Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: Letzter Sonntag im Kirchenjahr, Totensonntag
Datum: 22.11.1998
Text: Offenbarung 21, 1-7
Verfasser: Peter Kollmar

Predigt zum Totensonntag/Ewigkeitssonntag am 22.11.98 über Offenbarung 21, 1-.7

"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wie ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht, Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein."

Liebe Gemeinde
Totensonntag. Wir denken an alle Menschen aus unserer Gemeinde, die dieses Jahr gestorben sind. Ihre Namen nennen wir noch einmal. Vertraute Gesichter und Personen stehen uns wieder vor Augen. Menschen, die zu unserer Gemeinschaft, zu unserer Nachbarschaft gehörten. Uns wird die Lücke bewußt, die ihr Tod hinterlassen hat. Vor allem in den Familien und bei Ihnen, den Angehörigen. Ihre Trauer und Tränen dürfen sein. Vor Gott und vor uns selbst müssen wir uns nicht verstellen. Wir dürfen uns dem Schmerz hingeben. Und selbst mit Vorwürfen und Klagen vor Gott fragen. "Warum? Das Sterben zu diesem Zeitpunkt! Der Tod gerade dieses Menschen! Warum? Wir können es bis heute nicht verstehen." Erklärungen sind aber gar nicht immer möglich, sie sind von uns auch nicht gefordert. Aber Trauer darf sein. Gedenken und Erinnern darf sein. So bleiben die Verstorbenen in unseren Gedanken. So sind sie unvergessen.

Unsere Gesellschaft hat es verlernt zu trauern. Darum sind Sterben und Tod tabuisiert. Wo die modernen Grundwerte Stärke, Jugend, Kraft und Leistung heißen, da werden Krankheit, Sterben und Tod zu gesellschaftlichen Betriebsunfällen. Zu wissenschaftlichen Risiken, die man unglücklicherweise noch nicht im Griff hat. Was man aber nicht bewältigen kann, das wird bekämpft und verdrängt. Genau diese Reaktionen merken Menschen in ihrer Trauer. Denn in ihnen begegnet man ja der unbewältigten der Tatsache des Todes. Und deshalb werden sie gemieden. Damit nimmt man den Trauernden ihre Würde zwingt sie ihre Trauer und ihren Schmerz zu verleugnen. Und liefert die Verstorbenen auch noch dem Vergessen aus.

Liebe Angehörige!
Der Gottesdienst am Totensonntag will ein Ort zum Trauern sein. Ein geschützter Raum für die Angehörigen, aber zugleich auch ein öffentlicher Raum. Wo dieses gesellschaftliche Tabu gebrochen, wo die konventionelle Isolierung der Trauernden durchbrochen wird. Wo Ihre verstorbenen Angehörigen dem öffentlichen Vergessen entrissen werden. Darum verlesen wir die Namen der Verstorbenen. Die Christengemeinde und die Bürgergemeinde nehmen auf diese Weise Anteil und halten die Trauernden fest in der Gemeinschaft der Lebenden.

Den Menschen in allen Phasen des Lebens beizustehen, besonders Sie als Angehörige auch in Ihren Trauern zu begleiten - das ist unser seelsorgerlicher Auftrag als Kirche. Der unmittelbar nach dem Sterben mit dem Trauergespräch zu Hause einsetzte, bei der Beerdigung spürbar war und bis in den heutigen Gottesdienst dauert. Seelsorge ist eigentlich eine persönlich gemeinte und sehr direkt zu empfangende Predigt. Die Botschaft des Evangeliums sollen Sie spüren an Leib und Seele. Denn wir haben eine Botschaft zu verkündigen, die aus der Trauer, aus der Angst vor dem Sterben herausführt. Ja die sogar aus dem Tod heraus führt. Das ist der wahre Grund, warum die Kirche der Trauer Raum geben kann. Sie muß nicht verdrängen. Ganz im Gegenteil. Sie kann den Tod bei Namen nennen, weil er seit Jesus Christus seine unheimliche Macht verloren hat.
Wir predigen Gott, der als konkreter Mensch Jesus Christus bei uns gelebt hat. Der gefoltert wurde, der Angst vor dem Sterben hatte und gestorben ist. Nicht friedlich eingeschlafen, sondern qualvoll hingerichtet durch Kreuzigung. Gott sind also alle unsere menschlichen Ängste um Sterben und Tod bekannt, weil er sie selbst durchlebt hat. Das ist wichtig, denn wir verkündigen Gott nicht als ein lebensfremdes Prinzip oder als ein unvorstellbares Wesen. Sondern als einen Gott, der als Mensch unter Menschen gelebt hat. Und der selbst gestorben ist. Tot gewesen ist. Also auch den biologischen, natürlichen Verlauf jedes Menschenlebens von Geburt bis Sterben durchlebt hat. Und der scheinbar übermächtigen Macht des Todes ausgeliefert war.
Aber - und hier beginnt die neue und gute Botschaft der Bibel: Der nach drei Tagen Tod wieder auferstanden ist. Zurück in das Leben gekommen ist. In ein Leben, das verwandelt war und in alle Ewigkeit nie mehr dem Tode unterworfen ist. Mit der Auferstehung Jesu ist dem Tod seine scheinbare Unbesiegbarkeit, seine Endgültigkeit, sein ewiger Triumph genommen. Auch der Tod ist endlich und wird einmal vergänglich sein. Dann nämlich, wenn Gott wiederkommen wird und sein ewiges Reich anbricht. Dann wird es für keinen Menschen mehr Sterben oder Tod geben. Das ist die Predigt des NT. Das ist der Glaube und die Hoffnung der Christen. Keine utopische, sondern eine konkrete, die wir als Brüder und Schwestern Jesu Christi haben. Wir haben ein Erbrecht auf dieses Reich. Ein Recht, das die Verstorbenen und die Lebenden haben. Verbürgt durch Jesus Christus. Ein ewiges Recht auf das ewige Reich.

Ewigkeitssonntag. So wird theologisch zutreffend dieser Totensonntag in der Kirche auch genannt. Weil im Angesichts des Todes von dem auferstandenen Gott, von einem ewigen Leben bei ihm und mit ihm gepredigt wird. Von einer göttlichen Gegenwelt die keinen Tod, kein Sterben, keine Tränen, keine Trauer mehr kennt. In wunderbaren Bildern, in fast poetischer Sprache. So wie der Seher Johannes in seinen Visionen, in seiner biblischen Offenbarung:
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein."

Das ist das Paradies. Nie mehr werden die Menschen aus ihm vertrieben. Gott und Menschen leben wieder zusammen und versöhnt. Keine Trennung mehr zwischen Himmel und Erde zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Hoffnung und Erfüllung. Alle menschlichen Schmerzen und alltäglichen Lasten sind vergessen. Selbst Lebenshunger und unstillbarer Durst nach dem "Mehr, Mehr, immer Mehr" sind gelöscht. An der Quelle des lebendigen Wassers. Kostenlos.
Und selbst wer Trauer trägt, wer Qualen und Folter ertragen muß - der wird erlöst. "Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz." Himmlische Stille und Frieden.
In diesen Frieden hoffen wir unsere Verstorbenen geborgen. Auf dieses ewige Friedensreich hoffen wir selbst. Denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß!
Amen.

(Die Predigt orientiert sich an Tradition und Situation einer Kirchengemeinde im nördlichen Harz im Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig wie Schladen. Die Gemeinde hat etwa 2.750 Gemeindeglieder und feiert z.Z. wegen der Renovierung der Kirche ihre Gottesdienste in der Kapelle einer großen diakonischen Einrichtung besonders für alte Menschen, der Grotjahn-Stiftung. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stiftung und der Kirchengemeinde treffen sich also regelmäßig zu gemeinsamen Gottesdiensten.

Peter Kollmar, Oberlandeskirchenrat im Landeskirchenamt Wolfenbüttel der Ev.-luth.Landeskirche in Braunschweig

 
   

 

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