Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 11. S. nach Trinitatis
Datum: 23.8.1998
Text: Epheser 2, 4-10
Verfasser: Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach


Predigttext:

"Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Jesus Christus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen."

Liebe Gemeinde,

Einleitung

Gott und wir, Tod und Leben, Sünde und Vergebung, Schuld und Gnade - das ganze Gewicht christlicher Verkündigung, alles, was die Kirche predigt, steht in unserem Predigttext heute morgen. Der Text ist eine Art Zusammenfassung. Da trifft es sich gut, daß wir in diesem Gottesdienst eine Taufe haben. Ja, Sie haben richtig gehört. Die Taufe macht die Predigt nicht komplizierter, sondern hilft uns, erleichtert uns das Hören und das Verstehen. Warum die Taufe uns hilft, werden wir gleich hören.

Der Text beginnt damit, daß er von Schuld, Sünde redet. Später ist von den Begierden des Fleisches die Rede. Damit ist alles das gemeint, was im Fernsehen und den Zeitungen über Schuld und Verbrechen steht. Als unser Text geschrieben wurde, gab es weder Zeitungen noch Fernsehen, weder Bild, noch ARD oder SAT 1. Aber Schuld und Verbrechen gab es auch schon damals. Hier hat sich leider trotz aller Erfolge der Kriminalkommissare - der menschlichen und des zum Kommissar beförderten Schäferhundes Rex - bis heute nichts geändert. So leicht ist der Mensch nicht zu ändern. Deshalb muß Gott selbst die Sache in die Hand nehmen. Und genau das hat er getan. Die Wende schaffte Gott mit seinem Sohn, mit Jesus Christus. Davon, von dieser Wende spricht der Text. Dieses Geschehen ist eine spannende und zugleich komplizierte Geschichte. Um sie zu erzählen, braucht man Zeit, viel Zeit. Wenn schon ein Kommissar im Fernsehen ein bis zwei Stunden braucht, um einen einzigen Fall zu lösen, wie viel mehr Zeit braucht es, um die Wende der Menschen zum Leben zu beschreiben. Diese Zeit nimmt sich aber leider nicht der Text, und wir haben sie heute morgen auch nicht. Aber lamentieren wir nicht, sondern machen wir uns an die Arbeit, ja an die Arbeit, denn es wird nicht leicht werden.

1 .

Der Text faßt seine Ausführungen zusammen, indem er von der "Gnade" spricht. Das ist ein Wort, das ganz aus der Mode gekommen ist. Wie Garderobe aus der Mode kommen kann, besonders die der Frauen, können auch Wörter aus der Mode kommen. Daß das Wort "Gnade" verloren ging, ist eigentlich schade, sehr schade. Dieses Wort meint etwas Außergewöhnliches. Es geht um etwas, was man sich nicht verdienen und auch nicht kaufen kann. Wir meinen, wir können alles kaufen, wenn wir nur genügend Geld haben. So ist das aber nicht. Liebe kann man sich nicht kaufen. Zwar gibt es immer wieder Menschen, Frauen und Männer, die meinen, durch Geld einen Partner über-reden, bestechen zu können, um ihn oder sie dann vor den Traualtar zu schleppen. Gott sei Dank gelingt das nicht oft, und, wenn es gelingt, scheitert die Ehe dann oft. Liebe, wahre Liebe, ist nicht zu kaufen. Kinderliebe können Eltern sich ebenfalls nicht kaufen.

Genauso ist es mit der Gnade. Deshalb wird Gnade oft mit Liebe verbunden. Gott, der Große, der Schöpfer der Welt, liebt die Menschen. Deshalb schenkt er ihnen aus Gnade das Leben. Gnade wird oft auch mit dem Wort "Geschenk" in Verbindung gebracht. Der griechische Text, in dem unser Predigttext zuerst geschrieben war, spricht darum auch von "Geschenk" und nicht von "Gnade". Auch der lateinische Text, die Bibel wurde ja zunächst ins Lateinische übersetzt, ehe sie von Luther ins Deutsche übersetzt wurde, spricht ebenfalls von "Geschenk". Erst Luther kam auf die Idee, dafür "Gnade" zu sagen. Ich weiß nicht, wie und warum er auf die Idee kam. Heute kann man ihn nicht mehr fragen, aber auch damals, als er übersetzte, konnte ihn niemand fragen. Er saß allein in seinem Zimmer auf der Wartburg, sorgfältig versteckt, weil es Leute gab, die ihn töten wollten. In der Situation von "Gnade" zu reden, leuchtet mir ein. Luther als armer Bettelmönch hatte kein Geld, sich eine teuere Schutztruppe zuzulegen. Da war er dankbar, daß sein Landesherr als wohlhabender Fürst, für seine Sicherheit sorgte, ihn gut getarnt versteckte und dies noch an einem sicheren Ort wie der großen Wartburg. - Sehen Sie, mit Geschenken ist das so eine Sache, wenn man jemandem etwas schenkt, muß man als Beschenkter früher oder später etwas zurückschenken, und sei es, wenn man das nächste Mal eingeladen wird. Bei der Gnade ist das anders. Die ist so groß, da haben wir gar nichts, was wir zurückschenken könnten. Wir besitzen nichts Vergleichbares.

Was ist das aus "Gnade" Überreichte? Es ist das Leben.

2.

Nun, wir leben. Und daß Ailleen Münch lebt, gerade anfing zu leben, ist besonders schön. Darum haben wir uns hier zur Taufe versammelt. Aber - und das muß auch gesagt werden - wir leben nicht ewig. Ich werde nach menschlichem Ermessen früher als Ailleen sterben. Aber - und dieses Aber ist ganz wichtig - das kann und soll doch nicht alles sein. Das sagte sich auch Gott und griff darum ein; aus Gnade tat er es. Er ließ seinen Sohn Jesus Christus am Kreuz sterben und weckte ihn am Ostermorgen auf. Mit ihm, seinem Sohn, starb am Kreuz auch der Tod, unser Tod, meiner und deiner. Zwar werden wir sterben, aber unser Tod hat eine andere Qualität bekommen. Der Tod war bis zu Jesu Tod am Kreuz das Ende, das Aus, das Megaout. Nun, nach Jesu Auferstehung, geht die Sache aber weiter. Der Predigttext spricht deshalb davon, daß Gott uns "in den kommenden Zeiten den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade zeigte". V. 8 - Sie können den Text zu Hause nachlesen.

Wie kann man sich das vorstellen? Eigentlich gar nicht. Niemand kann in die Zukunft schauen. Aber Gott sieht weiter, und er sagt es uns deshalb. Ich kann auch nicht in die Zukunft schauen, aber vielleicht kann, soll ich einmal wagen, ein kleines Zukunftsbild zu malen. Ich greife dabei auf uns Bekanntes zurück. Ich muß zurückgreifen, denn sonst würden Sie mich nicht verstehen. Also ich stelle mir einen Menschen vor, der auswandert. Er will seine Zukunft besser gestalten, als er das hier zu Hause könnte. Jedenfalls hofft er darauf. Genaues weiß auch er nicht. Er muß in seiner neuen Umgebung viel arbeiten. Aller Anfang ist schwer. Dennoch denkt er manchmal abends zurück. An sein Elternhaus, die Straße, in der er wohnte, an die alten Freunde. Er sieht dann alles richtig vor sich. Er ist mit seiner Heimat verbunden.

So, genauso sind wir mit dem Leben verbunden. Die Verbindung schafft die Taufe. Sie verbindet uns mit Jesus Christus und mit seinem Vater, Gott, und dem Heiligen Geist. Wir taufen auf den dreieinigen Gott. Er ist das Leben, und er schenkt uns aus Gnade das Leben. Wir sind darum lebensverbunden. Ich weiß nicht, ob Ailleen später aus der Kirche austreten wird. Ich hoffe es nicht. Aber was sie auch tut, sie ist seit dem heutigen Tage mit Gott verbunden. Wir Menschen können zwar aus der Kirche austreten, aber wir können nicht aus Gottes Hand fallen. Seine Hand ist viel zu groß. Deshalb ist, aus der Kirche auszutreten, zwar rechtlich möglich, aber sachlich unmöglich. Gott nach der Taufe abzusagen, ist so wenig möglich, wie sich von seinen eigenen Eltern zu trennen. Wir können unseren Eltern ade sagen. Wir können vergessen, sie zu Weihnachten einzuladen oder ihnen wenigsten zu schreiben, aber wir sind ein Teil von ihnen. Wir tragen ihre Gene. Ohne diese Gene könnten wir gar nicht leben.

Genauso sind wir seit der Taufe mit Gott verbunden und mit dem Leben, das er uns aus Gnade gibt. Wir sind nun lebensverbunden.

Schluß

Daß dieser Wandel ein Lob für Gott wert ist, versteht sich von selbst. Darum singen wir nun - auch eine Zusammenfassung, ähnlich wie unser Predigttext - ein Lied des Lobes Gottes. Es ist ein altes Lied, das zunächst in lateinischer Sprache gedichtet wurde:

"Großer Gott wir loben dich,..." EG 331, 1. 2.5.11

Amen

Anmerkungen:

Die Verse 1-3 wurden hinzugenommen, weil sonst der Text rudimentär ist. Die Predigt folgt exegetisch weitgehend Franz Mußners Kommentar zum Text in seinem Kommentar im ÖTK und Günter Klein in GPM 46/1991.

Die Predigt ist konzipiert für den Gottesdienst in St. Albani, Göttingen, in dem die 6 Monate alte Ailleen Münch getauft wird. Eine zusätzliche Taufpredigt erübrigt sich, weil die Taufe Aufnahme in die Gemeinde ist. Mit den Eltern wurde darüber gesprochen. Daß der Text einen Bezug zur Taufe hat, ist schön, aber nicht die Voraussetzung dafür, die Taufe in den gesamten Gottesdienst zu integrieren. Ailleen wird von ihrer zahlenmäßig großen Verwandtschaft begleitet, von denen nicht alle Mitglied der Kirche sind. Sie bleiben während des ganzen Gottesdienstes in der Kirche.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
E-Mail: unembac@gwdg.de


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