Predigttext:
"Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe
ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin
ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen
eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben
sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt
haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn
zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns
Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand
hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt
Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen."
Predigt
Predigt zum 13. So. n. Trin. (6. 9. 1998)
Text: 1. Joh. 4,7-12
Liebe Gemeinde!
Der für diesen Sonntag vorgesehene Text verlangt vom Prediger,
daß er über
die Liebe rede. Das scheint in Zeiten, in denen das Leben nur mehr
wenig
von einem Dasein, dafür aber um so mehr von einem Geschäft
an sich hat, wie
schon Jakob Burckhardt vor gut 100 Jahren geahnt hat, ein ebenso
unsinniges
Unterfangen wie die Forderung, die gleich im ersten Satz dieses
Textes
erhoben wird: Laßt uns einander lieben! Als ob man Liebe
befehlen könnte!
Jeder Mann, jede Frau, die sich gegen eine solche Anmutung sträubt
und
mindestens insgeheim zur Wehr setzt, ist zu verstehen. Dahinter,
hinter
einer solchen Weigerung, steht das natürliche Empfinden: Liebe
kann man
nicht erzwingen, kann man nicht fordern. Wie wäre sie sonst das,
was sie
ihrem Wesen nach ist, nämlich ein freies Geschenk - und eben
doch nur als
solches von ihrer einmalig beglückenden Qualität?! Man würde
ihr wohl doch
nichts weniger als alles nehmen, wollte man auch sie noch in die
Kategorie
des "Müssens", in der wir eh den meisten Teil unseres
Erdenwandels
verbringen, einordnen.
Also ein erstes "Nein, so nicht"!
Jedoch, unser Text läßt uns so nicht gehen. Er hat ja eine
Fortsetzung: Er
begründet die Aufforderung mit einem "denn", "Denn
die Liebe ist von Gott".
Also keine falsche Assoziation! Es geht hier demnach nicht um einen
menschlichen Gefühlsaufschwung, es geht nicht um emotionale
Enthusiasmiertheit, es geht nicht die leidenschaftlichen
Besessenheiten von
neuneinhalb Wochen, es geht nicht um die Nachtseiten des
mann-weiblichen
Trieblebens, es geht nicht um die sublimen Regungen erster
Verliebtheit, es
geht nicht um das, was wir uns so gewöhnlich unter Liebe
vorstellen, es
geht überhaupt nicht um uns in unseren menschlichen Möglichkeiten
und
Befindlichkeiten, Wünschen und Sehnsüchten, Höhen und
Tiefen,
Abgründigkeiten und Erhobenheiten. Es geht - jedenfalls zunächst
- nicht
einmal um die Liebe zu Gott, um die Erhebung des religiösen
Menschen, des
Frommen, zum Unendlichen. Nein, von all dem ist keine Rede.
Es geht vielmehr nur und schlechterdings um die Liebe, die von Gott
kommt,
die aus ihm herausgeht, die in ihm ihren Ursprung hat, die aus ihm
herausströmt. Spontan, ungefordert. Von ihr ist die Rede. Und
mit ihr hat
es eine eigenartige Bewandtnis. Welche, das wird in den folgenden
Versen 9
+ 10 näher erläutert, die man zunächst zu hören
hat, bevor etwas über
unsere Liebe gesagt werden kann: "Darin ist die Liebe Gottes
unter uns
offenkundig geworden, daß Gott seinen eigenen, einzigen Sohn in
die Welt
gesandt hat, damit wir durch ihn leben sollten. Darin besteht die
Liebe,
nicht daß wir Gott geliebt hätten, sondern daß er
uns geliebt und seinen
Sohn gesandt hat, um uns von unseren Sünden frei zu machen"
(Übersetzung:
U. Wilckens).
Die Liebe Gottes, von der hier geredet wird, ist also kein Gefühl,
kein
seliges Verschwimmen, kein diffuses, schwelgerisches Entzündetsein,
auch
kein unaussagbares, unaussprechliches Einheitswesen, sondern ein
geschichtlich-konkretes Ereignis. Man kann von ihr nun in der Tat erzählen,
von ihr kann man wirklich reden: Und dann ist dieser Nazarener,
dieser
galiläische Mann da und da gewesen und hat das und das getan,
und dann ist
das und das mit ihm passiert, und dann war es mit ihm aus und doch
nicht
aus.
Wer von der Liebe Gottes sprechen will, der muß diese
Geschichte erzählen.
Gottes Liebe ist also ein Handeln und ein Erleiden, und vor allem
wohl
letzteres, denn wenn man sich diese Geschichte, an der sich Gott als
der
Liebende dargestellt und erwiesen, an der er seine Gottheit definiert
hat,
näher anschaut, dann sieht man schnell, daß sie tödlich
ist. Die Liebe ist
tödlich, unter den Bedingungen der Sünde und d.h. unter den
Bedingungen des
Menschen und seines gottfernen Daseins ist sie und wird sie tödlich,
weil
sie in den Tod führt. Aus der Knechtschaft unter der Sünde
kann man nämlich
nur durch den Tod frei werden. Das ist ja in diesen Versen
vorausgesetzt,
das muß man immer mithören, wenn hier von der Liebe
geredet wird. Dieser
Jesus, an dem Gott seine Liebe zu Welt und Mensch dargestellt hat,
der
endet - weltlich gesehen - im Tod, in einem ziemlich schrecklichen
zumal.
Also das ist gemeint, wenn hier von der Liebe die Rede ist, das ist
alles
andere als das, was man sich so gewöhnlich unter Liebe
vorstellt. Gottes
Liebe ist kein süßlich-weichliches Verfließen. Sie
ist vielmehr ein hartes,
geschichtliches Geschick. Ihre Eröffnung von Leben geht durch
den
stellvertretenden Tod hindurch. An dem geschichtlichen Schicksal Jesu
kann
man das anschauen, da steht es vor Augen, was es um die Liebe Gottes
ist.
Und erst, wenn man das so anschaut, dann kann man recht die anderen
Verse
unseres Predigttextes hören und verstehen, dann erst lassen sie
sich in den
Horizont einstellen, in dem sie das Wort sagen können, was sie
sagen
wollen: "Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann
sind auch wir
es schuldig, einander zu lieben."
In der Tat, diese Liebe kann man befehlen, denn sie ist keine
Forderung!
Das klingt paradox, ist es aber nicht, denn es läßt sich
erläutern: daß
Gott sich den Menschen in Liebe zuwendet, hat der sich auf keine
Weise und
durch keine Tat verdient, denn Gott hat uns ja schon geliebt, als wir
noch
Sünder waren (Röm. 5,6.8.10), im Gegenteil, in seiner
Tendenz zur
Selbstrechtfertigung ist der Mensch immer schon dabei und damit befaßt,
sie
abzuweisen und sich von ihr zu emanzipieren. Was da vor zweitausend
Jahren
in Palästina passiert ist, ist gegen die innere Tendenz des
Menschendaseins
geschehen. Wir lieben eben nicht so, auch nicht in den
leidenschaftlichen
Aufschwüngen, in den sog. großen Passionen, auch nicht in
den
freundschaftlichen Zuwendungen, auch nicht in den Ehen und
Partnerschaften.
Wir können das auch gar nicht. Wir sind eben nicht so. Wir müssen
uns
selbst zum Zentrum haben. Darum kann man es auch nicht von uns
fordern, so
wie Gott zu lieben.
Aber wo diese göttliche Liebe sich ereignet, da befreit sie den
Menschen
nicht nur von sich und seiner Selbstbezogenheit, seinem irdischen
Wesen,
sondern sie gewährt ihm ein Neues Sein. Und innerhalb des Raumes
dieses
neuen Seins kann man Liebe befehlen, denn hier hat der Befehl: "Laßt
uns
einander lieben" eine ganz neue und andere Qualität. Er
fordert nicht mehr
etwas von uns, was wir nicht können, sondern eröffnet uns
die Möglichkeit
der Freiheit von uns selbst, mehr und anders zu sein als wir von uns
her je
immer schon sind. Diese befohlene Liebe verliert mit ihrem
Befohlensein
nicht ihre Eigenart als Geschenk, sondern im Befehl und dessen
Befolgung
wird sie als solches aktualisiert. Wir machen diese Liebe nicht, wir
schöpfen sie auch nicht aus unseren inneren Möglichkeiten,
wir erzeugen sie
nicht aus den Potenzen unserer Seele, nein, sie ist uns fremd, ein
ganz
fremdes Werk, reines Gegebensein, geschichtlich geschehenes Ereignis,
dessen Wirksamkeit in der Welt wir nur fortsetzen, dessen Spur wir
nur
nachfolgen. Und das kann man eben in der Tat befehlen! Raum geben
dem, was
schon da ist, weil es sich ereignet hat, ihm im eigenen Leben zur
Wirkung
verhelfen; nein, schon das ist zuviel gesagt, besser heißt es:
Es an sich
sich auswirken lassen. Diese tödliche göttliche Liebe sich
zum Schicksal
werden zu lassen - und so leben, das Leben finden, zum Leben kommen,
zum
wahren Leben, welches nicht mehr tödlich enden muß.
Das ist alles andere als eine sentimentale Schnulze, als ein
geschäftstüchtig-banales "Piep, Piep, Piep", das
ist eine harte Schule, an
der man ein Leben lang zu lernen und zu arbeiten hat. Wer so liebt,
der
stammt wirklich von Gott und weiß, was es um ihn und seine
Gottheit ist,
der ist sein Werk, an dem Gott als diese Liebe zur Erscheinung kommt.
Von
sich selbst leer und Gottes voll sein, so hat es Hegel gesagt.
"Niemand hat Gott je gesehen"! Aber an solcher Liebe wird
er sichtbar und
erkannt, das ist das Kriterium, was durch Jesus in die Geschichte
getreten
ist und aus ihr nicht mehr verschwinden kann, es sei denn, dieser
Gott
selbst verschwände aus seiner Welt. Dies jedoch wird so lange
nicht der
Fall sein, wie ein Christ Zeuge dieser Liebe ist. Auf diese
Zeugenschaft
kommt alles an! Sie ist uns aufgetragen, nicht weil wir so prächtige
und
liebesfähige Kerle, so zauberhafte Frauenspersonen sind, sondern
allein
deshalb, weil wir "Gegenstand" der göttlichen Liebe
sind. Das genügt, nein,
das ist mehr als genug.
Amen.
Priv.-Doz. Pfr. Dr. Reinhard Weber, Reichensachsen
Blaue-Kuppe-Straße 37
37287 Wehretal
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