Jesus Christus trägt, kann keine Macht der Welt mehr auslöschen.

Von den Weihnachtslichtern und -kerzen wissen wir, wie schnell sie niederbrennen und wie leicht sie ausgepustet worden können. Es macht den Kindern auch immer wieder Spaß, das zu tun. Der aber, auf den die weihnachtlichen Kerzen hinweisen sollen, bleibt. Sein Licht, obwohl verletzlich und schwach, leuchtet unaufhörlich und unauslöschlich weiter. Die Finsternis hat nicht vermocht, es zu überwältigen. Weder Herodes, der seine Knechte schickte, um das Kind zu finden und zu töten, noch andere, die dem Gottessohn nach dem Leben trachteten. Selbst der Tod am Kreuz hat sein Leben nicht vernichten können. Das wird also auch der Kirche in ihrem vielfältigen Versagen oder dem Atheismus oder der religiösen Indifferenz nicht gelingen. Jesu Wort: "Ich bin das Licht der Welt", ist ein zutiefst tröstlicher Satz für die Kirche und für die Welt.

Auf den Trost folgt freilich eine Ernüchterung. Das ist das Zweite, was es zu bedenken gibt. Wahr ist nämlich auch, daß es viele Menschen gibt (wir selber gehören auch immer wieder dazu), die das Licht sehen und sich zu Weihnachten an ihm erfreuen, ja denen die Botschaft von der Menschlichkeit Gottes auch irgendwie einleuchtet, die sie aber doch nicht annehmen. "Das Licht scheint in der Finsternis, aber die Menschen haben es nicht ergriffen." Es geht dann zu wie in der Geschichte vom reichen Jüngling. Er kommt zu Jesus, und der sieht ihn an mit liebevollem Blick, der junge Mann aber kann sich nicht trennen von seinem bisherigen Leben, den Gewohnheiten und Annehmlichkeiten, mit denen er aufwuchs und an die er gebunden ist.

Andre Gide, der große französische Dichter, schreibt in seinen allerletzten Aufzeichnungen: "Es ist in den Worten Christi mehr Licht als in jedem anderen menschlichen Wort. Dies scheint jedoch nicht zu genügen, damit einer Christ sei. Man muß überdies noch glauben. Nun, ich glaube nicht."

Es muß nicht immer dezidierter Unglaube sein, der auf das Licht des Lebens reagiert. Viele Leute glauben nicht etwa deshalb nicht an Gott, weil seine Existenz nicht zu beweisen ist, sondern weil es ihnen zu unbequem ist. Es fehlt der innere Ruck, es fehlt die Entscheidung, es fehlt die Ausdauer.

Weihnachten ohne Entscheidung, ohne Neuanfang auf unserer Seite - auch das ist eine, vielleicht sogar die häufigste Folge der frohen Botschaft. Eine bittere, eine traurige Konsequenz. Über sie kommen Christen nur hinweg, weil ihnen gewiß bleibt: Das Licht scheint in der Finsternis. Es mögen Menschen den Gottessohn zurückweisen oder ignorieren oder verspotten. Jesus hatte Gegner. Er führte Auseinandersetzungen, aber sein Leben, seine gesamte Existenz richtete sich nicht gegen irgend jemanden, sondern er war da für die Menschen, er lebte und starb auch für die, die ihn nicht annahmen, Er tritt auch für die ein, die nicht wissen, was sie tun.

Und nun das Dritte: "Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben." Das ist die positive Folge Weihnachtens: der Neuanfang, die neue Möglichkeit. Nachfolgen - das heißt unter Umständen ganz konkret: Neue Schritte tun, es heißt unter Umständen brechen mit dem, was mich vorher allzusehr gebunden hat. Wer nachfolgt, geht in eine neue Richtung, tritt aus der Finsternis in das Licht, versucht, mit Gott Schritt zu halten.

In früheren Zeiten wußte die Kirche ganz genau, vielleicht allzu genau, was die Werke der Finsternis sind: Vom Tanzen über das Rauchen, Trinken und Kartenspielen bis zum Militärdienst. Die Bibel, unsere höchste Autorität, ist da sehr viel liberaler und auch wohl weiser als die Kirche früherer Zeiten. König David tanzte bekanntlich unbekleidet in der unbändigen Freude, daß die Bundeslade mit den Zehn Geboten nach Jerusalem gebracht wurde - zum Mißfallen seiner Frau, die fand, daß der König sich lächerlich machte. Jesus selber galt seinen Feinden als Fresser und Weinsäufer, weil er die Gemeinschaft am Tisch mit Gesprächen und Diskussionen so sehr schätzte. Wie wichtig der Wehrdienst ist, hat der furchtbare Konflikt in Jugoslawien uns wieder vor Augen geführt. Dort konnte und kann vorläufig nur mit der Drohung, mit der Androhung und Ausübung von militärischer Gewalt ein Mindestmaß äußeren Friedens hergestellt werden.

Es ist also gar nicht so leicht, die Werke der Finsternis von denen des Lichts zu unterscheiden. Die allzu Moralischen können das Licht ebenso verfehlen, wie die allzu Gütigen und Nachsichtigen. Christenmenschen sind auf Wahrheit verpflichtet und Versöhnung, nicht aber auf vorschnelle Harmonie oder gar faulen Frieden. Die Weihnachtstage geben dazu manche aktuelle und lehrreiche Lektion.

Das Licht des Lebens haben heißt aber auf jeden Fall: Ja sagen zur Würde, die jeder Mensch, auch der, den wir partout nicht mögen oder mit dem wir im Streit liegen, dadurch erhalten hat, daß das Wort Fleisch, daß Gott Mensch wurde. Diese Würdigung jedes einzelnen Menschenantlitzes kommt aus Gottes Herz. Das muß und wird einen neuen Umgang miteinander zur Folge haben, eine neue Art über und miteinander zu reden und füreinander da zu sein.

Dazu eine kleine Begebenheit: Vor einigen Jahren erzählte ein Pfarrer, er sei auf einer ökumenischen Weihnachtsfeier drauf- und drangewesen, einen notorischen Säufer und Störer an die frische Luft zu setzen, als sein katholischer Kollege ihn und die Gemeinde erinnerte: Gott macht es uns manchmal sehr schwer, in jedem Menschen sein Ebenbild zu erkennen.

Solche Erinnerungen kommen vom Licht des Lebens, Aber ich weiß, es gibt auch Situationen, in denen es nötig und gut ist, getrennte Wege zu gehen. Da wäre es dann die Art und Weise der Trennung, die finster ist oder lichtvoll. Als Abraham und Lot, die miteinander verwandt waren, merkten, daß das Land sie beide und ihre Familien nicht mehr ertragen konnte, empfahl Abraham dem Lot: "Trenne dich doch von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten gehen oder willst du zur Rechten, so gehe ich zur Linken." Eine solche vernünftige Entscheidung kann auch ein Wandeln im Licht sein. Das Licht des Lebens und der gesunde Menschenverstand vertragen sich aufs beste.

Von Bert Brecht stammen die bitteren Worte: "Und die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht." Zum Wesen des weihnachtlichen Lichtes gehört es dagegen gerade, daß es in die Dunkelheit hineinstrahlt und also die Vergessenen und Verlorenen zu ihrem Platz bei und mit den anderen verhilft - in der christlichen Gemeinde und in unseren säkularen Gesellschaften. Dazu kann jeder und jede von uns das Seine und das Ihre beitragen.

Insofern gehören das Licht der Welt und Brot für die Welt aufs engste zusammen!

Amen.

Dr. Wilhelm Hüffmeier, Berlin

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